Protokoll der Sitzung vom 12.12.2001

Das können Sie auch nicht mehr, weil Ihre Redezeit abgelaufen ist.

Das ist klar, Herr Präsident. - Ich möchte nur noch einen schönen Satz, den wir bedenken müssen, an den Schluss meiner kurzen Ausführungen stellen. Bei allen Überlegungen zur Weiterentwicklung unseres Bildungssystems muss ein Grundsatz gelten: Kinder sind keine Fässer, die gefüllt werden, sondern Feuer, die entfacht werden wollen. Das ist das Maß unserer Dinge.

(Beifall bei der CDU)

Frau Ministerin Jürgens-Pieper hat das Wort. Bitte schön!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Klare hat zum Schluss richtig gesagt, dass die Komplexität der Befunde keine einfachen Lösungen zulässt. Das will ich ganz deutlich unterstreichen. Auch die Presseberichterstattung zu Beginn der PISA-Studie hat leider den Eindruck erweckt, als wenn einfache Lösungen Platz greifen könnten. Sie haben gerade leider wieder die Pirouette zu den alten Themen gedreht, die Sie angeblich aus dieser Studie herauslesen können. Ich würde das gerne mit Ihnen einmal machen. Ich finde, der Zwischenruf war an dieser Stelle berechtigt.

Die Durchführung der PISA-Studie ist das beste, was die KMK in den letzten zehn Jahren beschlossen hat. Dies ist unter der Präsidentschaft von Rolf Wernstedt beschlossen worden, und zwar nach der TIMSS-Studie, weil wir wussten, dass es den Mythos, den Sie beschreiben, nicht gibt, weil wir wussten, dass wir in Deutschland Defizite haben und diese kennenlernen wollten, und weil es an der Zeit ist, festzustellen, ob andere Länder mit ihren Maßnahmen,

(Möllring [CDU]: Das ist Ihnen vor- her nicht aufgefallen?)

die übrigens in Ihrem Programm nicht vorgesehen sind, nämlich Qualitätssicherungsmaßnahmen, bessere Erfolge haben.

(Beifall bei der SPD - Busemann [CDU]: Bei uns heißt das Programm Qualitätsschule! - Weitere Zurufe von der CDU)

Es geht hierbei vor allem um Qualitätssicherung. Die PISA-Studie hat dazu geführt, dass alle Kultusminister sieben Handlungsfelder gefunden haben, auf denen wir uns bewegen wollen. Ich will noch einmal darauf hinweisen - ich hatte manchmal den Eindruck, wir redeten über eine niedersächsische Studie -, dass wir auch eine niedersächsische Studie gemacht haben. Die gibt auch eine Menge Erkenntnisse, Frau Litfin, die Sie offensichtlich nicht wahrnehmen, z. B. zur sozialen Selektivität. Diese Studie ist auch ganz wichtig, und beide Studien ergänzen sich hervorragend.

(Frau Harms [GRÜNE]: Eben! Aber wo bleiben die Konsequenzen?)

Deshalb werden wir diese beiden Studien zusammen auswerten und im nächsten Frühjahr zur einer Schulreform kommen.

(Frau Harms [GRÜNE]: Die Reform war schon vor der Studie fertig!)

Die sieben Handlungsfelder, die die Kultusministerkonferenz identifiziert hat, sind nicht so strittig, wie Sie hier tun. Ich finde, es ist sinnvoll - das ist bereits erwähnt worden -, über den vorschulischen Bereich sowie über die Verzahnung und stärkere Kooperation von Vor- und Grundschule zu reden, vor allem über mehr Verbindlichkeit. Wir müssen in der Grundschulphase und davor die Sprachkompetenz schulen. Die Gutachterexperten sagen deutlich, die Grundschule ist der Ort, an dem die Grundlegung vorgenommen werden muss. Das ist nicht neu. Aber ich finde, wir haben es jetzt belegt bekommen, dass die Sprachkompetenz der Schlüssel für alles andere ist, und zwar auch für andere Schulfächer.

(Zuruf von Frau Litfin [GRÜNE])

Ich meine, die Verlässliche Grundschule - Frau Litfin, Sie können noch so viel schreien - zeigt deutlich, was ich will, nämlich eine Umschichtung im Schulwesen in Richtung Grundschule. Die

OECD hat uns vorgeführt, dass wir in Deutschland in der Sekundarstufe II und im Hochschulwesen viel Geld, aber für die Grundlegung, für die kleinen Kinder nur wenig Geld ausgeben. Ich habe das geändert. Wir haben gemeinsam mit der Fraktion 85 Millionen DM für Lehrerstunden und Lehrerstellen in der Verlässlichen Grundschule, und zwar nicht für Betreuung, sondern für eine erhöhte Stundentafel, zur Verfügung gestellt. Wir werden weiter an den Maßnahmen zur Qualitätssicherung arbeiten.

(Beifall bei der SPD)

Leistungsüberprüfungen sind bei Ihnen immer umstritten gewesen. Im Ausland sind sie üblich. Wir werden in die OECD-Länder sehen und feststellen, dass das, was ich bereits begonnen habe, offensichtlich Erfolgsfaktoren für eine bessere Unterrichtsqualität ist.

Wir haben im Haushalt das Ganztagsprogramm aufgelegt. Auch in diesem Programm wird gesagt, dass die Kinder mehr Zeit brauchen, um Förderangebote wahrnehmen zu können. Diese müssen allerdings verbindlich sein. Wir haben festgestellt, dass Familien mit Migrationshintergrund benachteiligt sind.

(Klare [CDU]: Aber Sie haben sie ge- strichen!)

Wir sollten versuchen, dieses auszugleichen.

Ich meine, dass wir mit dem DIPF-Gutachten und der PISA-Studie die gute Chance haben, eine Ergänzung vorzunehmen, um zu einer grundlegenden Schulreform zu kommen. Das Schulwesen gehört in Deutschland auf den Prüfstand. Wir werden noch sehen, wo Niedersachsen im Vergleich zu anderen Ländern steht. Die Ergänzungsstudie wird im Laufe des nächsten Jahres kommen. Ich meine, wir haben die gute Chance, auf der Grundlage unseres Gutachtens und auf der Grundlage der PISA-Studie sowohl strukturelle als auch inhaltliche Veränderungen vorzunehmen. - Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD)

Vielen Dank. - Herr Kollege Schwarzenholz, Sie haben das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Als diese Debatte heute begann, habe ich gedacht, ich hätte die Zusammenfassung nicht richtig verstanden. Die PISA-Studie ist eine Bewertung der bundespolitischen Situation im Schulbereich und keine Bewertung der niedersächsischen Schulsituation. Man muss sich nun natürlich fragen, was das in der Summe bedeutet.

Die Studie hat gezeigt, dass das Schulsystem in einem Land, in dem zwar eine föderale Verantwortung für die Bildung besteht, in dem aber gleichzeitig aus historischen und aus ideologischpolitischen Gründen das am schärfsten aufgeteilte Schulsystem Europas existiert und die Separierung der Schüler am schärfsten durchgeführt wird - in den überwiegenden Fällen wird bereits ab der vierten Klasse separiert; in Niedersachsen ist zumindest bis zur sechsten Klasse eine gemeinsame Beschulung möglich -, ein katastrophales Ergebnis liefert. Ich frage mich: Wie gehen konservative Schulpolitiker mit der Erkenntnis um, dass ausgerechnet Länder, in denen integrierte Schulsysteme bis zur zehnten Klasse die Regel sind, in denen die gemeinsame Beschulung, zwar mit Differenzierung innerhalb der Schulsysteme, die Regel ist, im Leistungsvermögen und - das ist besonders wichtig - in der Chancengleichheit der Kinder - die Frage, ob man aus einem Arbeiterhaushalt kommt, die Eltern arbeitslos sind oder ob die Eltern Einwanderer waren, sind für die Bildungschancen nicht so entscheidend wie in Deutschland - deutlich besser sind als wir? Das ist die spannende Frage.

Die Debatte über die Eingrenzung integrierter Unterrichtung und die Abschaffung der Orientierungsstufe, die wir gegenwärtig in Niedersachsen führen, geht offensichtlich in die falsche Richtung und liefert die falschen Antworten. Wir brauchen doch offensichtlich mehr qualitativen Unterricht, aber gleichzeitig mehr integrierten Unterricht. Wir brauchen auch mehr Motivation.

Der Herr Ministerpräsident muss sich fragen lassen, ob die diskutierte Einführung von Förderstufen in Niedersachsen, die zwar ein beispielloses Investitionsprogramm im Bausektor auslösen wird, gleichzeitig aber ein Stilllegungsprogramm von Schulräumen an anderen Orten sein wird und kein zusätzliches Geld in die Qualität der Förderung und die Chancengleichheit unserer Kinder stecken wird, die Antwort auf die PISA-Studie ist. Herr Ministerpräsident, ich frage Sie allen Ernstes:

Sollten wir, anstatt schulseparierte Förderstufen einzurichten, nicht ernsthaft darüber diskutieren, ob wir aus der Tatsache, dass für die Ergebnisse z. B. an unseren Gesamtschulen die soziale Herkunft der Kinder nicht diese entscheidende Rolle spielt und wir es schaffen, Kinder, die in der Gesamtschule beschult werden, zum Abitur, zu hochwertigen Bildungsabschlüssen zu führen, Konsequenzen ziehen müssen? Ist es nicht ein Skandal, dass es bei uns in Niedersachsen kein flächendeckendes Gesamtschulangebot gibt? In der Stadt Salzgitter haben wir die niedrigsten Gymnasial- und Abiturientenanteile. Da gibt es keine Gesamtschule, obwohl die soziale Herkunft der Kinder insbesondere in solchen Städten eine Gesamtschulunterrichtung erfordert.

Ich frage Sie nachdrücklich, ohne dass ich mich in der Lage sehe, alle Konsequenzen aus der PISAStudie zu ziehen: Benötigen wir im Vergleich mit Schweden und Finnland und im internen Vergleich mit den Schulen, in denen integriert unterrichtet wird, nicht mehr integrierte Unterrichtung und nicht einen forcierten schrittweisen Ausbau unserer Schulsysteme zu einem Gesamtschulsystem bis zur zehnten Klasse? Brauchen wir das nicht als Regelschulsystem? Ist das nicht die Herausforderung? Sind die konservativen Antworten, denen Sie zuneigen, nicht die Antworten einer gescheiterten Politik, mit denen weder soziale noch Bildungsfragen vernünftig gelöst werden können?

Vielen Dank. - Frau Kollegin Harms, Sie haben das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Meine Fraktion war bei der Vorbereitung auf diese Aktuelle Stunde ziemlich gespannt darauf, ob die Ergebnisse der PISA-Studie und die öffentliche Debatte in der Bundesrepublik und in ihrer eigenen Partei diese Landesregierung noch einmal veranlasst, über diese angebliche Schulreform, die da in der Mache ist, nachzudenken. Auch der Redebeitrag der Kollegin Seeler, die nichts als Fragen zu stellen hatte, hat mich noch einmal hoffen lassen, dass Sie ins Schwanken geraten sind. Aber offensichtlich sind die Sozialdemokraten auch nach PISA einfach unbeirrbar.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, ich finde, das ist für eine sozialdemokratische Landesregierung wirklich blamabel. Es wundert mich nicht, dass die CDU mit der Haupterkenntnis der PISA-Studie, nämlich dass die sozial Schwachen in unserem Bildungssystem einfach immer weniger Chancen haben und wir in der Bundesrepublik in den letzten Jahren nichts als Chancenungleichheit organisiert haben, nichts anfangen kann; denn das ist die Partei, die gar nicht früh genug zum dreigliedrigen Schulsystem zurückkehren kann.

(Beifall bei den GRÜNEN und von Abgeordneten der SPD - Klare [CDU]: Wenn Sie vorhin ein wenig zugehört hätten, dann wüssten Sie es besser!) )

Aber dass Sie, meine Damen und Herren von der Sozialdemokratischen Partei, die der Chancengleichheit in der Bildungspolitik einen so hohen Stellenwert einräumt, so wenig irritiert sind, verstehe ich nicht.

Wir haben meines Erachtens nach der Veröffentlichung der PISA-Studie die Chance, jetzt über diese große Schwäche des deutschen Bildungssystems dieses harte Selektieren und die ausschließliche Möglichkeit, eine nach unten orientierte Karriere zu machen, wenn man einmal falsch einsortiert ist - zu diskutieren. Wir sind aber in der Gefahr, diese Chance durch eine Reform - so haben sich auch Herr Denia und Herr Toelle aus dem gewerkschaftlichen Bereich geäußert -, die keine Reform, sondern eine Sackgasse ist und das dreigliedrige System wieder verschärft, zu verpassen. Sie rennen in eine Sackgasse, Sie verspielen Ressourcen und Energien und kommen über das, was Sie zusammengestoppelt haben, nicht hinaus.

(Beifall bei den GRÜNEN - Frau Pothmer [GRÜNE]: Allein aus macht- politischen Gründen! - Plaue [SPD]: Sie haben nichts verstanden!)

Meine Damen und Herren, aus meiner Sicht ist, was die Perspektive der bildungspolitischen Diskussion in Niedersachsen angeht, diese Aktuelle Stunde für Sie die Möglichkeit, Fehler, falsche Einschätzungen und falsche Weichenstellungen zuzugestehen. Gehen Sie zurück auf „Los“ und fangen Sie mit PISA noch einmal von vorne an. Wenn Sie diese grundlegenden Konsequenzen nicht ziehen wollen, dann sparen Sie sich in Zukunft solche Studienprojekte. Sie können nicht auf

der einen Seite solche Studien und wissenschaftlichen Arbeiten loben und Aussagen von Wissenschaftlern immer wieder zitieren, die Empfehlungen dieser Wissenschaftler aber in den Wind schlagen.

Frau Ministerin, wenn Sie nicht in der Lage sind, Ihre so genannte Bildungsreform - so bezeichnen Sie sie ja immer noch - so zu erklären, dass Ihr eigener Fraktionsvorstand im öffentlich-rechtlichen Fernsehen in Niedersachsen erläutern kann, was unter dieser Reform eigentlich zu verstehen ist, dann habe ich den Eindruck, dass Sie nicht nur ein kommunikatives Problem haben, sondern dann müssen Sie zugeben, dass bisher weder Sie noch Ihre Kollegen verstanden haben, wohin es in der niedersächsischen Bildungspolitik eigentlich gehen soll.

(Plaue [SPD]: Aber Sie haben es ka- piert! Sie haben Ihre eigenen Worte nicht kapiert!)

- Herr Plaue, fünf Kollegen aus der SPD-Fraktion drei aus Ihrem Fraktionsvorstand - sollten im Fernsehen die Frage beantworten, was unter dieser Bildungsreform zu verstehen sei. Fünf Kollegen aus der SPD, fünf Antworten, und niemand hat es verstanden! Insofern wäre vielleicht auch einmal unter den Bildungspolitikern der SPD Bildung, Fortbildung, Qualifizierung angebracht.

(Beifall bei den GRÜNEN - Plaue [SPD]: Nein! Das war überhaupt nicht die Frage! Es ist doch unglaublich, was Sie da erzählen! Völliger Quatsch! Solch ein Unsinn! Sie sagen entweder wissentlich die Unwahrheit, oder Sie haben sich nicht informieren lassen!)

Das Wort hat der Herr Ministerpräsident.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Offensichtlich ist eine Debatte über PISA und das Gutachten zur Orientierungsstufe in Niedersachsen eher die Stunde der Theologen als die der Bildungspolitiker,

(Lachen bei der CDU und bei den GRÜNEN - Frau Harms [GRÜNE]: Das sagt aber der Richtige!)

weil im Wesentlichen Glaubenssätze ausgetauscht werden.

Frau Harms, ich habe Verständnis dafür, dass sich die Grünen nach der Entwicklung, die sie genommen haben, freuen, endlich einmal wieder eine Systemfrage stellen zu können. Aber das hat relativ wenig mit dem Ergebnis der PISA-Studie zu tun;

(Beifall bei der SPD - Frau Harms [GRÜNE]: Chancengleichheit!)