Protokoll der Sitzung vom 23.02.2001

Vor diesem Hintergrund frage ich die Landesregierung:

1. Teilt sie die Auffassung, dass es besser sei, ganze Wohnblöcke an Ausländer zu vergeben?

2. Welchen Integrationsansatz der bei uns lebenden Ausländerinnen und Ausländer verfolgt die Landesregierung?

3. Wie beurteilt sie die städtebaulichen Sanierungsmaßnahmen im Altländer Viertel in Stade, durch die ja gerade einer Gettoisierung von Ausländern entgegengewirkt werden soll?

Auch diese Frage beantwortet der Herr Innenminister.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Zusammenleben der Deutschen und Migranten zu verbessern ist der Niedersächsischen Landesregierung ein besonders wichtiges Anliegen.

Neben ausreichenden Sprachkenntnissen ist die Wohnsituation von Deutschen und Migrantinnen und Migranten eine wesentliche Grundlage für die soziale Integration. Wohnung, Haus, Wohnumfeld und Stadtteil bilden den Raum für unmittelbare Begegnungen und direkte Kontakte zwischen den verschiedenen Bevölkerungsgruppen und Kulturen. Eine funktionierende Nachbarschaft ist Dreh- und Angelpunkt für gegenseitige Anerkennung.

Deshalb hatte meine Vorgängerin im Amt des niedersächsischen Bauministers, Frau Merk, am 6. November 2000 zu einer Diskussionsveranstaltung unter dem Motto „Das Zusammenleben von Deutschen, Ausländerinnen und Ausländern und Deutschen ausländischer Herkunft verbessern!“ eingeladen. Auf dieser Diskussionsveranstaltung hat Frau Merk mit den Verbänden und Vertretern der Wohnungswirtschaft, der Kommunen, der Migranten und der Mieter über die Notwendigkeiten und die Möglichkeiten für Handlungsansätze in den Wohnsiedlungen und Stadtteilen gesprochen. Vor dem Hintergrund, die Integration der Migrantinnen und Migranten in unsere Gesellschaft zu verbessern, wurden Maßnahmen vorgestellt und diskutiert.

Meine Damen und Herren, in Niedersachsen leben rund 480 000 ausländische Staatsangehörige. Drei Viertel von ihnen sind Menschen, die man heutzutage zur Gruppe der Arbeitsmigrantinnen und -migranten zählt. Sie sind entweder in den 60erund 70er-Jahren selbst angeworben worden, oder sie sind Kinder und Enkelkinder der damals angeworbenen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer.

Die meisten von ihnen leben in Städten und Ballungsräumen. Acht von zehn ausländischen Staatsangehörigen leben in Wohnorten mit mehr als 100 000 Einwohnern. Bei der deutschen Bevölkerung sind es lediglich sechs von zehn. In den Kernstädten liegt der Anteil der Migrantinnen und Migranten im Durchschnitt bei 15 % der Bewohnerinnen und Bewohner.

In den Großstädten ist die Verteilung der ausländischen Wohnbevölkerung über die Stadtteile oft sehr unterschiedlich. Es haben sich ethnische Schwerpunkte gebildet. Diese werden von manchen als „Kolonien“, von anderen als „Gettos“ bezeichnet, je nach Blickwinkel. Solche Quartiere bieten einerseits Möglichkeiten der Identifikation und der emotionalen Stabilisierung in allen Phasen der Migration. Sie gewähren Schutz vor Diskriminierung und Ausgrenzung und stellen vertraute Räume dar, in denen die für die jeweilige ethnische Gruppe bedeutsamen Einrichtungen, etwa Gebetsräume, Kulturzentren oder Treffpunkte, geschaffen werden können.

Andererseits haben solche Quartiere auch problematische Seiten. Alteingesessene deutsche Bewohner ziehen möglicherweise verstärkt weg, in Kindergärten und Schulen steigt der Anteil von Kindern ausländischer Herkunft, die Bewohnerinnen

und Bewohner haben oft nur wenig Kontakt mit der deutschen Umgebung. Es wird immer wieder berichtet, dass sich die Deutschkenntnisse der einzuschulenden Kinder im Vergleich zu früheren Jahren deutlich verschlechtert haben. Ein Grund dafür dürfte auch in der großen Dichte von Migrantinnen und Migranten in einzelnen Stadtteilen liegen.

In den letzten zehn Jahren sind rund 200 000 Spätaussiedlerinnen und Spätaussiedler nach Niedersachsen gekommen. Auch für diese überwiegend aus den Nachfolgestaaten der ehemaligen Sowjetunion zugewanderten Deutschen gibt es Integrationsprobleme, die denen der Ausländerinnen und Ausländer vergleichbar sind. Auch sie wohnen oft in hoher Konzentration in Stadtteilen, die weniger attraktiv sind. Diese Migrantinnen und Migranten konzentrieren sich nicht so stark auf die Ballungszentren, sondern leben häufig in kleinen Städten.

Ziel der Diskussionsveranstaltung am 6. November war ein erster Erfahrungsaustausch zu diesem Problemkreis. Es war nicht beabsichtigt, fertige Konzepte vorzulegen oder gar Handlungsanweisungen dafür zu formulieren, wie Wohnungen an Ausländer zu vergeben sind.

Im Rahmen dieses Erfahrungsaustausches wurden das „Altländer Viertel“ in Stade und das Projekt „Grone“ in Göttingen als Beispiele aus der Praxis für die Praxis vorgestellt. Beide sind aus Sicht der Landesregierung gute Beispiele für vernünftige Lösungsansätze, um Stadtteile mit sozialen Konflikten und städtebaulichen Problemen zu verbessern und die Integration der verschiedenen Bevölkerungsgruppen zu verbessern. Beide Projekte fördert das Land mit Mitteln der Städtebauförderung aus dem Programm „Soziale Stadt“.

Dies vorausgeschickt, beantworte ich die Fragen des Kollegen Behr namens der Landesregierung wie folgt:

Zu 1: Nein, Herr Behr. Frau Merk hat sich deutlich für eine soziale Mischung in den Wohnsiedlungen ausgesprochen, eine Mischung, die bestehenden Unterschieden bei den Lebensweisen und Kulturen gerecht wird und dabei die Integration fördert; denn die Wohnung, das Verhältnis zu den Nachbarn, Schule, Arbeit und Freizeitmöglichkeiten im Umfeld sind entscheidend dafür, ob sich jemand in unserem Land und in unserer Gesellschaft zu Hause fühlt, also integriert ist. Diesen Ausführungen von Frau Merk schließe ich mich ausdrücklich an.

Frau Merk hat gerade nicht die Auffassung vertreten, Herr Behr, dass es besser sei, ganze Wohnblöcke an Ausländer oder Aussiedler zu vergeben. Hier ist – um es vorsichtig zu sagen – die Anfrage nicht ganz richtig formuliert. Frau Merk hat in der Diskussion wiederholt darauf hingewiesen, dass es keine Patentrezepte gibt. Jede Situation vor Ort erfordert situationsgerechte Handlungsansätze, die vor Ort von den verantwortlichen Akteuren gemeinsam und möglichst zusammen mit den Bewohnern erarbeitet werden müssen. Dieser Auffassung kann ich mich nur anschließen. Nachbarschaften und Wohnquartiere sind der soziale Nahraum, in dem gesellschaftliche Integration stattfinden kann. Anzustreben ist eine sozial ausgewogene Belegungsstruktur, um der Bildung von sozialen Brennpunkten entgegenzuwirken.

Die Erfahrung zeigt allerdings, dass weder starre Quoten noch proportionale Mischverhältnisse allein die Entstehung überlasteter Nachbarschaften und sozialer Brennpunkte verhindern können. Notwendig sind Rahmenbedingungen, die zur Eigeninitiative anregen und Zukunftsperspektiven aufzeigen.

Zu 2: Zum Begriff der Integration gibt es unterschiedliche Definitionsansätze. Die Niedersächsische Landesregierung geht von folgendem Verständnis aus, wie es sich auch im Bericht des IMAK „Integration“ wiederfindet:

„Unter Integration wird der Prozess einer möglichst umfassenden politischen, rechtlichen, wirtschaftlichen und sozialen Eingliederung von Migrantinnen und Migranten im Aufnahmeland verstanden. Integration setzt sowohl die Bereitschaft der Migrantinnen und Migranten voraus, Grundkenntnisse in der deutschen Sprache, in den politischen Strukturen sowie dem Wertesystem der Bundesrepublik Deutschland zu erwerben, als auch die Bereitschaft der Aufnahmegesellschaft, politische, rechtliche und gesellschaftliche Bedingungen zu schaffen, die eine Integration ermöglichen.

Integration zielt auf den Abbau von Benachteiligungen und die Schaffung positiver Lebensbedingungen. Dabei ist die Überwindung und Verhinderung von Ausgrenzung von besonde

rer Bedeutung. Es gilt, eine positive Persönlichkeitsentwicklung... zu fördern. Interkulturelles Lernen und der Abbau von Fremdenfeindlichkeit sind wesentliche Aspekte einer sozialen Integration. Die Stärkung der gesellschaftlichen Teilhabe und die Befähigung zur Übernahme von Verantwortung spielen dabei eine besondere Rolle. Integration ist ein wichtiger Beitrag zur Bekämpfung von Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit und Kriminalität.“

Zu 3: Das in kommunaler Verantwortung liegende Projekt „Altländer Viertel“ in Stade wird nach den der Landesregierung vorliegenden Unterlagen positiv eingeschätzt, insbesondere auch deshalb, weil das Handlungskonzept unter Einbeziehung der gewonnenen Erfahrungen weiter entwickelt wird. Dies wird auch beim Integrationsansatz Wohnen deutlich. Die Stadt Stade war zu Beginn der städtebaulichen Sanierungsmaßnahme davon überzeugt, dass es sinnvoll sei, Wohnungen zu etwa gleichen Teilen an Deutsche und Ausländer zu vermieten, da es gute Beispiele von einem guten Nebeneinander der Gruppen gäbe. Durch die Arbeit im Altländer Viertel, also durch den täglichen Kontakt mit den dort wohnenden Menschen, ist die Stadt Stade jedoch inzwischen zu einer etwas anderen Auffassung gelangt. Sie geht nunmehr davon aus, dass ein großer Teil der Beschwernisse, die durch das Zusammenleben von unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen auf dem gleichen Flur entstehen, vermieden werden könnten, wenn ein Zusammenziehen von Familien mit ähnlicher Herkunft und Kultur an einem Hauseingang mit beispielsweise acht Wohnungen ermöglicht werden könnte. Eine solche Steuerung kann aber nur im Zusammenwirken mit den Hausverwaltungen bzw. Hauseigentümern erreicht werden. Eine blockweise Unterbringung hält die Stadt Stade nicht für sinnvoll, weil diese die Integrationsbemühungen erschweren würde.

Lassen Sie mich zum Schluss auf Folgendes hinweisen: Meine Damen und Herren, in unseren Städten und Gemeinden wächst eine Generation von Kindern heran, die schon bald mehrheitlich aus Familien mit Migrationshintergrund kommt. Ich meine, wir alle müssen daran arbeiten, stigmatisierende Situationen aufzulösen und die gute Nachbarschaft verschiedener Kulturen als etwas Positives und Bereicherndes zu begreifen. - Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD)

Eine Zusatzfrage stellt die Abgeordnete Stokar von Neuforn.

(Adam [SPD]: Die war doch eben noch gar nicht da! - Gegenruf von Frau Stokar von Neuforn [GRÜNE]: Ich bin immer da, wenn es wichtig wird! – Weitere Zurufe von der SPD und von der CDU)

Herr Kollege, den Abend mit Norden habe ich gut überstanden.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Innenminister, Sie haben sich in der Antwort auf die CDU-Anfrage ausschließlich für Mischwohngebiete ausgesprochen. Muss ich daraus schließen, dass die Ansätze der selbstbestimmten Nachbarschaft und die Ansätze eines kleinräumigen Quartiermanagements, betrieben durch Migrantinnenund Migrantenverbände, mit denen man in anderen Bundesländern positive Erfahrungen gemacht hat, von Ihnen abgelehnt werden?

Herr Minister!

Frau Kollegin, wenn Sie meine Antwort so interpretieren, dann haben Sie mich falsch verstanden. Ich habe deutlich gemacht, dass es keine generellen Lösungen geben darf, sondern dass die Lösungen im Umfeld der Wohnquartiere erarbeitet werden müssen. Das ist für mich der wesentliche Ansatz. Es darf keine Vorgaben geben.

(Frau Stokar von Neuforn [GRÜNE]: Es gibt auch rein türkische Wohnblö- cke! Sind Sie dafür oder dagegen?)

- Es muss sich dort entwickeln. Das habe ich am Beispiel Stade auch geschildert. Ich will keine Vorgaben machen, und ich würde es denjenigen, die das zu entscheiden haben, auch nicht empfehlen, die Vorgabe zu machen, nur ethnisch gleiche Gruppe in einem Wohnblock unterzubringen. Ich halte viel von Vermischungen, aber auch das darf nicht zwangsweise geschehen. Auch das habe ich

am Beispiel der Stadt Stade ausgeführt. Das muss im einzelnen vor Ort geregelt werden. Landesrichtlinien dazu wären das Fatalste, was man machen könnte.

(Beifall bei der SPD)

Sie haben sich gleich zu einer zweiten Zusatzfrage gemeldet, Frau Abgeordnete. Bitte!

Im letzten Plenarsitzungsabschnitt wurde mit den Stimmen der SPD-Fraktion anlässlich eines Antrages für ein Integrationskonzept in Niedersachsen entschieden, dass die Federführung für diese Thematik nicht im Ausschuss für innere Verwaltung, sondern im Ausschuss für Sozial- und Gesundheitswesen liegt. Damit verbunden war auch die Festlegung, dass für das Gesamtintegrationskonzept in Niedersachsen das Ministerium für Frauen, Arbeit und Soziales zuständig ist. Vor dem Hintergrund, dass die Antwort des Innenministers sehr unter einem sicherheitspolitischen Aspekt stand, frage ich die Landesregierung: Wer hat die Zuständigkeit für das Thema Integration?

(Unruhe - Glocke des Präsidenten)

Meine Damen und Herren, es ist sehr erfreulich, dass der Landtag früh am Morgen ziemlich voll ist.

(Heiterkeit bei allen Fraktionen)

- Ich wäre auf eine solche Interpretation, wie Sie sie eben durch Ihr Lachen deutlich gemacht haben, gar nicht gekommen.

(Heiterkeit)

Ich möchte Sie bitten, die Gespräche nicht zu laut werden zu lassen. - Bitte schön, Herr Innenminister!

Bartling, Innenminister

Frau Stokar, ich kann die aus Ihrer Frage herausklingenden Befürchtungen zerstreuen.

(Frau Stokar von Neuforn [GRÜNE]: Das glaube ich nicht!)

Die Federführung liegt im Ministerium für Frauen, Arbeit und Soziales. Dass ich diese Frage beantwortet habe, hat mit den baulichen Aspekten zu tun, die hier einen Schwerpunkt bildeten. Ich hoffe, dass ich beim nächsten Mal nicht so starke Sicherheitselemente in meiner Antwort habe, was Sie dazu veranlassen könnte, eine weitere Frage zu stellen. Sehen Sie es mir aber nach, dass ich auch das beachten muss.

Weitere Wortmeldungen für Zusatzfragen liegen nicht vor.

Wir kommen damit zur