Protokoll der Sitzung vom 14.06.2001

Damals war aber allen Beteiligten klar, dass dies nur ein Anfang sein konnte und der geschaffene Bestand bei weitem nicht ausreicht.

Wie sieht es nun heute aus? Die Energie der Landesregierung ist - in Alleinherrschaft der SPD - seit Mitte der 90er-Jahre ziemlich erlahmt. Statt dem ersten Schritt weitere folgen zu lassen, wurde der Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz in Teilen sogar reduziert. Der jetzige Ministerpräsident - damals noch Fraktionsvorsitzender - bewies 1998/1999 seine völlige Geringschätzung der Kitas als vor- und außerschulischer Bildungseinrichtung; er ließ das Kita-Gesetz in weiten Teilen aufheben. Damit hatte sich Niedersachsen als erstes Bundesland weitgehend aus der Verantwortung für Kinder und Familien herausgezogen.

Ich muss bei dem Motto des Wettbewerbs der Landesregierung „Niedersachsen - Kinderland“ immer kräftig schlucken, weil dieses Motto einfach nicht mit der Realität übereinstimmt, und ich frage mich auch - wenn wir ein umfassendes Betreuungskonzept wollen, das wir auch benötigen -, wie sich das dann in einem Familienkonzept wieder finden wird, denn nach § 24 KJHG ist das Land verpflichtet, für einen bedarfsgerechten Ausbau zu sorgen. Doch bis heute gibt es keine Angaben darüber, wie der Bedarf aussieht.

In Hannover hat in den letzten Jahren eine Erhebung stattgefunden, und es ist ganz interessant: In Hannover wünschen sich 24 % der Eltern einen Betreuungsbeginn vor dem dritten Lebensjahr, aber im gesamten Land Niedersachsen gibt es - selbst wenn wir die Zahl von 24 % herunterfahren - Plätze für nur 7,3 % der unter Dreijährigen. Sogar 50 % der Eltern wünschen sich eine Betreuungszeit von mehr als sechs Stunden täglich für ihre Kinder von drei bis sechs Jahren, mehr als 25 % - also ein Viertel der Eltern - sogar eine Betreuungszeit von acht Stunden. Tatsächlich können in Niedersachsen aber nur 11 % ganztags betreut werden.

Jetzt kommen wir zu den Grundschulkindern. Für Grundschulkinder wünschen sich 87 % der Eltern eine Mittagsmahlzeit und 78 % auch eine in den Ferien stattfindende Betreuung. Ein Drittel der Grundschuleltern wünscht eine mindestens achtstündige Betreuungszeit. Tatsächlich haben aber nur 4 % der Grundschulkinder einen Hortplatz.

Im Vergleich zum europäischen Ausland steht Niedersachsen schlecht da und liegt auch im Bundesvergleich im unteren Drittel. Aber das soll sich ja ändern. Der Ministerpräsident versucht gerade, aus dem Wahlkampf in Rheinland-Pfalz abzukupfern und auf den Zug aufzuspringen. Aber mein Eindruck ist, dass der Ministerpräsident einige Koffer am Bahnsteig hat stehen lassen, denn Sie haben die Kleinen vergessen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Ich meine, wir müssen gemeinsam den Anfang machen, und der Betreuungsbedarf kann nur bei den Kleinen anfangen. Hier ist das Land in der Pflicht zu handeln.

Wir wollen mit unserem Antrag einen Rechtsanspruch auf einen Ganztags-Kitaplatz für jedes Kind im Alter von zwei bis zwölf Jahren erreichen. Für uns ist auch klar, dass nicht alle Eltern diesen Platz einfordern werden. Aber wir sollten zumindest die Plätze schaffen, für die ein Bedarf vorhanden ist, und die Erhebung auf den Weg bringen. Insbesondere im Grundschulbereich muss das Angebot eines Mittagstisches und einer Ferienbetreuung zum Grundstandard gehören. Falls Ihnen das alles unumsetzbar zu sein scheint, lassen Sie sich eines gesagt sein: In anderen Ländern dieser Erde - dazu zählen in großen Teilen auch Länder, in denen der Lebensstandard bedeutend niedriger ist als in unserem Land, deren Kassen nicht so klingeln - gibt es diese Betreuungsstandards seit Jahren.

Ich möchte noch eines hinzufügen - damit da nicht etwas falsch verstanden wird -: Es geht bei unserem Antrag auch nicht nur darum, Eltern zu entlasten. In erster Linie geht es um die Kinder. Es muss vor allem darum gehen, den Kindern eine anregende Lern- und Erfahrungswelt zu bieten und damit den gesamtgesellschaftlichen Veränderungen Rechnung zu tragen. Deshalb müssen wir bei der Beratung dieses Antrags auch über die Qualität eines Bildungsangebots und der Ganztagsbetreuung sprechen. Qualität kommt nicht von allein. Deutschland bildet heute auch da immer noch das Schlusslicht.

Die Landesregierung darf sich hier nicht aus der Verantwortung stehlen. Wenn es wahltaktisch wichtig ist, wird das Thema „Familie und Kinder“ aus der Schublade gezogen, wie wir es zurzeit erleben. Wenn es aber konkret um die Umsetzung geht, wird gekniffen, eingestampft, reduziert und

die berühmte Rolle rückwärts-vorwärts - man weiß immer nicht, was es denn sein soll - gezeigt.

Ich fordere Sie auf: Lassen Sei uns gemeinsam Nägel mit Köpfen machen. Die Menschen wollen Beruf und Familie verbinden. Lassen Sie uns die Möglichkeiten dafür schaffen. - Danke schön.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Wir hören jetzt Frau Kollegin Vockert.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sehr geehrte Frau Janssen-Kucz, mit Sicherheit ist es gesellschaftspolitisch notwendig, dass wir uns damit auseinander setzen, wie denn Eltern Familie und Beruf bzw. eben auch Kinder und Beruf miteinander verbinden können. Deshalb ist es mit Sicherheit genauso notwendig, dass wir uns mit den bestehenden Einrichtungen bzw. Angeboten auseinander setzen. Insofern bietet uns der Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen die Gelegenheit, uns mit dem Thema auseinander setzen zu können.

Aber, meine Damen und Herren von den Grünen, Ihr Antrag ist nach unserer Einschätzung nicht nur unausgegoren, sondern er greift auch zu kurz. Frau Janssen-Kucz, Sie haben in Ihrem Beitrag gerade eben einen weiteren Aspekt mit angeführt, den Sie aber in Ihrem Antrag überhaupt nicht erwähnt haben, nämlich die Qualität. Es kann schließlich nicht nur um Quantität gehen.

Ich will aber noch einmal deutlich machen, warum wir von der CDU-Fraktion den Antrag für völlig unausgegoren halten und dass er uns auch zu kurz greift.

Erstens sprechen Sie von einem Rechtsanspruch. Sie lassen dabei wieder einmal völlig offen, wer das dann bezahlen soll. Es ist aber völlig unrealistisch, von einem Rechtsanspruch zu sprechen, wenn nachher wieder die Kommunen die Lasten tragen müssen. Dann sehen wir alle, dass das tatsächlich nicht möglich und insofern unrealistisch ist und eine Überforderung der Kommunen bedeuten würde.

Zweitens. Sie beziehen sich in Ihrem Antrag auf Kinder im Alter zwischen zwei und zwölf Jahren. Ich fand es eben schon faszinierend, dass Sie in

diesem Zusammenhang von allein erziehenden Elternteilen und berufstätigen Eltern sprechen, aber keine Antwort darauf geben, was denn mit den Kindern im Alter von null bis zwei Jahren und denen, die aus der Grundschule heraus zurzeit noch in die Orientierungsstufe, dann aber hoffentlich in das gegliederte Schulwesen kommen. Auch darauf geben Sie keine Antworten, sondern Sie lassen die allein Erziehenden und die Berufstätigen völlig allein. Darauf müssen wir aber Antworten finden. Das gilt nicht nur in Ballungsgebieten, sondern auch für die Fläche.

Der dritte Grund, warum uns Ihr Antrag zu kurz greift - Sprache ist ja häufig verräterisch -: Sie haben in dem Titel Ihres Antrags sehr deutlich vom ganztägigen Betreuungs- und Bildungsangebot gesprochen. Frau Janssen-Kucz, Sie haben zu Beginn Ihres Beitrags eben auch noch den Aspekt Bildung und Betreuung angesprochen. Nachher und auch in den drei Punkten der Forderungen in Ihrem Antrag sprechen Sie aber nur von einem einzigen Aspekt, nämlich der Betreuung. Deswegen sage ich, Sprache ist verräterisch. Denn der Aspekt der Betreuung greift für uns in der heutigen Zeit viel zu kurz. Im Kita-Gesetz ist schon jetzt - dahinter dürfen wir auch nicht zurückfallen – der Erziehungsauftrag festgelegt.

Wir meinen also, dass Sie mit dem von Ihnen vorgelegten Antrag eindeutig das Interesse auf die Eltern fokussieren und den Blickwinkel auf die Kinder nicht im Kopf haben. Deswegen meinen wir, dass wir ganz andere richtungweisende Schritte einleiten müssen.

Erstens müssen den Kommunen die entsprechenden Mittel zur Verfügung gestellt werden, damit sie auch tatsächlich die erforderlichen Einrichtungen für die Kinder vorhalten können.

Zweitens brauchen wir familienergänzende Angebote. Das geht weit über die zurzeit bestehenden Angebote hinaus. Wir wissen alle - das ist auch in dem ersten Kinderbericht der Landesregierung von 1998 nachzulesen, den damals noch Frau JürgensPieper vorgestellt hat -, welche Handlungsalternativen genannt worden sind, die aber bis heute noch nicht umgesetzt worden sind: Es fehlen Hortplätze, Krippenplätze, Tagesmütterprojekte und Krabbelstuben. Auch im ersten Kinderbericht von 1998 steht: Die Landesregierung ist aufgefordert. - Aber bis heute ist nichts erfolgt. Dazu teile ich Ihre Kritik. Aber Ihr Antrag greift, wie gesagt, viel zu kurz. Wir brauchen maßgeschneiderte und auch

regional passende Konzepte, wie ich sie eben bereits genannt habe: Krabbelstuben, Krippenplätze, Hortplätze usw.

Drittens brauchen wir auch – das wollen wir auf jeden Fall - neue inhaltliche Konzepte. Sie wissen alle, dass die Wissenschaft in der Diskussion schon viel weiter ist. Sie geht erheblich darüber hinaus, was zurzeit in den Kindertagesstätten läuft. Wir wollen nämlich die ganzheitliche Förderung des Kindes, die die drei Teilaspekte der Bildung, Betreuung und Erziehung des Kindes umfasst. Dazu brauchen wir - darüber sollten wir auch einmal nachdenken, meine Damen und Herren - einen Erziehungs- und Bildungsplan, und zwar auch für Kinder unter sechs Jahren.

Wir wollen, dass das Kind von Anfang an sozial integrativ mitgestalten kann. Auch das findet heute zum Teil in Kita-Einrichtungen statt. Aber warum nur zum Teil? – Weil die Ausbildung der Erzieherinnen und Erzieher diesen Aspekt überhaupt nicht berücksichtigt. Deshalb müssen wir uns auch darüber unterhalten, Frau Janssen-Kucz, wie wir in Deutschland bzw. in Niedersachsen bei dem gesamten Konzept der Ausbildung zur Erzieherin bzw. zum Erzieher mithalten können.

Zurzeit gibt es bundesweit keine verbindliche Form der Ausbildung im Unterschied zu allen anderen europäischen Ländern. Das formale Ausbildungsniveau ist niedriger - auch das ist seit Jahren bekannt, und seit Jahren passiert nichts - als in allen anderen europäischen Ländern mit Ausnahme von Österreich. Die Ausbildung entspricht noch nicht einmal der europäischen Norm, sodass Erzieherinnen und Erzieher, die bei uns ausgebildet werden, keine Chance haben - und das vor dem Hintergrund der Europäischen Union -, im europäischen Ausland als Gruppenleiter zu arbeiten. Es ist meines Erachtens beschämend, wie sich das darstellt.

Wir wollen darüber hinaus aber noch weitergehen. Wir möchten auch – darauf sind Sie ebenfalls nicht gegangen, Frau Janssen-Kucz -, dass die Eltern nicht nur Zaungäste sind, wie es heute meist der Fall ist. Die Eltern werden bei Projekten eingebunden oder dann, wenn im Kindergarten ein Tag der offenen Tür stattfindet, mit Kuchenbacken usw. beauftragt. Das war es dann aber auch schon. Das heißt, Eltern sollen unserer Ansicht nach nicht mehr Zaungäste sein, sondern sie sind Mitkonstrukteure. Deswegen brauchen wir auch – ich hoffe, dass wir darüber einen Konsens herbeifüh

ren können – eine Redefinition der Eltern im Verhältnis zu den Einrichtungen. Das muss nach unserer Einschätzung dringend stattfinden.

Selbstverständlich ist auch der Aspekt des quantitativen Ausbaus der außerfamiliären Einrichtungen für Kinder - das war der letzte Aspekt, den Sie hier angesprochen haben, Frau Janssen-Kucz, der aber in Ihrem Antrag nicht vorkommt – zu berücksichtigen. Ich habe bereits ausgeführt, dass wir bei Kindern im Alter von null bis drei Jahren völlig hinterherhinken. Dass die Landesregierung ihre Hausaufgaben nicht gemacht hat, bestätigt sie im Prinzip durch den Kinderbericht aus dem Jahre 1998.

Wir brauchen also – um alles in allem festzuhalten – kindgerechte Betreuungs-, Erziehungs- und Bildungskonzepte, maßgeschneidert und bedarfsgerecht für die jeweilige Region. Wir brauchen dafür, Karl-Heinz Mühe, entweder eine vernünftige finanzielle Ausstattung der Kommunen – es kann schließlich nicht angehen, dass sich die Landesregierung immer aus der Verantwortung zieht und das auf die Kommunen überträgt –, oder wir brauchen Landesprogramme.

Ich habe die Nase gestrichen voll davon - wie auch alle Betroffenen vor Ort -, dass ständig eine Verschiebung der finanziellen Verantwortlichkeiten erfolgt. Das hilft den Kindern in keiner Art und Weise.

(Beifall bei der CDU)

Es hilft auch nicht, wenn sich die Landesregierung aus ihrer Verantwortung zieht.

Im Interesse unserer Kinder muss es also heißen: Nicht das Machbare ist das Ziel, sondern das Optimale. Dafür sollten wir uns einsetzen.

Sehr verehrte Frau Janssen-Kucz, Ihr Antrag ist unausgegoren und greift zu kurz. Wir können ihn so nur ablehnen.

(Beifall bei der CDU)

Nun hat sich der Kollege Mühe zu Wort gemeldet. Bitte sehr!

Sehr verehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte mit dem be

ginnen, was ich zu dem Beitrag von Frau Vockert zu sagen habe. Frau Vockert, ich möchte Ihnen zunächst § 2 des geltenden Kindertagesstättengesetzes vorlesen,

(Möllring [CDU]: Hat das überhaupt noch zwei Paragrafen?)

und ich will Ihnen gleich erläutern, dass unter der Definition des Begriffs „Kindertagesstätten“ Krippe, Kindergarten und Hort zu verstehen ist, also für bis einschließlich Zwölf-, zum Teil sogar Vierzehnjährige.

In § 2 Absatz 1 heißt es zum Auftrag der Tageseinrichtungen:

„Tageseinrichtungen dienen der Erziehung, Bildung und Betreuung von Kindern.“

(Frau Vockert [CDU]: Theorie und Praxis!)

„Sie haben einen eigenen Erziehungsund Bildungsauftrag.“

Dann wird in acht Punkten aufgezählt, was im Einzelnen zu tun ist. Das, was Sie hier eingefordert haben, hat das Land Niedersachsen also bereits in Gesetzesform gefasst. Insofern verstehe ich Ihren Beitrag nicht, verehrte Frau Vockert.

(Zustimmung bei der SPD)

Sie wissen, dass dies so stattfindet. Ich muss Ihnen sagen: Das, was Sie hier vorgetragen haben, ist auch eine harte Kritik an der Arbeit der Erzieherinnen und Erzieher. Diese werden Ihre Rede mit Freude nachlesen.