Protokoll der Sitzung vom 08.11.2006

die von der Neugier der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler vorangetrieben wird. Wir brauchen diese sogenannte zweckfreie, von Neugier getriebene Wissenschaft vielleicht mehr denn je. Wichtige Erkenntnisse werden oft an den Rändern der unterschiedlichen Disziplinen gewonnen, und zwar dort, wo sich diese Disziplinen zu Schnittmengen vereinigen. In einem vernetzten System stellen deshalb Interdisziplinarität, Profilbildung und Differenzierung keine Gegensätze dar, wie oft anders behauptet oder auch missverstanden, sondern sie bedingen im Gegenteil einander. Die zunehmende Komplexität der Probleme wird neben technischen Lösungen künftig eben mehr denn je politikwissenschaftliche, soziologische oder ethisch-philosophische Antworten erfordern. Die Zukunft der Wissenschaft, der Wirtschaft und der Menschheit liegt im

Netz, im vernetzten Denken und in dem dazu erforderlichen Mentalitätswandel.

Wir haben übrigens insbesondere das VW-Vorab auch deshalb umstrukturiert, weil wir mehr für die Geistes- und Kulturwissenschaften tun wollen, weil wir wissen, dass Interdisziplinarität an dieser Stelle künftig eher von größerer Bedeutung sein wird, als das in der Vergangenheit der Fall war.

(Beifall bei der CDU)

Mit den anstehenden Veränderungen der Studienstrukturen stellt sich natürlich auch die Frage nach dem Verhältnis von Lehre, Forschung und Entwicklung. Von den Hochschulen werden zu Recht - ich habe darauf hingewiesen - Beiträge zu Problemlösungen der Gesellschaft erwartet. Der leider zu früh verstorbene frühere Berliner Wissenschaftssenator, SPD-Generalsekretär und Gründungsrektor der Universität Erfurt, Peter Glotz, hat einmal darauf hingewiesen, dass die deutschen Hochschulen in den letzten 25 Jahren viel zu wenig von ihrem Wissen, ihrem Know-how und ihrer Erfahrung in Problemdefinition und Problemlösung weitergegeben haben.

Meine Damen und Herren, wir wollen die Hochschulen stärker in die Verantwortung nehmen und das hier vorhandene Know-how nutzen, um zu Problemlösungen in unserem Land beizutragen. Deshalb haben wir die Forschungsförderung des Landes neu strukturiert und Forschungsverbünde eingerichtet. Diese Verbünde werden nach externer Begutachtung finanziert und beschäftigen sich schon jetzt mit Fragen der Windenergie, der Energieforschung und der Ernährungsforschung. Weitere, u. a. die Altersforschung, werden vorbereitet. Neben den universitären und außeruniversitären Forschungseinrichtungen beteiligen wir - das halte ich für sehr wichtig - immer auch technologieorientierte Unternehmen, was den Technologietransfer erheblich verbessern wird.

Im Rahmen der Exzellenzinitiative des Bundes und der Länder haben wir in der Vorausscheidung im Januar gut abgeschnitten. Auch mit dem Endergebnis der ersten Runde können wir einigermaßen zufrieden sein. Eine Graduiertenschule zur Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses und zwei Exzellenzcluster zur Förderung von Spitzenforschung sind ein wichtiger Erfolg für Göttingen und die Medizinische Hochschule Hannover.

(Beifall bei der CDU - Zustimmung von Dr. Gabriele Andretta [SPD])

Wir sind stolz darauf, dass die MHH durch richtige Strukturentscheidungen der letzten Monate und Jahre heute ohne Übertreibung als die beste medizinische Hochschuleinrichtung dieser Republik, vielleicht sogar ganz Europas, bezeichnet werden kann.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Dies hat ausschließlich damit zu tun, dass die dort handelnden Akteure den Mut hatten, richtige Schwerpunktsetzungen vorzunehmen. Ich gratuliere auch unserer Landesuniversität; von den Göttingern dürfen wir uns bei weiteren Runden noch viel mehr erwarten. Ich bin sicher, dass es dort Erfolge geben wird.

Niedersachsen liegt nach der Exzellenzinitiative zusammen mit Hessen auf Platz vier der Länderliste.

(Beifall bei der CDU)

Damit werden in den kommenden fünf Jahren zusätzlich rund 47 Millionen Euro an Forschungsmitteln nach Niedersachsen fließen. Das Land beteiligt sich an dieser Förderung mit rund 12 Millionen Euro. Aber eines sage ich hier auch sehr deutlich: Die Ergebnisse der Exzellenzinitiative haben offenbart, wie stark das Süd-Nord-Gefälle in dieser Republik ist. Dieses Gefälle spornt uns zum einen an; wir wollen so gut wie die im Süden unserer Republik werden. Aber es macht uns natürlich auch Sorgen, da ich die Finanzausstattung einiger Hochschulen - ich denke etwa an die Münchener Hochschulen - kenne. Ich bin davon überzeugt, dass wir den Wettbewerb mit den süddeutschen Ländern nur dann bestehen werden, wenn wir uns in Norddeutschland - d. h. Schleswig-Holstein, Hamburg, Bremen und Niedersachsen - enger zusammentun und gemeinsam unsere Kräfte und Ressourcen bündeln, um diesen Wettbewerb besser zu bestehen. Wir werden schon in der nächsten norddeutschen Ministerkonferenz dazu Initiativen ergreifen.

(Beifall bei der CDU)

Meine Damen und Herren, mit dem neuen NHG werden wir die Instrumente gesetzlich verankern, die für die weitere Entwicklung unserer Gesellschaft unabdingbar sind. Beispielsweise wird das Teilzeitstudium wieder rechtlich abgesichert. Für die Zeit der Betreuung von Kindern bis zum 14. Lebensjahr während des Studiums werden Studierende, wie Sie wissen, keine Studienbeiträge zah

len müssen. Wir wollen, dass junge Mütter und Väter künftig studieren können.

Der herausragenden gesellschaftlichen Bedeutung der Erziehung von Kindern muss in jedem Bereich angemessen Rechnung getragen werden.

(Beifall bei der CDU)

Niedersachsens Hochschulen sind deshalb schon jetzt bei der Einführung der Ausbildung von Erzieherinnen und Erziehern von morgen und übermorgen bundesweit vorbildlich. In Emden wird ein Bachelorstudiengang „Integrative Frühpädagogik“ eingerichtet. In Hildesheim haben wir auf diesem Sektor ein weiteres Leuchtturmprojekt: Die dortige Fachhochschule verzahnt eine Modellkrippe für Kinder von Studierenden und Mitarbeitern nach modernsten pädagogischen Konzepten mit Forschung und Ausbildung. Sie hat dafür das Zertifikat „Audit - familiengerechte Hochschule“ erhalten.

Für die Zukunft unserer Gesellschaft ist es entscheidend, Kinder und Jugendliche frühzeitig für Wissenschaft und Forschung - insbesondere für die Ingenieur- und Naturwissenschaften - zu begeistern.

(Beifall bei der CDU)

Im Hinblick auf die anstehenden globalen, aber auch nationalen Probleme ist es nicht hinnehmbar, dass wir im letzten Semester etwa 5 000 Studienplätze im Bereich der Ingenieur- und Naturwissenschaften allein in Niedersachsen nicht besetzen konnten, weil es dafür keine Nachfrage gab. Wir werden die anstehenden Probleme nicht lösen können, wenn wir es in den nächsten Jahren in Deutschland nicht schaffen, zusätzlich 100 000 Ingenieurinnen und Ingenieure auszubilden. Europaweit wird sogar von der Zahl 700 000 gesprochen: Wir brauchen europaweit 700 000 zusätzliche Forscherinnen und Forscher.

Derzeit gibt es bei uns also in den genannten Bereichen überhaupt keine Kapazitätsprobleme; es gibt lediglich Motivationsprobleme: Wie schaffen wir es, junge Leute für diese Studiengänge stärker zu begeistern? Wir werden deshalb im nächsten Jahr besondere Anstrengungen unternehmen, etwa mit der Veranstaltung „Nacht der Informatik“, die auch in diesem Jahr stattgefunden hat. Wir werden die Kinderuniversitäten weiterhin unterstützen. Wir werden, wie bereits erwähnt, 1 Million Euro bereitstellen und mithilfe der Wirtschaft die „Ideen-Expo“ im Herbst 2007 auf die Beine stellen.

Dies alles geschieht mit dem Ziel, junge Leute stärker zu motivieren und für diese wichtigen Disziplinen zu begeistern.

Meine Damen und Herren, wir sind auf einem hervorragendem Weg in Niedersachsen. Wir haben starke Hochschulen und eine in vielen Bereichen exzellente, nachhaltige Forschung. Darauf müssen wir aufbauen.

Sie sehen, wir haben noch viel vor uns; ich habe ein ehrgeiziges Programm skizziert. Es geht um die Weiterführung des Begonnenen, um die Evaluation von Herausforderungen sowie um Neuausrichtung und Kooperation. Wir brauchen dazu die Unterstützung aller: der Hochschulen, der Wirtschaft und letztlich der ganzen Gesellschaft. In dem ständigen Wandel wollen wir uns durch Qualität, Kenntnisse und Kooperationen behaupten. Wenn wir dies mit Effektivität, Energie, Effizienz und vor allem mit Enthusiasmus paaren, dann werden wir in der Lage sein, die großen Probleme zu lösen. Dies werden wir nur dann tatsächlich schaffen, wenn wir Wissenschaft und Forschung viel stärker einbinden.

Wir sind es unseren Kindern schuldig, dass wir uns den gewaltigen Herausforderungen stellen und ihnen ein lebenswertes Niedersachsen übergeben. Dessen Prosperität und gute Entwicklung hängen vom Rohstoff Wissen, seiner Veredelung und seiner Anwendung ab. Es lohnt sich, dafür gemeinsam zu streiten und sehr hart zu arbeiten.

(Starker, anhaltender Beifall bei der CDU - Starker Beifall bei der FDP)

Für die SPD-Fraktion hat nun Frau Dr. Andretta das Wort.

(Unruhe)

- Meine Damen und Herren, ich habe Frau Dr. Andretta und niemand anderem das Wort erteilt. Wer hier im Plenarsaal reden möchte, gibt eine Wortmeldung ab; er wird dann der Reihenfolge entsprechend aufgerufen werden. Alle anderen, die trotzdem noch reden wollen, gehen bitte hinaus.

(Dr. Philipp Rösler [FDP]: Jawohl!)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Minister Stratmann, was wir von Ihnen eben gehört haben, war keine Regierungserklärung, sondern eher etwas für das Feuilleton oder für eine Abiturfeier.

(Beifall bei der SPD - David McAllister [CDU]: Das war hervorragend!)

Wir reden heute nicht über irgendeine Meinungsäußerung eines Ministers, sondern über eine Regierungserklärung zur Hochschulpolitik. Eine Regierungserklärung soll dem Parlament und der Bevölkerung Niedersachsens deutlich machen, was die Regierung zur Lösung der anstehenden Probleme vorhat und was sie an hochschulpolitischen Perspektiven in den nächsten Jahren umsetzen will.

(Björn Thümler [CDU]: Das hat er ge- rade eine Stunde lang gemacht!)

Angesichts der von Ihnen, Herr Minister, angedeuteten Herausforderungen ist die Regierungserklärung an Inhaltslosigkeit und Perspektivenmangel kaum zu überbieten.

(Beifall bei der SPD - Björn Thümler [CDU]: Sie haben nicht zugehört!)

Sie ergehen sich in Selbstlob und allgemeinen hochschulphilosophischen Fragen auf dem Niveau eines politisch interessierten Laien. Sie haben aber kein einziges konkretes Wort dazu gesagt, wohin die Reise in Niedersachsen tatsächlich gehen wird. Der Handlungsbedarf ist Ihnen, ist uns allen, ist im Land bekannt. Die Hochschulen stehen mit dem Rücken zur Wand. Das Land erwartet von Ihnen, Herr Minister, endlich konkrete Vorschläge zur Bewältigung des bevorstehenden Ansturms junger Menschen auf die Hochschulen.

Wirtschaftsinstitute schlagen Alarm, weil Niedersachsen zu wenig Hochschulabsolventen ausbildet. Ein Fachkräftemangel in Niedersachsen droht, und die Innovationskraft schwindet, wenn nicht endlich gegengesteuert wird. Die Antworten des Ministers haben Sie gehört: Er plaudert in luftigen Höhen über die sich immer schneller ändernden Verhältnisse, beklagt die „Augen-zu-und-durchMentalität“ und lamentiert über die viel zu spät erkannten Probleme der Welt. - Meine Damen und Herren, eine Landesregierung wird nicht gewählt,

um Probleme nur zu beschreiben. Sie wird gewählt, um Probleme zu lösen.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Nur ein Beispiel: Es stimmt, Herr Minister, wenn Sie feststellen, dass Zukunftsprobleme nur lösbar sind, wenn wir alle verfügbaren Ressourcen auf die Bereiche Bildung und Forschung konzentrieren. Aber wo bleiben Ihre Ressourcen? Wo bleibt Ihr konkretes Konzept, um das Bildungspotenzial besser auszuschöpfen?

(Björn Thümler [CDU]: Hat er doch gesagt! Zuhören!)

Kein Geld, heißt es dann.

(Björn Thümler [CDU]: Hat er doch gar nicht gesagt!)

Keine einzige Lösung haben Sie heute den jungen Menschen angeboten.

(Beifall bei der SPD - Zuruf von der CDU: Machen wir doch!)

Ich nenne Ihnen ein anderes Beispiel: Wortreich beklagen Sie hier die Verkrustungen des Dienstund Besoldungsrechts.