Protokoll der Sitzung vom 12.10.2000

Herr Minister, Sie sprachen eben davon, dass der Landesmusikrat gegebenenfalls entsprechende Einsparungen zu verbuchen hätte. Halten Sie es für eine seriöse Aussage, wenn Sie trotzdem keine Zahlen benennen können?

Herr Minister!

Das ist seriös.

(Beifall bei der SPD - Oh! bei der CDU)

Wortmeldungen für weitere Zusatzfragen liegen nicht vor. Ich darf feststellen, dass nur Frauen die Fragerunde bestritten haben. Das ist eigentlich auch sehr schön.

(Heiterkeit - Möllring [CDU]: Was heißt denn hier „nur“? Ausschließlich, besonders gut!)

Wir kommen zu

Frage 2: Krebsrisiken durch „tauchgeteerte Trinkwasserrohre“ in niedersächsischen Städten und Gemeinden

Diese Frage wird vom Abgeordneten Schwarzenholz gestellt. Bitte sehr!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das ARD Magazin „Plusminus“ hat in seiner Ausgabe vom 19. September 2000 über Gesundheitsgefahren in der Trinkwasserversorgung berichtet. In den alten Bundesländern sollen insbesondere in den 60er-Jahren im großen Umfang in Teer getauchte Trinkwasserrohre eingebaut worden sein. Die Teerbeschichtung wurde gewählt, um die Rohre abzudichten und vor Rost zu schützen. Teer setzt aber polyzyklische Aromate (PAK) frei, die als sehr stark Krebs auslösend gelten.

Aus einer bisher unveröffentlichten Studie, die im Auftrag des Deutschen Vereins des Gas- und Wasserfaches (DVGW) erarbeitet wurde, soll hervorgehen, dass mehrere tausend Kilometer derartiger tauchgeteerter Trinkwasserrohre eingebaut wurden und sich noch im Betrieb befinden. Durch Verkalkungen und andere Anhaftungen in den Rohren würde sich teilweise die Freisetzung von PAKs reduzieren. Allerdings würden mechanische Einflüsse, wie Reinigungsmaßnahmen oder Druckschwankungen in den Rohren, zu drastischen Erhöhungen von Freisetzungen führen.

„Plusminus“ hatte unter Berufung auf einen Mitarbeiter des DVGW berichtet, dass in hunderten von Städten und Gemeinden in Westdeutschland heute erhöhte PAK-Werte im Trinkwasser vorhanden wären. Die Studie des DVGW wird in „Plusminus“ zitiert. Dort soll es heißen: „Eine Auswertung... zu PAK-Konzentrationen im Bereich mit tauchgeteerten Wasserleitungen zeigte bei 22 % eine Grenzüberschreitung nach Trinkwasserverordnung.“

Rund eine Million Menschen in Deutschland würden daher Trinkwasser trinken, bei dem die Grenzwerte bis zu fünfzigmal im Extremfall überschritten seien. Da die Wasserwerke aber keine regelmäßigen Kontrollen der Trinkwasserwerte bei den Endverbrauchern, sondern nur an den Einspeisestellen in das Rohrnetz vornähmen, gäbe es in diesem Bereich eine erhebliche Dunkelziffer. „Plusminus“ verweist auf das Beispiel der nieder

sächsischen Ortschaft Lauenförde, in der PAKGrenzwertüberschreitungen festgestellt worden waren.

Ich frage daher die Landesregierung:

1. In welchen Städten und Gemeinden Niedersachsens gibt es tauchgeteerte Trinkwasserrohre?

2. Welche Kenntnisse liegen der Landesregierung über die Risiken und Gesundheitsgefährdungen durch die PAK-Belastungen in diesen Trinkwasserrohren bisher vor?

3. Welche Maßnahmen auf welchen Handlungsebenen will die Landesregierung selbst ergreifen oder bei Dritten unterstützen, um die Gesundheitsrisiken für die betroffenen Menschen zu beseitigen?

Die Antwort erteilt die Ministerin für Frauen, Arbeit und Soziales. Frau Merk, bitte!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Abgeordneter Schwarzenholz, ich bin Ihnen dankbar dafür, dass Sie ein so ernstes Thema in Ihrer Anfrage aufgreifen. Anlass ist ein Fernsehbericht über teergetauchte Trinkwasserrohre. Verlegt wurden solche Rohre tatsächlich in großer Zahl, denn bis ca. 1975 entsprach diese Korrosionsschutzmethode für Gussrohre dem Stand der Technik. Aber inzwischen ist der allergrößte Teil dieser Rohre durch andere ersetzt worden. So geht die Deutsche Vereinigung des Gas- und Wasserfachs, die DVGW, davon aus, dass mittlerweile nur noch 1 % des Trinkwassernetzes in Deutschland aus teergetauchten Rohren besteht. In der Regel finden sich bei solchen Rohren nur mit Mühe Spuren von polyzyklischen aromatischen Kohlenwasserstoffen, den PAK, im Trinkwasser, weil sich auf der Innenseite der Rohre Kalk und ein Biofilm ablagern. Nur wenn dieser Belag durch Chlorung, Übersäuerung oder mechanische Einwirkungen zerstört wird, werden vorübergehend Schadstoffe aus dem darunter liegenden Teerbelag freigesetzt.

Wenn nun bei einer Untersuchung in Versorgungsgebieten mit besonders vielen solcher Rohre in 22 % der Trinkwasserproben erhöhte Konzentrationen von PAK gefunden wurden, kann daraus noch nicht ohne Weiteres hochgerechnet werden,

dass bundesweit 1 Million Menschen oder sogar noch mehr mit belastetem Trinkwasser versorgt würden. Die untersuchten Gebiete sind gerade deshalb ausgesucht worden, weil es dort noch größere Strecken teergetauchter Versorgungsleitungen gibt. Damit wollte man herausfinden, wie in solch ungünstigen Fällen die Trinkwasserbelastung aussieht. Es wäre deshalb aber überzogen, Rückschlüsse auf das gesamte Wassernetz in Deutschland zu ziehen.

Generell müssen die Wasserversorger ihr Trinkwasser regelmäßig kontrollieren. Werden bei diesen Kontrollen Schadstoffe nachgewiesen oder gibt es Beschwerden aus der Bevölkerung, etwa über trübes Wasser, dann werden unter der Leitung des zuständigen Gesundheitsamts weiter gehende Ermittlungen angestellt.

Lassen Sie mich dies am Beispiel der Wasserversorgung der niedersächsischen Gemeinde Lauenförde verdeutlichen, die Sie im Vorspann Ihrer Anfrage angesprochen haben. Mir liegt eine Zusammenstellung der Trinkwasseranalysen des mit der Trinkwasserkontrolle betrauten Göttinger Labors vor, die bis April 1996 zurückreicht. Danach wurde das Wasser des Hochbehälters in Lauenförde jährlich auf seinen Gehalt an PAK analysiert. Die Befunde waren 1996 negativ. An vier Stellen des Versorgungsnetzes wurden 1997 und 1998 insgesamt acht weitere Untersuchungen durchgeführt; davon waren zwei schwach positiv. Nach Bürgerbeschwerden über starke nächtliche Druckschwankungen im Trinkwassernetz und vorübergehende Trübungen wurde die Messdichte erhöht. Dabei wurden seit Dezember 1999 vereinzelt geringe Belastungen mit PAK festgestellt, die hauptsächlich das Gewerbegebiet und die angrenzende Wohnbebauung betrafen.

Als am 6. März 2000 an einer von sechs MessStellen der Grenzwert von 0,2 Mikrogramm pro Liter überschritten worden war und eine Kontrollmessung am 15. März eine erneute, wenn auch geringere Trinkwasserbelastung ergeben hatte, ordnete die Samtgemeinde Boffzen in Abstimmung mit dem Gesundheitsamt Holzminden vorsorglich die Versorgung der betroffenen Bevölkerung mit Trinkwasser aus Tankwagen an. Nachdem die Versorgungsleitung des Gewerbegebiets von der des Wohngebiets getrennt worden war und Nachmessungen ergeben hatten, dass praktisch keine Belastung des öffentlichen Trinkwassernetzes mehr bestand, konnte die Versorgungsunterbrechung am 28. März wieder aufgehoben werden.

Wer der Verursacher der Trinkwasserbelastung war, ermittelt derzeit die Staatsanwaltschaft Hildesheim.

Meine Damen und Herren, das Beispiel Lauenförde zeigt, wie die Trinkwasserüberwachung funktioniert. Nach der bevorstehenden Novellierung der Trinkwasserverordnung, deren Neufassung bislang allerdings nur im Entwurf vorliegt, werden die routinemäßigen amtlichen Trinkwasserkontrollen zukünftig nicht mehr nur an den Einspeisungsstellen oder im Netz, sondern regelmäßig an den Entnahmestellen beim Verbraucher, also direkt am Wasserhahn, durchgeführt. Damit wird die Kontrolldichte noch größer werden. Außerdem wird der derzeit geltende Summengrenzwert von 0,2 Mikrogramm pro Liter für PAK halbiert. Das wird die Trinkwasserqualität weiter verbessern.

Dies vorausgeschickt, beantworte ich Ihre Fragen wie folgt:

Zu Frage 1: Tatsache ist, dass es auch in Niedersachsen noch Restbestände an tauchgeteerten Trinkwasserrohren gibt. Zuverlässige Angaben darüber, wo und wie viele solcher Rohre noch im Einsatz sind, liegen nicht vor.

Das, so meinen wir, ist aber auch nicht das ausschließlich Entscheidende. Entscheidend für die Gesundheit der Bürgerinnen und Bürger ist nicht das Vorhandensein oder Fehlen von teergetauchten Rohren, sondern ausschließlich das Vorhandensein oder Fehlen von PAK im Trinkwasser. Wenn sie dort auftauchen, greift das Überwachungssystem der Trinkwasserverordnung.

Zu Frage 2: Das Risiko, mit dem Trinkwasser PAK zu sich zu nehmen, ist glücklicherweise verschwindend gering; denn unser Trinkwasser wird ständig auf Schadstoffe kontrolliert. Man schätzt, dass im Durchschnitt höchstens 1 bis 5 % der Zufuhr an PAK aus dem Trinkwasser stammen, das Gros stammt bedauerlicherweise aus der Nahrung. Wer z. B. viel Gegrilltes isst, läuft viel eher Gefahr, seinen Körper mit diesen Schadstoffen zu belasten.

Von den sechs Indikatorstoffen, die bei der Trinkwasserüberwachung eine Rolle spielen, ist einer definitiv Krebs erzeugend beim Menschen, nämlich das Benzo(a)pyren. Auf der Basis einer Angabe der Weltgesundheitsorganisation kann man abschätzen, dass durch den lebenslangen Verzehr von Trinkwasser, das bis zum Grenzwert von 0,2 Mikrogramm Benzo(a)pyren pro Liter belastet

ist, einer von 400.000 Menschen an Krebs erkrankt, und zwar bei lebenslanger Belastung. Bei nur vorübergehender Belastung nimmt das Krebsrisiko selbstverständlich entsprechend ab.

Damit will ich nichts verniedlichen. Selbstverständlich gehören Schadstoffe grundsätzlich nicht ins Trinkwasser. Deshalb sind die Grenzwerte auch streng, und deshalb setzen wir alles daran, solche Schadstoffe aus dem Trinkwasser fern zu halten. Wir sind froh darüber und können es auch sein, dass Wasser immer noch das am besten untersuchte und kontrollierte Lebensmittel ist.

Zu Frage 3: Im Rahmen der Rohrnetzunterhaltung, die mit mehr als 70 % zu den Trinkwasserkosten beiträgt, werden die teergetauchten Rohre nach und nach ersetzt. Auch wenn allenfalls geringe Mengen an PAK aus den alten Rohren freigesetzt werden, wird durch Messungen an geeigneten Probenahmestellen des Rohrnetzes geprüft, ob der Grenzwert der Trinkwasserverordnung von derzeit 0,2 Mikrogramm pro Liter sicher eingehalten wird. Belastete Versorgungsstränge wird man entweder gleich austauschen oder überbrückungsweise mit einem Filter versehen, der die Schadstoffe zurückhält.

Im Übrigen hat mein Haus am 4. Oktober die Deutsche Vereinigung des Gas- und Wasserfachs aufgefordert, ein Rundschreiben an alle Wasserversorger zu richten, in dem diese noch einmal ausdrücklich aufgefordert wurden, etwaige Restbestände an teergetauchten Rohren zügig zu ermitteln. Daneben sollten die Mitgliedsunternehmen gebeten werden, ihre Kunden und die örtliche Presse über die Qualität ihres Trinkwassers umfassend zu informieren. Die Deutsche Vereinigung des Gas- und Wasserfachs ist diesem Wunsch bereits am 5. Oktober dieses Jahres gefolgt.

Abschließend möchte ich noch erwähnen, dass sich am 16. Oktober die Gesundheitsdezernenten der Bezirksregierungen mit den Fachleuten des Landesgesundheitsamtes und des zuständigen Fachreferates in meinem Hause treffen werden, um die Umsetzung der künftigen Trinkwasserverordnung zu erörtern.

(Zustimmung von Groth [SPD])

Die erste Zusatzfrage stellt der Abgeordnete Dr. Stumpf. Dann kommt Herr Schwarzenholz.

Frau Ministerin, Sie sagten - so habe ich Sie verstanden -, dass im Wesentlichen Zufallsereignisse dazu führen, dass PAK überhaupt freigesetzt werden, indem die natürliche Schutzschicht in den Rohren durch irgendwelche Ereignisse abgelöst wird und dann die PAK dem Wasserlöseprozess ausgesetzt sind. Wenn das tatsächlich so ist, dann ist das ja gar kein Grund dafür, sorglos in die Zukunft zu sehen. Deshalb frage ich Sie: Haben Sie schon einmal darüber nachgedacht, die bestehenden entsprechend beschichteten Rohrsysteme durch technische Einrichtungen, z. B. Einziehen eines Innenrohrs oder Verstärkung von Schutzschichten, also auf künstlichem Wege, nicht auf natürlichem Wege, so zu verändern, dass das Risiko deutlich abgesenkt wird und die Gesundheit der Menschen nicht beschädigt wird?

Frau Ministerin!

Herr Abgeordneter, ich gebe Ihnen völlig Recht, dass damit in keiner Weise sorglos umgegangen werden darf. Ich meine auch nicht, dass meine Antwort Sorglosigkeit zum Ausdruck gebracht hätte.

Was Ihre Frage anbelangt, darf ich sagen, dass das bereits gemacht wird. Allerdings wird immer erst dann über technische oder andere Lösungen nachgedacht, wenn Auffälligkeiten im Wasser zu bemerken sind.

Herr Schwarzenholz!

Frau Ministerin, ausgehend von Ihren Aussagen, dass es keinen generellen Grund zur Besorgnis gebe und dass nur 1 % des Trinkwassernetzes in Deutschland noch mit dieser Technik betrieben werde - übrigens nur in Westdeutschland; also ist die Prozentzahl bei uns effektiv natürlich erheblich höher -, frage ich Sie: Ist es nicht notwendig, dass ermittelt und der Bevölkerung auch bekannt gegeben wird, wo diese Rohre eingesetzt werden, damit die Bevölkerung weiß, welchen Risiken sie in diesen Bereichen ausgesetzt ist, und auch der

notwendige lokale Handlungsdruck ausgelöst werden kann?

Frau Steiner!

(Schwarzenholz [fraktionslos]: Was? Sie ist noch nicht Sozialministerin!)

- Entschuldigung. Erst kommt die Antwort von Frau Ministerin Merk.

Herr Abgeordneter, es gibt zwei Bereiche, in denen die Beteiligten wissen, welche Rohre eingebaut wurden. Das sind zum einen die Kommunen, zum anderen die Wasserversorger selbst. Es ist sicherlich sinnvoll, dass sie damit offen hantieren und nicht vertraulich damit umgehen. Ich meine, dass wir diese Gespräche, die wir am 16. Oktober führen werden, auch dafür nutzen werden, darauf hinzuweisen.

Ich halte es für völlig falsch und unangebracht, wenn es um die Frage der Gesundheit geht und wenn die Sorge der Bevölkerung in Bezug auf Krebserkrankungen berechtigterweise sehr hoch ist, dass man dann nicht mit dem herausrückt, was man weiß. Wir wissen aber auch, dass wir nur über eine sehr lückenhafte Dokumentation verfügen, sodass auch ich auf Appelle allgemeiner Art angewiesen bin, weil ich gar nicht weiß, an wen ich mich sonst richten könnte. Ich kann mich also nur an die Kommunen und an die Wasserversorger richten mit der Bitte, das offen zu legen. Es ist besser, das jetzt zu tun und nicht damit zu warten, weil die Folgen ansonsten noch viel schlimmer sein werden.