Wie unter einem Brennglas wird an dieser Einzelfrage deutlich, dass es im Osten um die Aufarbeitung zweier Diktaturen geht. Diese ist aber um der Demokratieentwicklung willen unverzichtbar. Ohne diese Auseinandersetzung mit dem Ziel, sich Geschichte anzueignen - im Guten wie im Bösen -, kann sich keine politische Kultur entwickeln, müssen wir von der Vermeidung gesellschaftlicher Reifungsprozesse sprechen.
Nach den Erfahrungen zweier deutscher Diktaturen wäre es aber ein riskantes Spiel mit dem Feuer, den prinzipiellen Unterschied zwischen Diktatur und Demokratie, zwischen Entmündigung und Würde, zwischen Duckmäusertum und Verantwortungsbewusstsein zu verwischen und damit für neue Diktaturen anfällig zu werden. Ein demokratisches Gemeinwesen, besonders das deutsche, braucht das Wissen über die sozialen und kulturellen Bedingungen, unter denen Diktaturen entstehen. Auch wenn es keine akute Gefahr gibt, dass sich in Deutschland wieder eine neue Diktatur etabliert, muss die politische Urteilskraft aller Bürgerinnen und Bürger geschärft werden.
Die Vorbereitung auf meine neue Aufgabe hat es mit sich gebracht, dass ich - nicht zum ersten Mal darüber nachzudenken und zu reden hatte, was der Begriff „Aufarbeitung der Vergangenheit“ für mich eigentlich bedeutet. Allgemeiner gefragt: Was ist an der Aufarbeitung der DDR-Geschichte denn so wichtig, dass sie tausende Menschen als Wissenschaftler, Publizisten oder Archivare in Aufarbeitungsinitiativen, Instituten, Stiftungen, in Gedenkstätten und eben auch in der Stasiunterlagenbehörde beschäftigt, gar nicht zu reden von den erheblichen öffentlichen Mitteln, die dafür aufgewandt werden?
Wer aufmerksam und unbefangen genug ist, weiß, dass die Beschäftigung mit der DDRVergangenheit keineswegs einseitig auf die Stasiakten gerichtet ist. Die Arbeit der EnqueteKommissionen des Bundestages, zahlreiche wissenschaftliche Publikationen, Filme, Romane, Ausstellungen, Veranstaltungen zeugen davon, dass das Interesse von Politik, Wissenschaft, Kunst und zahlreichen Initiativen viel breiter ist, als es böswillige Nachrede unterstellt.
Freilich gilt die öffentliche Aufmerksamkeit stärker einer Behörde, die den Bruch mit einer Diktatur symbolisiert und die denen, die allzu gern den Mantel des Vergessens ausgebreitet hätten, zum Ärgernis wird. Dennoch lässt sich sagen, dass das Stasiunterlagengesetz und die Behörde, die auf seiner Grundlage arbeitet, nicht nur für die ostdeutschen Bundesländer von besonderer Bedeutung ist, sondern für die ganze Republik; und dies in mindestens zweierlei Hinsicht: zum einen, weil das MfS seine Tätigkeit nicht nur auf die DDR beschränkte, sondern in erheblicher Weise auch in der Bundesrepublik tätig geworden ist, zum anderen, weil das wiedervereinte Deutschland es ernst mit der Demokratie meint.
Als 1989 die zweite deutsche Diktatur in einer friedlichen Revolution zusammenbrach, gab sich die Bürgerbewegung der DDR allein mit der Forderung nach dem Aufbau demokratischer Institutionen nicht zufrieden. Noch bevor die Demonstranten auf den Straßen und Plätzen im Herbst 1989 nach der Wiedervereinigung riefen, forderten sie die Beseitigung der Stasi.
Dieses Organ mit seinen etwa 250.000 offiziellen und inoffiziellen Mitarbeitern hatte die gesamte Gesellschaft eingeschüchtert und Millionen Menschen kontrolliert. Zielsicher wurde von den Bürgerbewegungen das MfS als das zentrale Machtinstrument der SED identifiziert. Die Staatssicherheit hat das produziert, was jede Diktatur braucht - die Angst der Menschen. Außen die Mauer und innen die Stasi, anders hätte die SED-Diktatur nicht existieren können.
Durch die Besetzungen der Zentrale des MfS und die Verhandlungen am Runden Tisch erzwangen die Bürgerinnen und Bürger der DDR die Auflösung der Stasi. „Ich will meine Akte", war an der Wand der riesigen Stasizentrale in BerlinLichtenberg zu lesen. Der Kampf der Bürgerbewegung um die Öffnung der Stasiakten dauerte bis zum Herbst 1990. Da sorgte erst eine neuerliche
Besetzung der Stasizentrale dafür, dass die Öffnung der Stasiakten auch Bestandteil des Einigungsvertrages wurde.
Was macht den Kernbestand des Stasiunterlagengesetzes aus, das dann schließlich im Sommer 1992 vom Bundestag mit großer Mehrheit verabschiedet wurde? Zum einen: Die Täter der Diktatur sollten dauerhaft von der Macht getrennt werden. Dann: Die Opfer der Diktatur sollten rehabilitiert werden. Und: Die Menschen, in deren Leben das MfS eingegriffen hatte, sollten ihre Akten sehen können, die konspirativ über sie angelegt worden waren. Damit sollten die gestohlenen Biografien wieder zurückgeholt werden. Schließlich sollte es möglich werden, die Mechanismen der Diktatur zu durchleuchten. Das Wissen über ihr Wesen sollte der Öffentlichkeit und zukünftigen Generationen zugänglich gemacht werden.
Die Stasiunterlagenbehörde ist einzigartig in der deutschen Geschichte und auch international ohne Beispiel. Sie institutionalisiert die demokratische Revolution und ist dadurch zum Vermächtnis der Bürgerbewegung geworden. Über 4 Millionen Anträge auf Akteneinsicht wurden in den Jahren an die Behörde gestellt. Immer noch ist das Interesse ungebrochen. Monat für Monat gehen etwa 10.000 Anträge auf Einsicht in die eigene Akte ein.
Das Ministerium für Staatssicherheit war mehr als ein normaler Geheimdienst, wie demokratische Staaten sich einen zulegen. Um zu wissen, wie die DDR funktionierte, muss man wissen, wie die Staatssicherheit gearbeitet hat. Wie hat sie es erreicht, dass Millionen Menschen eingeschüchtert waren, dass sie die Stimme senkten, wenn sie in der Öffentlichkeit über Politik redeten, dass sie nicht dagegen rebellierten, dass sie Gefangene waren und dass das freie Wort aus Schulen, aus Universitäten und aus den Medien verbannt war?
Die Stasi überwachte im Dienst der SED und als Schild und Schwert der Partei das Volk fast flächendeckend. Sie versuchte, jede Art von Kritik zu unterdrücken oder schon vorbeugend tätig zu werden. Nach ihrer Selbstdarstellung kämpfte sie gegen jede politische Untergrundtätigkeit und gegen jede politisch-ideologische Diversion, wie es in ihrer Sprache hieß. Dieser Kampf war nach eigenem Selbstverständnis ein unversöhnlicher Klassenkampf. Er wurde in den frühen Jahren der DDR mit Mitteln des offenen Staatsterrors geführt. Seit den 70er-Jahren hatte das MfS raffinierte,
Die zweite ideologische Klammer des SED-Staates neben dem Mythos Antifaschismus war der Sozialismus. Aus einem moralischen Motiv, die Unterdrückung zu beseitigen und im Namen eines angeblich der Geschichte gesetzmäßig innewohnenden Fortschritts wurde die Gesellschaft umgestaltet. Es sollte ein neuer Mensch entstehen.
Aus diesem unaufgeklärten Geschichts- und Selbstverständnis leiteten die Kommunisten nicht nur in der DDR einen historischen Auftrag ab. Dieser legitimierte ihre Verbrechen: die Missachtung der Menschenrechte, Enteignungen, das Verbot freier politischer, sozialer und kultureller Betätigung, den Kampf gegen die Kirchen, Willkürjustiz, Zwangserziehung, Arbeitserziehung und die Disziplinierung mittels zahlreicher Organisationen.
Der Unrechtsstaat DDR hat nicht nur viele einzelne Menschen zu Opfern gemacht, sondern demokratische und emanzipatorische Entwicklungen behindert - wir spüren das im Osten noch heute und Menschen massenhaft aus dem Land getrieben. Damit entstand ein schwerer Schaden an Zivilisation und Kultur. Die Verantwortung dafür wiegt nach meiner Überzeugung ebenso schwer wie das Unrecht an Einzelnen.
Doch die realen Menschen - die real existierenden Menschen, so hätte man früher gesagt - ließen sich in dieses künstliche System nicht einfügen. Über die Jahre sind 4,5 Millionen Ostdeutsche geflohen. Fast 1.000 Menschen kamen bei dem Versuch um, aus der DDR zu fliehen - die Dunkelziffer nicht eingerechnet. Das kleine Land DDR machte 250.000 Menschen in politischen Prozessen zu Gefangenen. In den Internierungslagern der Sowjets sind bis 1950 zwischen 50.000 und 100.000 Menschen umgekommen. In den späteren Jahren starben Menschen durch politische Todesurteile, wurden im Aufstand 1953 erschossen oder starben in Lagern.
Zu der langen Liste der Verbrechen gehört es auch, dass unzählige Menschen in ihrer persönlichen und beruflichen Entwicklung behindert wurden. Das MfS drang bis in den persönlichen Bereich der Menschen vor, zerstörte Ruf und Ansehen und grenzte missliebige Menschen gesellschaftlich aus.
Vor diesem Hintergrund gilt die Verpflichtung der Stasiunterlagenbehörde natürlich zuerst den Opfern von Repression, Zersetzung und politischer Justiz,
die ein Recht auf Aufklärung, auf Rehabilitierung und auf würdige Entschädigung haben. Dort, wo Recht und Unversehrtheit nicht wieder hergestellt werden können, gibt es doch wenigstens Genugtuung durch Wahrheit.
Ein zweiter Gesichtspunkt ist der der Gerechtigkeit. Die Möglichkeit, Täter zur Verantwortung zu ziehen, ist eine häufig unerfüllte Forderung nach Überwindung einer Diktatur. Auch mit Blick auf das DDR-Unrecht gibt es bis heute viel Verbitterung angesichts der Tatsache, dass das Strafrecht einer Demokratie nur über sehr unvollkommene Instrumente verfügt, geschehenes Unecht juristisch aufzuarbeiten.
Auch die Verantwortung für materielle und immaterielle Schäden der Diktatur konnte vor Ablauf der Verjährungsfristen bestenfalls geklärt, selten jedoch gerichtlich verfolgt werden. Aber die Stasiunterlagenbehörde ist auch umstritten. Würde sie nicht, so wurde und wird häufig gefragt, einer innergesellschaftlichen Versöhnung und der Herausbildung eines demokratischen Konsens im Wege stehen? Gibt es möglicherweise einen überschießenden Aufklärungswillen, der mehr verletzt als heilt? Besteht nicht die Gefahr eines politischen Voyeurismus, der nicht der Demokratie, sondern eher dem Sensationshunger dient? - Die Erfahrung mit der Nazidiktatur hat uns allerdings gelehrt, dass die Aufarbeitung der Vergangenheit nie zu viel, höchstens zu wenig betrieben werden kann. Die langen Schatten der NS-Diktatur belegen dies. Bis heute ist die Opferfrage nicht zur Ruhe gekommen, und immer wieder neu keimen nationalsozialistische Ideologien auf.
Mit diesen Stichworten, Wahrheit, Gerechtigkeit, Aufklärung, ist im Wesentlichen skizziert, was ich für die wichtigsten Voraussetzungen eines gesellschaftlichen Versöhnungsprozesses und für ein friedliches und tolerantes Miteinander halte. Ich zögere deshalb nicht, die Öffnung der Stasiakten als ein Instrument der Versöhnung zu betrachten.
Inzwischen haben etwa 1,5 Millionen Menschen Einsicht in ihre Akte genommen, haben Aufschluss darüber erhalten, wie die Stasi versucht hat, ihr Leben auszuspähen und ihr Schicksal zu beeinflussen. Viele haben Enttäuschungen erlebt angesichts des Verrats durch Menschen, denen sie vertraut haben, andere waren sehr froh, ihren lange gehegten Verdacht nicht bestätigt zu sehen. Nicht wenige erfuhren Genugtuung dadurch, dass sie für sich
Dieses Wissen hat den Menschen Souveränität zurückgegeben, hat sie in die Lage versetzt, selbst zu entscheiden, wie sie mit diesen Wahrheiten umgehen. Die einen haben die Dinge auf sich beruhen lassen, andere haben ein klärendes Gespräch gesucht, einige wenige haben Anzeige erstattet. Von Racheakten und Vergeltungsschlägen ist nichts bekannt geworden.
Versöhnung auf der Grundlage von Wahrheit und von freier Entscheidung - nur so ist sie möglich kann nur von den Opfern und Benachteiligten ausgehen. Sie braucht Zeit, Mut, Aufrichtigkeit, Trauer und verlangt allen Beteiligten viel ab. Ich wende mich deshalb entschieden dagegen, dass der Wunsch nach Versöhnung missbraucht wird, um Unrecht zu verharmlosen oder den Mut und den aufrechten Gang ungezählter Menschen gering zu schätzen.
Wir können aus den Akten noch etwas lernen: Die Bürgerinnen und Bürger der DDR waren kein Volk der Büttel und Denunzianten. Es gab auch unter Parteimitgliedern und ansonsten eher angepasst lebenden Menschen eine allgemein respektierte Schamgrenze: Mit denen, mit der Stasi, wird nicht zusammen gearbeitet. - Weniger als 100.000 Stasispitzel gab es, also viel weniger als ein Prozent der Bevölkerung. Viel öfter noch hat die Stasi feststellen müssen, dass Menschen, ganz normale Menschen, ihren Anwerbeversuchen offen getrotzt oder sich ihnen geschickt entzogen haben. Umso weniger kann ich heute verstehen, dass Stasimitarbeit gelegentlich als allgemein übliches Kavaliersdelikt in der DDR dargestellt wird.
Ich habe eingangs schon angemerkt, dass die Stasi auch im Westen tätig war. Wir können bislang nur schätzen, dass das MfS im Laufe der Jahrzehnte bis zu 30.000 Spione in der alten Bundesrepublik hatte. Spione sollten wirtschaftliche und militärische Interessen verfolgen, vor allem sollten sie politischen Einfluss nehmen, um die DDR dauerhaft als eigenständigen europäischen Staat zu etablieren. Die Stasi hat außerdem versucht, auf dem Umweg über Operationen in westlichen Ländern in die DDR zurückzuwirken. Zur Bekämpfung der Opposition, der Kirchen und der Bürgerbewegung in der DDR wurden auch westdeutsche IM eingesetzt.
Wir sprechen von verschiedenen Ebenen der Aufarbeitung - von der juristischen Aufarbeitung durch Prozesse, durch Überprüfungen und arbeitsrechtliche Konsequenzen, durch die Klärung vermögensrechtlicher Probleme. Wir sprechen von der historischen Aufarbeitung, von Forschung und Dokumentation, von der Debatte, von der historischen Bewertung von Enquete-Kommissionen. Wir sprechen von der moralischen Aufarbeitung, von der Solidarität mit Opfern, von der Auseinandersetzung mit persönlicher Verantwortung, von Öffentlichkeitsarbeit, von der Würdigung von Widerstand, von Diskussionen, manchmal aus Anlass der Umbenennung einer Straße oder einer Schule.
Aber Aufarbeitung ist, wenn wir über Vergangenheiten reden, keine hinreichende Beschreibung für das, was wir nötig haben. Es geht vielmehr um eine Erinnerungskultur - um einen Prozess, der den ganzen Menschen betrifft, um eine zivilisatorische Leistung. Deshalb bedeutet Leben mit der Vergangenheit mehr als die Aneignung von Wissen. Dazu gehört auch Begegnung und Gefühl, das Betrauern von Schuld und Schmerz, das Besingen von Mut und Anständigkeit, der Streit um die Bedeutung von Ereignissen, die Mühe des Ringens um Wahrheit, die Konfrontation und auch das Zuhören und Schweigen. Wir brauchen Gedenktage und Gedenkstätten, Orte des Erinnerns, sinnliche Zeichen für Wertschätzung, Wahrnehmung oder auch für Schmerz.
Nur wenn es uns gelingt, auch die Schattenseiten unserer Geschichte zu integrieren und nicht auszusperren, nur dann werden wir die Freiheit gewinnen, uns auch auf die positiven Traditionen zu beziehen und sie für uns zu nutzen. Wie nimmt sich vor diesem Hintergrund einer lebendigen Kultur des Erinnerns das Geschwätz von Schlussstrichen aus! Zu meiner Freude werden ernst zu nehmende Forderungen nach einem Schlussstrich, bezogen auf die DDR-Vergangenheit, immer seltener. Es ist ja auch eine absurde Vorstellung, man könne die Vergangenheit entsorgen wie einen Müllsack.
Das Ende der kommunistischen Diktaturen in Europa hat - auch angesichts der Opfer und Verbrechen - nicht die Verführungskraft antidemokratischer Ideologien gebrochen - nicht endgültig. Wenn auch nicht mehr wie in früheren Jahren, wird doch bis heute die kriminelle Seite des Kommunismus und seine Verachtung der Freiheits- und Menschenrechte verharmlost und bis in die westli
chen Demokratien hinein ungenügend zur Kenntnis genommen. Für Europa und insbesondere für uns Deutsche kommt es in Zukunft darauf an, klare Maßstäbe zur Bewertung politischer Prozesse und politischer Macht zu entwickeln und sich ihrer immer wieder zu vergewissern. Die europäischen Demokratietraditionen, die in den Kurzformeln "Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit" am prägnantesten zum Ausdruck kommen, sind dafür eine unverzichtbare Grundlage.
Die Frage nach den Folgen einer Diktatur werden nicht nur in Deutschland gestellt, sondern auch in anderen Ländern Europas. In Tschechien, Ungarn, Polen den ehemaligen Ländern der Sowjetunion stehen sie längst auf der Tagesordnung, und diese Frage wird auch die jugoslawische Öffentlichkeit bald beschäftigen. Die Stasiunterlagenbehörde hat wegen dieser umfassenden Aufgabe inzwischen auch europäische Bedeutung bekommen. Es gab auf dringende Bitten hin Ausstellungen in Ungarn, Polen und Dänemark, im kommenden Frühjahr in Estland. Diese Entwicklung ist schon deswegen interessant, weil in einigen osteuropäischen Ländern nach 1991 viele kritische Stimmen gegenüber der ostdeutschen Art, mit der Vergangenheit umzugehen, laut wurden. Mancher Kritiker meinte, dass die Deutschen mit ihrer typischen Übergründlichkeit ans Werk gingen. Doch hat es nur wenige Jahre gedauert, bis auch in Polen, Ungarn und Tschechien ähnliche Einrichtungen aufgebaut wurden. Inzwischen interessieren sich auch Bulgarien, Rumänien und selbst die ferne Mongolei für die Stasiunterlagenbehörde der Bundesrepublik, um unsere Erfahrungen zu nutzen.
Die Aktualität eines geregelten Überganges von der sozialistischen Diktatur zur Demokratie zeigt in diesen Wochen auch ein Blick nach Serbien. Dort hat eine friedliche Revolution den letzten Diktator gestürzt. Aber die Frage ist noch offen, ob und wie Jugoslawien nun zur Demokratie findet.
Wenn wir auf dem Weg zu einem gemeinsamen Europa sind und wenn wir hoffen, dass eine europäische Identität entsteht, dann brauchen wir auch eine europäische Idee von unserer Geschichte. Das heißt, die gemeinsame Betrachtung der Geschichte des Kommunismus in Europa ist notwendig. Sie hat schon begonnen. Sie steckt aber noch in den Kinderschuhen. Vielleicht gibt es eines Tages eine Initiative, die vergleichbar der Spielberg-Stiftung sagt: Wir wollen die Alten, die in den verschiedenen Ländern zu Opfern geworden sind, noch reden hören. Wir wollen ihre Erinnerungen in einer
Videodokumentation für kommende Generationen aufbewahren. Ich versuche gegenwärtig, entsprechende Kontakte zu knüpfen. Vielleicht hören Sie ja auch noch von diesem Projekt. - Ich danke Ihnen sehr für Ihre Aufmerksamkeit.
Frau Birthler, es hat uns gut getan, Sie hier zu sehen und zu hören. Wir danken Ihnen sehr dafür, dass Sie die Geschichtsverleugnung und die Lebensnotwendigkeit miteinander verbinden und sagen, dass die Aufarbeitung nur mit Blick auf die Opfer und mit Blick darauf gelingen kann, dass man mehr tun muss, als sich nur Wissen anzueignen. Insofern nehmen wir Ihre Worte sehr gern mit. Ich freue mich auch, dass Sie uns in dem Willen ermuntern, über unsere Demokratie nicht leichtfertig reden zu lassen - weder hier im Hause noch außerhalb des Hauses. Ich danke Ihnen sehr herzlich dafür, dass Sie hier waren.
Meine Damen und Herren, die Sitzung ist unterbrochen. Wir treffen uns nach der Mittagspause um 14.30 Uhr wieder.
Liebe interessierte Kolleginnen und Kollegen, nach der Mittagspause setzen wir unsere Sitzung fort mit:
Tagesordnungspunkt 19: Erste Beratung: Der Landwirtschaft den Rücken stärken Gegen Auskunftspflicht und Nachbaugebühren - Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen - Drs. 14/1985
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die meisten von Ihnen haben sicherlich einen Garten, und viele von Ihnen haben sicherlich auch schon einmal Blumen gesät - vielleicht auch Gemüse und möglicherweise sogar Kartoffeln gepflanzt. Der eine oder die andere von Ihnen hat möglicherweise auch einmal einiges von der Ernte oder von dem Samen in den verwelkten Blumen aufgehoben und im nächsten Jahr wieder ausgesät, weil die Blumen so schön waren, weil die Kartoffeln so gut geschmeckt haben, was auch immer.