Da ich gerade Lüchow-Dannenberg erwähnt habe: Eine Anhörung ist notwendig - Herr Jüttner oder Herr Dr. Lennartz, Sie haben es, glaube ich, angesprochen -, eine Bürgerbefragung ist in diesem Bereich allerdings nicht notwendig. Eine „Anhörung“ bedeutet, dass man eine Anzeige in der ElbeJeetzel-Zeitung schalten kann. Wir haben eine echte Bürgerbefragung gemacht, um hierzu die Informationen zu erhalten und um ein breites Votum für Veränderungen zu erzielen.
Da ich schon am Ende der fünf Minuten Redezeit angelangt bin, will ich kurz zusammenfassen: Dass wir mit großen Einheiten etwas verbessern können, ist zumindest sehr fraglich. Die Region Hannover hat bewiesen, dass man zumindest die Probleme, die die Kommunen auf finanzieller Ebene haben, damit auf gar keinen Fall lösen kann. Aber der richtige Weg ist, dass wir als Land auch die Verantwortung übernehmen, die Kommunen auch bei der interkommunalen Zusammenarbeit nicht alleine lassen, auch Anreizsysteme schaffen und dass man über Modellprojekte, für die man sogar Geld in die Hand nimmt, zeigt, dass man hiermit vor Ort bessere Strukturen schaffen kann, wenn man zusammenhält und Aufgaben gemeinsam erledigt.
Deshalb, meine Damen und Herren, bin ich für diese Studie dankbar, die der Bund der Steuerzahler nicht aus Steuergeldern, sondern aus Gebühren finanziert hat - ansonsten hätte ich gefragt, ob dieses Geld tatsächlich gut angelegt war. Aber wenn man das Geld selbst auf den Tisch legt, ist das etwas anderes. Insofern meine ich, dass dies gezeigt hat, dass wir uns der Debatte stellen müssen. Aber die Antworten müssen anders ausfallen, als sie der Bund der Steuerzahler und Herr Jüttner heute auf den Weg gebracht haben. - Vielen Dank.
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Zeitunglesen beunruhigt zurzeit wohl jeden. Die Schlagzeilen über Kindesmissbrauch und -tötung häufen sich. Zuletzt der Fall Nadine: Ein Kind verschwindet, es stirbt einen einsamen, grausamen Tod, und ein anderes wird an seine Stelle gesetzt und unter falschem Namen erzogen - an allen Behörden vorbei, an allen Nachbarn vorbei, an allen Verwandten vorbei. Alle konnten getäuscht werden, alle haben sich täuschen lassen.
Laut aktuellen Angaben von UNICEF sterben in Deutschland jede Woche zwei Kinder an den Folgen von Misshandlungen und Vernachlässigungen. Wie viel Leid verbirgt sich dahinter? - Hierbei sind Hinsehen und Handeln als ein Zeichen der Menschlichkeit gefordert.
Ich möchte zunächst in Stichworten sagen, wo wir in Niedersachsen hinsehen und wie wir handeln. Dann möchte ich noch einen kurzen Ausblick geben.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, das Land hat gute Erfahrungen mit dem Einsatz von Familienhebammen gemacht. Sie beraten und helfen während der Schwangerschaft und nach der Geburt, insgesamt bis zu einem Jahr. Es ist ein Schutzsystem für Kinder und u. a. eine Verzahnung der Beteiligten wie Jugendämter, Kinderärzte, Hebammen und Eltern. Deshalb soll die Arbeit der Familienhebammen künftig in Niedersachsen landesweit angeboten werden. Es ist geplant, den Einsatz von künftig 105 Familienhebammen ab dem nächsten Jahr auf 22 Städte, Samtgemeinden und Landkreise auszudehnen - den Kommunen und dem Land sei Dank.
Ergänzt wird dies seit dem 1. November durch das Bundeshebammenprojekt „Pro Kind“. Wir begleiten junge Familien zunächst in fünf niedersächsischen Städten.
Ich nenne als Drittes das „Koordinierungszentrum Kindesschutz“ im Kinderkrankenhaus auf der Bult in Hannover. Es arbeitet eng vernetzt mit der MHH, den Rechtsmedizinern, niedergelassenen Kinderärzten, dem Jugendamt und den nachsorgenden Institutionen zusammen. Ziel ist neben der schnelleren Identifikation von Misshandlungen auch eine standardisierte Diagnostik und eine professionelle Übergabe und Weiterleitung an Fachkräfte.
Wir haben eine ganze Reihe weiterer Projekte in Niedersachsen, die ich nur stichwortartig nennen kann: Beratungsstellen im Bereich der Gewalt gegen Kinder, zwei Kinderschutzzentren in Hannover und Oldenburg, die Landesstiftung „Familie in Not“, den Deutschen Kinderschutzbund und vieles andere mehr. Niedersachsen ist fürwahr Vorreiter beim Kinderschutz.
Aber wir wollen noch besser werden, um gefährdeten Kindern zu helfen. Sicherlich wird die geplante Kinderschutzkonferenz der Landesregierung neue Erkenntnisse über Maßnahmen zur besseren Erkennung und Vermeidung von Kindesmissbrauch und Kindervernachlässigung bringen. Auch das werden wir einbinden.
Dabei darf es kein Tabu geben. Wir haben uns für konsequente Schuleingangsuntersuchungen eingesetzt und wollen weitere Lücken schließen, u. a. im vorschulischen Bereich.
Deshalb werden wir uns auch erneut den Vorsorgeuntersuchungen für Kinder zuwenden. Die meisten Eltern - bitte keine Pauschalierungen! - nehmen ihre Elternschaft sehr ernst und gewissenhaft wahr.
Viele Eltern nehmen an den Vorsorgeuntersuchungen U1 bis U9 auf freiwilliger Basis teil, einige aber nicht. Eine Nichtteilnahme kann ein ernster Warnhinweis sein. Wir werden deshalb prüfen, ob und wie erstens die U-Untersuchungen zur Pflicht werden können, ob zweitens die Abstände kürzer werden müssen und wie drittens bei einer Nichtteilnahme ein Mechanismus in Gang gesetzt wird, der zugunsten des Kindeswohles greift.
Wir brauchen viertens ein Frühwarnsystem, fünftens mehr Aufklärung und sechstens ein Umdenken bei den Entscheidungsträgern in den Behörden und in der Gesellschaft.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Eltern sind zur Fürsorge verpflichtet. Doch wenn sie es allein nicht schaffen, dann muss der Staat die Aufgabe, das Kindeswohl zu sichern, mit übernehmen und den Kindern helfen. Dafür - das sage ich hier ganz deutlich - werden wir Sorge tragen. Unser Ziel ist ein flächendeckendes Netz zum Schutz und Wohl kleiner Kinder. Das wird kommen. - Vielen Dank.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist schon angesprochen worden: Zeitunglesen macht heutzutage manchmal keinen Spaß mehr. In der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung von heute gibt es vier Artikel, die sich mit dem Thema dieser Aktuellen Stunde beschäftigen. Es ist erstens ein Hinweis darauf, dass „Pro Kind“ - das ist schon angesprochen worden - jetzt in der Hauptphase startet. Frau Ross-Luttmann hat es vorgestellt. Unter dem Artikel „Mehr Hilfe für Schwangere in Niedersachsen“ ist das dargestellt. Das ist eine positive Nachricht. Es gibt aber drei sehr negative Nachrichten: Die eine bezieht sich auf Nadine in Gifhorn, die mit zwei Jahren verstorben ist, was jetzt erst nach vier Jahren aufgefallen ist. Die Zweite bezieht sich auf den zweieinhalb Jahre alten Sascha in Berlin, der lebensgefährlich verletzt im Krankenhaus liegt, weil sein Vater ihn misshandelt hat. Der dritte Artikel bezieht sich auf einen 21 Monate alten Jungen in Einbeck, der ebenfalls von seinem Vater misshandelt wurde und schwer verletzt im Krankenhaus liegt. Solche Meldungen müssen uns alle wachrütteln und fordern uns alle, insbesondere diejenigen, die in Gesellschaft und Politik Verantwortung tragen.
Sie brauchen unser aller Zuwendung, Fürsorge, Verantwortung und Förderung. Sie sind das schwächste Glied unserer Gemeinschaft und zugleich unsere Zukunft. Darum ist es wichtig, die Chance eines jeden Kindes auf eine positive und gesunde Entwicklung sicherzustellen. Dies ist natürlich an erster Stelle die Aufgabe der Eltern. In der Regel wird sie auch von den Eltern gut wahrgenommen. Allerdings sind schätzungsweise - es ist schwer, genaue Zahlen zu nennen, weil die Dunkelziffer sehr hoch ist - 6 % der Eltern nicht in der Lage, dieser Aufgabe gerecht zu werden: in der Regel nicht, weil sie es nicht wollten, sondern deswegen, weil sie aufgrund unterschiedlicher eigener Probleme nicht dazu in der Lage sind. Zu den Problemen gehören psychische oder psychiatrische Erkrankungen, Alkohol- oder Drogenmissbrauch oder übermäßiges Rauchen, aber auch Alleinerziehung, unerwünschte Schwangerschaft sowie ein besonders junges Alter werdender Mütter und natürlich auch ein niedriges Bildungsniveau, Arbeitslosigkeit und Armut. Viele Kompo
nenten stellen für die Kinder ein Risiko dar. Es ist aber wichtig, zu wissen, dass Kinder aus Risikofamilien nicht zwangsläufig in schwierigen Verhältnissen aufwachsen. Wenn die Eltern gestützt und in die Lage versetzt werden, für ihre Kinder zu sorgen, ist auch in Risikofamilien eine gute Entwicklung möglich. Unsere Aufgabe ist es daher, solche Eltern zu unterstützen und Kindesvernachlässigung vorzubeugen. Auch müssen die Folgen von Kindesvernachlässigung bedacht werden, die nicht nur körperlicher, sondern auch psychischer Natur sein können. Zu den Folgen gehören schlimmstenfalls der Tod sowie dauerhafte körperliche oder psychische Entwicklungsstörungen, die sogar an die nächste Generation weitergegeben werden können; denn aus vernachlässigten Kindern werden häufig auch vernachlässigende Eltern.
Was können wir in der Politik tun? - Das eine ist die Bestandsaufnahme, was bereits für Kinder getan wird. Frau Mundlos hat dies schon sehr gut aufgezeichnet. Das Hebammenprojekt, für das bis jetzt 570 000 Euro ausgegeben wurden, wird ausgeweitet. Ferner sind die Landesstiftung „Familie in Not“ und das Projekt „Pro Kind“ zu erwähnen. Für Beratungsstellen, Familienbildungsstätten, Mütterzentren, Kinderschutzzentren usw. werden mehr als 2 Millionen Euro pro Jahr ausgegeben, um Kinderschutz sicherzustellen. Neben dem Land gibt es andere Träger wie das Deutsche Rote Kreuz und den Kinderschutzbund, die für stärkende Maßnahmen sorgen. Es wird also viel getan; aber gerade beim Thema Kinderschutz dürfen wir keinesfalls stehen bleiben, sondern müssen uns immer wieder neu den aktuellen Herausforderungen stellen.
Das heißt, wir müssen alles tun, um die Ursachen für Kindesvernachlässigung zu bekämpfen; dies müssen wir übrigens nicht nur in der Sozialpolitik, sondern in allen Politikbereichen tun. Wir müssen alles tun für eine kinder- und familienfreundliche Gesellschaft, wir müssen die Eltern bilden und stärken und schlimmstenfalls den Eltern die Kinder wegnehmen, wenn sie nicht in der Lage sind, sie zu versorgen. Wir müssen die Kinder stark machen und für ihr gesundes Aufwachsen sorgen, nicht zuletzt durch Vorsorgeuntersuchungen. Wir brauchen die richtigen, rechtlich abgesicherten Rahmenbedingungen, damit Außenstehende rechtzei
tig eingreifen können, wenn sie etwas bemerken. Wir brauchen eine Vernetzung und vor allem eine Kultur des Hinschauens. In diesem Sinne fordere ich Sie alle auf, in Ihrem individuellen Umfeld dafür zu sorgen, dass noch mehr Menschen für den Kinderschutz sensibilisiert werden, damit wirklich eine Kultur des Hinschauens geschaffen wird. Außerdem müssen wir hier im Landtag gemeinsam konstruktiv an Lösungen arbeiten, die erforderlich sind, um die Lage der Kinder in Niedersachsen noch weiter zu verbessern und Misshandlungen vorzubeugen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Kinderschutz geht alle an, und Kindeswohl hat an erster Stelle zu stehen. Ich glaube, das kann jeder einzelne von uns unterschreiben.
Leider steht der Kinderschutz aber nicht an erster Stelle. Auch die gemeinsame Verantwortung für alle Kinder lässt oftmals zu wünschen übrig. Die Öffentlichkeit wurden in den letzten Wochen und Monaten, eigentlich während des ganzen letzten Jahres, immer wieder von Extremfällen von Kindesvernachlässigung und Kindesmisshandlung erschüttert, wobei Kinder zu Tode gekommen sind. Aber diese bekannt gewordenen Fälle stellen nur die Spitze eines Eisbergs dar. Sehr viele Kinder - es gibt keine genauen Zahlen, auch nicht für Niedersachsen - müssen in ganz schrecklichen Verhältnissen leben; ihnen muss geholfen werden. Um Fälle wie Nadine, Jessica und Kevin zu verhindern, gibt es keine Patentrezepte. Wir sollten uns hier auch gar nicht anmaßen, etwas anderes zu behaupten.