Protokoll der Sitzung vom 22.02.2001

Wir erwarten ein städtebauliches Entwicklungsprogramm und hoffen, dass sich das realisieren lässt. So wie wir Anfang der 90er-Jahre nach den ersten großen Reduzierungsschritten im Rahmen des Programms für den experimentellen Städteund Wohnungsbau ein Programm aufgelegt haben, bei dem insbesondere eine Folgenutzung für diese Liegenschaften, die ja zum Teil auch aufgrund ihrer baulichen Konzeption für zivile Folgenutzungen sehr unattraktiv waren, erarbeitet wurde, müssen nun Programme aufgelegt werden, im Rahmen derer mit den Gemeinden Umnutzungskonzepte erarbeitet werden. Ich finde, dass auch die NILEG, aber auch die niedersächsischen Banken und ihre Töchter einen wichtigen Beitrag leisten können und eine wichtige Hilfestellung anbieten sollten.

Darüber hinaus erwarten wir eine Schwerpunktsetzung innerhalb der Bundesarbeitsverwaltung. Ich meine, die Bundesanstalt für Arbeit sollte insbesondere dort, wo auch Zivilbeschäftigte der Bundeswehr von einem Truppenabbau betroffen sind, den Experimentierfonds der örtlichen Arbeitsmärkte aufstocken und vielleicht die Mittel, die für Umschulungs- und Weiterqualifizierungsmaßnahmen zur Verfügung stehen, erhöhen.

Wenn man das alles macht, dann sind wir davon überzeugt, dass damit die eine oder andere Kommune die Gelegenheit hat, zivile Folgenutzungen zu realisieren. Eine Anschlussnutzung wird aber nicht überall funktionieren. Liegenschaften der Bundeswehr wurden ja nach militärischen Zweckmäßigkeiten über das Land verteilt, und diese Flächen sind leider nicht immer für eine zivile Anschlussnutzung geeignet.

Trotz dieser Einschränkungen und Schwierigkeiten bei einer Umnutzung sind wir aber erfreut darüber, dass die sicherheitspolitische Lage in Mitteleuropa eine solche Truppenreduzierung möglich macht. Wir werden auch aus diesem Grunde alles daran setzen, dass die negativen wirtschaftlichen Folgewirkungen für die Kommunen beherrschbar bleiben. Wir werden Ihnen dazu selbstverständlich auch von unserer Seite einen eigenen Antrag vorlegen, der noch einmal Einzelheiten für ein solches Konversionsprogramm beinhaltet.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Die Fraktion der CDU hat für ihren Vorsitzenden Wulff um zusätzliche Redezeit gebeten. Ich erteile ihm bis zu drei Minuten.

Sehr verehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Auch wenn die Nerven blank liegen,

(Zuruf von der SPD: Aber nicht, wenn Sie in die Bütt gehen!)

werden wir es nicht zulassen, dass der Innenminister seine Rede mit einer pauschalen Beleidigung von Soldaten der deutschen Bundeswehr oder eines einzelnen Parlamentskollegen beginnt.

(Beifall bei der CDU - Lachen bei der SPD)

Das mag zwar vielleicht hier oder dort angemessen sein - ich weiß nicht, wo Sie sich bewegen und aufhalten -, aber in das Parlament des Landes Niedersachsen gehört, Herr Innenminister, nicht der Spruch: Panzerfahrer, breit fahren, schmal denken. - Das ist eine Pauschalbeleidigung der Soldaten, die auf dem Balkan eingesetzt sind, die denen unter Ihnen natürlich Auftrieb gibt, die von Bundeswehr keine Ahnung haben oder nichts von ihr halten. Wir haben der Bundeswehr eine Menge zu verdanken. Wir jedenfalls sind ihr dankbar und werden solche Sätze hier im Parlament in aller Schärfe zurückweisen.

(Beifall bei der CDU)

Eine zweite Bemerkung. Wir haben im Dezember hier im Parlament versucht, eine gemeinsame Entschließung zugunsten der Bundeswehr, für eine gerechte Bundeswehrstrukturreform zu verabschieden. Sie, Herr Plaue, haben wieder einmal auf dem falschen Bein „Hurra“ geschrieen. Sie haben gesagt: Das machen wir nicht mit, das wollen wir nicht. Das ist alles Panikmache. In Berlin ist alles bestens aufgehoben.

(Zuruf von der SPD)

Heute wissen wir: Das war nicht gut aufgehoben. Lesen Sie einmal den Brief, den Herr Bartling an Herrn Scharping geschrieben hat. Er trieft geradezu von Enttäuschung und Verbitterung.

Die sozialdemokratische Partei hat dann beispielsweise am Standort Dörverden ein Faltblatt an alle

Haushalte verteilt, das den Zusatz trug: frohe Weihnachten, ein gesundes neues Jahr und viel Erfolg. Darüber steht: Die SPD Dörverden teilt mit, dass keine Gefahr für den Standort besteht. Verteidigungsminister Scharping habe zugesichert: keine Truppenreduzierung in strukturschwachen Gebieten.

Dass Sie heute ein Problem haben, weil Sie den Menschen die Unwahrheit gesagt haben, weil Sie falsche Versprechungen gemacht haben, versteht hier jeder. Aber dass Sie deshalb zum Mittel der Beleidigung greifen, werden wir Ihnen nicht durchgehen lassen.

(Beifall bei der CDU)

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich kann die Beratung schließen.

Wir kommen zur Ausschussüberweisung. Federführend soll sich mit den Anträgen der Ausschuss für innere Verwaltung sowie mitberatend der Ausschuss für Wirtschaft und Verkehr befassen. Wenn Sie so beschließen wollen, bitte ich um Ihr Handzeichen. - Vielen Dank; Sie haben so beschlossen.

(Unruhe)

Meine Damen und Herren, hören Sie bitte noch einen kleinen Moment zu. Wir gehen jetzt in die Mittagspause. Wegen der Zeitverzögerung am Vormittag sind die Fraktionen übereingekommen, dass wir die Mittagspause bis 15 Uhr ausdehnen. Die Herren denken bitte an ihre Schlipse.

Unterbrechung: 13.43 Uhr.

Wiederbeginn: 15.01 Uhr.

Meine Damen und Herren, die Sitzung ist wieder eröffnet.

Wir fahren in unserer Tagesordnung fort. Ich rufe auf

Tagesordnungspunkt 24: Besprechung: Armut von Kindern und Jugendlichen in Niedersachsen - Große Anfrage der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen - Drs. 14/2183 - Antwort der Landesregierung - Drs. 14/2257

Ich eröffne die Besprechung und gebe zunächst Frau Kollegin Janssen-Kucz das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Kinderarmut ist in Deutschland in den letzten Jahren in erschreckendem Maße angestiegen. Während die Zeitungen melden, dass die Reichen immer reicher werden, lebt in der Bundesrepublik jedes siebte Kind unterhalb der Armutsgrenze.

Kinderarmut bedeutet aber nicht nur, dass viele Kinder und Jugendliche auf materiellen Wohlstand verzichten müssen, dass sie sich beispielsweise weniger Markenklamotten leisten können. Kinderarmut bedeutet vor allem, dass Kinder und Jugendliche in ihrer körperlichen und geistigen Entwicklung schwerwiegend beeinträchtigt werden. Zahlreiche Untersuchungen zeigen, dass Kinder, die unter Bedingungen von Armut aufwachsen, häufiger krank sind, dass sie häufiger in Unfälle verwickelt sind und dass sie in ihrer Sprach- und Intelligenzentwicklung zurückbleiben. Schuleingangsuntersuchungen zeigen, dass diese Kinder schon im Alter von sechs Jahren einen deutlichen Rückstand haben und deswegen auch wesentlich häufiger zurückgestellt werden müssen.

Armutsforscher haben darauf hingewiesen, dass materielle Armut oft mit einem Mangel an sozialen, kulturellen und emotionalen Ressourcen verbunden ist. Familien, die in Armut leben, sind häufig Familien, die von lang andauernder Arbeitslosigkeit betroffen sind und für sich selbst kaum noch Zukunftsperspektiven sehen, Familien, die oftmals von Medikamentenabhängigkeit, Alkoholkrankheit oder Suchtproblemen betroffen sind.

Die mageren Antworten zur Lage von Kindern suchtabhängiger Eltern, hochverschuldeter Eltern oder zu obdachlosen Kindern und Jugendlichen zeigen, dass es in Niedersachsen an lebenslagenorientierten Untersuchungen fehlt. Man braucht sich das nur anzuschauen. Es gibt ein Sammelsurium von Zahlen. Aber es fehlen lebenslagenorientierte Untersuchungen. Diese sollten eigentlich im

Gefolge des Landesarmutsberichts in Auftrag gegeben werden. Bisher allerdings: Pustekuchen. „Abwarten und Tee trinken“ heißt anscheinend die Devise, wenn auf den Armutsbericht der Bundesregierung bzw. auf den Bundesbericht zu Armut und Reichtum verwiesen wird. Diese Landesregierung hat vor dem Anstieg der Kinderarmut in den letzten Jahren die Augen verschlossen. Die heutige Führung der SPD, diesmal auf Bundesebene bezogen, ist offenbar so auf die neue Mitte fixiert, dass sie den Blick für die sozialen Probleme, für die Armut in unserer Gesellschaft weitgehend verloren hat.

Die SPD-Landesregierung in Niedersachsen hat dieses Thema sträflich vernachlässigt. Sie hat bis heute kein Konzept dafür vorgelegt, wie die Kinder und Jugendlichen, die in Armut aufwachsen müssen, gezielt unterstützt werden können, sondern genau das Gegenteil ist passiert: Die Landesregierung hat die Mittel zur Förderung benachteiligter Kinder deutlich reduziert. Den gesamten Bereich der Elementarerziehung, die Kindertagesstätten, hat das Land auf die Kommunen abgeschoben. Damit hat sich das Land aus einer der wichtigsten Institutionen zurückgezogen,

(Beifall bei der CDU)

einer Institution, in der gerade Kinder aus benachteiligten Familien sehr früh und gezielt unterstützt werden könnten. Sie hat diese Einrichtung damit in unverantwortlicher Weise abgewertet.

(Beifall von Frau Vockert [CDU])

An den Schulen hat die Landesregierung die Zahl der Lehrerstunden, die zur gezielten Förderung benachteiligter Kinder zur Verfügung stehen, gekürzt. Das Modell der Verlässlichen Grundschule wird als der große Fortschritt verkauft. Der ganz große Wurf ist damit aber nicht gelungen.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU)

Gleichzeitig wird das Integrationskonzept der sonderpädagogischen Grundversorgung, mit dem benachteiligte Kinder wirklich gezielt gefördert werden könnten, finanziell extrem knapp gehalten. Das haben wir hier heute Morgen schon erörtert.

(Zuruf von der SPD: Das stimmt doch nicht! – Gegenruf von Frau Vockert [CDU]: Doch, da hat sie Recht!)

Am erschreckendsten aber sind die Antworten im Bereich der Gesundheitspolitik. Hierzu werden einzelne Projekte aufgezählt, die lobenswert sind. Aber es sind kommunale Projekte, entstanden durch das Engagement vor Ort.

(Beifall von Eveslage [CDU] – Frau Pothmer [GRÜNE]: Damit schmückt sich die Landesregierung!)

Es reihen sich die Projekte von Ernährungsangeboten über Suchtprävention bis hin zu Früherkennungsangeboten aneinander. Aber landesseitig existiert kein Gesamtkonzept zur Gesundheitsförderung bei Kindern und Jugendlichen.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der CDU)

Die Aktivitäten der Landesregierung beschränken sich in Wahrheit – bisher zumindest; vielleicht hören wir heute etwas mehr – auf einige Alibiprojekte. Mit ihrer Kinder- und Jugendpolitik der letzten Jahre hat sich diese Landesregierung selbst ein Armutszeugnis ausgestellt. Wir hoffen, dass wir mit dieser Großen Anfrage dazu beitragen können, dass dieses Thema endlich das Gewicht bekommt, das es auch verdient.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der CDU)

Wenn die genannten Zahlen, die – wie eingangs schon gesagt – in großen Teilen sehr dürftig sind, die subjektive Verarbeitung gesellschaftlicher Wandlungsprozesse durch Kinder und Jugendliche widerspiegeln, dann bedarf es dringendst einer Neuorientierung und damit auch Aufwertung von Kinder-, Jugend- und Familienpolitik in Niedersachsen.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der CDU)

Kinder- und Jugendpolitik darf nicht zu einem reinen Reparaturbetrieb verkommen.