Protokoll der Sitzung vom 13.12.2000

(Beifall bei der SPD - Wulff (Osna- brück) [CDU]: Wir haben doch keinen Kommissar bekommen!)

Am Anfang habe ich mich also geärgert, aber nachdem die Frau Ministerin die Gelegenheit nutzen konnte, den großen Erfolg der deutschen und der niedersächsischen Werftenpolitik hier vorzutragen, sage ich: Ich danke der CDU dafür, dass sie uns die Gelegenheit gegeben hat, auf erfolgreiche sozialdemokratische Politik hinzuweisen. - Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD)

Wir kommen damit zu

b) Der Wahnsinn hat Methode: Wer SPDLandwirtschaftspolitik sät, wird Agrarfabriken ernten - Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen - Drs. 14/2086

(Dinkla [CDU]: Das war ein nahtloser Übergang!)

Wer bringt den Antrag ein? - Frau Harms, bitte!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe mich vor dieser Debatte gefragt, was denn nun eigentlich in Niedersachsen jemanden prädestiniert, Landwirtschaftsminister zu werden. Ich möchte Ihnen hier einmal die derzeit moderne Methode des Multiple Choice anbieten:

Erstens. Er muss Bauer sein.

Zweitens. Er muss viel und gern Fleisch essen; man sollte es ihm auch ansehen.

Drittens. Der Bauernpräsident muss ihn für einen feinen Kerl halten.

Viertens. Er muss immer dann, wenn es Probleme mit der Landwirtschaft gibt, ungeheuer geschickt auf Brüssel zeigen und sagen: Schuld haben die da in der EU.

Fünftens. Er muss Tierschützer sein, und zwar überzeugend dann, wenn es darum geht, den Lebensraum für Käfighennen um 10 cm2 zu erweitern.

Sechstens. Er muss Umweltschützer sein, und er muss z. B. dem Umweltminister immer klarmachen, dass die Umweltpolitik eigentlich am besten im Landwirtschaftsministerium gemacht werden könnte.

Siebentens. Er muss immer wieder sehr viel Geld aus Brüssel und Berlin beschaffen. Wenn er mit seiner Landwirtschaftspolitik Fehlschläge erleidet, muss er außerdem noch in der Lage sein, dafür zu sorgen, dass das Geld möglichst so unter die Bauern gebracht wird, dass sich an den Ursachen für die Probleme, die wir immer wieder haben, jetzt z. B. mit BSE, möglichst wenig ändert.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Wenn Sie, meine Damen und Herren, anhand dieses Katalogs darauf gekommen sind, dass Landwirtschaftsminister Funke dieses Anforderungsprofil hervorragend erfüllt, dann haben Sie 100 Punkte. 120 Punkte bekommen Sie von mir, wenn Sie feststellen, dass auch Minister Bartels als Statthalter Funkes in Niedersachsen diese Anforderungen weitgehend erfüllt.

Nun ist es aber so, dass die Erfolgsstory „KarlHeinz Funke“ jäh abgestürzt ist. Wer sein Agieren in Sachen BSE verfolgt hat, muss sich darüber nicht wundern. Schuld an dem Einbruch in der Karriere von Herrn Funke ist ein Rindvieh in Schleswig-Holstein. Ein freiwilliger Test dort hat zum Ende des Selbstbetruges der Landwirtschaftsminister und weitgehend auch der Landwirtschaftsfunktionäre geführt.

(Zuruf von Oestmann [CDU])

BSE ist inzwischen in ganz Europa ausgebreitet, Herr Kollege. BSE hat keinen Bogen um die Bundesrepublik gemacht, auch wenn SPD- und CDULandwirtschaftspolitiker das immer wieder suggeriert haben. Ein Ende dieses Seuchenzuges ist überhaupt nicht in Sicht. Wir haben jetzt Tests eingeführt, und Tiermehlverfütterung wird verboten.

Das alles sind richtige Maßnahmen, kommen aber viel zu spät. Was finden wir vor? - Wir finden ruinierte Bauern, ruinierte Schlachthöfe, ruinierte Schlachter und ratlose Verbraucher vor. Herr Landwirtschaftsminister, wer übernimmt dafür eigentlich die Verantwortung? Wo ist eigentlich die Entschuldigung derjenigen, die diese Landwirtschaftspolitik zu verantworten haben, gegenüber den Betroffenen? Ich habe von Herrn Funke oder von Ihnen, Herr Bartels, erst recht nicht vom Herrn Ministerpräsidenten, der ja auch eine Verantwortung trägt, keine Entschuldigung gehört. Es gibt keine Verantwortlichen für das, was angerichtet worden ist, folglich auch keine Entschuldigung.

Dafür ist aber eine unglaublich gut entwickelte achte Eigenschaft für Landwirtschaftsminister zu nennen: Dann, wenn alles schief gegangen ist, setzen sie sich an die Spitze der Gegenbewegung. Es ist wirklich so, dass wir eigentlich über Nacht nur noch Agrarpolitiker vorfinden, die sagen: Nieder mit der agrarindustriellen Entwicklung. Ich kenne plötzlich niemanden mehr in Niedersachsen, der nicht schon immer gegen industrielle Käfighennenhaltung und Massentierhaltung von Schweinen und Rindern gewesen wäre.

(Zuruf von Oestmann [CDU])

Sie werden mich vielleicht eines anderen belehren. Wir haben heute Morgen die Kollegen gefragt. Alle Befragten, bis auf einen, sind schon seit mindestens 20 Jahren für den ökologischen Landbau.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, wer soll im Lande einem solchen Kurswechsel, selbst wenn er an der Spitze, und zwar durch den Kanzler vorgegeben wird, glauben? Wer soll diesen Landwirtschaftspolitikern vertrauen? - Ich kann, nachdem ich auf sieben Jahre sozialdemokratische Agrarpolitik hier im Landtag zurückblicken kann, eigentlich nur das sagen, was mir früh beigebracht worden ist: Trau, schau, wem.

Manchmal hilft ja an einer solchen Stelle schlicht und ergreifend der Blick in die Zeitungen. Herr Gabriel, der ja, seitdem wir diese BSE-Krise haben, auch Landwirtschaftspolitik betreibt, sagte gegenüber der „Leipziger Volkszeitung“: Keine Berufsgruppe ruft so schnell nach dem Staat wie die Bauern. - Außerdem fordert er, dass zukünftig im Mittelpunkt der Landwirtschaftspolitik die Verbraucher sowie die Kundenorientierung stehen müssen und nicht mehr der Bauer. Die Drucker

schwärze der „Leipziger Volkszeitung“ ist noch nicht trocken, da erklärt er am nächsten Tag gegenüber den Mitgliedern des Bauernverbandes in Niedersachsen, dass man sich sicher sein könne, dass der Verbraucher überhaupt nicht bereit wäre, mehr Geld für bessere Qualität zu zahlen.

Meine Damen und Herren, ich traue diesem Stimmungswechsel nicht. Ich traue in Sachen zukunftsfähige Agrarpolitik und verantwortlicher Umgang mit Verbraucherinteressen nur grüner Landwirtschaftspolitik.

(Zurufe von der SPD)

Ich möchte an dieser Stelle sagen, Herr Bartels, nachdem Sie in den Debatten der letzten Wochen auch gegenüber Frau Höhn so ausfällig geworden sind - Sie haben Sie nämlich des Wahnwitzes bezichtigt -: Auch eine Entschuldigung gegenüber grüner Landwirtschaftspolitik, gegenüber Frau Höhn wäre fällig. Das ist nämlich die einzige verantwortliche Landwirtschaftspolitikerin, die sich noch mit geradem Rücken in der Bundesrepublik bewegen kann. - Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei den GRÜNEN - Kethorn [CDU]: Na, na, na!)

Darauf antwortet der Ernährungsminister.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist sicherlich richtig, Frau Harms, wenn Sie darauf hinweisen, dass die Aufgaben eines Ministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten bisweilen auch die Quadratur des Kreises zum Inhalt haben, angesichts der vielfältigen Aufgaben, die wir zu bewältigen haben, und zwar vom Naturschutz über den Tierschutz, die Wettbewerbsfähigkeit der Betriebe und die Einbindung dessen, was wir in EU und WTO zum Thema Agrarpolitik machen. Das ist nicht einfach. Insofern haben Sie sicherlich mit der umfassenden Beschreibung Recht.

Sie hätten mit Ihren Ausführungen auch Recht, wenn wir uns so verhalten hätten, wie Sie das eben geschildert haben, wobei ich mich jetzt auf meine Aktivitäten beziehen möchte, wenn Sie es mir nachsehen. Ich könnte aber auch die acht Jahre

vorher mit meinem Kollegen Funke Revue passieren lassen. Sie hätten Recht, wenn wir uns so verhalten hätten, wie Sie es dargestellt haben, nämlich wenn wir uns sozusagen über Nacht aus dem Dunkel heraus an die Spitze einer neuen Bewegung gesetzt hätten. Das ist nicht der Fall. Ich kann Ihnen beweisen, dass wir damals, als Sie alle noch in den Schützengräben lagen und sich überhaupt nicht hochbewegt haben, z. B. hinsichtlich des Amsterdamer Vertrages vorneweg gewesen sind und gesagt haben, dass darin die Ziele einer bäuerlichen Landwirtschaft artikuliert werden müssen.

(Klein [GRÜNE]: Artikulieren reicht nicht, handeln!)

Das ist nicht geschehen. Bei den GATT- und Agenda-Vereinbarungen haben wir, Frau Harms, anstelle des gesamten Prämienwirrwarrs eine Grünlandprämie gefordert. Ich muss mich jetzt also nicht sozusagen neu entdecken, sondern ich kann sagen: Meine alten Vorstellungen finden jetzt durch die Agrarpolitik und die Geschehnisse Bestätigung. Ich habe also keinen Grund, mich entschuldigen zu müssen, sondern ich kann sagen: Meine Annahmen von vorher waren richtig. Sie waren aber auch in eine Richtung angelegt, die die Naturschutzverträglichkeit und die Verbraucherverträglichkeit dieser Agrarpolitik unterstützen.

Wenn Sie hier aber ein Bild von einer Landwirtschaft zeichnen, die sozusagen von industriellen Agrarfabriken beherrscht ist, meine Damen und Herren, dann reden Sie über ein Land, das nicht Niedersachsen sein kann.

(Beifall bei der CDU)

Das ist Faktum. Schauen wir uns das doch einmal an. Die überwiegende Mehrheit unserer Betriebe 98 %, um es präzise zu sagen - sind von der Größe und Sozialstruktur her als bäuerliche Betriebe zu bezeichnen.

(Kethorn [CDU]: Genauso ist es!)

Bei den Rindermästern haben wir 317 von 4.046 Betriebe, die 200 und mehr Rinder mästen, und wir haben ganze 476 Betriebe von 22.637 Betriebe, die mehr als 100 Milchkühe haben. Gott sei Dank haben wir die. Frau Janßen, die ja aus bäuerlichem Hintergrund stammt, sitzt ja bei Ihnen. Wir wissen, dass diese Betriebe Zukunft haben und dass wir uns um die anderen Sorgen machen müssen. Ich

bin froh, dass wir sie in dieser Größenordnung haben.

Wir haben in der Schweinehaltung auch Betriebe, meine Damen und Herren, bei denen wir nicht von Strukturen reden können, wie wir sie z. B. in den neuen Bundesländern haben. Ich bedaure diese Strukturen, um das einmal klar zu sagen. Ich möchte sie nicht in Niedersachsen haben. Ich möchte auch nicht die Strukturen von Spanien, Portugal und England haben. Aber wir brauchen wettbewerbsfähige Strukturen.

Ich sage an dieser Stelle: Nicht die Größe ist das Ausschlaggebende, sondern die Qualifikation der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie der Bäuerinnen und Bauern und natürlich die Fähigkeit, strukturelle Nachteile durch überbetriebliche Zusammenarbeit aufzuheben. Wie sonst sollen wir die kommenden Jahre überstehen, wenn die Konkurrenz noch stärker wird und die Erzeugerpreise weiter absinken? - Wir leben nicht unter einer Käseglocke, wo wir über Preise und Warenangebote politisch entscheiden können. Die Spielregeln auf unseren Märkten, meine Damen und Herren, werden von der EU- und der WTO-Runde gesetzt.

(Frau Harms [GRÜNE]: Genau!)

Sie werden aber auch, um das klar zu sagen, von dem Verbraucher, Frau Harms, gesetzt. Lassen Sie mich das doch ausführen. Die Verbraucher sind durch viele Ereignisse auf dem Lebensmittelmarkt verunsichert und misstrauisch. Sie wünschen sich in der überwiegenden Mehrheit gesundheitlich unbedenkliche und umweltverträglich erzeugte Nahrungsmittel sowie tierartgerecht erzeugte Fleischprodukte. Werbeaussagen allein reichen da nicht. Diese Eigenschaften müssen für den Verbraucher nachvollziehbar sein, und sie müssen dokumentiert worden sein. Damit sich auch die Nachfrage des Lebensmitteleinzelhandels entsprechend gestaltet, muss dieses von den Landwirten, von den Erzeugern geleistet werden.

Hier liegt die Chance, diesen Markt zu bedienen. Nicht Masse, sondern Klasse zählt. Mit nicht einfach austauschbarer Ware stärken wir unsere Stellung in dem immer schärfer werdenden Wettbewerb. Ein Blick zu unseren Nachbarn in Dänemark belegt im Übrigen, wie man sich mit transparenten, integrierten Produktionsverbünden vom Stall über die Schlachtung, über den Transport bis hin zur Ladentheke neue Märkte erobern kann. Diesen Weg, den wir beispielhaft schon in der Vergangen

heit gegangen sind, werden wir auch in der Zukunft konsequent fortsetzen.

Auf diese Art und Weise lässt sich auch das Vertrauen der Verbraucher wieder zurückgewinnen, aber auch die Wettbewerbsfähigkeit stärken.