Protokoll der Sitzung vom 24.01.2001

(Zuruf von der CDU)

- nein, das fällt mir überhaupt nicht schwer -: Wenn Sie den Konsens der Demokratinnen und Demokraten anmahnen und im gleichen Atemzuge die größte Fraktion im Niedersächsischen Landtag meinen abwatschen zu können, dann zeigt das deutlich: Sie sind an diesem Konsens überhaupt nicht interessiert.

(Beifall bei der SPD)

Eine letzte Bemerkung vorweg: Sie haben hier mit großem Pathos in der Stimme den Bedeutungsverlust dieses Hauses beklagt. Herr Kollege Wulff, vielleicht erzählen Sie einmal Ihren Fraktionsmitgliedern, die nicht dem Ältestenrat angehören, dass sowohl Bündnis 90/Die Grünen als auch wir Ihnen angeboten haben, dieses Thema konzentriert in einer großen Debatte in dieser Plenarwoche zu behandeln.

(Eveslage [CDU]: Haben wir doch!)

Sie haben das nicht zugelassen, weil Sie wollten, dass Ihr Antrag zur Einsetzung einer EnqueteKommission eine besondere Stellung bekommt. Das, meine Damen und Herren, ist klein-klein, und das sollte man auch so bezeichnen.

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, die Landwirtschaft und das Lebensmittel produzierende Gewerbe in Deutschland werden von einer riesengroßen Vertrauenskrise geschüttelt. Mit dem Nachweis von BSE auch in deutschen Rinderställen ist es mit der Ruhe vorbei, von der wir alle heute wissen, dass sie eine selbsttrügerische Ruhe war. Das Selbstbewusstsein, mit dem wir davon ausgingen, dass BSE nur ein Problem anderer europäischer Landwirtschaften sei, vor dem wir meinten, uns durch Importverbote und andere Vorkehrungen schützen zu können, ist uns auf brutale Weise genommen worden. Die Verbraucherinnen und Verbraucher haben unmittelbar reagiert. Sie sind verunsichert und verlangen zu Recht Konsequenzen. Sie üben Kaufverzicht und nutzen damit das stärkste Instrument, das sie in einer Marktwirtschaft haben. Die Menschen in unserem Lande hinterfragen zunehmend kritisch Herkunft und Qualität von Lebensmitteln, aber auch die ethischen Grundlagen der Nahrungsmittelproduktion.

Meine Damen und Herren, sie tun dies zu Recht. Die Bedingungen, unter denen in Deutschland, aber auch europaweit Nahrungsmittel produziert werden und wurden, sind nicht durch die Bank weg schlecht. Sie sind auch nicht durch die Bank weg und pauschal verurteilungswürdig. Die Landwirte sind nicht die Schurken der Nation, auch wenn sich Einzelne als gewissenlose Ramschproduzenten gerieren.

(Beifall bei der SPD)

Wir müssen aber zur Kenntnis nehmen, dass es der hemmungslose Wettbewerb, die ruinöse Preisdrückerei und ein Subventionssystem, das zu oft auf Menge und nicht zuerst auf Qualität ausgerichtet war, waren, die dazu geführt haben, dass wir unter Produktionsbedingungen arbeiten, die die Menschen in unserem Lande nicht mehr akzeptieren. Es mag ja richtig sein, dass Massentierhaltung und das Entstehen der Rinderseuche BSE nicht in einem nachweisbaren unmittelbaren Zusammenhang stehen. Aber durch die Debatte um die Übertragung von Tierkrankheiten über die Nahrungskette auf den Menschen, durch die Erkenntnisse, dass die bedenkenlose Beigabe von Antibiotika in das Tierfutter zwar den Tieren das Überleben bis zur Schlachtung sichert, beim Verbraucher aber Allergien und Resistenzen auslöst, ist eine Bewegung entstanden, die eine deutliche landwirtschaftspolitische Antwort verlangt, meine Damen und Herren, und diese landwirtschaftspolitische Antwort muss den Menschen, insbesondere denen, die um ihre Existenzen kämpfen, schnell gegeben werden.

(Beifall bei der SPD)

Wir müssen umdenken und die Konsequenzen aus unserem Umdenken ziehen, und zwar möglichst schnell, weil solche Prozesse in der späteren Umsetzung lange genug dauern werden. Die Ziele sind aber eindeutig: Wir wollen eine bessere Lebensmittelqualität, transparentere Produktionen, und nicht zuletzt, meine Damen und Herren, wollen wir artgerechte Tierhaltung. Zu hoffen, dass dieser Skandal möglichst rasch durch die nächsten Schlagzeilen übertüncht wird, wäre schlicht verantwortungslos. Diese Hoffnung - davon bin ich überzeugt - würde aber auch nicht tragen und uns sehr schnell wieder einholen.

Ich will hier aber deutlich sagen: Das erforderliche Umsteuern in der Landwirtschaftspolitik wird nicht allein durch die Politikerinnen und Politiker und die Verbandsfunktionäre bestimmt. Die Verbrau

cherinnen und Verbraucher entscheiden an der Ladentheke, ob der eingeforderte Richtungswechsel trägt. Das muss allen Menschen in unserem Lande klar sein. Sie haben die stärksten Argumente in der Hand. Sie können die neue Landwirtschaftspolitik zum Erfolg machen oder zum Scheitern verurteilen, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD)

Unsere Aufgabe, die Aufgabe der Politik, ist es u. a., die Verbraucherinnen und Verbraucher in den Stand zu versetzen, Kaufentscheidungen vor dem Hintergrund seriöser Informationen zu treffen. Nicht nur die möglichen Gefahren für die Gesundheit müssen offen und zeitnah dargestellt werden. Die Menschen müssen auch wissen, was in den Produkten enthalten ist, die sie kaufen, woher die Produkte stammen, unter welchen Bedingungen sie hergestellt wurden und was die Grundlage der Nahrungsmittelproduktion war. Meine Damen und Herren, es geht nicht nur um die Frage, ob diese Lebensmittel Menschen physisch vernichten, sie mit Krankheiten belegen, bei denen am Ende der Tod steht.

(Zuruf von Oestmann [CDU])

Es geht nicht, Herr Kollege, wie jetzt bei BSE, um diese ganz fundamentale Frage. Es geht darum, dass Menschen, die unter Allergien leiden, sicher sein müssen, dass die Produkte, die sie kaufen, diese Allergien nicht fördern, und dass sie gesund leben können. Das ist die entscheidende Frage, der wir uns zu stellen haben.

(Beifall bei der SPD)

Nur wenn wir ihnen diese Informationen geben, werden die Menschen in den Stand versetzt, eigenverantwortlich Risiken abzuschätzen und durch ihr eigenes Verhalten am Markt Einfluss nehmen zu können.

Meine Damen und Herren, darüber hinaus müssen wir den Menschen auch ganz offen sagen, dass Qualität ihren Preis hat. Qualität ist allerdings nicht unbezahlbar. Aber wer billig kaufen will, der geht das Risiko ein, Ramsch mit nach Hause zu nehmen, und dieses Risiko trägt er dann sehr persönlich. Ich sage das auch ganz deutlich in Richtung des Handels, insbesondere in Richtung der großen Handelsketten, z. B. Aldi, Rewe, Spar und Tengelmann. Wer einen ruinösen Wettbewerb organisiert, um seine Marktanteile auszubauen, und diesen Wettbewerb ausschließlich über den Preis

und nicht über die Qualität definiert, der handelt verantwortungslos zulasten der Verbraucherinnen und Verbraucher!

(Beifall bei der SPD)

Wenn dieses Gebaren dazu führt, dass Lebensmittel verkauft werden, die Menschen kurz- oder mittelfristig krank machen, dann handelt derjenige in meinen Augen schlicht kriminell.

Herr Kollege Wulff, Sie haben an einer ähnlichen Stelle Politikversagen reklamiert und darauf hingewiesen, dass Sie in der Vergangenheit den einen oder anderen Antrag dazu gestellt haben.

(Dr. Domröse [SPD]: Der ist nicht mehr da!)

Vielleicht erinnern Sie sich daran, dass Karl-Heinz Funke der erste sozialdemokratische Landwirtschaftsminister in der Bundesrepublik Deutschland war, und es ist von besonderer Tragik, dass ausgerechnet er über diese Systemfrage gestürzt ist. Alle Anträge, die Sie angeblich von 1987 bis in die 90er-Jahre gestellt haben,

(Zuruf von Oestmann [CDU] Herr Kollege Oestmann, sind an Landwirtschafts- ministern gescheitert, die Ihrer Couleur oder der FDP angehört haben, damit das einmal klar und deutlich benannt wird. (Beifall bei der SPD - Zurufe von der CDU)

Die Landwirtschaft, die Futtermittelindustrie, die Ernährungswirtschaft, aber auch wir als verantwortliche Politikerinnen und Politiker sind gezwungen, sich auf die neue Situation einzustellen, eine Situation, die für viele Wirtschaftsbereiche ich denke insbesondere an die Schlacht- und Fleischverarbeitungsbranche - bedrohlich ist.

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Schwarzenholz?

Nein, das gestatte ich nicht, Herr Präsident.

Wir dürfen nicht vergessen, meine Damen und Herren, dass in Niedersachsen in diesem Wirtschaftsbereich fast 90 000 Menschen beschäftigt

sind. In dieser erwähnten und für Niedersachsen als dem bedeutendsten Agrarland Deutschlands besonders kritischen Situation muss die Politik die entsprechenden Rahmenbedingungen für eine neue, zukunftsweisende und nachhaltige Landwirtschafts- und Verbraucherpolitik schaffen. Wir stehen am Anfang eines Prozesses, der erstens zu einer besseren Qualität der erzeugten Lebensmittel führen muss, der zweitens zu einer größeren Transparenz der Herstellungs- und Verarbeitungswege führen soll, der drittens zu artgerechter Tierhaltung und damit nicht zuletzt viertens zu mehr Verbraucherschutz führen muss und wird. Ich hoffe, dass diese Entwicklung von einer zunehmenden Eigendynamik getragen wird. Dieser Prozess muss aber – wir haben versucht, dies in unseren Anträgen deutlich zu machen - im Konsens mit allen in der Agrarwirtschaft Tätigen gestaltet und geführt werden. Ich bin davon überzeugt, dass uns dieser Konsens gelingen wird.

Meine Damen und Herren, wenn ich die Diskussionsbeiträge vieler junger Landwirte in den vergangenen Tagen auf Demonstrationen und Veranstaltungen richtig verstanden habe, dann ist die Bereitschaft zu einer anderen Produktionsweise vorhanden. Die Leute wollen für ihre eigene Zukunft und für die Zukunft ihrer Kinder die Existenzgrundlage behalten und wollen ihre Höfe auf ihre Kinder übertragen.

Meine Damen und Herren, deshalb sage ich ganz eindeutig: Neben dem grundsätzlichen Ansatz, den wir weiter verfolgen müssen, ist es richtig, dass wir diesen Menschen schnell auch finanziell helfen. Deshalb unterstützen wir mit Nachdruck das, was die Landesregierung in kurzer Zeit auf den Weg gebracht hat.

(Beifall bei der SPD - Wendhausen [SPD]: Die CDU aber nicht! Bei der CDU ist kaum jemand da!)

Die Landesregierung kann sich sicher sein, dass wir dies gegenüber dem Bund mit Nachdruck unterstützen werden, weil wir anders als diejenigen, die darüber reden, aber dann kneifen, wenn es mal um Gegenmeinungen geht, nach dem Motto verfahren: Erst das Land und dann die Partei!

(Beifall bei der SPD - Wendhausen [SPD]: Die CDU will das offensicht- lich nicht! Dort ist kein Mensch da!)

- So ist das, Herr Kollege. Das ist genau das, was ich gerade gesagt habe: Erst große Worte und hinterher verschwinden!

Die Landwirte, die umsteuerungs- und umorientierungswillig sind, brauchen unsere Hilfe. Was sie am allerwenigsten brauchen - das will ich hier ganz deutlich sagen - sind Hasstiraden gegen einzelne Politiker oder Verbandsfunktionäre oder Rechthaberei, die auf parteipolitischen Klamauk ausgerichtet ist.

Dass Karl-Heinz Funke und Andrea Fischer in Berlin persönliche Konsequenzen gezogen haben für Fehler, die, wie Frau Fischer gesagt hat, jeder für sich kein Grund für einen Rücktritt gewesen sind,

(Frau Harms [GRÜNE]: Da gab es Unterschiede!)

macht aber deutlich, dass hier eine andere politische Kultur Platz gegriffen hat, während sich andere Bundesländer weiterhin am Aussitzen geklammert haben, bis es nicht mehr anders ging. Bevor sich die Bayern zu etwas entscheiden konnten, mussten die Skandalwogen erst über den Menschen zusammenbrechen.

Ich sage hier ganz deutlich: Anerkennung in Richtung von Andrea Fischer und Anerkennung für Karl-Heinz Funke. Sie haben als Politikerin und als Politiker verantwortungsbewusst gehandelt.

(Beifall bei der SPD)

Lassen Sie mich aber noch Folgendes sagen, liebe Frau Kollegin Harms. Wenn Sie hier in Niedersachsen völlig begründungslos den Rücktritt von Uwe Bartels fordern, dann setzen Sie damit nicht auf Sachdiskussion, sondern allein auf persönliche Angriffe. Für meine Fraktion sage ich ganz deutlich: Uwe Bartels hat das Vertrauen der SPDFraktion in der Funktion, in der er jetzt ist.

(Beifall bei der SPD)

Er hat sich, Frau Kollegin Harms, dieses Vertrauen durch eine sehr konsequente Sacharbeit in den letzten Jahren in seiner Zeit als Staatssekretär und als Minister in Niedersachsen erworben.

Die Niedersächsische Landesregierung hat schnell und konsequent gehandelt. Sie konnte das tun, weil Landwirtschaftsminister Uwe Bartels auf eine Fülle von Maßnahmen und Gesprächsgrundlagen