Eines ist auch sicher, Herr Kollege Mühe: Wir sind in Niedersachsen noch lange kein kinderfreundliches Land in der Relation zu anderen Ländern, die wesentlich mehr für ihre Kinder tun. Wir wollen auch in Niedersachsen mit der Entwicklung Schritt halten. Wir wollen, dass in den Kitas nicht nur der Aspekt der Betreuung so viel Bedeutung einnimmt, sondern dass auch der Aspekt der Erziehung und insbesondere der Aspekt der Bildung mehr Beachtung finden. Wir haben dazu während des letzten Plenums einen Antrag eingebracht.
Ich halte es für wichtig, dass man das noch einmal in den Vordergrund stellt, dass wir erwarten, dass die Eltern erwarten, dass tatsächlich die Erzieherausbildung auf den neuesten Stand gebracht wird. Wir erwarten, die Eltern erwarten, dass der Bildungsauftrag in den Kitas ernst genommen wird, dass er umgesetzt wird.
Wir sehen in der heutigen Verabschiedung des Gesetzes einen ersten Schritt in die richtige Richtung, wünschen uns aber, dass danach nicht stehen geblieben wird, sondern dass es heißt, die Basiskompetenzen der Kinder entsprechend zu fördern. Dafür setzen wir uns ein. Deswegen werden wir
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Landesregierung hat am 30. Oktober entschieden, dem Landtag die Verabschiedung des ursprünglichen Kindertagesstättengesetzes noch in diesem Jahr mit der Folge des In-Kraft-Tretens am 1. Januar 2002 zu empfehlen. Nach dem Beschluss des Kabinetts wurde dem Landtag unverzüglich der Gesetzentwurf des Volksbegehrens gemäß Artikel 48 Abs. 3 Satz 2 der Niedersächsischen Verfassung zugeleitet.
Ich bin allen Fraktionen dafür dankbar, dass sie beabsichtigen, dem Votum zu folgen. Deswegen ist es bemerkenswert, dass es trotz der grundsätzlichen Übereinstimmung in der Debatte offensichtlich doch noch einmal darum ging, die Unterschiede herauszustellen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, mit den Vertreterinnen und Vertretern der Initiative Volksbegehren, mit den Kommunen und mit den Trägerverbänden wurde u. a. verabredet, dass die Finanzhilfe des Landes erst ab 1. August 2002 wieder direkt gezahlt werden soll. Dies verschafft auch mir die Möglichkeit, die Regelungen über die Auszahlung der Mittel zu vereinfachen. Das liegt im Interesse der freien Träger und der kommunalen Träger. Es ist also ein sinnvoller Kompromiss zwischen dem Wunsch, einerseits möglichst schnell den ursprünglichen Rechtszustand wieder herzustellen und andererseits auf notwendige Umstellungen in der Praxis der Träger und Kommunen Rücksicht zu nehmen.
Wie Sie wissen, sind wesentliche Standards und Detailregelungen zur Finanzhilfe in den beiden Durchführungsverordnungen zum Kindertagesstättengesetz enthalten. Entsprechend der Verabredung wird die Landesregierung diese Verordnungen zum 1. August 2002 erlassen.
Erziehung, Betreuung und Bildung der Kinder in Tageseinrichtungen, bereit, nach praxistauglichen Lösungen zu suchen. Ich meine, dass das eine gute Basis für die weitere Zusammenarbeit auf einem Feld ist, das zunehmende Aufmerksamkeit nicht nur in der Frauen- und Familienpolitik, sondern auch in der Bildungspolitik erfahren wird.
Lassen Sie mich abschließend noch darauf hinweisen, dass es 1999 die Absicht des Gesetzgebers war, den Kommunen mehr Eigenständigkeit und Flexibilität in der Wahrnehmung der Aufgabe der Kindertagesbetreuung zu verschaffen. Ich bin davon überzeugt, dass die Tagesbetreuung von Kindern so oder so in guten Händen liegt. Die gesellschaftliche Entwicklung wird gar nichts anderes zulassen. Das gilt in Bezug auf die Vereinbarkeit von Beruf und Familie genauso wie auf die Herausforderungen in punkto Bildung und Erziehung unserer Kinder.
In diesem Zusammenhang und angesichts der PISA-Studie werden wir uns nach einer Phase der Debatten über Standards, Finanzierung und Organisation zunehmend über die Rolle des Kindergartens im gesamten Erziehungsgefüge kümmern. Dazu hat uns die PISA-Studie deutliche Hinweise gegeben. Wir werden darüber in den Ausschüssen und im Plenum anlässlich der Beratung über den Entschließungsantrag zum Bildungsauftrag der Kindergärten diskutieren. Ich halte diese Debatten für notwendig und freue mich darauf. - Vielen Dank.
§ 1. - Wer der Änderungsempfehlung des Ausschusses zustimmen möchte, den bitte ich um ein Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Keine Gegenstimmen.
§ 2. – Wer stimmt der Änderungsempfehlung des Ausschusses zu? - Die Gegenprobe! - Damit ist auch dieser Paragraf verabschiedet.
Gesetzesüberschrift in der Fassung der Änderungsempfehlung des Ausschusses. - Ich bitte um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Keine Gegenstimmen.
Wir kommen zur Schlussabstimmung. Wer dem Gesetzentwurf zustimmen möchte, den bitte ich, sich zu erheben. - Die Gegenprobe! - Keine Gegenstimmen. Damit ist das Gesetz verabschiedet.
Rede des Bundestagspräsidenten Herrn Thierse aus Anlass des 12. Jahrestages des Mauerfalls und der Öffnung der innerdeutschen Grenze
Ausgehend vom 10. Jahrestag des Mauerfalls am 9. November 1999 hat der Niedersächsische Landtag den Landtagspräsidenten unseres Partnerlandes, Herrn Wolfgang Schaefer, den einzigen frei gewählten Ministerpräsidenten der DDR, Herrn Lothar de Maizière, und die Beauftragte für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR, Frau Marianne Birthler, vor seinem Plenum sprechen lassen.
Im Rahmen dieser Reihe habe ich in diesem Jahr den Präsidenten des Deutschen Bundestages, Herrn Wolfgang Thierse, gebeten, zu uns zu sprechen. Herr Thierse, ich begrüße Sie sehr herzlich in unserem Landtag.
Niedersachsen war das Land, das die längste innerdeutsche Grenze hatte, und hat daher in den Jahrzehnten der deutschen Teilung immer ein besonderes Augenmerk auf die Entwicklung in der DDR und auf die Probleme an der Grenze gehabt. Der unsagbar große Jubel und die in dem millionenfachen Spruch „Wahnsinn“ mündende Freude über das Ende von Bevormundung, Eingesperrtsein und realer Unterdrückung sind inzwischen einem mühsamen Alltag gewichen.
Wir erleben, wie schwierig die Verständigung zwischen Ost und West weiterhin ist. Spürbar ist dies nicht nur in den öffentlichen Reaktionen, sondern bis in die kleineren Kontakte hinein: Städteund Schulpartnerschaften arbeiten häufig nur dürftig, Lehreraustausch funktioniert fast gar nicht mehr, Vorurteile hüben und drüben sind feststellbar. Verwandte besuchen sich sogar seltener als noch zu DDR-Zeiten.
Erstaunt oder verständnislos wird registriert, dass die PDS in freien und geheimen Wahlen Stimmenergebnisse erzielt, die mit den Unfreiheitserfahrungen zu DDR-Zeiten so schlecht zusammenpassen. Viele Bürgerinnen und Bürger im Osten nehmen den Westen als arrogant wahr.
Nach zwölf Jahren des freien Kontaktes ist vieles weiterhin erklärungsbedürftig. Wir können in Deutschland glücklich sein, dass der dritte große politische Umbruch im letzten Jahrhundert nicht mit einem Weltkrieg verbunden, sondern friedlich war. Die Herbstereignisse 1989 in der DDR haben der deutschen Geschichte ein unverkennbares und unvergessliches Freiheitskapitel geschenkt. Und irgendwie gehen wir damit seltsam sperrig um, und dies angesichts viel schwerer wiegender weltpolitischer Themen, bei den von uns Deutschen insgesamt Engagement, Entschiedenheit, aber auch Besonnenheit erwartet wird.
Einer, der 1989 dabei war, der heute noch am Prenzlauer Berg wohnt und der eine weithin vernehmbare Stimme im Ost-West-Gedankenaustausch hat, ist der Bundestagspräsident Wolfgang Thierse: eigenständig im Denken, widerborstig in manchen Ansichten, elegant in der Sprache, aber authentisch wie so viele aus dem DDR-Widerstand.
Das ist ganz ungewöhnlich, dass man auf die Tische hauen muss. Im Bundestag klatscht man natürlich ganz traditionell in die Hände.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Für Ihre Einladung und die Möglichkeit, vor dem Landtag Niedersachsens sprechen zu dürfen, möchte ich Ihnen, Herr Präsident, und allen Mitgliedern des Landtages herzlich danken.
Das Thema, zu dem Sie mich eingeladen haben - die Einschätzung des Standes der deutschen Vereinigung -, hatte seinen Platz im politischen Festkalender am 3. Oktober des Jahres, dem Tag der deutschen Einheit. Nun zögere ich ein wenig, ob es
Nehmen sich unsere Probleme - auch unsere ostdeutschen Probleme - nicht geradezu komfortabel aus in einer Welt, die von tieferen Gegensätzen geprägt, von Gewalt und neuen Kriegsängsten gezeichnet ist? Plötzlich lernen wir wieder, wie stark die Zukunft von den großen alten Fragen der Politik abhängt. Begriffe wie Freiheit, Gerechtigkeit, Solidarität, vor allem aber Frieden und Sicherheit bestimmen wieder die Tagesordnung. Vor uns liegen Entscheidungen, die Staatsmacht und Staatskunst erfordern, hinter uns ein Jahrzehnt, in dem es ganz nach Bill Clintons Parole hieß, nur auf die Wirtschaft käme es an.
Spätestens seit dem 11. September haben uns die klassischen Herausforderungen, die politischer Verantwortung aufgegeben sind, eingeholt. „Frieden ist nicht alles. Aber ohne Frieden ist nichts.“ Auf diese Formel hatte Willy Brandt die Erfahrung seiner Generation gebracht. Es scheint, als wären wir schon wieder jenseits jener postmodernen Vision vom „Ende der Geschichte“, die vor kurzem den Anbruch eines neuen Zeitalters der Individualisierung der Chancen, der Deregulierung der Märkte und der Entstaatlichung der Gesellschaft propagierte, als ob eine allemal bessere Welt machbar wäre, so sie denn weniger Staat und Regeln hätte.
Ralf Dahrendorf, ein liberaler Vordenker, ein Prediger ziviler Tugenden und bürgerlicher Freiheiten, schrieb dieser Tage einen Aufsatz in der Frankfurter Allgemeinen unter der überraschenden Überschrift: „Recht und Ordnung“. „Spät, zu spät“, schrieb er, „kam... die Entdeckung..., dass die Beseitigung von Grenzen... auch für böse, ja zerstörerische Zwecke benutzt werden kann.“ Weil Zeiten des Wandels immer auch Zeiten der Auflösung sind, sieht Ralf Dahrendorf zwei Gefahren, die das „Fegefeuer der Modernisierung“ heraufbeschwört: die Gefahren der Anomie und der Tyrannei.
Konnten wir eine Ahnung von den Gefahren nicht schon diesseits von Afghanistan haben? Was anders ist die Renaissance ethnischer Konflikte in Europa oder rechtsradikaler Gewalt in unseren Regionen? Haben wir nicht hierzulande schon über Räume der Gesetzlosigkeit, so genannte national befreite Zonen, sprechen müssen, als wir den Terror fremdenfeindlicher Gewalt bei uns thematisierten?
Je deutlicher Erscheinungen von Anomie und sozialer Ausgrenzung ins Blickfeld treten - von Gewalt in Schulen bis zur Verödung der Kultur auf dem Markt kommerzieller Medien, von wachsender Jugendkriminalität über die Integrationsprobleme von Zuwanderern bis zu strukturell verfestigter Arbeitslosigkeit -, umso dringlicher stellt sich die Frage, wie wir sozialen Zusammenhalt in Zeiten beschleunigter Modernisierung erreichen.
Was hat das mit unserem Thema zu tun? - Zunächst nur so viel, dass die grundlegenden Prozesse ökonomischer und gesellschaftlicher Umgestaltung, wie uns auch die genannten negativen Folgeerscheinungen im vereinigten Deutschland nicht fremd sind und in Ostdeutschland die Probleme lediglich radikaler und bedrückender zutage getreten sind. Wir haben uns angewöhnt, in Bezug auf Ostdeutschland von „Übergangsproblemen“ zu sprechen, haben auf Alt- und Erblasten der DDR verwiesen. Nicht ganz zu Unrecht. Bislang galt, dass sich die Entwicklung Ostdeutschlands allmählich, aber zwangsläufig auf westdeutsches Niveau zubewegt. Wir hatten uns angewöhnt, den Stand der deutschen Vereinigung am Fortschritt der ostdeutschen Anpassung an westdeutsche Standards zu messen.
Wir hatten - um es mit einem Wort von Richard von Weizsäcker zu sagen - eine „Utopie des Status quo“: Für den Osten war es ein ehrgeiziges Ziel, für den Westen ein teures Unterfangen. Der Import des „Modells Deutschland“ bedeutete Gewissheit auf der einen, der Export ein unverhofftes Maß an Selbstbestätigung auf der anderen Seite.
Uneingeschränkt kann gelten: Der Aufbau einer parlamentarischen Demokratie, rechtsstaatlicher Verwaltungen und einer unabhängigen Justiz nach dem westdeutschen Muster sind ein Erfolg. Diese Vorgabe schaffte Orientierung und vermittelte Stabilität. Der Vorrang von Kontinuität sicherte uns die westdeutsche Bereitschaft, sich auf das kaum noch erwartete Experiment der deutschen Vereinigung einzulassen und den Osten mit außerordentlichen Leistungen zu unterstützen. Das nicht dankbar anzuerkennen, wäre schlichte, ja böswillige Ignoranz.
Im Vergleich zur politischen sieht die ökonomische Bilanz problematischer aus. Nach dem wirtschaftlichen Kollaps entwickelte sich die ostdeutsche Wirtschaft von 1992 bis ins Jahr 1995 hinein mit zweistelligen Wachstumsraten. In diesem Zeitraum schien also das Konzept nachholender Mo
dernisierung auch wirtschaftlich aufzugehen. Seitdem aber kam der Aufholprozess nicht nur zum Erliegen, der Osten ist seit 1997 gegenüber dem Westen ökonomisch sogar wieder zurückgefallen.
Die strukturelle Schwäche der Wirtschaft der neuen Länder ist derart groß, dass sie selbst in einer konjunkturellen Aufwärtsphase nicht mit der in den alten Bundesländern mithalten konnte. Das ostdeutsche Bruttoinlandsprodukt ist in diesem Jahr zum ersten Mal seit zehn Jahren rückläufig, minus 0,6 % im ersten Halbjahr, über zwei aufeinanderfolgende Quartale erfüllt das den Tatbestand der Rezession. Eine Erholung der Weltwirtschaft, frühestens im kommenden Frühjahr, könnte sich auch für den Osten positiv auswirken, nach Meinung der Sachverständigen jedoch geringer als für den Westen.
Dabei verkenne ich nicht, dass ein Gutteil dieser Probleme mit dem unausweichlichen Abbau der Bauwirtschaft zu tun hat. Ich habe gestern eine Agenturmeldung in die Hand genommen - ich bin ja ein normaler Mensch und süchtig nach guten Nachrichten - und habe gelesen: Ostdeutsche Exporte im ersten Halbjahr mit hoher Dynamik. Ich las noch begeisterter: 25 % Exportzuwachs im ersten Halbjahr 2001. Insgesamt ist die Exportquote auf 10,7 % im Jahr 2000 gestiegen. Dann aber folgt leider ein kleiner Nachsatz: Am gesamtdeutschen Exportergebnis sind die ostdeutschen Hersteller mit 4,4 % beteiligt.
Alles in allem bedeutet das: Die Schere zwischen Ost und West geht wieder weiter auseinander. Von einem Angleichungsprozess kann im Moment keine Rede sein. Die Hoffnung auf schnelle Angleichung hat sich als Illusion erwiesen.