Protokoll der Sitzung vom 16.11.2000

Bei allem Wohlwollen muss ich nun aber sagen: Im Kindergarten und in der Grundschule findet eine Prävention nicht in dem gebotenen Maße statt. Wir müssen sehen, dass es in Niedersachsen pro Jahr 20.000 Schülerinnen und Schüler gibt, die die Hauptschule ohne Abschluss oder mit der Note mangelhaft im Fach Deutsch verlassen. Das ist die potentielle Risikogruppe der funktionalen Analphabeten. Dahinter stehen Menschen. Das sind Schicksale. Diesen Menschen müssen wir helfen. Wir müssen hier aber schon frühzeitig anfangen, nämlich im Kindergarten. In der heutigen Zeit gibt es einen Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz. Fast alle Kinder gehen dorthin. Dort kann man frühzeitig aufdecken, wer betroffen ist und bei wem die Sprachentwicklung verzögert eingetreten ist. Diesen Kindern können wir nachhaltig helfen. Damit dies gelingt, müssen aber andere Maßnahmen greifen, als dies bisher der Fall ist. Deshalb bitten wir Sie, auf diesem Gebiet aktiv zu werden und nicht immer nur auf das hinzuweisen, was Sie alles schon getan zu haben glauben. Hier sind nämlich Rechte von Bürgern beeinträchtigt. Wenn wir die Existenz funktionaler Analphabeten zulassen, dann lassen wir auch zu, dass Menschen ihre demokratischen Rechte nicht in dem gebotenen Maße wahrnehmen können. Gerade wir als Parla

mentarier sollten dazu beitragen, dass alle Menschen ihre demokratischen Rechte wahrnehmen können, weshalb sie über eine entsprechende sprachliche Kompetenz verfügen sollten.

(Beifall bei der CDU)

Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen mir zu dieser Großen Anfrage der Fraktion der CDU nicht mehr vor. Ich schließe darum die Besprechung dieser Großen Anfrage.

Ich rufe jetzt auf

Tagesordnungspunkt 25: Erste Beratung: Ausweisung neuer Vogelschutzgebiete stößt auf heftigen Widerstand - Antrag der Fraktion der CDU - Drs. 14/1991

Der Antrag der Fraktion der CDU wird eingebracht durch den Kollegen Behr. Bitte schön, Herr Kollege Behr!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Minister Jüttner! Die Überschrift unseres Antrags lautet: Ausweisung neuer Vogelschutzgebiete stößt auf heftigen Widerstand. - Das ist so, meine Damen und Herren. Es ist aber nicht nur Widerstand, sondern es ist auch Unsicherheit, es ist Enttäuschung, es ist Wut und es ist Existenzangst. Meine Damen und Herren, ich kann das verstehen. Die Reaktionen sind in den einzelnen Gegenden sicherlich unterschiedlich. Es gibt auch eine unterschiedliche Betroffenheit. Ich aber vertrete ein Gebiet, in dem annähernd 6.000 ha fruchtbarstes Ackerland unter Schutz gestellt werden sollen. Vor diesem Hintergrund kann ich die Sorgen sehr gut verstehen.

Meine Damen und Herren, in vielen Gegenden ist nach der FFH-Gebietsausweisung gerade erst wieder Ruhe eingekehrt. Nun kommt der nächste Ärger. Viele glauben, dass die Verständigung bezüglich der FFH-Gebietsausweisung nur deshalb gelungen ist, weil man schon im Hinterkopf hatte, dass der nächste Schritt mit der EUVogelschutzrichtlinie hinterher kommt und im Zusammenhang damit dann die Dinge nachgeholt werden, die man bei der FFH-Gebietsausweisung

außen vor gelassen hat. Jetzt nämlich ist nicht mehr wie noch bei FFH eine Abwägung wirtschaftlicher und sozialer Belange vorgesehen, was dazu führt, dass die Betroffenen in erheblichem Maße misstrauisch sind. Dieses Misstrauen sitzt tief.

Meine Damen und Herren, es ist positiv, wenn die Vorschläge für eine nationale Unterschutzstellung schon jetzt auf den Tisch kommen. Das ist gar keine Frage. Damit haben wir nämlich eine Diskussionsgrundlage. Außerdem haben wir damit ein Stück mehr Transparenz. Wenn man nun aber einen Konsens will, dann muss man auch die Zeit einräumen, die erforderlich ist, um diesen Konsens entsprechend auszuloten.

(Beifall bei der CDU)

Wie stellt sich die Situation vor Ort nun dar? - Ich möchte das einmal am Beispiel Kehdingen im Landkreis Stade deutlich machen. Dort haben zwei Anhörungen stattgefunden, nämlich eine am 16. Oktober und eine weitere am 6. November. An diesen Anhörungen haben jeweils 200 bis 300 Personen teilgenommen. Dort wurden die Vorschläge für den zukünftigen Schutzstatus vorgestellt. Drei Zonen sollen eingerichtet werden: Landschaftsschutzgebiet erster Kategorie, Landschaftsschutzgebiet zweiter Kategorie und Naturschutzgebiet.

Bei einer Ausweisung als Landschaftsschutzgebiet zweiter Kategorie ist kein Umbruch von Grünflächen in Ackerflächen mehr möglich, sind keine baulichen Anlagen mehr vorgesehen und können keine Sonderkulturen mehr eingerichtet werden.

Herr Staatssekretär Schulz hat im Ausschuss erklärt, als dort die Vogelschutzrichtlinie - nach der Sommerpause - erstmals vorgestellt wurde,

(Wulff (Osnabrück) [CDU]: Danach ist er versetzt worden!)

dass sie nicht im Widerspruch zu der Errichtung baulicher Anlagen wie z. B. Ställen steht. Er hat das auf Nachfrage auch wiederholt.

Das stimmt so nicht, die Wirklichkeit vor Ort sieht leider anders aus, meine Damen und Herren. In Zukunft sind bauliche Anlagen größtenteils eben nicht mehr möglich.

(Inselmann [SPD]: Das stimmt doch nicht!)

- Doch, das stimmt.

Man will den Umbruch von Grünland in Ackerland dauerhaft ausschließen, während die öffentlichen Flächen - in Kehdingen und anderswo, aber auch im Nationalpark - nur noch extensiv oder gar nicht mehr bewirtschaftet werden. Die Flächen verkrauten und verwildern, und letztendlich geht da auch kein Vogel mehr hin. Die gehen vielmehr auf die freien Flächen, und die soll dann der Privateigentümer, der davon leben muss, vorhalten. Raps z. B. wird in Nordkehdingen, dem betroffenen Gebiet, überhaupt nicht mehr angebaut, weil das reiner Futteranbau für die Gastvögel wäre.

(Ehlen [CDU]: Ohne Bezahlung!)

- Ohne Bezahlung.

Meine Damen und Herren, wie sollen die Einschränkungen in naher Zukunft aussehen? Was ist später zu erwarten, was ist mit Ausgleichszahlungen, wie werden sich die Beleihungswerte der betroffenen Flächen entwickeln? - Es gibt überall Fragen, und es gibt überall Ängste.

(Zurufe von der SPD)

- Ich freue mich ja, dass Sie lachen, Frau MeynHoreis. Aber den Betroffenen ist nicht zum Lachen zumute. Die haben Angst.

(Beifall bei der CDU - Inselmann [SPD]: Wir schüren keine Ängste, wir bieten Lösungen an! Das ist der Un- terschied!)

- Unterhalten Sie sich einmal mit den Betroffenen, Herr Inselmann! - Die Betroffenen wissen nicht, ob sie ihren Hof noch halten können, ob sie die Kredite zurückzahlen können, ob sie ihren Kindern empfehlen können, weiter Landwirtschaft zu betreiben bzw. den Hof zu übernehmen.

(Beifall bei der CDU - Inselmann [SPD]: Wir bieten Lösungen an, wir schüren keine Ängste! Das ist der Unterschied!)

Aus diesen Fragen und aus diesen Ängsten erwächst der Widerstand.

Herr Inselmann, die Landesregierung und die Mehrheitsfraktion hätten viel dafür tun können, Ruhe und Vertrauen zu schaffen. Aber das haben Sie nicht getan, weil Sie eben nicht bereit waren,

die Vogelfraßschäden angemessen zu entschädigen.

(Beifall bei der CDU)

Man hätte viel für das Vertrauen tun können, aber man hat die Landwirte leider alleine gelassen.

Meine Damen und Herren, die große Betroffenheit gilt aber nicht nur für die Grundeigentümer. Sie gilt auch für Handel und Gewerbe, und auch die betroffenen Kommunen machen sich große Sorgen. Da aber die Grundeigentümer die Hauptbetroffenen sind, fordern wir, dass sie förmlich in das Verfahren einbezogen werden. Auch das hat viel mit Vertrauen zu tun.

Meine Damen und Herren, Lösungen werden wir nur erreichen - auch im Sinne des Naturschutzes -, wenn wir mit den Grundeigentümern arbeiten und nicht gegen sie.

(Inselmann [SPD]: Das machen wir!)

In Kehdingen, im Rheiderland, an der Küste, in Diepholz - überall gibt es viele offene Fragen und erheblichen Aufklärungsbedarf. Herr Kollege Wolfkühler ist ja bei den Anhörungen in Drochtersen dabei gewesen, er weiß das. Die Gemeinde Drochtersen hat die Bezirksregierung eingeladen, um im Rat offene Fragen zu klären.

Dem Landkreis Stade liegt zurzeit eine einzige Stellungnahme vor. Wir sind noch gar nicht in der Lage, das jetzt schon zu beraten. Das gilt ähnlich sicherlich für andere Regionen in Niedersachsen. Unser Kreisumweltausschuss hat - mit den Stimmen der SPD - die Landesregierung um Fristverlängerung sogar bis Mitte Mai gebeten.

Meine Damen und Herren, wir haben zurzeit nicht den zeitlichen Druck, den wir bei der FFHGebietsausweisung hatten. Hier ist noch eine Menge Luft, um die Dinge in Ruhe zu beraten. Sie haben die bisherige Frist 15. November inoffiziell ja bereits um vier Wochen verlängert. Die Betroffenen dürfen - weil das nicht reicht - erwarten, dass kein unnötiger Druck ausgeübt wird, dass hier nichts durchgezogen wird. Deswegen hoffen wir sehr, dass Sie diesen Antrag positiv bescheiden werden.

Meine Damen und Herren, ich muss in diesem Zusammenhang noch ein Schreiben vom gestrigen Tage ansprechen. Dieses Schreiben hat Umweltminister Jüttner an die Bankenverbände in Niedersachsen gerichtet. Ich habe große Zweifel, ob mit

diesem Schreiben Ruhe und Sicherheit bei den Banken einkehrt, was die Bewertung von Grundflächen in Natura-2000-Gebieten anbelangt. Ich halte diesen Brief eher für kontraproduktiv.

(Beifall bei der CDU)

Ich will nur drei Punkte aus dem Schreiben ansprechen. Erstens wird dort ausgeführt, dass das Informations- und Beteiligungsverfahren durch die Bezirksregierung bis Frühjahr 2001 durchgeführt wird. Das kann wohl als Ankündigung betrachtet werden, dass den Forderungen nach Fristverlängerung Rechnung getragen werden soll. - Ich will deutlich sagen: Es wäre gut gewesen, wenn man die Betroffenen und uns vorher informiert hätte und man so etwas nicht aus einem derartigen Schreiben erfahren muss.

(Beifall bei der CDU)

Zweitens. In dem Schreiben wird ausgeführt, dass die EU-Vogelschutzrichtlinie keine rechtsverbindlich wirksame Schutzgebietskategorie darstellt. Andererseits wird - auch von der Bezirksregierung - immer wieder betont, dass es faktische EUVogelschutzgebiete gibt. - Ja, was denn nun, meine Damen und Herren? Da muss man sich schon einmal entscheiden. Was sind denn faktische EUVogelschutzgebiete? Das müsste ja auch mit einem Schutzstatus verbunden sein.

(Inselmann [SPD]: Das sagt das OVG!)

Denn wenn es faktisch den Kriterien genügt, wäre es sowieso egal, ob ein Gebiet ausgewiesen wird oder nicht. Das müsste einmal geklärt werden.

Das scheint allerdings nicht so zu sein. Ich will ein Beispiel nennen, nämlich die mögliche Elbquerung der A 20 in Höhe Krautsand. Dort ist alles, bis auf einen Kernbereich, als EU-Vogelschutzgebiet vorgesehen. Und nun gibt es eine klare Ansage der Straßenbauer. Die sagen, es wäre wichtig, dort einen Korridor frei zu halten. Man täte sich wesentlich leichter, wenn dort keine Ausweisung erfolgen würde; denn mit einem faktischen Schutzgebiet könne man wesentlich leichter umgehen. - Das ist die Aussage der Straßenbauer. Ich frage: Was ist denn nun richtig, und wie sollen wir uns in Zukunft verhalten?

(Inselmann [SPD]: Sollen wir mehr ausweisen, oder was wollen Sie?)

Drittens. Herr Minister, Sie erwecken in dem Brief den Eindruck, dass geeignete Schutzmaßnahmen erst in einem zweiten Schritt umgesetzt werden. Das ist vielleicht formal richtig, aber nicht in der praktischen Auswirkung. Schon jetzt liegen die Vorschläge dazu auf dem Tisch - das ist klar, und das ist auch gut so -, schon jetzt werden die Belastungen für die Flächen erkennbar, und damit wird auch schon jetzt erkennbar, welche Wertminderung dort zu erwarten ist. Diese Wertminderung setzt bereits ein. Sie wird leider von niemandem ausgeglichen.