Protokoll der Sitzung vom 24.10.2001

Meine Damen und Herren, diese Grenzziehung ist nicht variabel, sozusagen je nach innenpolitischer Stimmungslage, sondern sie ist konstitutiv für unser Verfassungsverständnis.

(Beifall bei der SPD)

Wir wollen keine Zusammenfassung der exekutiven Gewalten unter einem Dach, weil wir in unserem freiheitlichen Staat weder einen Notstand haben noch ihn in eine Hochsicherheitszone verwandeln wollen und das auch nicht müssen. Geheimdienste etwa stehen außerhalb der allgemeinen öffentlichen Kontrolle, wie sie in einem demokratischen Staat üblich ist; sonst könnten sie ihre geheime Arbeit nicht leisten. Nachrichtendienstliche Methoden bedeuten dabei immer: Der Betroffene erfährt erst einmal nichts, er kann sich nicht wehren. Eine Forderung nach einem Bundessicherheitsamt hilft da herzlich wenig.

Die Menschen bewegt im Moment natürlich die Frage: Was könnte mir, was könnte uns passieren? - Ihnen sage ich: Wir haben in Niedersachsen und in Deutschland ein immer noch gutes, ausgezeichnetes Sicherheitssystem. Unsere Polizei, die Staatsanwaltschaften und die Justiz, aber auch die Nachrichtendienste arbeiten ebenso engagiert wie professionell. Wir alle sind der niedersächsischen Polizei, dem Verfassungsschutz und der Justiz für ihre enormen zusätzlichen Anstrengungen und

Leistungen in den vergangenen Wochen zu Dank verpflichtet.

(Beifall bei der SPD)

Polizei, Verfassungsschutz, Staatsanwaltschaften und Gerichte sind es, die in der inneren Sicherheit die Alltagsarbeit zu bewältigen haben. Von ihrer Wachsamkeit, ihrem Engagement, ihrer Kompetenz und auch von ihrer Beratung für die Politik hängt letztlich ein großer Teil der inneren Sicherheit Niedersachsens ab. Und ich bin sicher: Darauf können wir auch in Zukunft bauen.

Aber ich sage den Bürgerinnen und Bürgern unseres Landes auch: Wir haben die Ereignisse und die neuen Dimensionen von Bedrohung zum Anlass genommen, unsere Arbeit zu überprüfen. Wir haben nicht gezögert, ihnen dort, wo es aufgrund dieses bisher ungeahnten Ausmaßes von internationaler Kriminalität und Terrorismus gilt, neue Mittel und Methoden zu erarbeiten, eine gesetzliche Grundlage zu geben und sie auch wirksam einzusetzen.

Innenminister Heiner Bartling und Justizminister Prof. Christian Pfeiffer haben gemeinsam mit ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern diese Instrumente entwickelt und auch die bundespolitische Debatte vorangetrieben. Dies ist ohne Hektik, aber sehr schnell und zielstrebig geschehen. Innen- und Justizminister haben sich zusammen einem gemeinsamen Ziel verpflichtet: gezielt Maßnahmen zur Stärkung der inneren Sicherheit zu ergreifen, deren Wirksamkeit erkennbar ist, und nicht aus politischem Aktionismus heraus quasi mit dem Warenkorb durch den innen- und rechtspolitischen Supermarkt zu ziehen. Für diese Politik mit Augenmaß danke ich in der aktuellen Diskussion besonders herzlich.

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, die innere Sicherheit gehört zu den zentralen Schwerpunkten der Arbeit der Landesregierung. Das war auch vor dem 11. September schon so, und dabei wird es bleiben. Die Erfolge dieser Arbeit können sich sehen lassen und sind eng mit dem Namen des Niedersächsischen Innenministers Heiner Bartling und seines Amtsvorgängers - das will ich hier deutlich sagen Gerhard Glogowski verbunden.

(Beifall bei der SPD)

Wir sind nach 1990 das erste Land in Deutschland gewesen, dass auf die deutlich gestiegenen Anforderungen an die Polizeibeamten mit einer Polizeireform, mit einer besseren Ausbildung, einer modernen Struktur und technischen Ausstattung sowie einer besonderen Organisation zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität reagiert hat.

(Beifall bei der SPD)

Die Aufklärungsquote der niedersächsischen Polizei bei Straftaten steigt seit Jahren kontinuierlich an. Wir haben zurzeit den besten Wert seit über 30 Jahren.

(Beifall bei der SPD)

Gleichzeitig geht die Kriminalität seit 1993 deutlich zurück. Dies ist auch der Verdienst von über 120 lokalen Präventionsräten und mehr als 60 Sicherheitspartnerschaften in unseren Städten und Gemeinden.

(Beifall bei der SPD)

Unser Polizeirecht beinhaltet seit Mitte der 90erJahre die Möglichkeit zum Einsatz verdeckter Ermittler zur Strukturermittlung organisierter Kriminalität sowie die Möglichkeit zur Schleierfahndung und zu verdachtsunabhängigen Kontrollen überall in Niedersachsen und nicht nur 30 km hinter internationalen Grenzen wie in Bayern.

Darüber hinaus haben wir ein Verfassungsschutzrecht, durch das - anders als in anderen Bundesländern - bereits seit Mitte der 90er-Jahre auch die Organisationen beobachtet werden können, die sich zwar nicht gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung in Deutschland, allerdings gegen den Gedanken des friedlichen Zusammenlebens der Völker im Ausland wenden. Der niedersächsische Verfassungsschutz konnte deshalb im Strafverfahren gegen den Chef des „Kalifatsstaats“ Kaplan in Nordrhein-Westfalen erfolgreich helfen.

Wir haben den Rechtsradikalismus konsequent bekämpft und die Organisationen - von Kameradschaften über die Wiking-Jugend, die FAP, Herrn Polacek und alles, was es dort gab - verboten.

(Beifall bei der SPD)

Schon vor dem 11. September haben wir beschlossen, die Polizei um 500 Stellen zu verstärken. Der niedersächsische Polizeihaushalt ist seit 1990 von 1,25 Milliarden DM bis zum Jahr 2002 auf 1,94

Milliarden DM gestiegen. Das ist trotz der schwierigen Haushaltslage eine Steigerung um fast 55 %.

(Beifall bei der SPD)

Es war so, und es bleibt dabei: In Niedersachsen wird an der inneren Sicherheit nicht gespart. Die niedersächsische Polizei ist heute besser ausgebildet und arbeitet wirksamer und bürgernäher als jemals zuvor. Die Bertelsmann-Stiftung lobt in ihrem aktuellen Vergleich der Bundesländer ausdrücklich das Land Niedersachsen. Wir belegen in diesem Vergleich bundesweit immerhin bereits den dritten Platz.

Gewiss ist das kein Grund, sich auszuruhen. Natürlich gibt es noch viele Möglichkeiten, die Rahmenbedingungen für diese Arbeit weiter zu verbessern. Aber angesichts der Anspannung in der Arbeit unserer Polizeibeamtinnen und –beamten und angesichts der Sorge in unserer Bevölkerung haben wir allen Grund, zu sagen: Unsere Polizei und alle, die für die innere Sicherheit in Niedersachsen zuständig sind, leisten exzellente Arbeit.

(Beifall bei der SPD)

Nach den Attentaten vom 11. September schließt die Landesregierung mit ihrem Maßnahmenkatalog in Niedersachsen an dieses Engagement der letzten elf Jahre zur Verstärkung der inneren Sicherheit an. Im Kern geht es um sechs Bereiche: Erstens die Stärkung der Gefahrenabwehr gegen den internationalen Terrorismus; zweitens das Verbot extremistischer Organisationen und die Ausweisung ihrer ausländischen Mitglieder aus Deutschland; drittens die Verbesserung des Zivil- und Katastrophenschutzes; viertens den Schutz der Atomkraftwerke; fünftens den Entzug der finanziellen Basis des Terrorismus und sechstens natürlich die bessere Integration ausländischer Bürgerinnen und Bürger in Niedersachsen.

Im Doppelhaushalt 2002 und 2003 werden zusätzlich mehr als 170 Millionen DM für die innere Sicherheit bereit stehen. Neben der bereits erfolgten Bereitstellung von zusätzlich 500 Stellen für die niedersächsische Polizei mit Finanzmitteln in Höhe von 37,8 Millionen DM umfasst das Maßnahmenpaket der Landesregierung weitere 148 Stellen im Umfang von 22,1 Millionen DM. Sie verteilen sich auf den Verfassungsschutz, den Staatsschutz der Polizei, die Staatsanwaltschaften und die Finanzbehörden.

Hinzu kommen die neu veranschlagten Mittel zur Verbesserung der Neuausstattung der Polizei in Höhe von immerhin 111,6 Millionen DM. Insgesamt werden also mehr als 170 Millionen DM zusätzlich für die innere Sicherheit bereitgestellt. Hinzu kommen rund 9 Millionen DM zur Verbesserung des Katastrophenschutzes und die Finanzmittel für eine Verstärkung der Integration ausländischer Bürgerinnen und Bürger in Niedersachsen in Höhe von rund 25 Millionen DM. Auch an dieser Stelle hat es Erhöhungen gegeben.

Die bislang in den 9 Millionen DM enthaltenen etwa 6 Millionen DM für das Konversionsprogramm werden wir in Abstimmung mit der SPDFraktion im Niedersächsischen Landtag gesondert und nicht mehr als Bestandteil des Katastrophenschutzes in den Haushalt einbringen.

Ich will an dieser Stelle ausdrücklich der SPDLandtagsfraktion in diesem Haus dafür danken, dass sie sich trotz der angespannten und schwierigen Haushaltslage in den Gesprächen mit der Landesregierung bereit gefunden hat, die Finanzmittel für diesen Beitrag zur inneren Sicherheit in die laufenden Haushaltsberatungen einzubringen.

Die bisher von der Landesregierung vorgeschlagenen finanziellen Mehraufwendungen sind zielorientiert und nicht wahllos gegriffen. Sie orientieren sich nicht an einer möglichst Aufsehen erregenden Zahl, sondern am tatsächlichen Bedarf der Behörden. Ich kann und will ausdrücklich nicht ausschließen, dass es darüber hinaus in den kommenden Jahren zu weiteren finanziellen Anstrengungen in Bezug auf die innere Sicherheit kommen muss – auch und gerade im Bereich der Integration. Ich bin sicher, dass uns auch die Beratungen im Niedersächsischen Landtag dazu Hinweise geben werden und entsprechende Forderungen an uns gerichtet werden. Zu dieser gemeinsamen und sachgerechten Beratung zwischen dem hohen Haus und der Landesregierung rufe ich ausdrücklich auf.

Meine Damen und Herren, die Landesregierung hat ein eigenes Handlungskonzept vorgelegt. Ich möchte dieses kurz vorstellen.

Mit der Aufnahme der Rasterfahndung und der Befugnis zur Videoüberwachung an öffentlich zugänglichen Orten reagiert die Landesregierung unmittelbar auf die veränderte Sicherheitslage. Mit Hilfe der Rasterfahndung wird das Netzwerk der Terroristen durchsichtiger werden. Gute Chancen bestehen, auch so genannte Schläfer aufzuspüren.

Der Landtag wird darüber noch heute zu beschließen haben.

Wir werden unser Landes-Verfassungsschutzgesetz kurzfristig an die anstehenden Änderungen des Bundesverfassungsschutzgesetzes anpassen, um durch bundeseinheitliche Regelungen eine effektive Beobachtung und Bekämpfung des islamistischen Terrorismus zu gewährleisten. Wir werden die erforderlichen personellen Verstärkungen so vornehmen, wie ich es eben geschildert habe.

Wir treten für eine stärkere Beteiligung der Verfassungsschutzbehörden im Einbürgerungsverfahren sowie bei der staatlichen Anerkennung der Gemeinnützigkeit ein, um eine Zunahme des Einflusses extremistischer Organisationen zu verhindern. Aus diesem Grunde haben wir in Niedersachsen die Regelanfrage bei den Verfassungsschutzbehörden für Angehörige aus 23 Problemstaaten eingeführt.

Ferner sichern wir die Identität durch die Fertigung von Lichtbildern und Fingerabdrücken bei der Beantragung eines Visums bei bestimmten Staaten. Anhand der Fingerabdrücke von Visabewerbern aus Problemstaaten könnten Personen festgestellt werden, die mit einem Visum eingereist sind oder deren Visaantrag abgelehnt wurde. Ich bin froh, dass der Bundesinnenminister auch diese Forderung aus Niedersachsen in seinem zweiten Sicherheitspaket aufgegriffen hat.

Darüber hinaus plädieren wir eindeutig für die Einführung der Kronzeugenregelung. Ich bin Justizminister Christian Pfeiffer außerordentlich dankbar, dass er die Einführung der Kronzeugenregelung vorangebracht hat. Wenn wir schwere Straftaten noch gezielter verhindern oder aufklären wollen, müssen wir zukünftig auch dieses Instrument nutzen. Wir unterstützen deshalb die Bundesregierung, die hierzu eine neue Regelung beschließen will. Die Landesregierung hat einen eigenen Gesetzesentwurf vorgelegt.

Wir wissen, dass es in unserem Land Organisationen und Personen gibt, die die menschenverachtenden Terroranschläge nicht nur öffentlich gebilligt oder begrüßt haben. Sie stehen selbst im Verdacht, den internationalen Terrorismus aktiv zu unterstützen. Sie missbrauchen die Gastfreundschaft und die Sicherheit unseres demokratischen Rechtsstaats, um von hier aus ihre verbrecherischen Ziele zu verfolgen.

(Beifall bei der SPD)

Hierauf gibt es nach meiner Auffassung nur eine Antwort: Die Vereine müssen verboten werden. Die Unterstützer des Terrorismus dürfen nicht in Deutschland friedlich leben.

(Beifall bei der SPD)

Niedersachsen wird daher gemeinsam mit anderen Bundesländern beim Bundesinnenminister beantragen, die islamistisch-extremistische Organisation „Kalifatsstaat“ zu verbieten. Unser Landesamt für Verfassungsschutz hat dem Bund bereits vielfältiges Material geliefert, das Grundlage für ein Verbot dieser Organisation sein kann. Sobald das Religionsprivileg im Vereinsrecht abgeschafft ist, ist deshalb das Bundesinnenministerium als Verbotsbehörde gefordert. Dort, wo es eigenständige Ableger dieser Organisation gibt, auch in Niedersachsen, die nicht durch ein bundesweites Verbot erfasst werden können, wird das Land selbst aktiv werden. Niedersachsen ist kein Schwerpunkt islamistisch-extremistischer Aktivitäten. Aber wir wollen und werden uns an der gemeinsamen Prüfung der Verbotsbedingungen weiterer Organisationen durch alle Länder beteiligen, z. B. Dschihad, Hamas und Milli Görüs.

Niedersachsen hat außerdem gemeinsam mit Bayern im Bundesrat eine Initiative zur Änderung des Ausländergesetzes ergriffen. Wir wollen das Ausländergesetz ändern, damit Personen ausgewiesen werden können, die Organisationen und Vereinigungen angehören oder unterstützen, die den internationalen gewaltbereiten Extremismus fördern. Wir werden damit den Gefahren, die von diesen Vereinigungen ausgehen, wirksam begegnen können. Dass wir dabei die Flüchtlingskonvention der UN berücksichtigen, versteht sich von selbst, meine Damen und Herren. Aber niemand sollte dem Irrtum unterliegen, dass die Mehrheit z. B. der Anhänger der Organisation „Kalifatsstaat“ Asylbewerber oder Bürgerkriegsflüchtlinge seien. Das ist nicht so, meine Damen und Herren. Diejenigen, die unser freiheitliches Gesellschaftsmodell bekämpfen, die dauerhaft und wiederholt gegen den Gedanken der Völkerverständigung verstoßen, die gewaltbereit sind oder Gewalt befürworten, müssen wissen: Für sie ist in unserem Land kein Platz.

(Beifall bei der SPD und Zustim- mung von Frau Pawelski [CDU])

Auch wenn wir alle in diesem Haus wissen, dass trotz der Einführung von Tatbeständen zur Re

gelausweisung in der Praxis noch erhebliche Hürden bis zur tatsächlichen Abschiebung existieren, wir müssen auch aus Gründen der Generalprävention deutlich machen, dass wir hier keine Toleranz kennen. Ich jedenfalls bin nicht bereit zu tolerieren, dass Ausländerinnen und Ausländer, die nicht im Heimatland von Tod oder Folter bedroht sind, im Schutze unseres Rechtsstaates Unrecht planen und von hier aus einleiten.

(Beifall bei der SPD und von Abge- ordneten der CDU)