Protokoll der Sitzung vom 23.01.2002

haben das Ganze kürzlich auf den Punkt gebracht; ich darf ausnahmsweise einmal zitieren:

„Sigmar Gabriels Kalkulation ist nicht aufgegangen, der CDU dieses Thema abspenstig zu machen und durch seine eigene Aktivität zur Besetzung durch die CDU bei den Wahlen eigene Wähler zu gewinnen.“

So bekommen Sie es alle Mal nicht hin. Im Gegenteil, Herr Gabriel: Das wird für Sie schief gehen.

Ich fordere klare Verhältnisse an den Schulen, wie wir es in unserem Modell stets erläutern.

(Plaue [SPD]: Genau, zurück in die 50er-Jahre!)

- Es wird stets erläutert; vielleicht begreifen selbst Sie es einmal. Wir fordern also: Weg mit der Orientierungsstufe, Abitur nach zwölf Jahren, freier Elternwille nach Klasse 4, und das Ganze eingebunden in eine vernünftige, ordentliche Unterrichtsversorgung. Ohne Unterrichtsversorgung gelingt das sowieso nicht. - Danke schön.

(Beifall bei der CDU)

Das Wort hat Herr Kollege Schwarzenholz für bis zu zwei Minuten.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Ministerpräsident, Sie haben den Ball der CDUFraktion aufgenommen, als die Debatte um die

Orientierungsstufe losging. Sie wurden dabei kalt erwischt; denn Sie mussten feststellen, dass die Bevölkerung Meinungsumfragen zufolge mit weit über 50 % dieses Schulsystem gar nicht so schlecht findet. Sie wurden kalt erwischt von der PISA-Studie, die Ihnen deutlich gemacht hat, dass es in erster Linie nicht eine Frage der Strukturreform ist, sondern dass es in erster Linie eine Frage der Qualitätsausstattung und der Unterrichtsgestaltung ist bzw. eine Frage ist, ob Ganztagsunterricht angeboten wird und wie Zugangsvoraussetzungen geschaffen werden.

Wenn Sie Ihr Förderstufenmodell an diesen Erfordernissen messen, werden Sie feststellen müssen, dass Sie den zentralen Fragen der PISA-Studie nicht die richtige Antwort entgegensetzen, nämlich tatsächlich alle Mittel darauf zu konzentrieren, also nicht für Schulstrukturen, nicht für Gebäude, nicht für Investitionen in der Sache einzusetzen, sondern für Qualität, um die Unterrichtsqualität und die Unterrichtsversorgung zu verbessern. Das muss doch gemacht werden.

Ich habe gestern von meinem sozialdemokratischen Landrat im Landkreis Peine im Zusammenhang mit einer Verkehrsdebatte gehört, dass die Stadtbahn von Braunschweig vom Landkreis Peine nicht mitfinanziert werden kann, weil neue Schulen gebaut werden müssen. Gabriels Schulstrukturreform zwingt ihn, so sagt er, im Landkreis Peine voraussichtlich zwei Gymnasien zu bauen, obwohl beispielsweise in Vechelde eine Gymnasialbeteiligung von 45 % festzustellen ist; diese Gymnasiasten fahren nur nach Braunschweig.

(Plaue [SPD]: Was haben Sie denn gegen Gymnasien?)

- Hören Sie doch einmal zu!

Die Orientierungsstufe, die in unserem Landkreis gleichzeitig besteht, läuft künftig überwiegend leer, weil die Kinder zukünftig ab der fünften Klasse nach Braunschweig zum Gymnasium fahren werden oder weil das Gymnasium bei uns gebaut wird.

Es werden also Investitionen in Schulgebäude und in die Infrastruktur, nicht aber in Bildung getätigt. Sie geben keine ernsthafte Antwort auf die Frage, wie die Qualitätssicherung gewährleistet wird.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Frau Harms!

Herr Ministerpräsident, ich will trotz dieser Entgleisungen von Herrn Plaue, was die Inhalte grüner Schulpolitik angeht, zu dem zurückkehren, was Sie vorgetragen haben.

Ich hatte den Eindruck, dass die stoisch verlesene Erklärung nur ganz schlecht verdecken kann, dass Sie inzwischen tatsächlich wissen, welch ein Chaos Sie angerichtet haben.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der CDU)

Schauen wir doch einmal in Ihre eigenen Reihen. Das auch zum Thema Konsenspolitik, Herr Plaue: Mit dem Rücktritt von Eckhard Fasold fing es an. Den haben Sie weggesteckt; über die Gründe dafür haben Sie sicherlich untereinander gesprochen Dann ging es mit härtester Kritik aus der wissenschaftlichen Diskussion weiter. „Kartell von bildungspolitischen Dilettanten“ war eine der Überschriften im Herbst.

In den letzten Tagen haben sich die Grundschullehrerinnen in Hannover mit harter Kritik zu Wort gemeldet. Der Arbeitskreis Schule des Unterbezirks Hannover will diese Reform nicht, DGB und GEW auch nicht. Das haben Sie sicherlich alles gelesen. Alle halten das, was verzapft worden ist, für Unsinn. Aber auch nach der PISA-Studie wird daran festgehalten.

Herr Ministerpräsident, ich glaube, Sie machen einen großen Fehler, wenn Sie an dieser Stelle zulasten von Kindern, zulasten von Lehrern und auch zulasten von Eltern an Ihrem Plan festhalten. Sie sollten an dieser Stelle einmal die Luft anhalten und von dem Kurs, den Sie eingeschlagen haben, auf dem Sie die SPD-Fraktion entgegen dem gesamten bildungspolitischen Sachverstand an dieser Stelle der Staatskanzlei unterwerfen, wegkommen.

Ich erneuere mein Angebot: Wir wollen reden. Herr Baumert bietet einen guten Anlass, über die Lage zu sprechen. Sicherlich können wir an dieser Stelle nicht weiterkommen, aber der Dialog, den Sie immer eingefordert haben, müsste tatsächlich einmal stattfinden. Aber wenn Sigmar Gabriel „Dialog“ sagt, dann meint er meistens Zustimmung zu dem, was er bereits beschlossen hat.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Das Wort hat die Frau Kultusministerin.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bin über diese Diskussion sehr erstaunt. Wenn Sie den Dialog mit der Landesregierung einfordern, dann kann ich Ihnen sagen, dass ich ihn Ihnen angeboten habe, Frau Harms. Wir haben zwei Mal zusammengesessen. Sie wollten nicht, weil Sie an dem bildungspolitischen Unsinn einer sechsjährigen Grundschule festhalten. Das ist wirklich bildungspolitischer Unsinn!

(Beifall bei der SPD)

Sie haben es anlässlich der Vorlage des Gutachtens vorgerechnet bekommen, dass es nicht nur bildungspolitischer Unsinn ist, sondern dass es auch finanzpolitisch nicht darstellbar ist, auch für die kommunale Seite nicht. Das sind Ihre Unbeweglichkeiten, auf die ich einmal hinweisen will.

Wir beabsichtigen, einen Dialog zu führen, wie wir es versprochen haben. Wir haben ihn auch geführt und haben jetzt ein klares Verfahren verabredet. Im Augenblick läuft die parteiinterne Willensbildung. Für die Landesregierung heißt das, dass wir selbstverständlich zuarbeiten, um bestimmte Aspekte bildungspolitisch zu bewerten. Aber dieses Verfahren muss man mit Gelassenheit aushalten können. Ich kenne das von Grünen-Parteitagen, wo es in der Öffentlichkeit noch ganz anders zugeht.

(Beifall bei der SPD)

Frau Harms, Sie liegen völlig falsch, wenn Sie meinen, dass Herr Baumert - wenn er von „innehalten“ spricht - unsere Diskussion über die Orientierungsstufe meint. Dazu wird er vermutlich etwas ganz anderes sagen. Wir wollen an einer Stelle innehalten, nämlich dass PISA auch von denen, die betroffen sind, mit zur Kenntnis genommen wird. Aber das heißt doch nicht, dass wir Handlungsfelder und Maßnahmen jetzt nicht beschreiben. Das werden wir tun! PISA ist nicht vom Himmel gefallen und hat uns auch nicht kalt erwischt. Das will ich Ihnen ganz deutlich sagen.

(Beifall bei der SPD - Möllring [CDU]: Was? - Busemann [CDU]: PISA fällt noch mal vom Himmel!)

Wir wollten PISA. Wir haben PISA in der Kultusministerkonferenz veranlasst. Ich hatte das letztes Mal schon dargestellt; Rolf Wernstedt war zu dieser Zeit Präsident. Die Experten, die das Orientierungsstufe-Gutachten gemacht haben - Herr Professor Weiß z. B. – gehören zum Teil mit zu den PISA-Experten. Wir haben gewusst, dass sich das ergänzt, nämlich einmal im strukturellen Teil, und jetzt inhaltlich mit den Schülerleistungen. Dieses zusammen wird uns zu einer großen Bildungsreform führen, die wir jetzt zusammen mit der Partei gestalten werden.

(Beifall bei der SPD - Lachen bei der CDU)

Sie müssen sich auch keine Sorgen machen, Herr Busemann, dass wir unsere Leitanträge nicht hinkriegen. Das schafft die Partei. Wir sind nämlich die Bildungspartei!

(Beifall bei der SPD – Zuruf von der CDU: Das glauben wir, ja!)

Von Ihnen habe ich bisher überhaupt keinen klaren Vorschlag gehört, weder von grüner Seite noch von Ihnen, zu den Auswirkungen von PISA oder die Verbindung mit dem strukturellen Teil. Nichts! Deshalb - das muss man jetzt in aller Ruhe sagen stürzt sich offensichtlich die Presse auf jedes Arbeitspapier und auf jeden Vorentwurf. Weil Sie gar nichts bieten! Das ist doch das Problem!)

(Beifall bei der SPD - Möllring [CDU]: Also gibt es das Papier doch! Dann hat der Ministerpräsident ja die Unwahrheit gesagt! Wer hat die Wahrheit gesagt?)

Am Ende geht es hier doch um Arbeitspapiere, die zu Leitanträgen werden. Wir lassen das zu. Wir lassen unsere Partei diskutieren. Sie werden sehen. Wir werden einen großen Entwurf haben, und Sie werden sich warm anziehen, weil das nämlich schon der bildungspolitische Entwurf für die nächste Regierungszeit bis 2008 ist. - Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD)

Es hat der Kollege Wulff von der CDU-Fraktion um das Wort gebeten.

(Buß [SPD]: Herr Wulff holt jetzt sein Papier aus der Tasche!)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir nehmen natürlich mit einer gewissen Genugtuung zur Kenntnis, dass der Ministerpräsident seine erste Auslandsreise hinter sich gebracht hat, ohne ein neues Papier mitzubringen. Das jedenfalls lässt für die Zukunft hoffen.

(Beifall bei der CDU - Dr. Schultze [SPD]: Was soll das dann? - Zuruf von Plaue [SPD])

- Lieber Kollege Schultze, in den letzten Tagen ist der niedersächsischen Öffentlichkeit, den Lehrern, den Eltern und den Schülern nahezu jeden Tag ein neuer Vorschlag präsentiert worden, der wenige Stunden später zurückgenommen wurde. Heute stehen auf Seite 1 der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung erstmals ein paar vernünftigere Ideen, und die dementieren Sie dann. Also, wie wollen Sie mit uns glaubhaft über Schulpolitik diskutieren?

(Beifall bei der CDU und bei den GRÜNEN)

Ich frage mich, wie lange sich Frau Jürgens-Pieper als Ministerin dieses Verhalten vom Ministerpräsidenten noch bieten lassen will.

(Beifall bei der CDU und bei den GRÜNEN)

Frau Jürgens-Pieper ist vor vier Jahren von uns gedrängt worden, beispielsweise bei der Frage des Einschulungsalters zu flexibleren Regelungen zu kommen. Wir sind dann zu dem Beschluss gelangt, die Einschulung Fünfjähriger zu ermöglichen, wenn sie die entsprechende Schulreife vorweisen. Dann kommt der Ministerpräsident mit einer generellen Forderung nach Einschulung mit fünf Jahren und muss sie wenige Tage später korrigieren. Alles an der Ministerin, dem Ministerium und jedem Sach- und Fachverstand vorbei - das ist das eigentlich Unerträgliche in diesem Land, dass einer meint, er wüsste alles besser und hat von Tuten und Blasen keine Ahnung! Das ist die Lage der Schulpolitik!