Protokoll der Sitzung vom 11.10.2006

Die nächste Rednerin ist Frau Meißner von der FDP-Fraktion.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die SPD-Fraktion versucht uns mit ihrem Antrag zu suggerieren, eine Erweiterung der Ladenöffnungszeiten sei unsozial. Zum Stichwort „sozial“ muss ich sagen: Nicht alles, was die SPD sagt, ist automatisch sozial. Das ist kein Automatismus.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU - Wolfgang Jüttner [SPD]: Nicht alles, was Sie sagen, ist immer frei!)

- Das kann aber sehr sozial sein.

Sozial ist das, was den Menschen nützt und ihre Bedürfnisse berücksichtigt. So sehe ich das. Wir sind nämlich soziale, gesellschaftliche Wesen. Darauf kommt es an. Wenn man Familien und Betrieben durch eingeschränkte Ladenöffnungszeiten vorschreiben will, wie sie ihren Alltag und ihr Leben organisieren, dann ist das nicht sozial, sondern bevormundend und auch falsch.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Fragen wir doch einmal: Was brauchen Familien, Arbeitnehmer, Väter und Mütter, die die Vereinbarkeit von Familie und Beruf wollen? - Sie brauchen vor allem Flexibilität. Frau Mundlos hat gerade schon aus dem Familienbericht zitiert. Auf den Seiten 28 bis 31 steht sehr viel über Flexibilität. Dort steht, dass Flexibilität das A und O ist, und zwar sowohl bei der Kinderbetreuung - die es übrigens nicht nur von 8 bis 16 Uhr geben sollte, Frau Heiligenstadt, wie es in Ihrem Antrag steht, sondern auch viel länger darüber hinaus; die Menschen brauchen viel flexiblere Modelle

(Zustimmung bei der FDP)

als auch bei den Arbeitsplätzen. Heute schon finden es viele Familien gut, dass man auch abends oder am Wochenende, wenn das jeweils andere Elternteil oder eine Person des Vertrauens die Betreuung der Kinder übernehmen kann, arbeiten und auf diese Art und Weise im Beruf bleiben kann. Das ist für die Menschen von heute wichtig.

(Beifall bei der FDP)

Die Zeit, die wir mit Kindern verbringen, kann unter Umständen am Tag wertvoller sein als abends, wenn das Kind schläft und nur beaufsichtigt wird. Das heißt, wir brauchen in diesem Bereich sehr viel Öffnung und vor allem ein familienfreundliches Denken in sämtlichen Köpfen sowie Flexibilität im Beruf und für Arbeitnehmer.

Was aber brauchen mittelständische Betriebe, auch Familienbetriebe? - Sie haben Konkurrenz, und zwar nicht nur in Form von großen Handelskonzernen, sondern auch z. B. in Form von eBay, von Internet-Shopping rund um die Uhr. Sie müssen die Möglichkeit haben, mit ihrem Angebot, mit ihrer Fachkompetenz und Beratung flexibel nach

eigenen Bedürfnissen und in Absprache mit ihren Mitarbeitern auf diese Konkurrenz zu reagieren ohne irgendwelche gesetzlichen Verbote. Das sichert Familienarbeitsplätze und auch Arbeitsplätze in solchen Betrieben.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Wolfgang Hermann hat die Bäderregelung schon verschiedentlich angesprochen. Auch in der Rede von Frau Mundlos ist klar geworden: Wenn man in Mecklenburg-Vorpommern - wo es zwar keine Nordsee, aber eine schöne Ostsee gibt, wo es auch nett ist - länger einkaufen kann als in Niedersachsen, dann kann es sein, dass sich die Menschen gegen Niedersachsen entscheiden und dass das zulasten von Arbeitsplätzen in Niedersachsen geht. Auch das wollen wir nicht.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Hinsichtlich der Weiterentwicklung der Regelungen für den Sonntag - das haben Sie ja auch vor stimme ich Ihnen zu. Da befindet sich vieles in einer Grauzone. Es ist z. B. nicht nachvollziehbar, warum man am Sonntag Schnittblumen verkaufen darf und Blumentöpfe nicht oder warum man in der Apotheke Mittel gegen Schnupfen, aber keine Tempos kaufen darf. Diese Dinge müssen wirklich geändert werden.

(Beifall bei der FDP)

Bestimmte Sonntage sollten geschützt bleiben, insbesondere in der Adventszeit. Insgesamt hat der Sonntag in unserer christlichen Gesellschaft einen besonderen Stellenwert, der berücksichtigt werden muss.

Generell müssen wir natürlich, wenn es einen Gesetzentwurf gibt, darüber reden und prüfen, was wir wollen und was wir nicht wollen. Fazit ist aber: Wenn wir ein Gesetz brauchen, dann muss es verbraucher-, menschen- und familienfreundlich sein. Es darf nur das regeln, was unbedingt geregelt werden muss, und muss Raum lassen für Flexibilität, um den Bedürfnissen der Verbraucher, der Arbeitnehmer und der Betriebe zu entsprechen. Wir brauchen keine starren Strukturen. Wir brauchen nichts Rückwärtsgewandtes oder Wirklichkeitsfremdes, sondern wir brauchen etwas, was modern und sozial ist und den Bedürfnissen der Menschen entspricht. Darum kann ich Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, liebe Frau Heiligenstadt, nur raten: Hören Sie auf Ihren Fraktionsvorsitzenden. Man hört und liest ja, dass Herr

Jüttner von Ihrem Antrag gar nicht so begeistert ist, sondern mehr einer Liberalisierung von Ladenschlusszeiten zustimmt. Das ist bestimmt nicht verkehrt. Deswegen als letzter Rat noch einmal: Hören Sie auf Ihren Fraktionsvorsitzenden, diskutieren Sie es noch einmal aus, und dann treffen wir uns im Ausschuss wieder, um es weiter zu erörtern.

(Beifall bei der FDP)

Nächster Redner ist Herr Hagenah von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Meißner, was die Liberalität angeht, zu der Sie gerade Ausführungen gemacht haben und bei der Sie ja die Einzelhändler und die Familienbetriebe mitnehmen wollten, muss ich sagen, dass das von denen sehr viel anders gesehen wird. Zumindest schreiben sie uns das. Sie sehen eher die Liberalität der großen Ketten und der großen Handelshäuser, die Sie unterstützen. In der Hinsicht sind wir nicht auf Ihrer Seite.

Frau Mundlos, mit Ihrer abwägenden Rede haben Sie vorgespiegelt, die Sache wäre in der CDU noch nicht entschieden. Wir wissen aber, dass der zuständige Minister und der Ministerpräsident schon längst 6 mal 24 als Ergebnis der langen Überlegungen, die Sie uns noch als Abwägung verkauft haben, vorgegeben haben. Insofern bin ich ganz gelassen. Ich bin ziemlich sicher, dass das, was die Führung, auch die Fraktionsführung vorgegeben hat, am Ende als Ergebnis herauskommen wird.

(Bernd Althusmann [CDU]: Warten Sie es einmal ab, Herr Hagenah!)

Darüber haben Sie mit Ihren Abwägungen nur einen sehr dünnen Mantel legen können.

Wir jedenfalls unterstützen vom Grundsatz her das, was im SPD-Antrag steht. Da der Fraktionsvorsitzende mit dafür zeichnet, gehe ich einmal davon aus, dass die SPD das geschlossen vertritt. Wir sind aber im Gegensatz zur SPD der Meinung, dass im Augenblick im Einzelhandel bei uns nicht alles in Ordnung ist. Wir müssen, wenn wir diese Gesetzgebungskompetenz in Niedersachsen haben, sehr wohl darüber nachdenken, wie wir mit

dem ungerechten Wildwuchs umgehen, der im Augenblick nicht zu fairen Wettbewerbsbedingungen führt.

(Ulrike Kuhlo [FDP]: Zum Beispiel? - David McAllister [CDU]: Was wollen denn die Grünen?)

- Das will ich ja gerade aufführen. Vielleicht hören Sie ein bisschen zu. - Vollsortimenttankstellen und Einkaufszentren in Bahnhöfen führen nicht zu einem fairen Wettbewerb, was die Familienbetriebe angeht. Auch der Internethandel mit einer 24stündigen Liefergarantie

(Ulrike Kuhlo [FDP]: Muss verboten werden?)

nimmt dem Fachhandel immer mehr Umsatz. Auch das Idealbild - wie im SPD-Antrag dargestellt - der vollzeitbeschäftigten Verkäuferin, die zwischen 8 und 16 Uhr arbeiten kann, weil ihre Kinder dann betreut sind, gibt es nicht; denn die Betreuung ist zeitlich begrenzt, aber die Arbeitszeit ist heute viel länger. Bereits heute sind die Ladenschlusszeiten nicht familien- und auch nicht frauenfreundlich. Man muss dabei bedenken, dass 70 % des Verkaufspersonals weiblich ist.

(David McAllister [CDU]: Was wollen denn die Grünen?)

Darunter sind viele Alleinerziehende. Deswegen gibt es schon heute große Probleme für die dort Beschäftigten, eine entsprechende Kinderbetreuung sicherzustellen.

(David McAllister [CDU]: Was wollt ihr denn?)

Wer Shoppen rund um die Uhr vorschlägt und mit dem Ausland als Beispiel dafür wirbt, Herr McAllister, der muss auch die Bedingungen schaffen, die im Ausland mit Ganztagsschulen und umfassender Kinderbetreuung existieren. Das tun Sie aber nicht.

(Beifall bei den GRÜNEN - David McAllister [CDU]: Morgens um 3 Uhr?)

Nur 5 % unserer Kitas haben noch nach 18 Uhr und nur 1 % am Samstag geöffnet. Dann sagen Sie, Sie seien eine familienfreundliche Partei? Mit Ihrem Vorstoß, an sechs Tagen eine 24-stündige Öffnungszeit zuzulassen, sind Sie eine familien

feindliche Partei, was die Ladenschlusszeiten angeht.

(Beifall bei den GRÜNEN - David McAllister [CDU]: Was wollt ihr denn?)

Unendliche Ladenöffnungszeiten sind nicht nur unsozial, sondern in einem Land wie Niedersachsen auch wirtschaftlich und strukturpolitisch fatal. Das Ladensterben in den Orts- und Stadtteilzentren hängt auch mit der heute schon stark ausgeweiteten Ladenöffnungszeit zusammen. Die Einzelhändler und mittelständischen Fachgeschäfte können mit dem, was die großen Ketten vormachen, vielfach nicht mithalten. Schauen Sie sich als Partei, die immer auf den ländlichen Raum guckt, doch einmal an, wie es sich dort heute gestaltet, Frau Meißner.

Herr McAllister, wie viele Ihrer Einzelhändler haben heute bis 20 Uhr geöffnet? - Viele dieser Geschäfte sind mittags eine Stunde zu und schließen um 18 Uhr. Die großen Ketten aber haben bis 20 Uhr geöffnet.

(David McAllister [CDU]: Sie haben die Freiheit!)

- Was machen sie denn mit der Freiheit? - Sie können es sich gar nicht leisten, länger zu öffnen. Die großen Ketten machen mit geringerem Personaleinsatz viel mehr Umsatz und können, wirtschaftlich gesehen, länger öffnen.

Herr Hagenah, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Herrn Dürr?

Ich habe noch 24 Sekunden. Gut, eine Zwischenfrage ist immer willkommen; das verlängert meine Redezeit.

(Zuruf von der CDU: Das wird nicht angerechnet!)

- Die Antwort schon.

Herr Hagenah, Sie haben hier wortreich einiges erläutert. Aber Sie haben uns noch nicht gesagt, was die Grünen eigentlich wollen. Daher ist meine Frage: Was wollen die Grünen denn eigentlich?

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)