Protokoll der Sitzung vom 24.01.2001

Das war der untere Stand. So kann man doch miteinander nicht umgehen. Herr Wulff hat den Saal verlassen, hat draußen Interviews gegeben und ist erst zu den Schlussworten des Fraktionsvorsitzenden der SPD zurückgekommen. So können wir doch nicht miteinander umgehen!

(Beifall bei der SPD)

Wenn ich einfordere, dass die parlamentarische Debatte über eine solche Krise - das ist doch wirklich eine existentielle Krise, und zwar nicht nur für die Landwirtschaft - ernsthaft geführt wird, kann

ich nicht gleichzeitig ein solch zutiefst verachtendes Verhalten - sage ich mal - gegenüber dem politischen Gegner an den Tag legen. Das geht nicht.

(Zuruf von der CDU: Noch drei Mi- nuten!)

Meine Damen und Herren, die Lage ist doch deshalb so ernst - ich will dem Ministerpräsidenten nicht absprechen, dass er die Lage auch so ernst einschätzt -, auch heute noch, weil niemand von uns in der Lage ist, den Menschen zu sagen: Sie können sicheres Rindfleisch kaufen. Wenn ich heute dem BSE-Risiko aus dem Weg gehen will, habe ich im Augenblick nur eine einzige Möglichkeit: kein Rindfleisch kaufen.

Ich habe hier - der eine oder andere wird sich vielleicht noch daran erinnern - in einer BSEDebatte, die wir über die Frage geführt haben, ob bei uns durch die Hintertür britisches Rindfleisch in den Markt schleicht, als Erwiderung auf Herrn Ehlen, der damals gesagt hat, es sei alles in Ordnung - das war, wenn ich mich richtig erinnere, im Oktober -, gesagt: Offensichtlich muss erst der deutsche Rindfleischmarkt völlig zusammenbrechen, ehe die Politik zu einem Richtungswechsel bereit ist. Und ich habe gesagt: Das ist schlimm, weil nämlich viele, viele Menschen dabei ihre Existenz verlieren werden.

Dieser Situation haben wir jetzt. Wir haben außerdem die Situation, dass die Politik gegenwärtig damit konfrontiert ist, dass es kein sicheres Mittel gibt, BSE zu erkennen. Wir haben Vermutungen über die Entstehungsketten, wir haben aber keine Sicherheit, und wir haben gegenwärtig kein politisches Instrumentarium zu benennen, mit dem z. B. der Neuaufbau von Rinderbeständen mit der Sicherheit gewährleistet werden kann, dass die Tiere nicht wieder BSE haben. Wir haben nur Wahrscheinlichkeiten. Beim Biolandbau haben wir die größte Wahrscheinlichkeit, weil dort ein großer Teil der Risikofaktoren ausgeschaltet ist. Aber es bleibt auch dort ein Rest von Unsicherheit, der darin besteht, dass man nicht genau weiß, ob nicht in der Ursprungskette auch Tiere gewesen sind, die das übertragen haben. Solange man nicht die Übertragungswege sicher bestimmen kann, gibt es keine Sicherheit.

Die ganze Debatte hat deutlich gemacht, dass diese Krise noch lange anhalten wird, weil man gegenwärtig Rindfleisch eben nicht verantwortbar kau

fen kann. Die Steakhäuser in Niedersachsen werben gegenwärtig damit, dass sie nur noch Rindfleisch aus Argentinien, also aus Übersee, einsetzen. Sie müssen sich das mal vorstellen, wenn das die Versorgungsgrundlage im landwirtschaftlichen Bereich für uns werden würde.

Nachhaltige Landwirtschaft ist der einzige Ausweg, nachhaltige Landwirtschaft, die sowohl auf Umwelt- als auch auf Verbraucherfaktoren setzt, mit der man ein Produkt erzeugt, das für die Zukunft wirkliche Sicherheiten bieten kann.

(Oestmann [CDU]: Für die Milchkette gilt das leider nicht!)

- Ich habe ja nicht behauptet, Herr Kollege, dass ich Landwirtschaftsexperte bin.

(Frau Körtner [CDU]: Das merkt man!)

Aber ich habe den Eindruck - lassen Sie mich das auch sagen -, dass wir als Parlament hier den Fehler gemacht haben, diese Debatte zu lange den Landwirtschaftsexperte zu überlassen. Wenn wir als Verbraucherinnen und Verbraucher uns dort stärker und offensiver eingemischt hätten, dann wäre es vielleicht nicht zu diesem Problem gekommen. Aber wir haben es nicht getan.

Deshalb sage ich: Zum Neuaufbau in der Landwirtschaft hätte es dem Ministerpräsidenten auch gut eingestanden, hier ein glaubwürdiges personelles Signal zu setzen. Sie haben Alternativen, auch was die Personen in diesem Bereich angeht. Herr Bartels steht für die Kontinuität der alten Landwirtschaftspolitik. Sie haben aber dieses Neuanfangssignal trotz der Alternativen, die hier auf der Hand legen, z. B. durch den Kollegen Stolze, nicht gesetzt.

(Plaue [SPD]: Mach doch den Micha- el nicht fertig!)

Damit haben Sie im Prinzip die Frage offen gelassen, ob das, was Sie heute vorgetragen haben, wirklich zu einer nachhaltigen Veränderung der Landwirtschaft in Niedersachsen führen wird.

Meine Damen und Herren, wir befinden uns am Schluss der Debatte. Vereinbarungsgemäß - so jedenfalls im Ältestenrat vereinbart - wollen wir uns um 14.30 Uhr wieder treffen. Ich schließe die Debatte des heutigen Vormittags und wünsche

Ihnen einen guten Appetit und eine gute Mittagspause.

Unterbrechung: 13.18 Uhr.

Wiederbeginn: 14.32 Uhr.

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir sind zwar noch nicht ansatzweise vollständig versammelt, trotzdem setzen wir unsere Sitzung in der Reihenfolge der geänderten Tagesordnung fort. Vereinbarungsgemäß rufe ich jetzt also auf:

Tagesordnungspunkt 22: Erste Beratung: Einsetzung einer Enquete-Kommission „Agrarstandort Niedersachsen - Zukunftssicherung der niedersächsischen Land- und Ernährungswirtschaft“ gemäß § 18 a GOLT - Antrag der Fraktion der CDU - Drs. 14/2138

Tagesordnungspunkt 34: Erste Beratung: Für eine neue Ausrichtung der niedersächsischen Landwirtschaftspolitik: Verbraucherschutz stärken, Nachhaltigkeit und Zukunftsfähigkeit der Landwirtschaft sichern! - Antrag der Fraktion der SPD - Drs. 14/2156

Tagesordnungspunkt 35: Erste Beratung: Orientierung der Landwirtschaftspolitik am Verbraucherschutz auch in Europa Antrag der Fraktion der SPD - Drs. 14/2157

Tagesordnungspunkt 36: Erste Beratung: BSE-Krise: Sofort-Programm zur Verbesserung des Verbraucherschutzes in Niedersachsen - Antrag der Fraktion der CDU - Drs. 14/ 2158

und

Tagesordnungspunkt 37: Erste Beratung: BSE-Krise: Notprogramm für betroffene landwirtschaftliche und fleischverarbeitende Betriebe - Antrag der Fraktion der CDU Drs. 14/2159

Zur Einbringung der Anträge der Fraktion der CDU hat sich der Kollege Wojahn zu Wort gemeldet. Ich erteile ihm das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich zunächst einen Irrtum aufklären. Ich rede nämlich lediglich zu den Anträgen unter den Tagesordnungspunkten 22 und 37. Zu dem Antrag unter Tagesordnungspunkt 34 zum Thema Verbraucherschutz wird meine Kollegin Hansen sprechen. Seien Sie also nicht verwundert, wenn ich den Aspekt des Verbraucherschutzes jetzt nicht anspreche. So ist es vereinbart, und so ist es wohl auch gut.

Wir haben heute Morgen im Zusammenhang mit der Regierungserklärung Teile der Gesamtproblematik bereits diskutiert. Deswegen möchte ich mich mit meinem Vorwort ganz kurz halten.

(Frau Hansen [CDU]: Der Minister ist gar nicht hier!)

- Ich hoffe, dass er noch kommen wird. Im Übrigen hätte ich beinahe gesagt, dass die Besetzung hier fast der im Ausschuss entspricht. Aber lassen Sie mich jetzt fortfahren.

Vorhin haben wir Sätze gehört wie: Es ist eine große nationale Krise. - Für den ländlichen Raum sage ich: Es ist eine Tragödie für die Bauern, auch für die Verbraucher - völlig klar. Ferner haben wir gehört - das möchte ich hinzufügen -, dass eine Krise auch eine Chance für die Zukunft bietet, wenn uns dies auch teuer zu stehen kommt, einmal in finanzieller Hinsicht, aber auch von der Möglichkeit der Bewältigung her.

Eines ist völlig klar. Zu dem BSE-Erreger und seiner Verbreitung fehlt uns das wissenschaftliche Fundament, das Wissen darüber, wie wir darangehen können. Deswegen geht es, wie wir heute Morgen auch vom Ministerpräsidenten gehört haben, jetzt eigentlich nur um eine sofortige Bewältigung, um den größten Schaden abzuwenden. Das ist zum Teil auch geschehen. Das sofortige Herausnehmen des Tiermehls aus der Fütterung vor einigen Wochen war absolut notwendig, weil wir davon ausgehen müssen, dass dies der Hauptverbreitungsherd ist. Ich will auch einräumen, dass es die Fraktion der Grünen war, die uns hierauf schon hingewiesen hat. Wir selbst haben angenommen - das sage ich jetzt aus der Sicht des Parlaments und nicht deshalb, weil ich vielleicht klüger bin als alle anderen -, dass nach dem Verbot der Verfütterung von Tiermehl an Wiederkäuer im Jahre 1994 die Einhaltung dieses Verbots auch

wirksam kontrolliert werden könnte. Leider ist das nicht der Fall gewesen.

Auch hier nehme ich uns wieder ran, und zwar nicht nur diejenigen meiner Parteikollegen, die irgendwann in der Bundesregierung waren oder die heute in einer Länderregierung sind, sondern auch uns als Parlament. Auch wir haben da versagt - dazu werde ich gleich noch etwas sagen -, weil wir die Regierung und unseren eigenen Landwirtschaftsminister nicht genügend kontrolliert haben. Aus dieser Gemengelage heraus, so meine ich, haben wir auch eine Gesamtverantwortung und wollen dieses Thema vernünftig angehen.

Wie ich bereits gesagt habe, muss uns jetzt zunächst einmal die Wissenschaft helfen. Deswegen darf es nirgendwo an finanziellen Mitteln mangeln, wenn wir dies hier zusammenfassen. Das ist heute Morgen auch so gesagt worden.

Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang ein Wort aus meinem persönlichen Erleben anbringen. Es ist immer wieder die Rede von der alten und der neuen Agrarpolitik. Ich will Ihnen dazu sagen: Die alte Agrarpolitik hat Vorteile und auch Nachteile. Ich bin ja schon ein bisschen älter und kann mich deshalb noch erinnern, wie es vor 50 Jahren gewesen ist. In der Zeit von 1950 bis 1960 haben wir Tbc aus den Rinderherden herausbekommen. Damit haben wir, obwohl wir ein sehr armes Land waren, einen großen Beitrag zur Gesundheit der Menschen leisten können. Grundvoraussetzung dafür war - man ist ja zunächst über Jahrzehnte mit dieser Seuche nicht fertig geworden -, dass wir die wissenschaftlichen Erkenntnisse und den Test am lebenden Tier hatten. Dies war die absolute Voraussetzung. Erst danach konnten wir erkennen, wie die Ansteckungsmöglichkeiten waren. Das war bei großen wie bei kleinen Tieren völlig gleich gewesen, und ich glaube, dass das auch heute so sein wird. Erst als wir wussten, dass die Hühner auf die Kälberweiden gehen und die Kälber das dort aufnehmen und weitertragen, konnten wir handeln.

Das soll mein Vorwort gewesen sein.

Lassen Sie mich jetzt zunächst zu dem Antrag unter dem Tagesordnungspunkt 37 sprechen, BSEKrise: Notprogramm für betroffene landwirtschaftliche und Fleisch verarbeitende Betriebe. Damit ist auch etwas angesprochen, was das Land Niedersachsen bis zu einem gewissen Grade in eigener Verantwortung regeln kann. Wir alle wissen, dass die landwirtschaftlichen Betriebe am

meisten betroffen sind. Ich will aber auch auf die Fleisch verarbeitenden Betriebe hinweisen. Herr Minister, hier müssen wir wohl überlegen, ob es notwendig ist, einen Schlachtbetrieb, in dem ein Fall von BSE vorgekommen ist - gerade bei Rindviechern sind es ja oftmals mittelständische Betriebe -, dicht zu machen. Natürlich ist das für den Augenblick notwendig, aber der Betrieb muss so schnell wie möglich wieder in die Produktion. Anderenfalls verliert der seine ganzen Kunden, die Basis für sein ganzes Wirken. Das ist genauso schlimm wie bei den landwirtschaftlichen Betrieben. Dies ist hier der ganze ländliche Raum. Deswegen ist das keine einfache Sache.

Die anderen Punkte hierzu sind in dem Antrag aufgelistet. Darüber werden wir sicherlich im Ausschuss reden.

Ich möchte jetzt nur noch auf die Forderung unter dem Buchstaben d des Antrags zu sprechen kommen. Bei der neuen Milchquotenregelung gibt es die Bestimmung, dass Quoten nicht verleast und verpachtet werden können. Dies muss für die von BSE betroffenen Betriebe natürlich geregelt werden. Zum einen muss die Quote erhalten werden - sie darf dem Staat nicht verfallen -, zum anderen aber muss für eine Übergangszeit eine Verleasung möglich sein; denn das ist die einzige Einnahmequelle der Betriebe. Dies muss geregelt werden, und ich meine, das ist auch für jeden einsichtig.

Ich meine, dass, ob die Diskussion darüber ethisch oder wie auch immer geführt wird, diese Abschlachtaktion der EU zwei Hauptgründe hat. Der eine Grund ist natürlich, den Markt zu entlasten; der andere ist aber genauso wichtig, nämlich der, dass wir - davon bin ich fest überzeugt - nur durch diese Schlachtungen, die für Tiere über 30 Monate vorgesehen sind und deren Zahl zunehmen wird, ein Bild davon erhalten werden, wie weit BSE verbreitet ist. Im Augenblick ist es nämlich so, dass diese Tiere nicht allzu häufig geschlachtet, sondern eher zurückgehalten werden - zumindest von Einzelbetrieben - aus Angst, dass Tiere BSE haben. Dies sollte zu diesem Antrag genug sein.

Herr Minister, das, was Sie in der Vergangenheit gesagt haben, wollen wir von Ihnen nicht mehr so gerne hören. Sie haben immer gesagt, wenn die CDU-Fraktion Anträge gestellt hat: Das haben wir schon gemacht, das wissen wir schon, das ist viel zu spät, das können wir alles. - Wir haben ja jetzt an dieser Sache gesehen, dass auch der Minister und die Regierung nicht alles können und dass es

wohl auch der Regierung ansteht, sich vom Parlament dies und jenes wenn nicht sagen, dann doch fragen zu lassen. Ich meine, dabei sollte auch ein Umdenken im Ministerium stattfinden.

Ich komme zu dem zweiten Punkt, zu dem ich etwas sagen will, zur Enquete-Kommission. Dabei spreche ich insbesondere den Chef der SPDFraktion an. Meine Damen und Herren, es genügt eben nicht, wenn die Regierung - das ist ihr Recht, weil sie schnell handeln muss - ein Expertengremium einberuft. Ich meine, dass dies aus der Sicht des Parlaments viel zu wenig ist. Ich meine - das sage ich einmal ganz ausdrücklich -: Wir haben diese Enquete-Kommission wohl Anfang Dezember gefordert, und sie ist keine Antwort auf das, was die Regierung macht, sondern sie soll eine Basis für das Parlament sein, um an diesem schwierigen Umstrukturierungsprozess mitzuwirken. Ich meine, dass es nicht in Ordnung ist, wenn die Mehrheitsfraktion hier einfach sagt: Das benötigen wir nicht. - Das ist wieder der alte Stil, den ich eben angesprochen habe. Ich meine, wenn wir eine solche Enquete-Kommission breit anlegen und natürlich die augenblickliche Problematik diskutieren - wir können das auch vorziehen -, dann ist das eine Möglichkeit, das Parlament stark einzubinden - und zwar auch andere Politikfelder als die Agrarpolitik -, und ich meine, dass wir dies unbedingt so handhaben sollten. Es ist nicht genug, den Bericht der Expertenkommission der Regierung im Parlament entgegenzunehmen. Deswegen haben wir das in die Diskussion gebracht.

Ich greife nur einmal einen Punkt auf, den wir untersucht haben wollen, nämlich die Auswirkung der EU-Osterweiterung auf die niedersächsische Landwirtschaft. Da gibt es doch ganz andere Strukturen. Vielleicht können wir uns einmal überlegen, wie das auch mit solchen Ländern aussehen könnte. Das ist unmittelbar in unserer Nachbarschaft. Wenn wir solche Dinge nicht durchdenken, und zwar mit den Experten durchdenken, dann ist das nur ein Abwiegeln der Mehrheitsfraktion.