Dabei ist „Lernen unter einem Dach“ der anspruchsvollste Auftrag überhaupt an unsere niedersächsische Schule. Dieser Auftrag ist wirklich eine
pädagogische Herausforderung an die Lehrerinnen und Lehrer des Landes. Und sie ist eine Herausforderung an die Toleranz aller an Schule Beteiligten.
Umso erfreulicher ist die lange Liste der inzwischen genehmigten Konzepte und derjenigen, die gerade erarbeitet werden. Wenn man sieht, dass vor allem in der Nähe von schon verwirklichten Konzepten neue Anträge auf Erweiterung gestellt werden, dann kann man daran ablesen, welche Akzeptanz das Konzept „Lernen unter einem Dach“ vor Ort bei den Beteiligten hat. Ich freue mich darüber, weil mit dem Konzept den Schulen neue pädagogische Perspektiven und Chancen eröffnet werden, und damit eben auch für unsere Kinder.
Im Beispielheft Nr. 2 aus dem Jahr 2000 wird in der Erfahrungsberichten sehr eindrucksvoll beschrieben, wie positiv sich die gemeinsame Arbeit von Sonderschulen- und Grundschuldpädagogen und Eltern auswirkt, wie durch die sonderpädagogische Grundversorgung sehr früh Symptome erkannt und Prävention einsetzen kann. So können z. B. Teilleistungsschwächen bearbeitet werden, bevor sie zu größeren Problemen führen.
Natürlich gibt es auch hier Schwierigkeiten. So bedeutet die Erarbeitung und die Einführung eines regionales Konzeptes eine hohe zeitliche Belastung für alle Beteiligten. Auch während der laufenden Arbeit sind mehr Abstimmungsgespräche der Lehrkräfte, vermehrte Kontakte zu Eltern, Erfahrungsaustausch der Schulen untereinander, Fortbildung und vieles mehr nötig.
Nun weiß ich, dass Vertreter und Vertreterinnen des VdS die heutige Debatte verfolgen. Ich möchte mich bei Ihnen noch einmal ganz herzlich bedanken und Ihnen auch Hochachtung für all die Arbeit aussprechen, die Sie in den Schulen zum Wohle unserer Kinder leisten.
Natürlich kann man sich bei jedem pädagogischen Konzept wünschen, dass noch mehr Geld, noch mehr Räume, mehr Materialien und mehr Stunden zur Verfügung stehen. Aber wir alle wissen, dass die Finanzen Grenzen setzen. Auch die CDU muss zur Kenntnis nehmen, dass durch die sonderpädagogische Grundversorgung den Schülerinnen und Schülern nicht weniger, sondern mehr Stunden zur
Verfügung stehen. Ich will dies am Beispiel der Region Delmenhorst-Süd, wie dies in der Antwort auf die Anfrage dargestellt wird, aufzeigen. So standen in dieser Region im Schuljahr 1998/99 für die Primarklassen, also die Klassen 1 bis 4 in der Schule für Lernhilfe 81 Stunden und 33 Stunden für Sprachsonderunterricht und Kooperation zur Verfügung, also insgesamt 114 Stunden. Bei der sonderpädagogischen Grundversorgung, bei der zwei Stunden pro Grundschulklasse genehmigt werden, hätten im gleichen Jahr 164 Sonderschullehrerstunden in dem gleichen Bereich eingesetzt werden müssen.
Gerade weil eben nicht weniger, sondern mehr Stunden eingesetzt werden, rechnen wir mit 300 zusätzlichen Sonderschullehrerstellen bei einer landesweiten Umsetzung dieses Konzeptes.
Nun noch einmal zu Ihnen, meine Damen und Herren von der CDU-Fraktion. Ich hatte eigentlich gehofft, dass Ihnen die Antwort der Landesregierung auf Ihre Fragen viele Ihrer Befürchtungen genommen hätte
und dass wir alle gemeinsam in Zukunft an der Umsetzung des grundgesetzlichen Auftrages arbeiten können.
Nein danke. Ich komme gleich zum Schluss. - Wie heißt es in der UNESCO-Erklärung von Salamanca. „Wir glauben und erklären, dass Regelschulen mit dieser integrativen Orientierung das beste Mittel sind, um diskriminierende Haltungen zu bekämpfen, um Gemeinschaften zu schaffen, die alle willkommen heißen, um eine integrierende Gesellschaft aufzubauen und um Bildung für alle zu erreichen.“ - Dem ist wohl nichts mehr hinzuzufügen.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich darf zu Beginn eine grundsätzliche Anmerkung machen. Wir bekennen uns ausdrücklich zu dem differenzierten Sonderschulsystem und zu der hervorragenden Arbeit in den Sonderschulen, die der, der sie kennt, auch zu würdigen weiß. Die Schülerinnen und Schüler wissen das nach relativ kurzer Zeit zu würdigen. Wir wollen aber auch Integration, meine Damen und Herren. Nur eines ist dabei ganz wichtig, nämlich dass eine Sonderschule auch eine Integrationsschule ist - damit wir hier nicht aneinander vorbei reden. Sie integriert auf das Leben.
Wir wollen aber auch die andere Integration, nämlich die in den allgemein bildenden Schulen - ganz klar und eindeutig.
Wir müssen aber - das ist die entscheidende Frage - den Kindern und Jugendlichen, die behindert sind, auch die Möglichkeit zu einer angemessenen Schulausbildung, wie den anderen Kinder auch, geben. Das ist eine Verpflichtung, Frau Ministerin, der wir uns nicht entziehen dürfen und auch nicht entziehen können, wie Sie das über Jahre getan haben.
Meine Damen und Herren! Wir haben - das ist vielleicht einer der wichtigsten Punkte - den Eindruck, dass immer nur dann, wenn die CDUFraktion oder aber auch die Fraktion der Grünen hier Anträge einbringen, sich ein bisschen was zum Positiven hin bewegt. Wir haben in der Pressekonferenz von „vergessenen Schülern“ gesprochen. Das sind vergessene Schüler, meine Damen und Herren, weil sie bei dieser Landesregierung nämlich leider keine Lobby haben!
Das Problem, das in diesem Zusammenhang wieder aufgetaucht ist, dass man sich nämlich, was den Förderunterricht betrifft, hinter statistischen Fragen oder mathematischen Berechnungen verstecken möchte, zeigt doch, dass man überhaupt keine Einstellung zu diesen behinderten Kindern und auch keine Beziehung zu dem individuellen
Frau Seeler, Sie können doch nicht mit dieser Antwort der Landesregierung zufrieden sein! Zur Unterrichtsversorgung steht darin: Die Unterrichtsversorgung der Sonderschulen ist, wie in den Vorbemerkungen im Abschnitt „Entwicklung der Unterrichtsversorgung an den Sonderschulen“ dargelegt, noch als ausreichend zu bezeichnen. Eine nachhaltige Anpassung an den Durchschnitt aller allgemein bildenden Schulen ist, wie auch in der Vergangenheit, wegen fehlender Sonderschullehrkräfte nicht möglich. - Sind Sie damit zufrieden? Ich bin es nicht! Es bleibt ein Skandal, dass die Schülerinnen und Schüler, die den stärksten Förderbedarf haben, am schlechtesten mit Unterricht versorgt sind.
Meine Damen und Herren! Das Konzept „Lernen unter einem Dach“ mit dem besonderen Bereich, den Sie dargestellt haben, nämlich der sonderpädagogischen Grundversorgung, führt dazu, dass das differenzierte Sonderschulsystem aufgelöst wird. Es wird keine Schulen für Lernbehinderte mehr geben; es wird keine Schulen mehr für Sprachbehinderte geben und letztendlich auch keine Schulen mehr für verhaltensgestörte Kinder, weil diese Schüler nämlich automatisch, ohne Feststellung des sonderpädagogischen Förderbedarfs, in die Sonderschulen integriert werden. Mit zwei Förderstunden bekommen die Sonderschüler, die dann in großen Klassen unterrichtet werden sollen, eine Förderung. Dies führt dazu, dass eine pädagogisch verantwortbare Grundschularbeit nicht mehr möglich sein wird.
Ich kann Sie nur auffordern, dieses Konzept entweder besser auszustatten oder aber es fallen zu lassen. Sonst tun Sie unseren Sonderschulen keinen Gefallen. Wenn Sie so weitermachen wie jetzt, wird dies dazu führen, dass eine verantwortbare Förderpolitik nicht mehr möglich ist. Das wäre das Schlimmste, was wir den behinderten Kindern, aber auch den nichtbehinderten Kindern antun könnten.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich habe mich noch einmal zu Wort gemeldet, nicht um auf die Einzelheiten einzugehen, sondern weil ich glaube, dass diese unterschiedlichen Bewertungen der Ergebnisse der Anfrage auch darauf zurückzuführen sind, dass sich unsere Sichtweisen so sehr voneinander unterscheiden. Ich weiß von Kollegen der CDU-Fraktion, dass sie selbst schon einmal mit Behinderten gearbeitet und dabei ihre Erfahrungen gemacht haben. Wir alle wissen, dass wir zum Teil auch in unserem ganz persönlichen Lebenskreis Betroffene sind, weil wir mit behinderten Menschen in unserem persönlichen Umfeld zusammen leben.
Das Problem, das ich sehe, ist Folgendes. Solange wir den behinderten Menschen nur über seine Behinderung definieren, kommen wir nicht weiter als bisher. Das Sonderschulsystem hat seine Ursprünge und seine Entwicklung auch den Eltern zu verdanken, den Eltern behinderter Kinder, die sich dafür eingesetzt haben, dass auch ihre Kinder eine Bildung genießen.
Wenn heute im Grundgesetz verankert ist, dass behinderte Menschen Menschen sind, die die gleichen Rechte und Möglichkeiten haben sollen wie wir, die wir uns als nichtbehindert bezeichnen, dann ist das ein neuer Ansatzpunkt. Vor diesem Hintergrund kann es nicht sein, dass das alte System, so erfolgreich es auch sein mag, einfach so weiter besteht.
Ich muss mich als Politiker fragen lassen, ob es nicht notwendig ist, den anderen Weg stärker zu gehen, den Menschen Mensch sein zu lassen und ihn an dem Ort, an dem er lebt, mit anderen, mit Nichtbehinderten zusammen zu unterstützen. Das heißt, dass ich in die Grundschule vielleicht noch viel mehr hineingeben muss, als heute schon möglich ist, dass ich aber auch viel stärker darauf bauen muss, was die Ministerin erwähnt hat, nämlich auf den Kompetenztransfer, den Transfer dessen, was wir als Nichtbehinderte alles brauchen, um den behinderten Menschen zu verstehen. Das ist unsere Bringeschuld, nicht aber etwas, was wir von den Behinderten zu erwarten haben. Darum bin ich überzeugt, dass der Weg, den wir bisher gegangen sind, auch wenn er noch nicht vollständig ist, richtig ist, nämlich den behinderten Menschen in unsere Gemeinschaft hineinzunehmen und ihn nicht auszugrenzen. - Schönen Dank.
Frau Kollegin Litfin hat noch einmal ums Wort gebeten. Ich erteile ihr zusätzliche Redezeit gem. § 71 Abs. 2 unserer Geschäftsordnung. Zwei Minuten, Frau Kollegin.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich kann dem Kollegen Robbert ja nur Recht geben. Er hat hier völlig richtig Stellung genommen. Nur sehe ich die Entwicklung nicht, die er beschrieben hat und von der ich meine, dass sie richtig ist. Ich sehe sie nicht. Was ist denn mit den klassischen Integrationsklassen, mit dem Modell, das wir unter Rot-Grün in den Jahren 1999 bis 1994 begonnen haben? 1995 hatten wir noch 152 Integrationsklassen in Niedersachsen. Heute sind es nur noch knapp über 100. Das ist doch eine Entwicklung nach hinten, nicht aber eine Entwicklung, die Perspektiven bietet.
Was - so frage ich die Regierungsfraktion, aber auch die Landesregierung - geschieht denn mit den integrativ beschulten Kindern, die das Glück hatten, in der Grundschule mit anderen Kindern gemeinsam unterrichtet zu werden, nach der Grundschule? Dafür fehlen Konzepte der Landesregierung vollständig.
Eine Weiterplanung findet nicht statt. Sie zeigen hier das gleiche Defizit, das Sie bei jeglicher Planung im Schulbereich zeigen. Sie denken nicht weiter voraus als nur eine Legislaturperiode. Das geht aber gerade dann nicht, wenn man es mit Kindern und Jugendlichen zu tun hat. In diesem Fall muss man wirklich schon weiter denken. Derzeit werden nur 4,2 % der Grundschüler und Grundschülerinnen in integrativ arbeitenden Grundschulen unterrichtet. Das ist nun doch wirklich ein mehr als geringer Anteil. Was hat die rote Alleinregierung in der letzten und in dieser Wahlperiode, die weitgehend zu Ende ist, geschafft? Nichts hat sie geschafft. Sie hat Entwicklungen eher gebremst, als vorangebracht.
Frau Litfin, Sie müssen mir einmal sagen, wo Sie gelesen haben, dass es jetzt weniger Integrationsklassen gibt als noch zu rot-grünen Zeiten. Auf Seite 20 unserer Antwort befindet sich eine Tabelle, die ganz deutlich zeigt, dass wir 1995 206 Integrationsklassen hatten. Jetzt aber sind es 230. Sie können das auch an anderen Stellen ablesen. Insofern weiß ich nicht, woher Sie Ihre Zahlen haben. Ich wollte das nur einmal klargestellt haben.
Danke schön. - Meine Damen und Herren, jetzt erteile ich auch dem Kollegen Klare zusätzliche Redezeit für drei Minuten.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich hatte vorhin nur wenig Redezeit. Durch den Beitrag der Ministerin habe ich jetzt aber noch ein paar Minuten zusätzlich bekommen. - Über das „Lernen unter einem Dach“ führen wir tagtäglich Diskussionen mit der Folge, dass die Leute inzwischen Angst haben um den Bestand des differenzierten Sonderschulsystems.