Protokoll der Sitzung vom 15.11.2001

Darüber hinaus ist dies ein geeignetes Betätigungsfeld für die norddeutsche Kooperation. Ein Bundesland allein ist nur sehr schwer in der Lage, die nötigen Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass es mehr Therapeuten gibt als bisher, und die notwendige Forschung und Entwicklung weiter voranzutreiben.

Niedersachsen hat im Bereich der norddeutschen Länder einiges begonnen, was die Zusammenarbeit der Justiz angeht. Hierin liegt ein weiteres wesentliches Betätigungsfeld.

Meine Damen und Herren, unser Antrag schließt eine gefährliche Angebotslücke. Der Antrag greift eine ganze Reihe von Forderungen aus der Praxis von der Bewährungshilfe, von Anlaufstellen und von Polizei und Vollzugsdiensten auf. Ich hoffe, dass wir dabei Ihre Unterstützung haben. - Schönen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Für die Fraktion der CDU spricht der Kollege Stratmann.

(Zurufe von der CDU-Fraktion: Mik- rofon hochstellen!)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nicht nur, weil die Grünen die Vorschläge unserer baden-württembergischen Freunde aufgegriffen haben, sondern darüber hinaus auch aus sachlichen Erwägungen will ich Ihnen sagen, dass ich den Ansatz dieses Antrags als gut erachte. Es ist ein Antrag, bei dem es sich wirklich lohnt, dass wir ihn im Rechtsausschuss in aller Ruhe und Sachlichkeit beraten. Ich würde sogar vorschlagen, Herr Kollege Schröder, dass wir das auch in Form einer Anhörung machen. Das ist wirklich ein Thema, wozu sich eine Anhörung bestens eignet.

In der Tat gibt es hier gewissen Nachholbedarf, und diesen Bedarf müssen wir decken. Ich glaube, dass wird auch die Diskussion hier ergeben, Herr Minister. Das ist unstreitig.

Nach unserer Auffassung brauchen wir aber ein Gesamtkonzept. Unserer Ansicht nach kann es nicht nur darum gehen, dass wir die entlassenen Sexualstraftäter mit Behandlungsmaßnahmen nach den hier gemachten Vorschlägen „beglücken“, sondern wir dürfen natürlich in diesem Gesamtkonzept niemals die aus den Augen verlieren, die noch in den Gefängnissen ihre Haftstrafe absitzen. Beides gehört zusammen, und beides muss in einem Gesamtkontext gesehen werden. Dazu gehört auch - das sage ich ausdrücklich an die Adresse der Kolleginnen und Kollegen der Grünen -, dass wir gegenüber der Öffentlichkeit deutlich machen, dass wir uns dazu bekennen, dass es eine bestimmte Sorte von Sexualstraftätern gibt, die nach unserem Dafürhalten, um die Bevölkerung zu schützen, vermutlich die Justizvollzugsanstalt nicht wieder werden verlassen können. Dieses Bekenntnis gehört nach meinem Dafürhalten dazu.

(Beifall bei der CDU)

Darum kündige ich hier an - auch wenn vielleicht der eine oder andere sagt, der redet an der Sache vorbei -, dass wir im Zuge der anstehenden Diskussion auch noch einmal das Thema der nachträglichen Sicherungsverwahrung ansprechen werden, und zwar nicht nur weil es dazugehört, meine

Damen und Herren, sondern weil sich in den vergangenen Wochen ein weiteres Mal, Herr Minister, gezeigt hat, dass die Behauptung der SPD falsch ist, es gebe dafür in Niedersachsen keinen konkreten Handlungsbedarf.

(Schünemann [CDU]: Hört, hört!)

Es gibt mittlerweile einige Fälle in Niedersachsen, von denen ich hier in der Öffentlichkeit aus bestimmten Sicherheitsgründen nicht sprechen möchte. Unsere Freunde in Baden-Württemberg, die in diesem Bereich sehr aktiv sind - die Bayern übrigens auch; auch die Hessen haben erklärt, dass sie sich der bayerischen und baden-württembergischen Initiative anschließen wollen -, haben untersucht, wie viele Strafgefangene von ihrem Gesetz betroffen wären. Sie sind auf eine Zahl gekommen, die ich persönlich überraschend finde, nämlich 20. Es gibt in Baden-Württemberg 20 Fälle, die von einer solchen gesetzlichen Regelung betroffen wären. Mir kann niemand erzählen, liebe Frau Kollegin Müller, dass die Verhältnisse in Niedersachsen so anders geartet sind, als dies in Baden-Württemberg der Fall ist. Dies kann mir niemand glaubhaft versichern. Ich sage deshalb noch einmal: Allein die vorhandene Möglichkeit reicht nach unserer Auffassung aus, dass wir eine solche Gesetzesinitiative - wir wollen keinen wie auch immer gearteten Verfassungsstreit führen angehen sollten.

Meine Damen und Herren, ich sage noch einmal abschließend: Dies ist ein wichtiges Thema. Ich bin den Grünen dankbar für diesen Antrag. Ich ärgere mich fast ein bisschen darüber, dass wir nicht selber darauf gekommen sind.

(Zurufe von den GRÜNEN)

Er hätte bei uns natürlich etwas anders ausgesehen, weil mir der Ansatz des Gesamtkonzeptes außerordentlich wichtig ist.

Die Menschen erwarten von uns vor allem Schutz.

(Beifall bei der CDU)

Die Menschen erwarten von uns vor allem, meine Damen und Herren, dass wir die Rückfallquote bei gefährlichen Sexualstraftätern soweit wie möglich zurückführen, dass wir uns sozusagen einer Quote annähern, die bei etwa 0 % liegt. Das wird niemals gelingen, weil Menschen irren. Aber wir sollten nicht nachlassen in unserem Bemühen, dieses Ziel zu erreichen. Wir sollten dieses Ziel nicht aus den

Augen verlieren. Darauf haben die Menschen in unserem Land einen Anspruch, und wir sind dazu gewählt, der Verantwortung, die wir in diesem Bereich haben, gerecht zu werden. - Danke schön.

(Beifall bei der CDU)

Kollegin Frau Bockmann spricht für die Fraktion der SPD.

(Schünemann [CDU]: Da sind wir a- ber gespannt!)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das ist ja heute eine richtige Sternstunde für die Kolleginnen und Kollegen von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

(Frau Pothmer [GRÜNE]: Verdient!)

Auch ich möchte Ihnen danken, dass Sie den Antrag „Maßnahmen zur Rückfallvermeidung haftentlassener Sexualstraftäter“ eingebracht haben. Es wird wichtig sein, dieses Thema im Ausschuss ausführlich zu beraten. Eine solche Debatte wird mit Sicherheit mehr zur Problemlösung beitragen, Herr Kollege Stratmann, als irgendwelche populistischen verfassungswidrigen Scheinanträge zur nachträglichen Sicherungsverwahrung.

(Beifall bei der SPD - Zuruf von der CDU: Na, na!)

Herr Kollege Schröder, in Ihrem Redebeitrag haben Sie die Notwendigkeit herausgestellt, für haftentlassene Sexualstraftäter mehr zu tun. Wir sind d‘accord mit Ihrer Forderung, dass wir uns keinen Stillstand bei der therapeutischen Betreuung leisten können, sind aber auch Haushaltsrealisten genug, dass es Luxusmodelle für haftentlassene Straftäter nicht geben kann. Einen Eindruck sollten wir aber in der Öffentlichkeit keinesfalls erwecken, nämlich den, dass wir in jüngster Vergangenheit keine Lösungsbeiträge zu diesem Thema geleistet hätten. Dies entspricht nicht der Realität.

Wir begrüßen Angebote zur ambulanten therapeutischen Weiterbetreuung von haftentlassenen Sexualstraftätern. Deshalb wird bereits zum jetzigen Zeitpunkt - ich begrüße den Vorschlag des Kollegen Stratmann - ein Konzept zur Spezialisierung der Führungsaufsichtsstellen bzw. der Bewäh

rungshilfen intensiv erarbeitet. Allerdings gibt es hier - das haben Sie auch angesprochen - ein Grundproblem, nämlich das, dass wir nur wenige Therapeuten haben und nur wenige Therapeuten bereit sind, sich um Sexualstraftäter zu kümmern. Sexualstraftäter sind nämlich nicht in allen Wartezimmern erwünscht. Die Medizinische Hochschule in Hannover hat versucht, dieses Problem zu lösen. An der MHH hat Herr Professor Dr. Hartmann ein Konzept zur ambulanten Therapie von Sexualstraftätern erarbeitet. Dieses Konzept - ich fände es sinnvoll, sich dieses im Rahmen der Anhörung einmal vorstellen zu lassen - beruht auf einen Verbund zwischen einer zentralen Einrichtung, u. a. für Diagnostik, Aus- und Fortbildung, Begutachtung, Supervision, und dezentralen Schwerpunktpraxen von sexualmedizinisch fortgebildeten Ärzten. Bislang - das verbuchen wir als Erfolg - haben 22 Ärzte und 2 Psychologen an einer Fortbildung zu den Themen Sexualmedizin, Sexualtherapien teilgenommen und sich auch mit dem Thema Sexualdelinquenz umfassend befasst. Dieses Projekt wird vom Land - zumindest in der Öffentlichkeit unterstützt. Allerdings - das müssen wir ehrlich einräumen - wissen wir noch nicht, wie wir die dafür erforderlichen 200 000 DM im Haushalt beordnen können.

Den Übergang von der Therapie im Vollzug zur Behandlung nach der Entlassung organisieren die sozialtherapeutischen Einrichtungen des Strafvollzugs. Das Modell von Herrn Professor Dr. Hartmann - das ist der Unterschied - wendet sich nicht nur an Täter, die nach der Haft aus eigenem Antrieb oder aufgrund von Bewährungsauflagen eine Therapie anstreben, sondern auch an Täter, die bisher noch nicht auffällig geworden sind. Soweit es sich hier um ehemalige Klienten der Sozialtherapie handelt, ist deren Nachbetreuung Aufgabe der sozialtherapeutischen Einrichtung. Dass diese Aufgabe in einem Flächenland schwer zu erfüllen ist, liegt wohl auf der Hand.

Die zeitweise erwogene Möglichkeit, dass Personal der sozialtherapeutischen Einrichtung auch für die Behandlung anderer Tätergruppen einzusetzen, musste aus Kapazitätsgründen wieder aufgegeben werden. Nichtsdestotrotz belegen folgende Zahlen, dass wir ein Stück vorangekommen sind. Sicherlich ist das kein Idealzustand, aber zumindest kein Stillstand. In Niedersachsen existieren derzeit in folgenden Städten sozialtherapeutische Einrichtungen mit insgesamt 112 Behandlungsplätzen: Bad Gandersheim, Alfeld, Hameln, Hannover und Lingen. Im nächsten Jahr sollen die verfügbaren Be

handlungsplätze um 52, in den Folgejahren noch einmal um 100 Plätze aufgestockt werden.

In Sachen Fortbildung, Herr Kollege Schröder - ich finde, hier sind Sie nicht ganz auf dem aktuellen Stand -, soll eine Spezialisierung der Bewährungshilfe angestrebt werden. Das hat der Minister bereits entschieden. Bezüglich Fortbildung und Vernetzung fand am 26. September 2001 in Hannover eine Fachtagung zur Vernetzung ambulanter Therapieangebote für Sexualstraftäter statt. Teilnehmer und Teilnehmerinnen dieser Tagung waren immerhin 19 Bedienstete der Bewährungshilfe, der Führungsaufsicht des Vollzuges etc.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, dies soll aber nicht alles sein. Dieses Fortbildungsangebot soll bereits im Frühjahr 2002 fortgesetzt werden.

Inwieweit ein Angebot in Niedersachsen unter den finanziellen Rahmenbedingungen optimiert werden kann, wird die Ausschussberatung zeigen. Allerdings müssen wir die Fachleute vom MFAS miteinbeziehen; denn schließlich ist dort die Zuständigkeit für die psychotherapeutische Ambulanz angesiedelt.

Wie komplex dieses Thema sein wird, zeigt allein die finanzielle Unterstützung für die Therapie. Bereits im Jahr 1995 hat das Justizministerium auf Praxiserfahrungen der sozialen Dienste der Strafrechtspflege reagiert und Mittel für die Behandlungskosten bereitgestellt. Zumindest hat es garantiert, in Vorleistung zu treten, bevor andere den Ball erst einmal hin- und herschieben.

Lassen Sie uns deshalb im Ergebnis feststellen: Wir wollen die Ärmel hochkrempeln, wir wollen mitarbeiten. Ich denke, wir werden auch einvernehmlich zu einem vernünftigen Ergebnis kommen. Aber parallel dazu - das muss man der Realität halber dazu sagen - werden wir uns immer fragen müssen: Wer soll das bezahlen? - Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Beratung, und wir kommen zur Ausschussüberweisung.

Mit dem Antrag sollen federführend der Ausschuss für Rechts- und Verfassungsfragen und mitbera

tend der Ausschuss für Sozial- und Gesundheitswesen, der Ausschuss für innere Verwaltung und der Ausschuss für Gleichberechtigung und Frauenfragen befasst werden. Wenn Sie so beschließen möchten, dann bitte ich um Ihr Handzeichen. Vielen Dank. Sie haben so beschlossen.

Ich rufe auf

Tagesordnungspunkt 27: Erste Beratung: Einsetzung eines Petitionsausschusses des Niedersächsischen Landtages - Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen – Drs. 14/2846

Der Antrag wird eingebracht durch den Kollegen Schröder.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Bei diesem Thema erwarte ich weniger Einmütigkeit als eben; denn die Frage, ob der Landtag einen eigenständigen Petitionsausschuss haben sollte, wird wohl nicht nur zwischen den Fraktionen, sondern auch innerhalb der Fraktionen kontrovers diskutiert.

Für das Verfahren, das wir gewählt haben – nämlich die Behandlung der Eingaben in den zuständigen Fachausschüssen -, gibt es in der Tat gute Argumente. Ich will daran erinnern, dass wir Grünen in der Vergangenheit diese Position mehrfach vertreten haben, während die SPD beispielsweise 1986 einen eigenständigen Petitionsausschuss und ein umfassendes Petitionsgesetz gefordert hat, allen voran der heutige Abgeordnete Gerhard Glogowski.

Andererseits gibt es inzwischen vermehrt Anzeichen dafür, dass der Sonderweg, den Niedersachsen seit 1967 beschreitet - wir sind bekanntlich das einzige Landesparlament ohne einen solchen Petitionsausschuss -, überdacht werden muss. Ich will nur einige wenige Gesichtspunkte herausgreifen.

Die Enquete-Kommission „Parlamentsreform“ hat eine sehr interessante Anhörung zu der Frage durchgeführt, wie eigentlich Petitionen in unseren Nachbarländern bearbeitet werden. Das Ergebnis war für alle Anwesenden schon einigermaßen überraschend. In Nordrhein-Westfalen beispielsweise ist der Petitionsausschuss der größte Ausschuss