Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Als manchmal nicht ungeschickter Selbstdarsteller bin ich froh, dass ich sofort Gelegenheit habe, die Wirklichkeit der niedersächsischen Hochschulen darzustellen. Was Sie gezeichnet haben, Frau Mundlos, war ein Zerrbild, war teilweise auch absurd. Ich will das sofort nachweisen.
Erster Punkt. Sie rechnen eine Kürzung bei den Hochschulen, die Mitte der 90er-Jahre vorgenommen wurde und allein die Universitäten betraf, hoch und kommen auf eine Summe von 500 Millionen DM. Sie vergessen dabei aber, dass die gleiche Regierung in der ersten Hälfte der 90erJahre ein genau so großvolumiges Fachhochschulentwicklungsprogramm aufgelegt hat, das bis heute Bestand hat. Auch das müssen Sie fortschreiben. Wenn Sie dann saldieren, kommen Sie auf null. Die Einsparung bei den Universitäten ist das gewesen, was das Land vorher mit einem massiven Programm in die Fachhochschulen investiert hat.
Zweiter Punkt. In der Tat haben die Hochschulen im Jahre 2001 wegen der schwierigen Lage einen Konsolidierungsbeitrag in Höhe von 50 Millionen DM für das Land geleistet. Diese 50 Millionen DM bekommen sie durch den Haushalt 2002 zurück, aber nicht nur das: Zusätzlich erhalten sie 28 Millionen DM.
- Wir nehmen ihnen das pauschal weg; das ist richtig. Aber jetzt sage ich einmal, wo es hinkommt. Die 50 Millionen DM kommen erst mal pauschal zurück. Darauf setzen wir noch einmal 28 Millionen DM, davon 10 Millionen DM für Multimedia - ich werde das gleich erläutern -, für ein neues Programm ELAN, E-Learning Academic Network, in Niedersachsen, und 8 Millionen DM für Kompetenzzentren. Weitere 10 Millionen DM fließen den Hochschulen ab 2003 aus den Einnahmen für die Studiengebühren zu.
Was sind die Kernaufgaben der Hochschulen? Die Kernaufgaben sind Forschung und Lehre. Wir müssen in Niedersachsen internationale Spitzenforschung betreiben, wenn wir zukunfts- und wettbewerbsfähig bleiben wollen.
Die Hochschulen haben darüber hinaus die Aufgabe, erstklassige junge Leute auszubilden, aus großen Begabungen Fachkräfte oder Nachwuchswissenschaftler zu machen. Wir haben in Deutschland ein Riesenproblem, weil wir mit 29 Jahren die ältesten Hochschulabsolventen haben und mit 13 Semestern durchschnittlicher Studiendauer die längste Studienzeit in der ganzen Welt. Das ist übrigens nicht nur in Niedersachsen, sondern auch im Durchschnitt der Bundesländer so, also auch in Bayern. In Baden-Württemberg ist es nicht mehr ganz so stark; darauf komme ich gleich noch zurück.
Deshalb bin ich dankbar dafür, dass wir es nach jahrelanger Debatte geschafft haben, mit dem Haushaltsbegleitgesetz ein Studienguthaben einzuführen. Dieses Studienguthaben in Höhe der Regelstudienzeit plus vier Semester, also ein Guthaben von 12 bzw. 13 oder 14 Semestern - je nach Regelstudienzeit -, ist ein außerordentlich großzügiges Angebot. In kaum einem anderen Land der Welt bekommen die Studierenden ein so großzügiges Stipendium vom Staat, auch nicht in den OECD-Ländern, in denen 45 % eines Altersjahrganges studieren, während es bei uns 28 % sind. Das ist fast einmalig.
Wir führen das auf der Grundlage des Prinzips von Leistung und Gegenleistung ein. Das Guthaben in Höhe von 12 bis 14 Semestern, das jeder, ohne Gebühren zahlen zu müssen, in Anspruch nehmen kann, ist die Leistung des Staates bzw. der Steuerzahler. Das sind 3,2 Milliarden DM, die die Steuerzahler jedes Jahr für die Hochschulen in Niedersachsen aufbringen. Die Gegenleistung, weil Solidarität nämlich keine Einbahnstraße ist, die die Steuerzahler und das Land erwarten können, besteht darin, dass diejenigen, die das Privileg haben, zu studieren, dies so zielorientiert, so schnell und auch so gut wie möglich machen, damit wir gute Nachwuchswissenschaftler haben und damit wir
- Aus Ihrer Partei auch. Das wird mir von überall vorgehalten. Gleichwohl ist es ein Irrtum. Dies ist Kern sozialdemokratischer Politik. Diese Politik steht jedenfalls mit beiden Beinen fest auf dem Boden der neuen Mitte.
(Zuruf von der CDU: Warum sind Sie in der SPD nicht mehrheitsfähig? Wa- rum sagt der Bundesparteitag das Ge- genteil? - Frau Pawelski [CDU]: Dar- über müssen Sie einmal mit Frau Bulmahn reden!)
- Frau Bulmahn steht zu diesem Gesetz. Da sind wir hundertprozentig einer Meinung. Da gibt es keine Differenz. 80 % der Bevölkerung halten es für richtig, dass ein Studium nicht nur einen Anfang, sondern auch ein Ende haben muss. Ich sage Ihnen: Auch aus Ihrer Fraktion sind es 80 %, die in der Pause zu mir kommen, mir auf die Schulter klopfen und sagen: Mach bloß weiter. Zieh das durch. Das ist richtig.
Dazu sollten Sie sich einmal offen bekennen, anstatt zu sagen, dass Ihnen das Ganze nicht gut genug ist.
Frau Mundlos hat gesagt, den Studierenden würde Geld aus der Tasche genommen. Die Wirklichkeit aber ist anders. Die Studierenden werden am Ende mehr Geld in der Tasche haben. Das größte Problem für Studierende aus einkommensschwachen Familien besteht darin, dass bei einem Studium über eine Dauer von durchschnittlich 13 Semestern 100 000 DM an Lebenshaltungskosten für den Studierenden entstehen. Wenn es uns gelingt, die drei Semester, die die deutschen Studierenden länger studieren als die Studierenden im Ausland, einzusparen bzw. abzukürzen, dann können die
jungen Leute früher Geld verdienen, dann stehen der Wirtschaft früher Fachkräfte zur Verfügung. Die Leute können in den eineinhalb Jahren bei einem Anfangsgehalt für Akademiker von 60 000 DM im Jahr 90 000 DM verdienen. Das heißt, sie können innerhalb der Zeit, die jetzt noch Studienzeit ist, das Geld verdienen, das ein ganzes Studium kostet.
- Ich begründe hier ein Gesetz, dem Sie gleich nicht zustimmen werden, Herr Möllring. Das ist doch Ihr Problem. Niemand wird durch das Studienguthaben und die 500 Euro, die nach Erschöpfung des Studienguthabens bezahlt werden müssen, vom Studium abgeschreckt. Baden-Württemberg, das diese Regelung schon hat, und Niedersachsen, das diese Regelung jetzt als zweites Bundesland einführt, haben im laufenden Wintersemester die höchsten Zuwachsraten bei den Erstsemestern zu verzeichnen. Wir stehen unter den Ländern an der Spitze. Baden-Württemberg und Niedersachsen sind dabei.
Meine Damen und Herren, wir verbessern aber auch die Studienbedingungen. Insgesamt haben in Niedersachsen schon 27 000 Studierende ihr Konto erschöpft. Das sind diejenigen, die länger als die Regelstudienzeit plus vier Semester studieren. Von diesen 27 000 Studierenden befinden sich 13 000 im 20. oder einem höheren Semester. Von diesen 13 000 studieren 5 000 jenseits des 25. Semesters. Die Grünen haben vorgeschlagen, ab dem 20. Semester eine Zwangsexmatrikulation vorzunehmen. Herr Golibrzuch, darüber kann man diskutieren. Ich halte es aber für besser, denjenigen, die - aus welcher Lebensplanung heraus auch immer - ihr Studium fortsetzen wollen, diese Möglichkeit für 500 Euro pro Semester einzuräumen. Die müssen aber auch bezahlt werden.
Gleichzeitig verbessern wir in diesem Land die Studienbedingungen. Niedersachsen ist führend bei der Einführung von gestuften Studiengängen, Bachelor-Studium und Master-Studium. Wir haben mittlerweile 72 Studiengänge. Im nächsten Jahr werden es mehr als 100 sein.
Niedersachsen hat als erstes Bundesland 15 Intensivstudiengänge mit Geld aus der Innovationsoffensive eingerichtet. Die Hochschulen bekommen Geld, wenn sie einen Studiengang ein
richten, der die Semesterstruktur aufbricht und ein ganzjähriges Studium ermöglicht, international orientiert und interdisziplinär ausgerichtet. Für diese Studiengänge würden junge Leute anderswo auf der Welt gerne viel Geld bezahlen. Wir hingegen haben es geschafft. Ich persönlich bin in der Wirtschaft herumgegangen und habe Stipendien eingesammelt, damit junge Leute, die in diesem Intensivstudium in kürzerer Zeit als der Regelstudienzeit studieren wollen und insofern keine Zeit mehr zum Arbeiten und Jobben haben, einen Teil ihrer Lebenshaltungskosten aus einem solchen Stipendium bezahlen können. Ich habe viele Stipendien bekommen. Diese Intensivstudiengänge sind ein Renner, werden bundesweit beachtet und werden inzwischen sogar in Bayern kopiert. Im Bayerischen Landtag ist darüber diskutiert worden, dass solche Studiengänge der richtige Weg zur Studienreform sind.
Wir schaffen mit dem neuen Hochschulgesetz erstmals Studiendekane, die verantwortlich für die Qualität der Lehre sein werden. Wir richten außerdem paritätisch mit Studierenden besetzte Kommissionen für Studium und Lehre ein. 10 Millionen DM fließen - ich hatte das eingangs schon erwähnt in ein Multimediaprogramm namens ELAN. Diese Abkürzung steht für E-Learning Academic Network. Mit diesem Programm wollen wir in Niedersachsen Lernmodule herstellen und das elektronische Studium verbessern. Wir haben gemeinsam mit der Stanford University das L3S eingerichtet, das Learning Lab Lower Saxony, das die Hochschulen bei dieser Aufgabe kompetent begleiten wird.
Wir richten mit einem Aufwand von 2 Millionen DM ein Zeitschriftenkonsortium ein. Wenn die Ausstattung mit Zeitschriften manchmal schlecht ist, dann liegt das daran, dass wir von den Verlagen nicht zuletzt auch wegen der schlechten EuroDollar-Relation jedes Jahr mit zweistelligen Preissteigerungsraten konfrontiert werden. Wenn eine Zeitschrift inhaltlich ein Monopol hat, sind wir erpressbar. Wir können nämlich nicht sagen: Wir bestellen sie ab. - Wir kaufen mit diesem Zeitschriftenkonsortium jetzt Zeitungen und versuchen, auch Lizenzen zu erwerben, sodass wir diese Zeitungen allen Hochschulen im Netz elektronisch zur Verfügung stellen können.
10 Millionen DM aus dem Gebührenaufkommen fließen an die Hochschulen zurück. Darüber hinaus werden wir in Zielvereinbarungen mit den Hochschulen klären, wie damit die Beratung und
Betreuung der Studierenden sowie die Aufbrechung von Massenveranstaltungen geregelt werden können. - So viel dazu, meine sehr verehrten Damen und Herren.
Nun noch eine Anmerkung zur Forschung. Frau Mundlos hat eben gesagt, wir seien im Wettbewerb um die klügsten Köpfe nicht wettbewerbsfähig. Zunächst einmal, Frau Mundlos, steh uns ein komplettes System der Eliteförderung zur Verfügung: mit den Intensivstudiengängen, mit den neu eingerichteten Graduiertenschulen und LichtenbergStipendien, mit denen wir für Doktoranden höhere Stipendien zahlen als die anderen Bundesländer, mit dem Junior-Start-Programm in Höhe von mehr als 10 Millionen DM und mit einem Lehrstuhlerneuerungsprogramm, das wir anglizistischneudeutsch als „Brain-Gain-Programm“ bezeichnen, sowie mit Umschichtungen im Wert von insgesamt 200 Millionen DM stehen im nächsten und im übernächsten Jahr genügend Instrumente und Mittel zur Verfügung, um kluge Köpfe nach Niedersachsen zu locken bzw. um Spitzenwissenschaftler in diesem Land zu halten. Sie haben ja auch schon einen Vorgeschmack darauf bekommen, was für Leute in dieses Land gekommen sind. Erwähnen möchte ich beispielsweise Herrn Professor Balling, der jetzt an der TU Braunschweig lehrt und die Gesellschaft für Biotechnologische Forschung leitet. Das ist ein hervorragender Wissenschaftler, der aus Süddeutschland gekommen ist. Seit ich Minister bin, sind mehr als 30 % der neu berufenen Professoren aus Süddeutschland zu uns gekommen. 10 % kommen aus dem Ausland. Das heißt, dass wir attraktiv sind. Oder Professor Treue, der das Deutsche Primatenzentrum leitet. Auch er ist ein internationaler Spitzenwissenschaftler.
Wir sind auch wettbewerbsfähig, wenn es darum geht, unsere besten Leute zu halten. Professor Kollmeier, der in Oldenburg mit Hilfe des Bundes und des Landes ein hervorragendes Kompetenzzentrum für Medizintechnik ausgebaut hat, in dem die modernste Hörtechnologie entwickelt wird, für die es einen riesigen Markt gibt, ist in Niedersachsen geblieben, obwohl er zwei Auslandsrufe hatte. Oder nehmen Sie den BSE-Forscher Professor Brenig, der kurz davor steht, einen Bluttest am lebenden Rind zu entwickeln, was für die Landwirtschaft angesichts der BSE-Krise einen riesigen Fortschritt bedeuten würde. Auch er bleibt in Niedersachsen, obwohl er zwei Rufe aus dem Vereinigten Königreich und den Vereinigten Staaten hatte.
Nicht zuletzt erwähnen möchte ich in diesem Zusammenhang den letzten Leibniz-Preisträger, Professor Kowalsky aus Braunschweig, der im Bereich der organischen Halbleiter forscht und einen Ruf an die Fraunhofer-Gesellschaft bekommen hatte. Wir haben ihn unter großen Anstrengungen in Niedersachsen gehalten. Jetzt, drei Monate später, hat er von der Deutschen Forschungsgemeinschaft den mit 3 Millionen DM dotierten LeibnizPreis erhalten.
Ich bin der Meinung, dass diese wenigen Beispiele die Tatsache eindrucksvoll bestätigen, dass wir für internationale Spitzenwissenschaftler attraktiv sind. Mit diesem Haushalt verfügen wir über die Instrumente, die erforderlich sind, um solche Wissenschaftler nach Niedersachsen zu locken. Damit werden wir Wohlstand, Lebensqualität und die Zukunft dieses Landes sichern. - Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die niedersächsischen Hochschulen verzeichnen im laufenden Semester einen knapp zehnprozentigen Anstieg der Zahl der Studierenden. So erfreulich diese Entwicklung ist, so unerfreulich sind die Studienbedingungen, die diese jungen Leute dann an den Hochschulen hier im Land vorfinden: Überfüllte Hörsäle, unzureichend ausgestattete Bibliotheken und eine schlechte Studienorganisation der Hochschulen selbst sind weit häufiger der Grund für überlange Studienzeiten als die von Minister Oppermann behauptete Bummelei so genannter Langzeitstudenten.
Herr Minister, es ist ja schön, wenn Sie jetzt sagen, Sie würden Mittel investieren, um die Hochschulen finanziell besser auszustatten und um das Studium zu beschleunigen. Ich will Ihnen aber sagen: Das ist unehrlich, weil ein solches Projekt etwa für das Bibliotheksmanagement in Niedersachsen ein mehrjähriges Projekt ist, die Gebühr aber sofort kommt.
Meine Damen und Herren, das Studienangebot in Niedersachsen ist seit vielen Jahren unterfinanziert. Man mag sich über die Details der Kürzungen der Vorjahre zwar streiten, aber es ist jedenfalls unter
finanziert, und die hier eingesetzten Mittel werden weder leistungs- noch nachfragegerecht verteilt. Das gilt in ganz besonderer Weise für die Fachhochschulen, die einen nahezu 100-prozentigen Bewerberüberhang zu verzeichnen haben.
Gerade zu Beginn des Wintersemesters hat es wieder einen regelrechten Ansturm auf die Fachhochschulen gegeben: in Osnabrück, in Hildesheim, in Holzminden, in Göttingen, eigentlich überall im Land. Ich glaube, das hat mit dem erstklassigen Ruf zu tun, den diese Einrichtungen mittlerweile im Land, aber auch bundesweit genießen. Das hat aber auch mit den Berufschancen zu tun, die diese Ausbildungen eröffnen. Bei Absolventen der Fachhochschulen ist die Übergangsquote in den Beruf mittlerweile deutlich höher und die Arbeitslosigkeit niedriger als bei Universitätsabsolventen. Die Bundesanstalt für Arbeit hat das regelmäßig untersucht, ich glaube, zuletzt 1998, und die vorgelegten Zahlen bestätigen das.
Weil das so ist, sagen wir Ihnen: Wir brauchen deutlich mehr Plätze an den Fachhochschulen in Niedersachsen. Wir sind weit entfernt von den Empfehlungen des Wissenschaftsrats, mindestens 40 % der hier im Land vorgehaltenen Studienplätze an Fachhochschulen vorzuhalten.
Meine Damen und Herren, der Mangel an Fachhochschulplätzen hat Folgen. Denn wer in einer Fachhochschule, sei es in Niedersachsen oder anderswo, keinen Studienplatz findet, der bewirbt sich häufig auf einen Universitätsplatz, denn dort ist der Mangel nicht ganz so groß; die Auslastungszahlen weisen das klar nach. Es gibt meines Wissens zwar keine Untersuchung darüber, aber das Gespräch - ganz egal ob mit dem Hochschullehrerbund, mit dem Hochschulverband oder mit Lehrpersonal der Universitäten - weist ganz eindeutig aus: Viele Jugendliche sind sehr viel stärker an einer praxisbezogenen Ausbildung an den Fachhochschulen interessiert als an einer Ausbildung an der Universität. Und sie wechseln deshalb auch: Sie wechseln, sobald ein Studienplatz an den überlasteten Fachhochschulen frei wird. Oder sie brechen ihr Studium an der Universität ab - und erhöhen damit die dortige Abbrecherquote -, weil es ihren Neigungen und ihren Bedürfnissen nicht entspricht.