Wir alle haben aber eine Verantwortung; es gibt, wie schon von meinen Vorrednerinnen zum Ausdruck gebracht worden ist, eine Verantwortung der Gesamtgesellschaft und des Staates, des Landes Niedersachsen, der Kommunen und jedes einzelnen.
Es hat mich aber etwas erschreckt, als ich das Thema der Aktuellen Stunde las: “Niedersachsen ist Vorreiter beim Kinderschutz“.
Es hat mich wirklich erschreckt. Ich habe mich dann gefragt, was das Land Niedersachsen an Besonderem anzubieten hat und wo es die Fahne schwenken kann. Liebe Frau Mundlos, seien Sie mir nicht böse, aber ich sehe nur einen Flickenteppich von Aktivitäten. Daher hatte ich den Eindruck, dass dieses Thema heute auf der Tagesordnung steht, weil es durch die Presse geistert und weil diese Landesregierung um jeden Preis bemüht ist, positive Botschaften zu senden. Allerdings geschieht dies in der Woche, nachdem bekannt wurde, dass ein Kind seit drei Jahren tot ist, ohne dass es jemand mitbekommen hätte. Auch solche Fälle gibt es ganz offensichtlich in Niedersachsen.
Nun will ich Ihnen sagen, wo wir in Niedersachsen leider Vorreiter sind: Vorreiter beim Rückzug aus der Verantwortung für Kinder- und Jugendhilfe, Vorreiter bei der Zerschlagung des Landesjugendamtes,
einer Koordinations- und Servicestelle im Interesse des Kindeswohls und der Chancengleichheit von Kindern. Hier, meine Damen und Herren, wird eine Fachbehörde ohne Not zerschlagen.
Das Land hat die Verpflichtung, für einheitliche Lebensverhältnisse zu sorgen. Dort haben Sie ein gut funktionierendes Koordinationssystem zerschlagen.
(Norbert Böhlke [CDU]: Das ist über- haupt nicht wahr! Das stimmt doch gar nicht! Es wird neu koordiniert!)
Vorreiter sind Sie auch beim Schmücken mit fremden Federn. Das Projekt Familienhebamme haben Sie in einer PR-Aktion wunderbar vermarktet: Das Modellprojekt ist eingerichtet, es gibt eine Aus- und Fortbildung von Familienhebammen, es gibt die Koordination über die Stiftung.
Aber dafür kommen die erwähnten 22 Kommunen auf, die Geld dafür haben. Sie bezahlen die Familienhebammen in ihrem Wirkungskreis.
Dies bedeutet letztendlich, dass Kinder- und Jugendschutz nach dem Geldbeutel der jeweiligen Kommune stattfindet. Das kann und darf nicht sein.
Zum Schluss noch eine Anmerkung: Welch eine elendig lange Diskussion um verpflichtende Schuleingangsuntersuchungen hatten wir! Wo ist der Antrag zu verpflichtenden Vorsorgeuntersuchungen geblieben? Seit einem Jahr ist er im Verfahren.
Ich glaube, dass das Land Niedersachsen noch viel zu tun hat, um im Kinderschutz wirklich eine Vorreiterrolle zu spielen.
Herr Busemann, Frau Ross-Luttmann, wo ist Ihr Aufschrei bei den Steuerrückflüssen geblieben? Dieses Geld könnten wir für das Kinder- und Familienland Niedersachsen gebrauchen. Tun Sie etwas! - Danke.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich kann mich meiner Vorrednerin anschließen. Ich halte das Thema, um das es hier geht, in der Aktuellen Stunde für völlig deplatziert.
Wer sich ernsthaft mit dieser schwierigen Problematik auseinandersetzen will, der kann das nicht in einer zuspitzenden Aktuellen Stunde machen. Die Namen von Jessica aus Hamburg, Kevin aus Bremen und aktuell Nadine aus Gifhorn stehen für ei
nes der schwierigsten und auch widerwärtigsten Probleme, die wir gegenwärtig zu lösen haben. Ich bin froh, dass die Medien maßgeblich mit dazu beigetragen haben, dass das Thema Kindesmissbrauch endlich aus der Tabuzone herausgekommen ist.
Meine Damen und Herren, zu diesem Thema ist viel geredet worden. Alles ist analysiert worden. Worum es geht, ist, dass insbesondere der Staat an den zuständigen Stellen endlich handelt und mit dem Lamentieren aufhört.
Niedersachsen ist eben nicht, wie Sie als Thema dieser Aktuellen Stunde formuliert haben, „Vorreiter beim Kinderschutz“ - ganz im Gegenteil. Während sich andere Bundesländer - Hessen, das Saarland, Rheinland-Pfalz, Bremen und wie sie alle heißen
bei der Frage, wie es mit flächendeckenden Untersuchungen aussieht, frühzeitig positioniert haben, ist Niedersachsen öffentlich überhaupt nicht in Erscheinung getreten. Sie haben bei dieser Debatte gar nicht stattgefunden.
Sie sagen, dass Sie nun für verpflichtende Eingangsuntersuchungen sind, Frau Mundlos. Die Wahrheit ist: Wir schicken den Schulzahnarzt in die Schule und in den Kindergarten. Dagegen habe ich nichts. Aber den Schularzt zu schicken und flächendeckend Untersuchungen in Kindertagesstätten durchzuführen - exakt das haben Sie im Land Niedersachsen verweigert.
Jetzt listen Sie auf, was alles möglich wäre. Ich fand das alles richtig, Frau Mundlos. Es waren weitestgehend die Inhalte unseres Entschließungsantrages. Nur lassen Sie den seit zehn Monaten kalt im Ausschuss liegen. Nichts davon ist bearbeitet worden. Wenn Sie es mit dem Thema ernst meinen, hätten wir lange auf der Basis dieses Antrages eine gemeinsame Position finden können.
Meine Damen und Herren, es geht so weit, dass nicht einmal ein so simples und meines Erachtens durchschlagendes Instrument wie die Einrichtung eines flächendeckenden 24-Stunden-Notruftelefons in Niedersachsen von Ihnen bisher installiert werden konnte. Ich finde das wirklich schäbig. Ich finde es unverantwortlich, wie Sie auf der einen Seite hier versuchen, das Thema zu besetzen, und auf der anderen Seite bisher alles verhindert haben, was uns in Niedersachsen vorangebracht hätte.
Frau Janssen-Kucz hat völlig recht. Sie reden davon, dass Jugendhilfe gestärkt werden muss. Die Jugendministerkonferenz hat im Mai dieses Jahres in Hamburg exakt dies beschlossen. Dort haben Sie zugestimmt: 16 : 0. In Niedersachsen schaffen Sie das Landesjugendamt ab und den Jugendhilfeausschuss gleich mit. Das ist doch eine groteske Haltung, die Sie hier an den Tag legen, wenn es um die Umsetzung Ihrer eigenen Beschlüsse geht.
Gelobt worden ist das neue Koordinationszentrum im Kinderkrankenhaus auf der Bult. Tatsache ist: Dazu hat das Land keinen Euro gegeben. Nichts!
Sie verkaufen die Aktivitäten Dritter als die Aktivitäten des Landes. Sie stellen dar, wie wichtig „Pro Kind“ ist. Ich finde dieses Modellprojekt „Pro Kind“, das aus Amerika kommt und das vom Bundesministerium mit 2 Millionen Euro in der Forschung unterstützt wird, einen richtig guten Ansatz. Aber sagen Sie bitte einmal, was der finanzielle Beitrag Niedersachsens ist! Er ist nämlich null.
Sie reden hier über Familienhebammen. Wir sind uns zigmal einig gewesen, dass Familienhebammen das bisher geeignetste Instrument der aufsuchenden Sozialarbeit sind. Es ist hier 2001 von Frau Dr. Trauernicht eingeführt worden. Wir alle finden es gut. Aber was ist die Realität? - Im Jahre 2005 haben Sie noch 140 000 Euro im Haushalt gehabt. Im Jahre 2006 haben Sie noch 130 000 Euro im Haushalt. Im Jahre 2007 steigen Sie aus: Es sind noch 40 000 Euro im Haushalt.
Die gesamte Kompetenz und die gesamte Verantwortung, ob es Familienhebammen gibt oder nicht, verschieben Sie als neue freiwillige Aufgabe auf die Kommunen. Es ist doch völlig unredlich, wie Sie mit diesem Thema umgehen.