Protokoll der Sitzung vom 08.11.2006

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, stattdessen legen Sie mit dem Haushalt 2007 ein 20-Millionen-EuroProgramm vor, das genauso planlos wie konzeptionslos ist.

(Zuruf von der SPD: Ja!)

Ich hätte mir gewünscht, dass Sie, Frau RossLuttmann, nicht angefangen hätten, an dieser Stelle den Stil Ihrer Vorgängerin zu kopieren. Sie hat immer viel Show gemacht, wenn es darum ging, inhaltliche Themen zu besetzen. Ich würde mir wirklich wünschen, dass Sie hier ein geschlossenes Konzept des Landes vorstellen, an dem wir dann gemeinsam arbeiten können. Aber benutzen Sie bitte nicht Pressemitteilungen und irgendwelche öffentlichen Veranstaltungen Dritter, um publikumswirksam ein Thema zu bearbeiten, bei dem Sie überhaupt nicht stattfinden!

Herr Kollege Schwarz, fünf Minuten sind für die Aktuelle Stunde vereinbart. Sie haben bereits eine halbe Minute überzogen.

Ich finde das dem Thema völlig unangemessen. Sie sollten zu einer inhaltlichen Arbeit zurückkehren.

(Lebhafter Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Für die Landesregierung hat jetzt Frau Ministerin Ross-Luttmann das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die in den letzten Monaten bekannt gewordenen Fälle von Kindesmisshandlung und tra

gischen Todesfällen zeigen uns eines, glaube ich, sehr deutlich: Wir müssen von Anfang an das Wohl der Kinder schützen. Denn Kinder sind unser wertvollstes Gut. Der tragische Fall des Mädchens Nadine führt uns nochmals vor Augen, wie schnell ein Kind in unserer unmittelbaren Nähe betroffen sein kann. Der frühzeitige Schutz von Säuglingen und Kindern vor Missbrauch und Gewalt ist seit Langem ein Hauptanliegen der Niedersächsischen Landesregierung.

(Zuruf von bei der SPD: Aller Landes- regierungen!)

In Niedersachsen sind die Landkreise und die kreisfreien Städte für die Aufgaben der örtlichen Jugendhilfe nach dem Kinder- und Jugendhilfegesetz zuständig. Diese verantwortungsvollen Aufgaben führen die Kommunen auch sehr verantwortungsvoll und mit hohem Engagement durch.

(Zustimmung bei der CDU)

Das Land hat die Aufgabe, die Kommunen zu unterstützen und zu beraten. Zum Ausbau eines Netzwerkes früher Hilfen fördert das Land die Hebammenprojekte. Durch die Hebammenprojekte erfahren Kinder und Eltern aus sozial schwachen Verhältnissen frühe Hilfen. Eltern lernen rechtzeitig, auf die gesundheitlichen und emotionalen Bedürfnisse der Kinder einzugehen, und werden für diese sensibilisiert.

Das Projekt „Aufsuchende Familienhilfe für junge Mütter - Familienhebammen“ bietet einen erfolgreichen Ansatz, um einer Kindeswohlgefährdung bereits in einem frühen Stadium, nämlich ab der Schwangerschaft, entgegenzuwirken. Seit dem Jahr 2002 kamen in vier niedersächsischen Modellkommunen, nämlich in den Städten Hannover, Braunschweig und Osnabrück sowie in der Stadt und dem Landkreis Leer, Familienhebammen zum Einsatz. Zusammen mit einer Sozialarbeiterin der jeweiligen Kommune betreuen die Familienhebammen Frauen und ihre Kinder in schwierigen, psychosozial belastenden Lebenslagen bereits während der Schwangerschaft bis zum Ende des ersten Lebensjahres des Kindes.

Meine Damen und Herren, in den letzten Jahren konnte bereits über 500 Familien erfolgreich geholfen werden. Dies zeigt, wie erfolgreich dieses Projekt ist.

(Zustimmung bei der CDU)

Wir haben in diesem Jahr die Ausbildung von fast 90 freiberuflichen Hebammen zu Familienhebammen gefördert, sodass im nächsten Jahr voraussichtlich rund 105 Familienhebammen in Niedersachsen zur Verfügung stehen werden. Dieses Angebot wird von den Kommunen auch gut angenommen. Die Kommunen finanzieren die Arbeit der Familienhelferinnen. Sie sind für diesen Bereich auch zuständig. Das Land Niedersachsen hat die Kommunen dadurch unterstützt, dass es die Fortbildung bezahlt hat.

(Uwe Schwarz [SPD]: Sie haben eine Gesamtverantwortung, Frau Ross- Luttmann!)

Wir wollen die Arbeit dieser Familienhabammen in Niedersachsen landesweit etablieren.

(Zustimmung bei der CDU)

Bereits jetzt haben 22 Kommunen ihre Bereitschaft erklärt, ab 2007 Familienhebammen mit eigenen Mitteln einzusetzen.

Zur Unterstützung dieser Aktivitäten soll bei der Stiftung „Eine Chance für Kinder“ eine Koordinierungsstelle für zunächst drei Jahre vom Land gefördert und begleitend auch ein Qualitätsmanagement durchgeführt werden.

Das Modellprojekt „Pro Kind“ ist am 1. November 2006 nach einer Pilotphase auch in Niedersachsen gestartet.

(Uwe Schwarz [SPD]: Wie hoch ist der Beitrag des Landes?)

- Ganz langsam, Herr Schwarz. - Ziele dieses wissenschaftlich begleiteten Projektes sind die gesundheitliche Prävention, die Förderung der kindlichen Entwicklung sowie der Erziehungskompetenz der Eltern und die Unterstützung der Mütter, die sich in schwierigen Lebenslagen befinden. Die Schwangeren werden von Familienbegleiterinnen - Hebammen und Sozialpädagoginnen - zu Hause besucht und nach einem bewährten Konzept betreut, bis das Kind zwei Jahre alt ist. Dies stellt eine gute Ergänzung zum Familienhebammenprojekt dar. Herr Schwarz, eine finanzielle Beteiligung des Landes ist selbstverständlich vorgesehen. Sie wird sich bis zum 31. Januar 2011 voraussichtlich auf knapp 300 000 Euro belaufen.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Um den Betroffenen - Kindern und Jugendlichen sowie Eltern, Erziehern, Lehrern usw. - landesweit Anlaufstellen zu bieten, fördert das Land 19 Beratungsstellen im Bereich von Gewalt gegen Kinder und Jugendliche und 27 Gewaltberatungseinrichtungen für Frauen und Mädchen. Als Fördervolumen des Landes sind auch im Jahr 2007 zunächst wieder 406 000 Euro vorgesehen. Das Angebot der Beratungsstellen wird durch zwei Kinderschutzzentren in Hannover und Oldenburg ergänzt. Das Angebot der Kinderschutzzentren umfasst neben der Beratung und Therapie auch die Vermittlung weiterführender Hilfe sowie Präventions- und Projektarbeit. Die Förderung des Landes für diese beiden Kinderschutzzentren beläuft sich auf jährlich 378 000 Euro. Es ist erfreulich, dass nach einer Erhebung des Landesgesundheitsamtes in Niedersachsen an den ersten Früherkennungsuntersuchungen - U 1 bis U 6 - bereits etwa 90 % der Kinder teilnehmen. Bei den nachfolgenden Vorsorgeuntersuchungen sinkt die Teilnahmequote allerdings. Ich glaube deshalb, dass es wichtig ist, dass wir bei den Vorsorgeuntersuchungen zu einer höheren Verbindlichkeit kommen.

Frau Ministerin, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Merk?

Nein. - Der Kinderschutz ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe von Politik, Jugendhilfe und Einrichtungen der Gesundheitshilfe. Kein Politiker, keine Behörde und kein Bürger sollte darauf setzen, dass es ein einfaches Patentrezept zur künftigen Verhinderung von Kindesmissbrauch und Kindesvernachlässigung geben könnte.

(Beifall bei der CDU)

Ganz entscheidend sind ein frühes Erkennen, darauf aufbauend richtiges Handeln und die Bündelung von Kräften und Hilfsangeboten. Deshalb werde ich noch in diesem Jahr mit Vertretern vom Landesgesundheitsamt, von Krankenkassen, Krankenhäusern, Ärzteverbänden, kommunalen Spitzenverbänden, Kinderschutzzentren und dem Kinderschutzbund eine Kinderschutzkonferenz durchführen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir sollten nicht vergessen: Die meisten Eltern kümmern

sich liebevoll, verantwortungsbewusst und sehr gewissenhaft um ihre Kinder. Es gibt aber auch die anderen Fälle. Das Ziel unserer aller Bemühungen muss es immer sein, Kindesvernachlässigung und Kindesmissbrauch möglichst früh zu erkennen, ihnen nachhaltig entgegenzuwirken und gegebenenfalls intervenierend, besser noch, präventiv tätig zu werden. All diese Betrachtungen gehen natürlich auch mit unserem 100-Millionen-Euro-Programm „Familie mit Zukunft“ Hand in Hand, das der Verbesserung der Bildung und dem weiteren Ausbau qualitativ guter und flexibler Betreuungsstrukturen für Kinder dient. Niedersachsen kann sich mit all den gezielten Maßnahmen zum Kinderschutz durchaus sehen lassen. Ich möchte abschließend an alle - an die Behörden, an die Mediziner und auch an das direkte Lebensumfeld - appellieren, auf Kinder zu achten.

(Lebhafter Beifall bei der CDU und bei der FDP - Heidrun Merk [SPD]: Das war vielleicht eine Vorreiterrolle! Mein Gott noch einmal!)

Damit ist der Tagesordnungspunkt 4 b erledigt.

Ich rufe auf

c) Atommüll in Asse II: Für hunderttausend Jahre gedacht - nach 25 Jahren abgesoffen - Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Drs. 15/3297

Der Kollege Stefan Wenzel hat das Wort.

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! In den 70er-Jahren gab es bei uns im Moor eine Müllkippe, wo Müll in eine wunderbare Moorlandschaft gekippt wurde. Als ich kürzlich in den Schacht von Asse II eingefahren bin und mir die unterirdische Verklappung dort angesehen habe, kamen mir diese Bilder wieder in den Sinn: Fässer, die man einfach einen Abhang hinuntergestürzt hat, und andere, die man einfach in ein Loch geschmissen hat.

Es war im Jahr 1955, als der Nobelpreisträger Werner Heisenberg feststellte, dass es ausreichend sei, den Atommüll in einer Tiefe von 3 m zu vergraben, um ihn völlig unschädlich zu machen.

Im Jahre 1969 vertrat sein Kollege Friedrich von Weizsäcker die Auffassung, dass der gesamte Atommüll der Bundesrepublik im Jahre 2000 in einen Kasten passe, der einem Kubus von 20 m Seitenlänge entspreche, sich gut versiegeln lasse und in einem Bergwerk versteckt werden könne. So weit der Traum von damals, der sich jetzt zum Alptraum entwickelt hat.

In den Jahren von 1967 bis 1978 ist nahezu der gesamte Atommüll der damaligen Bundesrepublik in der Asse bei Wolfenbüttel versenkt worden - zu Forschungszwecken, wie damals das zuständige Ministerium erklärte. In der Asse wurde der Atommüll u. a. aus westdeutschen Atomkraftwerken, von AEG, Hoechst, Nukem und Transnuklear eingelagert. Bezeugt sind Fässer mit mittel und schwach radioaktivem Müll, die Plutonium, Uran und viele andere Radionuklide enthalten.

In dieser Zeit und offenbar auch in diesem Geist fiel auch die bis heute umstrittene Standortentscheidung für Gorleben.

Jetzt ist Asse II undicht geworden. Hunderttausende von Jahren sollte dieses Lager Sicherheit gewährleisten. Nach weniger als 25 Jahren begannen die Laugenzuflüsse. Die Standsicherheit ist bedroht. Täglich fließen 12 m3 Salzlauge zu. Für ein Atommülllager ist das der GAU. Es gibt Kontakt zur Biosphäre, zum Grundwasser, und das Grubengebäude droht mittelfristig einzustürzen. Jetzt ist auch nicht mehr von Forschungs- und Versuchszwecken die Rede; jetzt macht die bundeseigene GSF aus dem Versuchsendlager ein richtiges Endlager für Atommüll und schafft Fakten, indem sie erste Stollen mit Kaliabraum verfüllt und mit einer Magnesiumchloridlösung flutet. Das Absaufen des Atommüllendlagers wird quasi beschleunigt.

Die Landesregierung hat diese Maßnahmen über das Landesamt in Clausthal nach Bergrecht genehmigt. Das ist eigentlich unfassbar. Da wird einfach ein Atommülllager mitten in Deutschland geschaffen und muss nun endgültig stillgelegt werden. Es soll noch nicht einmal eine Planfeststellung nach Atomrecht geben. Aus angeblicher Versuchslagerung wurde Endlagerung. Die Rechte der Anlieger werden verkürzt, weil das Bergrecht keine formale Öffentlichkeitsbeteiligung und keine Klagemöglichkeit vorsieht.

Wir haben dem GBD des Landtages diesen Vorgang zur Prüfung vorgelegt. Der GBD kommt zu der Auffassung, dass für die Stilllegung ein Plan

feststellungsverfahren nach Atomrecht erforderlich ist. Das Gutachten steht wahrscheinlich auch Ihnen zur Verfügung. Es ist fraglich, ob es für die gegenwärtigen Arbeiten überhaupt eine Rechtsgrundlage gibt. Der GBD stellt sehr richtig fest, dass das Gesetz - das gilt sowohl für das Atomrecht als auch für das Bergrecht - keine Versuchsendlagerung kennt.

Zurzeit werden in der Asse Fakten geschaffen. Die Flutung des Bergwerks hat mit der Einbringung von 10 300 m3 Magnesiumchloridlösung bereits begonnen. So hat es die Bundesregierung in ihrer Antwort auf eine Kleine Anfrage mitgeteilt. Selbst nach Bergrecht ist diese Maßnahme sehr merkwürdig, weil bislang noch kein Abschlussbetriebsplan vorliegt. Sie, Herr Minister Sander, tolerieren als Rechts- und Fachaufsicht ein illegales Endlager für Atommüll in der Asse. Eine belastbare Rechtsgrundlage für das Absaufen nach Bergrecht gibt es nicht. Herr Minister Sander, ich fordere Sie daher auf, das Fluten des Endlagers Asse zu stoppen und unverzüglich ein atomrechtliches Planfeststellungsverfahren einzuleiten.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)