Wir müssen uns fragen, Kollege Busemann, wie wir zu diesen Grundwerten erziehen können. Reicht es, wenn wir als Erwachsene diese Grundwerte vorleben? Oder müssen wir den Kindern nicht eine ganz andere Wertschätzung entgegenbringen, müssen wir sie nicht achten und in ihrer Würde respektieren?
Ich wünschte mir Verhältnisse, wie ich sie an einem kleinen Beispiel schildern darf, das ich neulich, als wir in Südafrika waren, erlebt habe. Dort erzählten mir Eltern, sie hätten ihre Tochter gefragt, ob in ihrer Schule auch schwarze Kinder wären. Das Kind habe mit den Achseln gezuckt und gesagt, das wisse sie nicht. Am nächsten Tag war die Mutter in der Schule und hat gesehen, dass die Banknachbarin ihres Kindes ein schwarzes Kind war. Ihr Kind hatte gar nicht registriert, dass das andere Kind eine andere Hautfarbe hat, sondern das war für es ganz selbstverständlich.
Kollege Mühe, ich wünsche mir sehr, dass unsere Kinder so groß werden können, dass es ihnen ganz egal ist, welche Hautfarbe das andere Kind hat oder inwieweit es sonst anders ist, weil sie in ihm nämlich einfach nur das andere Kind sehen. Erst wenn wir diesen Punkt erreicht haben, werden wir eine Gesellschaft ohne Rassismus, ohne Fremdenfeindlichkeit und in Solidarität haben.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte an das anschließen, was meine Vorrednerin gesagt hat. Ich glaube, eines der Hauptprobleme ist, dass wir keine solidarische Gesellschaft sind. Die Kinder machen heute nicht mehr die Erfahrung, dass man durch gemeinsames Handeln auch zu einem gemeinsamen Erfolg kommt. Gerade in unseren Schulen erleben Kinder, dass die Konkurrenz das vorherrschende Element ist, dass das Durchsetzen, dass das Übertrumpfen des anderen die Voraussetzung ist, um auch später beruflichen Erfolg zu haben.
Als ich meine Berufsausbildung begann, waren wir Jugendlichen zu 100 % gewerkschaftlich organisiert. Das haben wir freiwillig, das haben wir aus Überzeugung getan, weil wir nämlich die Erfahrung gemacht hatten, dass man sich gemeinsam unterstützen muss, wenn man etwas erreichen will.
Die Solidarität tritt immer weiter in den Hintergrund. Das ist in unserem Wirtschaftssystem so, das ist aber auch in unserem Schulsystem so. Wenn ich mir angucke, welche Veränderungen gerade in den Schulen vorgenommen werden, Frau Kultusministerin: Das sind überwiegend Sachen, die das Trennende, die das die individuelle Leistung Steigernde in den Vordergrund stellen. Aber dass man gemeinsam etwas produziert, dass man gemeinsam Dinge erreicht, dass man füreinander da ist, dass man füreinander Verantwortung übernimmt - das nimmt ab. Ein Signal in diese Richtung war die Streichung der Schulpsychologenstellen. Das war in unserer Situation doch eine völlig falsche Maßnahme.
Der Entschließungsantrag - darin stimme ich der Kollegin von der SPD-Fraktion ausdrücklich zu enthält ausschließlich richtige Projekte. Aber Frau Litfin hat natürlich Recht, wenn sie sagt, dass das völlig unzureichend ist. Wir brauchen - das habe ich auch gestern in der Aktuellen Stunde gesagt so etwas wie eine gesellschaftliche Bewegung, wir brauchen einen richtigen Aufstand. Wir brauchen eine Bewegung, die weit über diese alltäglichen Prozesse hinausgeht. Wir brauchen das Erkämpfen von Solidarität in den Schulen. Wir brauchen auch von uns, von der Politik aus das Signal, dass sich Solidarität lohnt. Das bedeutet aber auch, dass Kinder erkennen können, dass ihre Zukunftschancen durch Solidarität steigen und nicht dadurch, dass sie sich in der Konkurrenz gegenseitig übertrumpfen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Litfin und Herr Schwarzenholz, ich habe die herzliche Bitte, dass Sie in solch einer Debatte nicht die Schulen für den wiedererstandenen bzw. immer latent vorhanden gewesenen Rechtsextremismus verantwortlich machen. Ich finde das unerträglich.
(Beifall bei der SPD - Frau Litfin [GRÜNE]: An welcher Stelle habe ich das denn getan? - Wulff (Osnabrück) [CDU]: Das hat sie doch gar nicht getan!)
Ich war froh, dass ich von Frau Seeler und auch von Herrn Busemann andere Töne gehört habe, nämlich dass die Schule ihren Teil zu leisten hat, dass sie Präventionsarbeit zu machen hat. Ich finde es schon sehr heikel, das Schulklima oder irgendwelche Erlasse für dieses gesellschaftliche Phänomen verantwortlich zu machen.
Über Fremdenfeindlichkeit und rechtsextreme Gewalttaten haben die Medien im letzten Jahr ja wieder verstärkt berichtet. Wir haben solche Berichte überwiegend aus den ostdeutschen Ländern gehört. Aber es muss uns Sorgen machen, dass die Anschläge auch im Westen wieder zunehmen.
Wir dürfen uns, meine ich, nichts vormachen: Ausländerfeindliche Stimmung, Rechtsextremismus und Antisemitismus gibt es leider auch in Niedersachsen.
Die Landesregierung hat daher bereits im Herbst 2000 in einem Kabinettsbeschluss alle Bürgerinnen und Bürger im Lande aufgerufen, rechtsextremen Kräften aktiv entgegenzutreten, Gewalttätigkeit zu ächten und sich im Alltag fremdenfeindlichem Reden und Handeln zu widersetzen. Eines möchte ich dabei betonen: Damit soll natürlich nicht das Gewaltmonopol des Staates infrage gestellt werden. Vielmehr geht es darum, dass die demokratisch gesinnte Mehrheit der Bevölkerung den kleinsten Anfängen vom Fremdenhass und Gewalt mit Zivilcourage, mit Mut und Entschlossenheit begegnet und konsequent die Polizei, Staatsanwaltschaft und Gerichte einschaltet. Da haben die Schulen auch ihre wesentliche Bedeutung. Die Lehrkräfte haben die Schülerinnen und Schüler, die solche Gewalttaten erleben, zu unterstützen und sie auch zu begleiten; denn es ist nicht einfach, solche Verfahren vor einem Gericht durchzuhalten und den Leuten wieder in die Augen sehen zu müssen. Da ist das Handeln der Schule notwendig.
Der Staat, also wir, muss dabei, meine ich, schnell und entschlossen handeln. Er muss vor allem den jungen Leuten zeigen, dass er uneingeschränkt gewillt ist, seine Bürgerinnen und Bürger, auch alle ausländischen Mitmenschen, die wir in unserer Gesellschaft haben, zu schützen. Wir dürfen nicht zulassen, dass rechtsextremistische Gewalttäter und ihre Anhänger das Meinungsklima bestimmen, das öffentliche Leben in unseren Städten und Kommunen womöglich gar beherrschen, Menschen einschüchtern, bedrohen und gar angreifen. Wenn wir von Schülerinnen und Schülern hören, dass sie manchmal Angst haben, bestimmte Schulwege zu gehen, bestimmte Plätze aufzusuchen, auch in Niedersachsen, dann muss uns das zu denken geben.
In der Auseinandersetzung zur Verteidigung der Demokratie und der Menschenrechte haben deshalb Schule und Jugendhilfe selbstverständlich ihren Beitrag zu leisten.
Die von unseren Schulen geleistete Bildungs- und Erziehungsarbeit sollten wir an dieser Stelle würdigen. In diesem Land gibt es schon eine ganze Menge an Präventionsarbeit. Diese Arbeit ist nicht in erster Linie auf die Abwehr von Gefahren gerichtet, sondern positiv auf die Vermittlung von
Fachkenntnissen. Hier ist aber schon richtigerweise gesagt worden, dass nicht allein der Unterricht dazu beitragen kann. Gefordert ist auch die Vermittlung von Wertmaßstäben in den verschiedensten Unterrichtsfächern, aber auch im Schulleben insgesamt. Dazu gehört dann natürlich auch die Persönlichkeitsentwicklung mit personalen, methodischen und sozialen Kompetenzen.
Da kann man jetzt auch einmal einen Erlass, eine Regelung erwähnen. Ich finde es gut, dass wir inzwischen einen weitgehenden Konsens darüber haben, dass in der Schule nicht nur Fachwissen eine Rolle spielt, sondern dass auch soziales Verhalten und Arbeitsverhalten eine Rolle spielt und wir dies in der Schule auch wieder bewerten.
die Grundrechte für sich und jeden anderen wirksam werden zu lassen, die sich daraus ergebende staatsbürgerliche Verantwortung zu verstehen und zur demokratischen Gestaltung der Gesellschaft beizutragen,“
Sie als Parlament haben in diesem Bildungsauftrag, meine ich, wunderbare Grundsätze aufgestellt. Das deckt eigentlich alles ab, was an dieser Stelle erforderlich ist.
Die Schule darf sich bei der politischen Bildung natürlich nicht nur auf das Fach Politik beschränken. Politische Bildung beginnt bereits in der Grundschule bei der Vermittlung des Zusammenlebens, und sie wird dann in den Unterrichtsfächern fortgeführt. Bereits im 6. Schuljahr gibt es eine Unterrichtseinheit zum Thema „Kinder und Jugendliche im Dritten Reich“. Mit dieser frühen Vermittlung dieses Unterrichtsstoffes sind wir bundesweit einmalig.
Manche Kritiker haben in den 90er-Jahren behauptet, politische Bildung sei eine Sache des Kalten Krieges gewesen, jetzt sei sie sozusagen erledigt.
Ich will hier heute feststellen: Dem ist nicht so. Kenntnisse der demokratischen Herrschaftsformen, Achtung der Menschenrechte, Toleranz und Aufgeschlossenheit wachsen nicht von allein. Sie
Ich möchte nun einige Maßnahmen und Projekte nennen, die die Landesregierung seit dem Herbst 2000 und schwerpunktmäßig in diesem Jahr durchführt:
Das Präventions- und Integrationsprogramm – abgekürzt: PRINT – des Landes dient der Integration der zugewanderten Kinder und Jugendlichen sowie dem Abbau von Fremdenfeindlichkeit. In diesem Rahmen können an 47 Standorten in Niedersachsen Projekte durchgeführt werden. 27 Landkreise bzw. kreisfreie Städte als Träger haben bereits Bewilligungsbescheide erhalten. Schule und Jugendamt sollen gemeinsam pädagogische Programme für soziale Brennpunkte, vorzugsweise für solche mit hoher Fremdenfeindlichkeit, entwickeln. Es handelt sich insbesondere um Nachmittagsangebote an schulischen Standorten. Das Land gibt für sechs Jahre jedem Projekt 45 000 DM Personalkostenzuschuss und 2 000 DM Sachkostenzuschuss.
Darüber hinaus werden in diesem Programm 30 Schwerpunktprojekte gefördert. Projektstart der Schwerpunktaktivitäten ist der 1. Mai. Drei Pilotprojekte sind bereits zum 1. Dezember 2000 bewilligt worden.
Der erste Schwerpunktbaustein heißt „Integration in Vereine“. - Wir sind uns einig, glaube ich, dass junge Menschen aus gefährdeten Gruppen durch Einbindung in Vereine, durch erleichterten Zugang zu Angeboten der Jugendsozialarbeit bedeutungsvolle und wertvolle Kontakte und Beziehungen herstellen können. Im Rahmen dieser Kooperation werden aufsuchende und motivierende Angebote entwickelt, natürlich auch erlebnisorientierte Angebote und Sportangebote. Gerade mit dieser Erlebnisorientierung und mit Sportangeboten werden Jugendliche ja heute in der rechtsextremen Szene geködert.
Der zweite Schwerpunktbaustein gilt dem Übergang von der Schule in den Beruf. - Durch gezielte Angebote soll die Überleitung von der Schule in den Beruf verbessert werden. Dies soll insbesondere durch die Reintegration von Schulverweigerern in das System Schule geschehen.
ren Angeboten soll einer sozialen Desintegration benachteiligter Kinder und Jugendlicher durch Übernahme von Verantwortung und gesellschaftliche Teilhabe begegnet werden.
Bei allen drei Schwerpunktbausteinen sind auch Deutschkurse für zugewanderte junge Menschen vorzusehen. Ein wesentlicher Grund für die Desintegration ist, meine ich, dass die jungen Leute nicht genügend Deutsch können und häufig auch ihre Familien Deutsch nicht beherrschen. Die Sozialarbeiter, die in solchen Projekten und Programmen mitarbeiten, werden durch das Institut für berufliche Bildung und Weiterbildung in Göttingen geschult.
Gegenwärtig wird eine Beteiligung und Einbeziehung Niedersachsens beim Bundesprogramm „Jugend für Toleranz und Demokratie – gegen Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus“ vorbereitet. Niedersachsen erhält aus diesem Programm 1,4 Millionen DM.
Erwähnenswert ist auch die Kommunalwahlaktion des Landesjugendrings, die wir alle, alle Fraktionen des Landtags, glaube ich, unterstützen. Es ist die Kommunalwahlaktion „neXT vote – I vote“. Auch hierbei geht es um Partizipation vor Ort. Hierbei sollen z. B. mit dem Medium Internet verstärkt Wahlen erprobt werden. Der Landesjugendring plant niedersachsenweit 16 Veranstaltungen.
Ein weiteres Projekt – das war mir ein besonderes Anliegen – ist, dass es zwischen dem Anne-FrankHaus – Freizeit- und Jugendbildungsstätte des CVJM – und der Niedersächsischen Landeszentrale für politische Bildung/Gedenkstätte BergenBelsen zu einer Kooperation kommt, die jungen Menschen zu Auslandsaufenthalten verhilft. In jedem Jahr finden Sommercamps mit ausländischen und deutschen Jugendlichen in BergenBelsen und im Anne-Frank-Haus statt. Durch den Ausbau wird es uns möglich sein, mehrtägige Aufenthalte in Bergen-Belsen zu organisieren; Kurzaufenthalte haben meistens keine großen Wirkungen.
Ich will auch das Projekt meines Amtsvorgängers Rolf Wernstedt erwähnen, nämlich den Schülerfriedenspreis, der besondere Leistungen würdigt, die das Zusammenleben mit Fremden fördern, die Völkerverständigung verbessern, der Gewalt vorbeugen und Vorurteile abbauen. Ich habe dieses Projekt fortgeführt. Es ist gut, meine ich, solche
positiven Projekte zu würdigen und Schulen herauszustellen, die etwas Besonderes in diesem Bereich tun. Im Dezember letzten Jahres habe ich den ersten Preis der Berufsbildenden Schule II in Celle verliehen, die ein umfassendes Gewaltpräventionsprogramm hat, das wir auch noch besonders veröffentlichen und herausstellen wollen. Dieses Programm war in den letzten Jahren sehr erfolgreich und hat zur Integration beigetragen.
Wir wollen Schulpartnerschaften mit dem Ausland. Es ist wichtig, meine ich, jungen Leuten im Ausland kontinuierliche Eindrücke und kulturelle Lebensweisen zu vermitteln. Aus empirischen Untersuchungen wissen wir, dass kurze Aufenthalte im Ausland nationale Vorurteile eher verstärken. Das heißt: Wir müssen wiederholte Aufenthalte organisieren, Gegenbesuche organisieren und vor allem auch längere Aufenthalte organisieren. Hierzu dienen die Schulpartnerschaften. In den letzten fünf Jahren ist ihre Zahl gewaltig angewachsen. In Niedersachsen gibt es inzwischen 1 600 Partnerschaften mit Schulen in 77 Ländern. An der Spitze liegt Frankreich mit 550 Schulpartnerschaften. Dann folgen England, Polen, die USA und die Niederlande.
Das Kuratorium der Niedersächsischen Landeszentrale hat im Herbst 2000 beschlossen - dafür bin ich herzlich dankbar -, im Jahr 2001 das Thema Rechtsextremismus zum Schwerpunkt zu erheben. Vorgesehen ist die schon erwähnte Aktion „Schulen gegen Rassismus“. Ich hoffe, dass sich im kommenden Jahr sehr viele Schulen diesem Projekt widmen werden. Immerhin liegen schon 135 Anfragen von Schulen zu dieser Aktion vor. Ich wünsche mir, dass es am Ende dieses Jahres 1 000 Schulen sein werden. Wir werden sehen, ob wir gemeinsam die Beteiligung steigern können.
Frau Ministerin, ich weiß, dass Sie nach der Geschäftsordnung die Möglichkeit haben, hier zu reden. Sie haben jetzt aber die Redezeit um mehr als das Dreifache überschritten. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie daran denken würden, dass wir die Zeiten, die in der Tagesordnung aufgeführt sind, gerne einhalten wollen.
Lassen Sie mich zum Schluss kommen. Ich finde, es gibt eine Fülle von Maßnahmen - wir stellen sie gerne dem Ausschuss zur Verfügung -, die in die gleiche Richtung wie der Antrag zielen. Die Landesregierung hat inzwischen, wie gesagt, Grundsätze zur finanziellen Förderung erarbeitet, sodass die Landeszentrale möglichst bald die Anträge bescheiden kann. - Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.