Protokoll der Sitzung vom 09.11.2006

Liebe Kolleginnen und Kollegen, seit Beginn dieses Jahres ist die sogenannte Eckpunktevereinbarung zur Zulassung und zum Einsatz von mittelund osteuropäischen Erntehelfern in der Landwirtschaft als Saisonarbeitskräfte in Kraft gesetzt. Danach ist vorgesehen, dass mittel- und osteuropäische Saisonarbeitskräfte in Höhe von 80 % auf der Basis des Arbeitskräftebedarfs des Jahres 2005 angeworben werden können. Dieser Bedarf muss viele Monate voraus angemeldet werden.

In diesem Jahr sollten aber auch mehr heimische Arbeitsuchende eingesetzt werden und den Landwirten, den Gemüse-, Obst- und Gartenbauern und der Gastronomie und den Weinbauern eine sichere und zuverlässige Ernteeinfuhr ermöglichen, mehr Arbeitsuchenden angesichts der viel zu hohen Arbeitslosigkeit Arbeitsmöglichkeiten geben und unseren Arbeitsmarkt entlasten. Das ist ein sehr gutes und sehr verständliches Ziel, das wir selbstverständlich unterstützen.

Viel mehr Saisonarbeitskräfte sollten aus Deutschland kommen. Doch dies ist trotz vieler Anstrengung, guten Willens und diverser Qualifizierungsmaßnahmen in der Praxis so leider nicht geschehen. Ernten kann man nicht vom Schreibtisch aus, wie es sich die Eckpunkteregelung so gedacht hatte. Das zeigen die Erfahrungen in der Gastronomie, im Tourismus, in der Landwirtschaft, im Gemüse- und Obstbau, im Gartenbau und bei den Weinbauern. Auch in der Gastronomie gibt es große Schwierigkeiten. Ich denke dabei an unsere Nordseeküste und an die Inseln.

(Christian Dürr [FDP]: So ist es!)

In diesem Jahr litten viele Betriebe unter fehlenden Arbeitskräften, nicht wieder erschienenen Helfern, und sie litten unter bürokratischen Hemmnissen und viel bürokratischem Aufwand. Das zeigte sich schon nach der diesjährigen Spargel- und Erdbeersaison, wobei schon erkennbar war, dass die Eckpunktevereinbarung nicht die benötigten Arbeitskräfte auf den Feldern und in den vor- und nachgelagerten Arbeitsbereichen der Ernte gebracht hat. Das hat u. a. meinen Kollegen Martin Bäumer schon im Juli-Plenum zu seiner Anfrage veranlasst. Da waren die ersten schlechten Erfahrungen bereits gemacht. Minister Ehlen betonte in seiner Antwort, dass die Zielsetzung der Eckpunktevereinbarung verständlicherweise ist, mehr heimische Arbeitskräfte hier zu beschäftigen. Aber er betonte auch, dass es eine Verpflichtung ist, die wertvolle Ernte zeitgerecht einbringen zu können, und er verstand die Betriebe und ihre Sorgen.

Notwendige Abhilfe muss schnell und praktikabel möglich sein, wenn nicht genügend deutsche Arbeitskräfte zur Verfügung stehen. Denn innerhalb der EU gibt es für polnische Arbeitskräfte viele interessante Arbeitsplätze, und es wird zunehmend schwieriger, insbesondere qualifizierte polnische Arbeitskräfte zu bekommen, sodass wir zurzeit nicht ausreichend Helfer haben, wenn nicht rechtzeitig genügend Kräfte angeworben werden dürfen und wenn die Kontingente für die Betriebe zu knapp, zu starr und zu unflexibel gefasst werden. Das kann bald zur Folge haben, dass sich unsere Produktion verringern wird, unsere Betriebe Schaden nehmen und auch der hiesige Arbeitsmarkt darunter leidet. Das könnte weiteren Stellenabbau nach sich ziehen. Dies kann natürlich nicht in unserem Sinn sein.

Teilweise war auch die festgelegte Quotierung sehr hinderlich. Hier sind schnelle Handlungsmöglichkeiten erforderlich, und die strenge prozentuale Quotierung muss ohne langes formelles Verfahren durchbrochen werden können. Hier ist Flexibilität gefragt. Erdbeeren, Spargel und anderes Gemüse wollen frisch auf den Tisch. Auch das ist Verbraucherschutz.

Wetterbedingte Saisonarbeit erfordert zahlenmäßig mehr oder weniger Arbeitskräfte. Auch das muss berücksichtigt werden, was in diesem Jahr leider nicht passiert ist. Ebenso sind regionale Besonderheiten und viele andere Dinge, die für die Betriebe wichtig sind, zu berücksichtigen. Die Planungssicherheit für die Betriebe ist unverzichtbar.

In diesem Jahr waren ca. 7 % weniger ausländische Arbeitskräfte in unseren Betrieben. Die Eckpunkteregelung mit dem Anspruch, mehr inländische Arbeitnehmer zu beschäftigen - ein gutes Ziel, wie ich schon gesagt habe -, hat leider in der Praxis ihr Ziel verfehlt und ist so nicht durchführbar und nicht erfolgreich gewesen.

Die Lücke der fehlenden Saisonhelfer ist nicht geschlossen worden. Viele der Erntehelfer, die frühzeitig ihre Tätigkeit abgebrochen haben, begründeten das mit gesundheitlichen Problemen, zu wenig Verdienst oder der Anrechnung auf das Arbeitslosengeld. Eine große Schwierigkeit ist natürlich auch sehr oft die Erreichbarkeit der Arbeitsstelle. Die Arbeitsagenturen haben sich sehr bemüht, konnten das aber nicht ausgleichen. Hier ist es wichtig, dass neue Ansätze gefunden werden.

Grundsätzlich muss sich der Einsatz deutscher Erntehelfer für beide Seiten lohnen. Für die Eckpunktevereinbarung gibt es ganz großen Verbesserungsbedarf. Es sollte aufgrund der Erfahrungen dieses Jahres gehandelt werden, nein, es muss gehandelt werden, und es müssen neue, flexiblere Möglichkeiten entwickelt werden, die beiden Seiten dienen und nicht nur auf Kosten der Betriebe gehen.

Viele Betriebe bei uns, die schon mit den neuen Sozialversicherungspflichten und deren Kosten sowie mit dem dazu aufgebürdeten bürokratischen Aufwand ihre Mühen hatten, haben nun auch noch nach vielen Bemühungen und Qualifizierung von heimischen Langzeitarbeitslosen doch nicht genügend Erntehelfer in ihren Betrieben gehabt und teilweise ihre Felder nicht abernten können. Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, versetzen Sie sich einmal in die Lage der Gärtner, der Landwirte und der großen Betriebe, die hohe Ernteverluste hatten. Das sind Existenzfragen für die Betriebe. Wer kümmert sich eigentlich um die Schäden eines Arbeitgebers, wenn nach Vertragsabschluss die heimischen Arbeitskräfte nicht mehr kommen und andere Arbeitskräfte nicht mehr rechtzeitig angeworben werden können und der Verlust damit ausgeglichen werden kann? - Aufgrund dieses Verlustes für die Betriebe und vor allem nach diesen Erfahrungen muss die derzeitige Eckpunkteregelung eine gründliche praxisnahe Überarbeitung erfahren. Das ist unser Appell. Würde dies nicht geschehen, hätte dies eine Reduzierung der Sonderkulturflächen zur Folge - einhergehend mit einem Verlust heimischer Arbeitskräfte in vor- und nachgelagerten Bereichen.

Ich hoffe, dass bei den in diesen Monaten stattfindenden Fachtagungen die gewonnenen Erkenntnisse und Erfahrungen zu verbesserten Regelungsvorschlägen führen werden. Die Meinungen und Aussagen von Landwirten, Arbeitsagenturen, Gewerkschaften und Arbeitnehmern müssen gehört werden und zu Verbesserungen führen. Auf regionale Gegebenheiten muss Rücksicht genommen werden. Ich hoffe weiterhin, dass Entscheidungen getroffen werden, die zu einer verbesserten Eckpunktevereinbarung führen, was den Menschen, den Betrieben und einer guten Ernte dient. Wir wünschen und fordern für die kommende Erntesaison praxisnahe Regelungen und Entscheidungen. Denn wie ich schon gesagt habe: Theorie und Praxis sind zweierlei. - Wir müssen so handeln, dass es sich in der Praxis bewährt.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Vielen Dank, Frau Kollegin. - Herr Kollege Johannßen, bitte!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Frau Philipps, ich bin etwas erstaunt über Ihre Rede und habe den Eindruck, Sie haben die Rede wieder hervorgekramt, die hier schon im Mai gehalten worden ist.

(Ilse Hansen [CDU]: Gute Reden kann man wiederholen!)

- Aber die war nicht gut. Sie war schon damals falsch und ist jetzt noch genauso falsch.

(Zustimmung bei der SPD)

Sie haben im Mai Ihre Rede gehalten, bevor es Erfahrungen mit der geltenden Eckpunkteregelung gab. Sie sind auf die Eckpunkteregelung eingegangen, die eine Vereinbarung zwischen dem Bundesarbeitsministerium, dem Deutschen Bauernverband, dem Zentralverband Gartenbau und der IG BAU ist. Das haben wir schon im Mai und Juni beraten.

Ziel ist eine gemeinsame aktive Unterstützung dieser Eckpunkteregelung, um sie zum Erfolg zu bringen.

(Clemens Große Macke [CDU]: Die aber so nicht funktioniert!)

Sie stellen diese Eckpunkteregelung aber immer wieder infrage. Vereinbart wurde auch eine flexible Handhabung mit Härtefallregelung für Kleinbetriebe, für Betriebe mit Anbauflächenerweiterung

(Clemens Große Macke [CDU]: Die aber so nicht funktioniert!)

- Herr Große Macke, hören Sie doch einmal zu

(Walter Meinhold [SPD]: Genau!)

und für Betriebe, die die 10 %-Quote trotz nachhaltiger Bemühungen nicht erreichen können.

Die Agenturen für Arbeit sind ja wirklich aktiv geworden. Sie haben frühzeitig Job-Börsen unter Beteiligung des Landvolks auf der jeweiligen Kreisebene und unter Beteiligung von Erzeugergemeinschaften und von Betrieben durchgeführt. Sie haben Schulungsmaßnahmen für arbeitslose Deutsche durchgeführt und Mobilitätsunterstützung gegeben; darauf sind Sie eingegangen. Weiter gibt es das begleitende Monitoring mit den Beteiligten, also mit den Arbeitnehmerverbänden und dem Ministerium.

Frau Philipps, in der Koalitionsvereinbarung auf Bundesebene von CDU und SPD steht: Verlängerung der geltenden Eckpunkteregelung über das 2007 hinaus. - Sie stellen die Vereinbarung, die Ihre Partei - und Sie gehören doch der CDU an abgeschlossen hat, hier infrage.

(Zustimmung bei der SPD - Friedhelm Biestmann [CDU]: Wir gehören doch zur Regierungskoalition in Berlin!)

Meine Damen und Herren, welche Erfahrungen sind denn jetzt gemacht worden? - Ich habe bei den Agenturen und beim Ministerium angefragt. Die Job-Börsen sind sehr positiv aufgenommen worden. An der Job-Börse in Stade haben z. B. 850 Personen teilgenommen. Daraus hat sich ein Interessentenpool von 550 Personen entwickelt.

(Ilse Hansen [CDU]: Aber nicht für den Bereich! - Weitere Zurufe von der CDU)

Lassen Sie sich von den Zurufen nicht beirren, Herr Kollege!

Es fällt mir schwer. - In Nienburg gab es 250 Einstellungen.

(Zuruf von Christina Philipps [CDU])

- Hören Sie doch zu, Frau Philipps. - Aber die Agenturen sagen, es gibt Probleme, die zugestandene Zahl vor allem polnischer Erntehelfer zu bekommen. Viele Erntehelfer aus Polen haben kurzfristig abgesagt bzw. sind nicht erschienen. Die Gründe sind: Abwanderung in die Niederlande und nach Großbritannien, weil die Bezahlung für diese Tätigkeiten dort besser ist, weil die Arbeitsbedingungen besser sind und weil es längere Beschäftigungszeiten gibt.

(Karin Stief-Kreihe [SPD]: Hört, hört!)

Die deutschen Arbeitskräfte wurden verstärkt in den vor- und nachgelagerten Bereichen - überwiegend problemlos - eingesetzt. Diese Bereiche sind: Sortierung, Etikettierung, Auszeichnung und Transport. Dem Bewerberpool der Agenturen standen bundesweit durchschnittlich 35 000 bis 40 000 Arbeitsuchende für Erntehelfereinsätze zur Verfügung. Die Agenturen sagen: Eine Rückkehr zur alten Regelung - die Aufhebung der Begrenzung - würde nichts bringen. Die polnischen Arbeitskräfte orientieren sich dorthin, wo sie mehr Geld verdienen. Die Rahmenbedingungen für die Erntehelfer in der deutschen Landwirtschaft müssen sich verbessern.

Die Erkenntnisse aus dem begleitenden Monitoring, das in Berlin stattfindet, sind, dass es eine hohe Stornierungsquote bezüglich der Anforderungen der Arbeitgeber gibt. Bis 2005 lag die Stornierungsquote im Mittel bei 10 %, in diesem Jahr liegt sie bei 16 %. Die Zahl der ausländischen Arbeitskräfte ist nicht um 10 % zurückgegangen, sondern von 311 733 im Oktober 2005 auf immerhin noch 290 238. Dem vermehrten Anbau und den Härtefällen wurde also Rechnung getragen. Aufgrund der Kleinbetrieberegelung wurden 40 500 Ausnahmegenehmigungen erteilt. Es gab 17 300 zusätzliche Zulassungen ausländischer Saisonkräfte aufgrund von Betriebserweiterungen. Aber es gab nur 1 259 Fälle, in denen die Härtefallregelung in Anspruch genommen wurde - bei 280 000 Arbeitskräften. Es gibt keine konkreten Nachweise über Ernteausfälle. Ihr Kollege Holzenkamp hat im Bundestag eine Anfrage gestellt, und ihm ist das schriftlich mitgeteilt worden.

(Karin Stief-Kreihe [SPD]: Hört, hört!)

Auf Bundesebene gibt es eine Fülle von Anträgen von der Fraktion der FDP und von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Das kann man ja noch verstehen. Da sind Sie Opposition, da wollen Sie sich profilieren, und dann stellt man Anträge. Aber dass Sie hier diesen Antrag einbringen - mit der Unterstützung der CDU, einer Partei, die die Eckpunkteregelung auf Bundesebene unterstützt und verlängern will -, kann ich nicht verstehen.

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, diese Zahlen der Agenturen und des Monitorings beweisen doch, dass die Eckpunkteregelung insgesamt gut funktioniert. Eine Verlängerung dieser Eckpunkteregelung über das Jahr 2007 hinaus wird ja aufgrund der Erfahrungen des begleitenden Monitorings erfolgen. Die Landwirtschaft muss sich der Konkurrenz bei der Werbung und Einstellung von Arbeitskräften stellen - auf dem heimischen, aber auch auf dem europäischen Arbeitsmarkt. Dazu gehören vernünftige Rahmenbedingungen, aber auch eine vernünftige Entlohnung, die dazu führt, dass die Menschen von der Arbeit leben können.

(Beifall bei der SPD - Clemens Große Macke [CDU]: Deswegen wollen wir sie ja anpassen!)

Meine Damen und Herren, die SPD steht zu dieser Eckpunkteregelung. Wir sind dafür, dass möglichst viele deutsche Arbeitslose beschäftigt und in Lohn und Arbeit gebracht werden.

(Clemens Große Macke [CDU]: Wir auch!)

Dazu ist diese Eckpunkteregelung ein gutes Instrument. - Danke schön.

(Beifall bei der SPD)

Vielen Dank, Herr Kollege. - Herr Kollege Oetjen, Sie haben das Wort!

(Karin Stief-Kreihe [SPD]: Zieh zu- rück, Jan-Christoph!)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Johannßen, wir alle wollen,