Protokoll der Sitzung vom 12.10.2006

Danke schön, Herr Kollege Klein. - Für die Landesregierung antwortet Herr Umweltminister Sander.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Kollege Klein, wir müssen uns mit Fakten auseinandersetzen.

(Beifall bei der FDP)

Die Fakten sind einfach festzustellen: In den letzten 100 Jahren ist am Pegel Norderney-Riffgat gemessen worden. In den letzten Jahren sind dort keine Veränderungen des Anstiegs festgestellt worden. Wir können doch also nur diese Daten zugrunde legen. Ich habe Ihnen bereits erklärt, dass wir bei allen Küstenschutzmaßnahmen immer eine Sicherheit von 25 cm einbauen. Selbst wenn das Szenario, das Sie geschildert haben, eintreten würde, hätten wir noch eine lange Reaktionszeit, um dementsprechend Vorsorge zu treffen.

Danke schön. - Die nächste Frage stellt Herr Kollege Hagenah.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mein Elternhaus steht in der Ostemarsch auf ehemals Meeresspiegel null. Ich bin darüber bestürzt, dass wir einen Umweltminister haben, der die Entwicklung der letzten 100 Jahre

und den damit verbundenen Anstieg des Meeres als Grundlage dafür nimmt, anzunehmen, dass das auch die nächsten 100 Jahre so sein wird.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Alle Meldungen - nicht nur die der letzten Monate machen deutlich, dass die Regierungen und die Wissenschaft weltweit davon ausgehen, dass wir einen sehr viel deutlicheren und stärkeren Anstieg der Meeresspiegel erleben werden, als es diese Landesregierung derzeit noch annimmt. Die wahre Geldverschwendung ist doch, wenn man schon in wenigen Jahren die Baustellen, die man heute hat, wieder anfassen muss.

Deswegen frage ich die Landesregierung, inwieweit sie - außer einer entsprechend größeren Erhöhung der Deiche - auch die Ergebnisse z. B. der Uni Hannover hinsichtlich der deutlich besseren Stabilität von Deichen mit gefüllten Sandschläuchen oder auch Deichen mit entsprechender Spundwand im Kern in ihre Planungen einbezieht.

Danke schön. - Für die Landesregierung antwortet Herr Minister Sander.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Kollege Hagenah, ich habe in meinen Antworten immer wieder klar und deutlich gemacht: Das sind die Fakten, das sind die Messungen am Pegel Norderney-Riffgat. Wir lassen die Ergebnisse aller internationalen Gremien, in denen wir ja zum Teil auch mitarbeiten, in unsere Projektion mit einfließen. Mehr können wir nicht machen. Wir machen unseren Küstenschutz auf sicheren Daten. Gleichzeitig nehmen wir alle neuen Erkenntnisse mit und lassen sie in unsere Arbeit einfließen.

Danke schön. - Die nächste Frage stellt Herr Kollege Professor Lennartz.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! EUweit wird seit einigen Jahren ein - Achtung Zungenbrecher! - Integriertes Küstenzonenmanagement etabliert. Das ist im Grunde ein methodisches

Instrumentarium, wie der Küstenraum beplant wird, und zwar u. a. unter starker Öffentlichkeitsbeteiligung. Schleswig-Holstein hat das 2001 mit seinem Generalplan Küste vorgemacht. Mich interessiert, wie Sie, Herr Minister, bei der Erarbeitung des niedersächsischen Generalplans die Öffentlichkeit bislang beteiligt haben.

Herzlichen Dank. - Für die Landesregierung antwortet Herr Umweltminister Sander.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Kollege Lennartz, wir müssen die Öffentlichkeit insofern beteiligen, als wir ja auch Daten brauchen, die beispielsweise die Deichverbände haben. Das muss gemeinsam entwickelt werden. Wenn wir Maßnahmen für die Zukunft durchführen, ist eine der Grundvoraussetzungen, dass diese Beteiligung stattgefunden hat. Aber ich kann Ihnen erst dann, wenn der fertige Plan vorliegt, sagen, in welchen Bereichen wir etwas tun müssen.

Sie haben in Ihrer Frage ja auf Schleswig-Holstein abgehoben. Wenn Sie, wie in Ihrer Frage formuliert, auf ComCoast abzielen, dann müssen Sie dieses ComCoast-Szenario bzw. die Arbeitsweise von ComCoast zur Kenntnis nehmen. Da steht einfach: Das Konzept konzentriert sich auf die Entwicklung nachhaltiger Alternativen gegenüber der traditionellen Methode des Küstenschutzes, die nachhaltige multifunktionale Nutzung neu gestalteter Küstenschutzzonen als Win-win-Situation und die Berücksichtigung dieser Alternativen innerhalb der Raumplanung.

Wir arbeiten damit und machen schon längst das, was Sie fordern.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Danke schön. - Die zweite und für sie letzte Zusatzfrage stellt Frau Janssen-Kucz. Bitte!

Herr Minister, Sie haben hier den Entwurf des Generalplans „Küstenschutz“ hochgehalten. Ich hatte aber gefragt, ob es eine Risikoanalyse für die niedersächsische Küste gebe. Auf diese ganz kon

krete Frage hätte ich gern eine ganz konkrete Antwort.

Danke schön, Frau Janssen-Kucz. - Für die Landesregierung antwortet Umweltminister Sander.

(Zuruf von Ulrich Biel [SPD])

Ich werde es ganz konkret sagen, Herr Kollege Biel. - Ich beantworte die konkrete Frage ebenso konkret: Natürlich wird auch eine solche Risikoanalyse betrachtet.

(Beifall bei der FDP)

Danke schön. - Ihre zweite Zusatzfrage, Frau Kollegin Korter!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Minister Sander, ich muss noch einmal auf den prognostizierten Anstieg des Meeresspiegels zurückkommen. Nach Ihren Worten gehen Sie bei der Erarbeitung des Generalplans „Küstenschutz Niedersachsen“, den Sie Ende 2006 vorlegen wollen, von einem Meeresspiegelanstieg von 25 cm aus. Weshalb wird dann beim Weserausbau dem Vorhabenträger eine Prognose von 90 cm Meeresspiegelanstieg aufgegeben? Ist das keine verlässliche Grundlage für uns in der Wesermarsch? Für den Kollegen Thümler und mich ist es eine Überlebensfrage, ob ein vernünftiger Küstenschutz betrieben wird. Unsere Grundstücke würden sofort überflutet, wenn wir die Deiche öffneten, und zwar auch ohne Sturmflut.

(Zustimmung bei den GRÜNEN)

Danke schön, Frau Kollegin Korter. - Für die Landesregierung hat Herr Minister Sander das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Frau Kollegin, ich hatte bereits in meiner Antwort darauf hingewiesen, dass es hier Unterschiede gibt. Im Küstenschutz arbeiten wir mit

einer Sicherheitsreserve von 25 cm, in den tidebeeinflussten Bereichen für die Vertiefungen an der Weser und an der Elbe mit 90 cm. Diese 90 cm hängen mit der Erfahrung zusammen, dass dort Hochwasser schneller auflaufen und abfließen. In diesen Bereichen treffen wir für die Flussvertiefungen eine Vorsorge nicht nur für 25 cm, sondern für 90 cm.

Danke schön. - Die zweite und für ihn letzte Zusatzfrage stellt Herr Kollege Klein.

Der Herr Minister hat die Frage 2 damit beantwortet, es gebe keine Veranlassung, Alternativen zu prüfen, da Erfahrungen mit Steinschüttungen und Betondeichen vorlägen. Nun ist dies nur eine Seite des Problems. Die andere Seite des Problems, die auch schon angesprochen wurde, stellt die Frage dar, inwieweit der Untergrund die jeweiligen Deichlasten tragen kann. Auch hinsichtlich des Gewichts der Deiche interessieren uns natürlich Alternativen. Ich erinnere an die Absackungen am Deichabschnitt zwischen Otterndorf und Cuxhaven sowie an unerwartete Grundbrüche beim Deichbau an der Lune. Von der BASF ist ein sehr leichtes Deichbaumaterial entwickelt worden, bei dem Schotter flexibel mit Polyurethan verklammert wird. Kennt die Landesregierung dieses Material, hat sie es geprüft und wie beurteilt sie es?

Danke schön, Herr Kollege Klein. - Für die Landesregierung antwortet Herr Minister Sander!

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Kollege Klein, für Otterndorf haben wir ein Gutachten in Auftrag gegeben, um festzustellen, wie sich der Untergrund dort verhält und ob wir unter den gegebenen Voraussetzungen dort den Küstenschutz wie vorgesehen weiterführen können. Das Ergebnis war positiv. Natürlich sind uns bzw. meinen Fachleuten auch andere Materialien bekannt.

(Beifall bei der FDP)

Danke schön. - Die zweite und für sie letzte Zusatzfrage stellt Frau Kollegin Steiner. Bitte!

Herr Minister, meine Kollegin Korter hat gerade schon auf die bei der Weservertiefung angenommenen 90 cm hingewiesen. Ich unterstreiche, dass wir nicht davon ausgehen können, dass sich der weitere Anstieg des Meeresspiegels auf Grundlage des Anstiegs im vergangenen Jahrhundert linear fortsetzen wird. Vielmehr wird sich der Anstieg schon in den nächsten 20, 30 Jahren deutlich beschleunigt fortsetzen. Im Hinblick auf die beiden Flussvertiefungsprojekte - insbesondere nehme ich jetzt einmal die Weser - frage ich Sie, ob Sie vor diesem Hintergrund die Erhöhung des Meeresspiegels und den Tidenhub einbezogen sowie berücksichtigt haben, dass sich die Windgeschwindigkeit bei Stürmen verändert hat, und wie Sie in diesem Zusammenhang die Deichsicherheit in Ihren jetzigen Planungen beurteilen.

Herzlichen Dank, Frau Kollegin Steiner. - Herr Minister Sander, Sie haben das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Frau Kollegin Steiner, all das von Ihnen Angeführte berücksichtigen wir.

(Beifall bei der FDP - Dorothea Stei- ner [GRÜNE]: Da bin ich aber ge- spannt!)

Die nächste Zusatzfrage stellt Herr Kollege Wenzel!

Herr Minister Sander, ich wundere mich, mit welchen Datengrundlagen Sie hier arbeiten. Sieht man sich an, welche Annahmen die Deichrichter in Bremen treffen, die dabei auch internationale Studien zugrunde legen, muss man feststellen, dass man in Bremen sehr viel achtsamer mit den aktuellen Entwicklungen umgeht. Ein Klimaexperte aus den USA hat vor kurzem darauf hingewiesen, dass sich im Moment die Eisschmelze in der Arktis dra

matisch verschärft und wahrscheinlich im Sommer des Jahres 2030 dort kein Eis mehr sein wird. Das Goddard-Institut der NASA hat darauf hingewiesen, dass das kommende Jahrzehnt genutzt werden müsse, um dramatische Anstiege des Meeresspiegels zu verhindern. Da ist nicht von Zentimetern, sondern von Metern die Rede. Dies alles mag man hier kleinreden; man mag sagen, hier sei in den letzten 100 Jahren stets gemessen worden. Mir wäre wohler, Herr Minister, wenn Sie auch diese internationalen Signale und Studien ernsthaft und zeitnah zur Kenntnis nehmen und in Ihre Überlegungen einbeziehen würden. Herr Minister, ich frage Sie: Was sagen Sie dazu, dass die Bremer von völlig anderen Annahmen und wesentlich höheren zu erwartenden Meeresspiegelanstiegen ausgehen, als Sie es in Niedersachsen tun? Bremen ist ja nicht so ganz aus der Welt.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Danke schön, Herr Kollege Wenzel. - Für die Landesregierung antwortet Herr Minister Sander.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Kollege Wenzel, ich habe jetzt sicherlich in jeder zweiten meiner Antworten betont, dass wir alle neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse in unsere Arbeit einfließen lassen. Sie haben ja bereits eine Anfrage zu den Erkenntnissen von Herrn Professor Schirmer gestellt. In diesem Zusammenhang hat unser Mitarbeiter aus der Forschungsstelle Küste gesagt, hier brächten uns Ergebnisvorwegnahmen aus dem Bauch heraus nicht weiter. Man darf als Staat nicht nur Ängste schüren, sondern muss auch auf die Fakten hinweisen. Darauf setzen wir noch eine gewisse Sicherheitsmarge. Herr Professor Schirmer hat in seinen Berechnungen neben zusätzlichen 30 cm für das Tidehochwasser noch 15 cm für die Küstenabsenkung in Ansatz gebracht. Aber für diese Annahmen gibt es weder Hinweise in der Fachliteratur noch naturwissenschaftlich begründbare Analogien. Dies muss man zumindest offenlegen. Wenn es um das Geld der Steuerzahler geht, können wir nicht mit Mutmaßungen vorgehen. Küstenschutz ist ja weiterhin ein Schwerpunkt der Landesregierung, und die dafür vorgesehenen Mittel werden auf hohem Niveau gehalten, weil es hier um eine Verpflichtung gegenüber der nächsten Generation geht. Daher müssen Sie nicht andau

ernd versuchen, Szenarien aufzubauen, die nicht der Realität entsprechen. Dieses Thema ist bei uns und unseren Fachleuten schon in guten Händen.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)