Protokoll der Sitzung vom 16.11.2001

Vielen Dank, Frau Kollegin. - Herr Innenminister Bartling hat das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In dieser Angelegenheit ist der Innenausschuss dieses Hauses am 7. November durch die

Landesregierung umfassend unterrichtet worden. In dieser Sitzung ist im Einzelnen ausführlich dargelegt worden, dass es sich bei der vom Landesbeauftragten für den Datenschutz kritisierten Maßnahme nicht um eine Rasterfahndung im Sinne des § 45 Niedersächsisches Gefahrenabwehrgesetz und auch nicht um deren Vorbereitung gehandelt hat, sondern um eine herkömmliche kriminalistische Ermittlungsmethode. Es sind die Rechtsgrundlagen für die Datenerhebung und übermittlung durch die Ausländerbehörden und die Datenverarbeitung durch das LKA genannt worden. Es ist im Einzelnen dargelegt worden, dass aufgrund der Faktenlage nach dem Terroranschlag in New York die Voraussetzungen einer konkreten Gefahr vorlagen. Es ist festgestellt worden, dass die Überprüfung der ausländischen Studenten aus islamischen Herkunftsstaaten als Maßnahme zur Gefahrenabwehr geeignet, erforderlich und verhältnismäßig war.

Dies alles ist auch dem Herrn Datenschutzbeauftragten inzwischen noch einmal schriftlich übermittelt worden. Der Innenausschuss des Landtages hat keine Veranlassung gesehen, an der Rechtmäßigkeit des Vorgehens des Innenministeriums zu zweifeln. Soweit durch öffentliche Äußerungen von Angehörigen des Innenministeriums Irritationen entstanden sind, sind diese im Einzelnen ausgeräumt worden.

Meine Damen und Herren, alle Beteiligten sind davon ausgegangen, dass dieser Vorgang damit erledigt ist. Allein die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen sieht sich nun bemüßigt, alles noch einmal aufzuwärmen. Sie meint, der Datenschutzbeauftragte müsse vor Nachstellungen des Niedersächsischen Innenministeriums bewahrt werden.

Meine Damen und Herren, der Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen ist überflüssig. Weder muss der Datenschutzbeauftragte vor unangemessener Kritik in Schutz genommen werden noch bedarf es einer Aufforderung an die Landesregierung, den Datenschutzbeauftragten zu unterstützen. Die Landesregierung respektiert die Rechtsstellung des Datenschutzbeauftragten, so wie sie im Niedersächsischen Datenschutzgesetz festgeschrieben ist. Sie hilft ihm bei der Durchführung seines gesetzlichen Auftrages. Für irgendwelche Ermahnungen an die Landesregierung besteht keine Veranlassung.

Meine Damen und Herren, das Recht auf informationelle Selbstbestimmung zu bewahren ist auch

der Landesregierung ein wichtiges Anliegen. Aber noch wichtiger, als die Bevölkerung vor einem vermeintlich informationssüchtigen Staat zu schützen, ist es, sie vor Verbrechen und terroristischer Bedrohung zu schützen.

(Beifall bei der SPD und bei der CDU)

Ich bin davon überzeugt, dass sich unsere Bevölkerung heute mehrheitlich weniger vom Staat in ihren Grundrechten bedroht sieht als vielmehr - da unterscheiden wir uns, verehrte Frau Stokar primär ganz andere Gefahren fürchtet. Deswegen wollen die Menschen nicht, dass der Staat geschwächt wird, sondern sie erwarten, dass dem Staat wirksame Mittel zur Verfügung gestellt werden, um sie vor diesen Gefahren zu schützen.

Zur Sache will ich noch Folgendes sagen: Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat in geradezu grotesker Verzerrung der tatsächlichen Sach- und Rechtslage in einer Presseerklärung gefordert, der Vorgang müsse strafrechtlich überprüft werden, was ja wohl nichts anderes heißt, als dass die zuständigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter meines Hauses bestraft werden sollen. Hierzu kann ich nur sagen, dass Sie in ihrer Pressemitteilung offenbar jegliches Maß verloren haben. Ich frage Sie, Frau Stokar: Was hätten Sie gesagt, wenn die von Ihnen so heftig kritisierte Sichtung der Ausländerakten nicht erfolgt wäre und es hätte einen weiteren Terroranschlag gegeben, begangen von einem Studenten einer niedersächsischen Hochschule aus einem islamischen Herkunftsstaat, der möglicherweise hätte verhindert werden können? - Ich bin davon überzeugt, dass Sie Ihre Frage nach der strafrechtlichen Verantwortlichkeit dann in einem ganz anderen Licht gestellt hätten.

Meine Damen und Herren, das Niedersächsische Innenministerium trägt die Verantwortung für die öffentliche Sicherheit in diesem Land. Es wird auch in Zukunft alles tun, um potenzielle Terroristen zu identifizieren und dingfest zu machen. Hierzu gehören neben dem Einsatz der neu in das Gefahrenabwehrgesetz aufgenommenen Rasterfahndung auch sämtliche herkömmlichen kriminalistischen Ermittlungsmethoden, insbesondere auch die Überprüfung ausländischer Staatsangehöriger mit Hilfe der bei den Ausländerbehörden geführten Akten. Es wäre unverantwortlich gewesen, vorhandene Informationen nicht zu nutzen, um potenzielle Terroristen aufzuspüren.

(Beifall bei der SPD)

Vielen Dank, Herr Minister. - Das Wort hat jetzt der Kollege Schünemann.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die schrecklichen Ereignisse vom 11. September dieses Jahres und die bittere Erkenntnis daraus, dass diese Terroranschläge zum Teil, vielleicht sogar zum überwiegenden Teil in Deutschland vorbereitet worden sind, hat die Sicherheitskräfte in Deutschland gezwungen, sehr schnell zu reagieren. Ich glaube, es ist - immer noch - das Wichtigste, dass wir die so genannten Schläfer, also diejenigen, die über Monate und Jahre hinweg unerkannt geblieben sind und solche Terroranschläge vorbereiten konnten, so schnell wie möglich ausfindig und dingfest machen können.

(Beifall bei der CDU und bei der SPD)

Dazu ist eine Reihe von Maßnahmen notwendig. Eine gute Möglichkeit ist die Rasterfahndung. Diese Rasterfahndung musste so schnell wie möglich eingeleitet werden. Nur war das hier in Niedersachsen leider nicht möglich, weil wir eines der wenigen Bundesländer waren, in dem diese Rasterfahndung gesetzlich nicht geregelt war. Das -- das muss man hier feststellen - war schlichtweg ein Fehler.

(Beifall bei der CDU)

Aber, Herr Innenminister, Sie befanden sich natürlich in einer sehr schwierigen Situation. Ich will Ihnen durchaus zugestehen, dass es notwendig gewesen ist, umgehend an Daten zu kommen und zu versuchen, Informationen von den Universitäten einzuholen, um herauszufinden, ob vielleicht auch unter den Studenten so genannte Schläfer sind. Aber das Problem war, dass eine eindeutige gesetzliche Regelung nicht vorhanden war. Deshalb waren Sie gezwungen, nach Hilfskonstruktionen zu suchen. Diese sind ja im Innenausschuss dargelegt worden. Sie haben sich insoweit auf die §§ 75 und 76 des Ausländergesetzes bezogen und haben einige Paragrafen aus dem Gefahrenabwehrgesetz zitiert. Der Landesbeauftragte für den Datenschutz hat jedoch zu Recht gesagt, dass der Versuch, auf der Grundlage dieser Paragrafen eine solche Da

tenfülle zu bekommen, voraussetzt, dass von den davon Betroffenen eine unmittelbare Gefährdung ausgeht.

Insofern ist das, was Sie getan haben, zumindest rechtlich interpretierbar. Das aber ist gerade in dieser Situation schwierig; denn damit gefährden Sie es, Herr Innenminister, dass die Bürger solche Maßnahmen in großem Umfang akzeptieren. Im Moment ist die Akzeptanz der Bürger, insbesondere was die Rasterfahndung angeht, sehr groß. Aber wenn man so etwas durchführt, muss die gesetzliche Grundlage dafür eindeutig sein. Deshalb war es ein Riesenfehler, dass Sie auf unsere Vorschläge nicht eingegangen waren und die Rasterfahndung in Niedersachsen nicht schon längst eingeführt hatten.

(Beifall bei der CDU)

Der Landesbeauftragte für den Datenschutz hat zumindest laut Presseberichten - erklärt, dass er eine Abmahnung bekommen sollte. Ich halte so etwas angesichts der Situation, die man sich vor Augen führen muss, für schlichtweg übertrieben. Sie, Herr Innenminister, haben allerdings eine Abmahnung dafür verdient, dass Sie nicht auf unsere Vorschläge eingegangen sind und dass Sie so eine rechtliche Situation herbeigeführt haben, in der Sie selbst unter Druck geraten sind.

(Beifall bei der CDU - Collmann [SPD]: Herr Kollege Schünemann, jetzt übertreiben Sie maßlos!)

Meine Damen und Herren, natürlich verunsichert es die Öffentlichkeit auch, wenn Ihr Staatssekretär in einem - -

(Lanclée [SPD]: Sie verunsichern die Öffentlichkeit damit!)

- Herr Lanclée, wenn Sie 1995 und 1997 unseren Gesetzentwürfen zugestimmt hätten, dann wären Sie nicht in so eine peinliche Situation geraten, die Sie selber vor wenigen Wochen erleben mussten.

(Beifall bei der CDU - Lanclée [SPD]: Hellseher, alles Hellseher!)

Meine Damen und Herren, der Staatssekretär im Innenministerium hat während einer NDRSendung gesagt, dass man die Daten, die man von den Universitäten gesammelt hat, nicht an das LKA weitergegeben habe, weil das aus rechtlichen Gründen im Moment noch nicht möglich sei und

der Landtag zuvor die Einführung der Rasterfahndung beschließen müsse.

Meine Damen und Herren, daran sehen Sie, dass Sie selber nicht genau wissen, ob das alles rechtlich in Ordnung ist. Wenn er da einen Fehler begangen hat, dann hätte er doch vor der Öffentlichkeit entweder seinen Fehler einräumen oder aber klarstellen müssen, dass er insoweit eine andere Meinung als der Innenminister vertritt. Wir können es beim besten Willen nicht akzeptieren, dass in der Öffentlichkeit zwei unterschiedliche Meinungen - die des Staatssekretärs und die des Innenministers - vertreten werden.

(Frau Stokar von Neuforn [GRÜNE]: Und die vom LKA-Chef!)

Das ist es, was die Öffentlichkeit verunsichert.

(Beifall bei der CDU)

Der Datenschutz ist ein ganz wichtiges Gut. Es ist notwendig, dass der Landesbeauftragte für den Datenschutz nicht nur in Zeiten, in denen wir aufgrund der Sicherheitslage einschneidende Maßnahmen durchführen müssen, unabhängig und ohne Druck arbeiten kann. Wir haben Ihnen in diesem Zusammenhang vor wenigen Monaten eine Empfehlung gegeben. Es ist schon schwierig, wenn der Datenschutzbeauftragte nicht nur der Rechtsaufsicht, sondern in Teilen eben auch der Fachaufsicht des Innenministers unterliegt. Ich meine, dass man insoweit über eine andere Konstruktion nachdenken sollte. Es sollte nicht einmal der Anschein erweckt werden, dass der Landesbeauftragte für den Datenschutz nicht unabhängig agieren kann.

(Beifall bei der CDU - Frau Stokar von Neuforn [GRÜNE]: Einmal sind wir einer Meinung!)

- Frau Stokar, jetzt muss ich Sie aber leider Gottes doch enttäuschen.

(Frau Stokar von Neuforn [GRÜNE]: Es reicht ja einmal!)

Ich habe mir Ihren Antrag und insbesondere dessen Begründung noch einmal genau angeschaut. Darin haben Sie eine Aussage des Bundesinnenministers kritisiert. Leider haben Sie Ihre Kritik auch eben wieder angedeutet. Diese Kritik kann ich beim besten Willen nicht verstehen. Sie kritisieren massiv den Satz: „Datenschutz darf kein Terroristenschutz sein.“ Meine Damen und Herren, ich kriti

siere den Bundesinnenminister dafür, dass er oftmals kluge Sprüche macht und anschließend keine Taten folgen lässt.

(Beifall bei der CDU)

Aber wenn dieser Satz nicht stimmt, Frau Stokar von Neuforn, dann weiß ich nicht, was man in der derzeitigen Situation noch machen muss. Datenschutz darf kein Täterschutz sein, darf auch kein Terroristenschutz sein. Das muss klar sein - auch für die Grünen.

(Beifall bei der CDU - Frau Stokar von Neuforn [GRÜNE]: Ist er auch nicht!)

Deshalb sollten wir uns alle darauf konzentrieren, wie wir die Sicherheitslage verbessern können. Dazu gehört eben, dass wir alle Rechtsnormen einem Sicherheitscheck unterziehen. Wir müssen prüfen, ob Datenschutzordnungen tatsächlich verindern, dass wir Erkenntnisse erhalten, die der Gefahrenabwehr dienen.

Lassen Sie mich das Beispiel noch einmal anführen: Es kann doch wirklich nicht sein, dass wir jemandem, der in Algerien - auch unter Anwendung von Gewalt - einen fundamentalistischen Gottesstaat errichten will, den wir ausweisen und der bei uns Asyl sucht, Asyl gewähren müssen, weil ihm dann, wenn wir ihn abschieben würden, möglicherweise Folter oder die Todesstrafe droht, und dass das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge die gewonnenen Erkenntnisse und Daten nicht an die Polizeibehörden weitergeben darf. Das können wir nicht hinnehmen. Das ist Wahnsinn. Das muss abgeschafft werden. Deshalb lassen Sie uns darauf konzentrieren.

(Beifall bei der CDU)

Lassen Sie mich abschließend Folgendes sagen, meine Damen und Herren: Der Innenminister hat aus meiner Sicht einen Fehler begangen,

(Biel [SPD]: Das glaube ich nicht! - Collmann [SPD]: Er hat keinen Fehler gemacht!)

weil er sich in einer schwierigen Situation befunden hat. Er hatte keine eindeutige gesetzliche Grundlage, um die Daten zu erheben. Das ist schwierig. Dann hat er den Datenschutzbeauftragten massiv kritisiert. Es ist aber nun einmal leider so, dass man in einer schwierigeren, schwächeren

Situation versucht, harte Worte zu finden. Das ist sicherlich nicht richtig. Es wäre sinnvoll gewesen, wenn Sie den Vorschlägen der Opposition, insbesondere meiner Fraktion, frühzeitiger gefolgt wären, denn dann wären Sie nicht in diese Lage hineingeraten. Ich meine, dass Sie unsere Vorschläge auch auf anderen Feldern beherzigen sollten.

(Collmann [SPD]: Immer wieder vor- gestern, Herr Schünemann! Was soll das?)