Protokoll der Sitzung vom 17.09.2001

Wir kommen zu

Tagesordnungspunkt 8: Einzige (abschließende) Beratung: Qualitätsoberstufe - Antrag der Fraktion der CDU - Drs. 14/880 - Beschlussempfehlung des Kultusausschusses - Drs. 14/2574

Dieser Antrag wurde in der 32. Sitzung am 16. Juli 1999 zur federführenden Beratung und Berichterstattung an den Kultusausschuss überwiesen. Berichterstatterin ist Frau Kollegin Mundlos, der ich das Wort erteile.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit seiner Beschlussempfehlung in der Drucksa

che 2574 empfiehlt Ihnen der Kultusausschuss mit den Stimmen der Vertreter der Fraktionen der SPD - -

Frau Kollegin Mundlos, ziehen Sie bitte das Mikrofon ein bisschen höher.

(Zurufe: Niedriger!)

Mit seiner Beschlussempfehlung in der Drucksache 2574 empfiehlt Ihnen der Kultusausschuss mit den Stimmen der Vertreter der Fraktionen der SPD und Bündnis 90/Die Grünen, den Antrag abzulehnen. Die Ausschussmitglieder der Fraktion der CDU stimmten gegen diese Empfehlung.

Damit die Frage, ob das Mikrofon höher oder niedriger sein soll, ein Ende hat, gebe ich den detaillierten Bericht zu Protokoll.

(Beifall)

(Zu Protokoll:)

Der Antrag der Fraktion der CDU wurde in der 19. Sitzung des Kultusausschusses am 17. September 1999 öffentlich erörtert. In der gleichen Sitzung nahm der Ausschuss seine Beratungen auf. Ausschussmitglieder der antragstellenden Fraktion erklärten, dass sich die reformierte Oberstufe ihres Erachtens nach nicht bewährt habe. Erhebliche Probleme bestünden insbesondere mit dem System der Fächerbesetzung. Es gäbe Kernfächer, Schwerpunktfächer, Ersatzfächer, Pflichtfächer. Dies alles sei nur noch sehr schwer zu durchschauen. Hier bestehe die Notwendigkeit, eine Neugestaltung vorzunehmen. Mit dem Entschließungsantrag solle die Qualität und die Vergleichbarkeit der gymnasialen Bildung und des Abiturs entscheidend verbessert werden.

Ausschussmitglieder der Fraktion der SPD und Bündnis 90/Die Grünen erklärten übereinstimmend, sie hätten den Eindruck, dass die CDUFraktion mit ihrem Antrag zu den Prinzipien der 50er-Jahre zurückkehren wolle. Den Schülerinnen und Schülern sei aber mit einer Rückkehr zum Klassenverband und einer Einschränkung der Wahlmöglichkeiten nicht geholfen. Mit diesen Mitteln sei eine Qualitätsverbesserung nicht zu erreichen. Vielmehr würde den Schülerinnen und Schülern die Möglichkeit genommen, sich mit in

haltlichen Schwerpunkten vertiefend auseinander zu setzen. Die CDU-Fraktion entferne sich mit ihrem Antrag von den Zielen der Kultusministerkonferenz. Das bundesweit parteiübergreifend formulierte Anliegen, die Schülerinnen und Schüler in die Vorkenntnisse eines wissenschaftlichen Studiums einzuführen und ihre Studierfähigkeit zu entwickeln, trete die CDU-Fraktion mit den Füßen.

Zum Abschluss des ersten Beratungsdurchganges verständigte sich der Kultusausschuss darauf, eine Anhörung zu dem Entschließungsantrag durchzuführen.

In der 22. Sitzung des Kultusausschusses am 10. Dezember 1999 erhielten Lehrerverbände, IHK und Handwerkskammer, Gewerkschaften, die Kirchen, der Landeselternrat und der Landesschülerrat Gelegenheit, aus ihrer Sicht auf die Forderungen des Entschließungsantrages einzugehen. Der Kultusausschuss stellte seine weiteren Beratungen dann zunächst zurück, um das Ergebnis der von der Landesregierung einberufenen Expertengruppe „Runder Tisch Sekundarbereich II“ abzuwarten.

In seiner 38. Sitzung am 1. Dezember 2000 nahm der Kultusausschuss eine ausführliche Unterrichtung durch die Landesregierung über den Abschlussbericht der Expertengruppe entgegen und führte hierüber eine Aussprache.

Der Kultusausschuss schloss seine Beratungen in seiner 44. Sitzung am 8. Juni 2001 ab. Ein Ausschussmitglied der antragstellenden Fraktion hob nochmals hervor, dass die CDU-Fraktion eine optimale Förderung der Schülerinnen und Schüler, die eine Oberstufe besuchten bzw. besuchen wollten, fordere. Die Persönlichkeitsbildung solle weiter vorangetrieben und optimiert werden. Auch solle die Möglichkeit bestehen, eine niedersächsische Elite zu bilden, weil diese im Vergleich mit anderen Bundesländern und auch im internationalen Vergleich dringend benötigt werde. Die CDU-Fraktion fordere, Begabungsreserven auszuschöpfen und das Bildungswesen insgesamt durch eine veränderte gymnasiale Oberstufe zu optimieren.

Die Vertreterin der Fraktion der Grünen trug vor, nach Auffassung ihrer Fraktion werde mit dem CDU-Antrag eine falsche Richtung eingeschlagen. Auch das Arbeitsergebnis des Runden Tisches sei nicht zufrieden stellend, da zu befürchten sei, dass die Entwicklungsmöglichkeit der Schülerinnen und Schüler in den Gymnasien sowie ihre Möglichkei

ten zum Lernen und zum Wissenserwerb eingeschränkt würden. Daher habe die Fraktion der Grünen eine Änderungsempfehlung erarbeitet, mit der den Schülerinnen und Schülern die Möglichkeit eingeräumt werde, sich sehr viel freier zu entwickeln, zu bilden und Wissen zu erwerben. Auf diese Weise würde auch den Anforderungen der Universitäten und der ausbildenden Wirtschaft viel eher entsprochen, denen es in erster Linie darauf ankomme, dass die jungen Menschen kreativ und selbständig seien, problemlösend denken könnten und auch teamfähig seien.

Ein Ausschussmitglied der SPD-Fraktion legte dar, aus der Sicht seiner Fraktion müsse eine Veränderung der gymnasialen Oberstufe mit einer Veränderung der Schulstruktur einhergehen. Dabei spiele die Dauer der Schulzeit eine ganz entscheidende Rolle. Die SPD-Fraktion lehne den Antrag der CDU-Fraktion ab, da dieser auf ein Mehr an Beschulung und auf die Abschaffung des Grundkurs- und Leistungskurssystems an der gymnasialen Oberstufe hinauslaufe. Die Änderungsempfehlungen der Fraktion der Grünen lehne die SPDFraktion ebenfalls ab. Zwar werde das Ziel, den Schülerinnen und Schülern in der gymnasialen Oberstufe mehr Möglichkeiten zur Persönlichkeitsentwicklung und dergleichen einzuräumen, geteilt. Aber nach Auffassung der SPD-Fraktion könne eine Persönlichkeitsentwicklung viel mehr im Unterricht und aufgrund ganz bestimmter methodischer Schritte erreicht werden. Insofern sollte den Schülerinnen und Schülern in einem ganz bestimmten Rahmen vorgegeben werden, was sie zu lernen hätten.

Der Kultusausschuss lehnte daraufhin mit den Stimmen der Vertreter der Fraktionen der SPD und der CDU sowie gegen die Stimme der Vertreterin der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen die Änderungsempfehlung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen ab. Des Weiteren empfahl der Ausschuss mit den Stimmen der Vertreter der Fraktion der SPD und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und gegen die Stimmen der Ausschussmitglieder der Fraktion der CDU, den Antrag der CDUFraktion abzulehnen.

Auch den kurzen Bericht hätten wenigstens die Stenografen verstehen müssen. Deswegen war es nur ein freundlicher Hinweis. - Frau Kollegin Körtner hat in der Aussprache das Wort.

(Fasold [SPD]: Sie versteht doch gar nichts von der Oberstufe!)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn sich die Hochschulen darüber beschweren, dass die Studentinnen und Studenten die deutsche Sprache und die Rechtschreibung nicht mehr beherrschen, und wenn unsere Betriebe in Niedersachsen Alarm schlagen, weil bei Schülerinnen und Schülern aus allen Bevölkerungsschichten gravierende Mängel hinsichtlich der Grundfertigkeiten vorliegen, dann müssen wir daraus Schlussfolgerungen in der Weise ziehen, dass hier etwas nicht stimmt. Und wenn etwas nicht stimmt, meine Damen und Herren, dann muss auch etwas verändert werden, und zwar sofort.

Mit Blick auf die große Zahl der Studienabbrecher müssen wir für die Schülerinnen und Schüler dafür sorgen, dass sie einen erfolgreichen weiteren Berufsweg einschlagen können und in der Oberstufe wirklich Studierfähigkeit erlangen. Sie müssen mit dem Abitur in der Lage sein, ihr Studium zu absolvieren.

Die reformierte Oberstufe von 1972 passt nicht mehr in die Bildungslandschaft, die Konzentration bewirken muss. In Zeiten, in denen der Wissenszuwachs so enorm ist, können sich Qualität und Bildung nicht mehr über Quantität und über die Spezialisierung in Leistungskursen definieren. Dies sagte auch die Präsidentin der Kultusministerkonferenz, Frau Dr. Annette Schavan, die Kultusministerin aus Baden-Württemberg.

Das bisherige Oberstufenmodell hat sich als Irrweg erwiesen, weil es die schulische Ausbildung vor dem Abitur in ein undurchsichtiges Geflecht von inhaltlich nicht begründeten Kurskombinationen, Auflageverpflichtungen, Alternativ- und Ersatzregelungen zerlegt hat. Es hat die Qualität und Vergleichbarkeit von gymnasialer Bildung und Abitur und damit die Studierfähigkeit verschlechtert und ist den notwendigen Erziehungsanforderungen nicht gerecht geworden.

Die CDU-Landtagsfraktion hatte bereits im Juli 1999 ihren richtungweisenden Entschließungsantrag „Qualitätsoberstufe“ eingebracht.

(Wulf (Oldenburg) [SPD]: Rückwärts weisend! - Gegenruf von Frau Vockert [CDU]: Nach vorn!)

Obwohl es zu einer ersten Beratung im Parlament nicht gekommen ist, möchte ich die Grundelemente unseres Modells heute nicht dezidiert vortragen. Ich denke, meine Damen und Herren, das Modell ist inzwischen allen bekannt. Auch setzen wir alle im Augenblick wohl andere Prioritäten.

Unser Konzept hat eine Anhörung im Kultusausschuss durchlaufen und ist landesweit diskutiert worden.

(Wulf (Oldenburg) [SPD]: Zerrissen!)

Auf drei inhaltliche Punkte möchte ich nun doch noch einmal eingehen, weil sie in den Beratungen des Kultusausschusses - ich sage einmal so - unterschiedlich interpretiert worden sind.

Wir beklagen neben Lerndefiziten auch den Verlust von sozialer Kompetenz, liebe Kolleginnen und Kollegen. Soziale Kompetenz hat etwas mit Persönlichkeitsentwicklung zu tun. Wir sagen - dabei werden wir von vielen externen Fachleuten massiv unterstützt -: Die Persönlichkeitsentwicklung kann in einem langzeitigen Bildungsgang erheblich besser gestaltet werden als in einem kurzzeitigen Bildungsgang. Die Verbindlichkeit, die wir wollen, ist ein Stück Gerechtigkeit. Dabei geht es ja nicht nur um die Festlegung der Inhalte in den Rahmenrichtlinien, sondern es geht um die Festlegung der einzelnen Fächer. Sonst kommt es unweigerlich zu einer Schieflage zwischen der einen und der anderen Schule, die zulasten der Schülerinnen und Schüler und deren Zukunftschancen geht. Die Verstärkung der Verbindlichkeit, eine Sicherung der Allgemeinbildung in Breite und Tiefe, ist keine Niveausenkung. Diesbezüglich hat es ja Vorhalte auch im Kultusausschuss gegeben. Aber der Vorhalt, die Veränderung des Systems sei eine Rückkehr zu einer reinen Wissensvermittlung, ist eine Phantomdiskussion. Denn der Grundbestand an Fachwissen veraltert nicht, und die Grundlage der Allgemeinbildung ist immer Wissen. Diese Vorhalte sind schlicht und einfach falsch, und sie lassen sich auch argumentativ überhaupt nicht begründen. Im Übrigen sind sie auch niemals argumentativ begründet worden.

(Beifall bei der CDU)

Unser Modell ist eine wirksame und praktikable Maßnahme zur Qualitätsverbesserung der Oberstufe. Die Vorteile gegenüber dem jetzigen Kurssystem liegen klar auf der Hand: eine vertiefte Allgemeinbildung, die ja nur gewollt sein kann und im Übrigen auch von allen gewollt ist, die Möglich

keiten der Schwerpunktsetzung nach Eignung und Neigung bleiben durchaus erhalten, und es gibt ein kontinuierliches pädagogisches Arbeiten in festeren Lerngruppen und vor allem eine bessere Ressourcennutzung, ohne dass bei diesem Modell Lehrerstunden eingespart werden. Bei unserem derzeit gravierenden Ressourcenmangel ist dies durchaus wichtig und, wie ich meine, auch von allen gewollt, liebe Kolleginnen und Kollegen.

Die Frau Kultusministerin selbst hatte angekündigt, Konsequenzen aus den offensichtlich schweren Mängeln der Orientierungsstufe und aus der niedersächsischen Form der gymnasialen Oberstufe zu ziehen.

Um offensichtlich aus der Notlage angesichts des vorliegenden Modells der CDU-Landtagsfraktion und auch des Modells des Philologenverbandes Niedersachsen herauszukommen, hat die Frau Ministerin erneut zum Mittel des Runden Tisches gegriffen. Aber, meine Damen und Herren, dieser Zug ist inzwischen zum Stehen gekommen.

(Widerspruch von Ministerin Jürgens- Pieper)

Das liegt sicherlich einerseits an dem Hin- und Herwackeln der Landesregierung in der Frage der Schulzeitdauer, andererseits aber auch daran, dass die Frau Ministerin ganz offensichtlich eine themenorientierte Profilorganisation bevorzugt, wie sie an Gesamtschuloberstufen gefahren wird. Und das, gerade das hatte der Runde Tisch im Hinblick auf die dringend erforderliche Qualitätssteigerung eindeutig verworfen. Das kann auch niemand bezweifeln. - Lieber Wolfgang Wulf, du schaust mich sehr erstaunt an. Auch das müsstest du wissen.

(Beifall bei der CDU)

Also, die persönlichen Gepflogenheiten lassen wir außen vor, ja?

Nun müssen Sie, Frau Ministerin, doch wohl einmal Ihr Geheimnis lüften, wohin Sie eigentlich wollen, wie Sie denn diese jetzt eingenommene Haltung mit Ihrer früher eingenommenen Haltung noch weiter vereinbaren können. Denn Sie hatten bekanntlich sehr großartig, mit viel Getöse und mit viel Presseöffentlichkeit eine Qualitätsoffensive für

Niedersachsen angekündigt. Wo ist diese Qualitätsoffensive im Hinblick auf die Oberstufe denn geblieben, meine Damen und Herren? Auch in dieser wichtigen Frage nichts als Zögern, Zaudern und Verschieben! Schlimmer noch ist allerdings - das möchte ich ganz klar sagen -, dass hier offenkundig geworden ist, dass sich die Frau Ministerin in dieser Frage von der Gesamtschullobby hat vereinnahmen lassen.

(Fasold [SPD]: So ein Quatsch!)

Meine Damen und Herren, Flexibilität ist gar nicht mal so schlecht. Aber der Ausspruch „Was schert mich mein Geschwätz von gestern?“ kann in dieser wichtigen Frage tatsächlich nicht mehr ziehen. Es ist schon traurig, Frau Ministerin, dass Sie sich auch hier so verbogen haben oder vielleicht haben verbiegen lassen.

(Beifall bei der CDU)

Es ist unverantwortlich gegenüber den Zukunftschancen der betroffenen Schülerinnen und Schüler, dass die Entscheidungen über ein Abitur nach zwölf Schuljahren und die Reform der gymnasialen Oberstufe von Ihnen verschoben und nicht angepackt werden. Unserem Landtagskollegen David McAllister haben Sie gerade mitgeteilt, dass Sie über die Ausgestaltung Ihrer neuesten Vorschläge zum Turboabitur - ich zitiere jetzt die Frau Ministerin - „zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch keine gegenwärtigen Aussagen darüber machen können, wie die angesprochenen verschiedenen Modelle im Detail ausgestaltet sein werden“. Ein weiteres Zeichen Ihrer Entscheidungsschwäche!

Mit Ihrem Versuch, Springerklassen einzurichten, um zwei Geschwindigkeiten zum Abitur zu ermöglichen, sind Sie kläglich gescheitert. Zum letzten Schuljahresbeginn haben ganze vier Gymnasien in Niedersachsen Springerklassen eingerichtet - mit sage und schreibe insgesamt 58 Schülerinnen und Schülern, meine Damen und Herren.