Sie bzw. Ihre Fraktion hatten noch vor drei Jahren die Regierungsverantwortung. Alles das, was Sie jetzt fordern, hätten Sie in der Tat schon längst erledigt haben können.
Denn Sie haben die Verlässliche Grundschule eingeführt, aber die Förderschulen ausdrücklich ausgespart. Sie hätten das machen können, haben es aber nicht gemacht.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, aus der ersten Beratung bleibt insgesamt festzuhalten, dass alle Fraktionen in diesem Haus die verlässliche Aufenthaltsdauer in unseren Schulen als wichtiges Gut anerkennen. Insbesondere im Grundschulalter spielt dieser Faktor eine sehr wichtige Rolle. Ich bin der Auffassung, dass gerade in den Förderschulen Verlässlichkeit eine besondere Rolle spielt; denn gerade hier ist es notwendig, den Tag zu strukturieren und ihm einen festen Rhythmus zu geben.
Dieser Antrag kommt genau von denjenigen, die das schon längst hätten umsetzen können, dies aber nicht getan haben, weil die vorhandenen Mittel anderweitig ausgegeben worden sind. Abgesehen davon weise ich darauf hin, dass in den vergangenen drei Jahren sind 579 Förderschullehrerinnen und -lehrer eingestellt worden sind. Bei früheren Regierungen waren es gerade einmal 30 pro Jahr. Auf diesem Gebiet wurde also eine ganze Menge gemacht.
Da Frau Pfeiffer die Zahlen sehr dezidiert dargelegt hat, macht es keinen Sinn, alles zu wiederholen. Deswegen möchte ich auf den Begriff „Verlässlichkeit“ gerne etwas deutlicher eingehen. Verlässlichkeit allein kann nicht bedeuten, dass ein Kind für einen bestimmten Zeitrahmen in die Schule abgegeben wird. Es ist zwar gut, wenn man das regeln kann, aber ich möchte darauf verweisen, dass zur Verlässlichkeit gehört, das Kind auch außerhalb dieses Zeitfensters verlässlich zu versorgen.
Ich sage das genau deshalb, weil es irgendwie nicht stimmig ist, Verlässlichkeit in dem Bereich zu fordern, wo der Staat zuständig sein soll, sich gleichzeitig aber nicht darum zu kümmern, Verlässlichkeit gegenüber seinem eigenen Kind im häuslichen Umfeld herzustellen. Hierbei gibt es aus meiner Sicht noch erhebliche Defizite.
Ich stimme Frau Eckel zu, was sie in der ersten Beratung gesagt hat. Sie hat ausgeführt, dass gerade im Bereich der Förderschulen ein sehr großer Teil der Schülerschaft aus einem sozioökonomisch benachteiligten Bereich kommt. Es handelt sich häufig um Kinder, die keine sprachliche und kognitive Unterstützung erfahren. Außerdem haben viele Kinder einen Migrationshintergrund. Ich führe das deswegen noch einmal an, weil ich meine, dass Verlässlichkeit zwar eine hohe Bedeutung hat, sie aber völlig wirkungslos bleibt, wenn wir den Kindern, die die Förderschule besuchen, nicht parallel durch frühkindliche Bildungsangebote möglichst zeitig spielerisch zum Lernen animieren und ihnen helfen, durch Sprachförderung und Sprachtests vor der Einschulung die größte Hürde für das Lernen abzubauen. Hierbei haben wir bekanntlich eine ganze Menge getan.
Frau Eckel hat damals auch gesagt, dass es sich um einen finanziellen Kraftakt handelt, den man hier zu bewerkstelligen hätte. Ich glaube, sie weiß, wovon sie redet; denn wenn es nicht so wäre, hätte die SPD ja bereits längst für eine verlässliche Primarstufe in den Förderschulen gesorgt. Das ist leider nicht der Fall.
Wir arbeiten an dem Problem weiter, aber man kann nicht alles das, was über Jahrzehnte hinweg versäumt worden ist, innerhalb kürzester Zeit regeln.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wenn in der Öffentlichkeit der Eindruck entstanden ist, dass die Förderschulen dem Kultusminister besonders am Herzen liegen, dann ist das richtig.
Das höre ich, auch wenn damit eine gewisse Häme verbunden war, durchaus gerne. Aus der Erfahrung auch der letzten Jahre will ich Ihnen sagen: Gerade wenn es um die Förderschulen geht, ist immer ehrliches Engagement von allen angesagt, wo auch immer wir sitzen. Was man da nicht gebrauchen kann, ist eine gekünstelte Fürsorge oder manchmal auch eine Scheinheiligkeit in den Debatten. Das hilft nicht weiter, das sollten wir uns vielleicht auch ein bisschen verkneifen.
Der Antrag der Opposition, die Förderschulen in die Verlässlichkeit einzubeziehen, datiert vom April 2005. Als der Antrag damals kam, waren wir erst zwei Jahre an der Regierung. Er ist in der zurückliegenden Zeit mehrfach und unter immer neuen Gesichtspunkten im Kultusausschuss beraten worden. Der Ausschuss hat schließlich empfohlen, den Antrag abzulehnen.
Meine Damen und Herren, das aufgeworfene Problem stellt für alle eine große Herausforderung dar. Das zeigt sich nicht zuletzt auch an der langen Beratungsdauer im Ausschuss. Ich darf daran erinnern, dass wir die Thematik bereits in der vorangegangenen Legislaturperiode diskutiert haben. Die Forderung, das erfolgreiche Konzept der Verlässlichkeit und der Vertretungsregelung, wie es in den Grundschulen ja weitgehend praktiziert wird, auf die Förderschulen zu übertragen, ist aus meiner Sicht vom Grundsatz her durchaus nachvollziehbar. Um die Förderschulen zu stärken, hat die Landesregierung in den letzten Jahren ja auch stetig die Unterrichtsversorgung der Förderschulen und damit die pädagogischen Rahmenbedingungen verbessert. Es gilt aber auch, die Erfahrungen mit dem Konzept in den Grundschulen abzuwarten und auszuwerten.
Von einer Einführung der Verlässlichkeit für die Förderschulen haben wir vor Jahren - da waren Sie noch an der Regierung - ursprünglich vor allem auch deswegen abgesehen, weil die Ressourcen seinerzeit nicht abgesichert waren, schon gar nicht in der Gänze, wie man es gerne gehabt hätte. Das bitte ich auch einmal zu berücksichtigen. Schließlich haben Sie 13 Jahre regiert. Von 1990 bis 1994 waren die Grünen auch noch mit dabei. Bei dem Anspruch, den gerade die Sozialdemokratie auf diesem Felde erhebt, hätte Anfang 2003 in diesem Bereich eigentlich überhaupt kein Problem hier auf dem Tisch sein dürfen, das zu regeln gewesen wäre. Deswegen ist es schon so eine Sache, hier Anträge zu stellen und solche Reden zu halten. Sei’s drum.
Ich möchte darauf hinweisen, dass die meisten Formen der Förderschulen heute - es hat sich ja etwas getan - bereits in Ganztagsform geführt werden. Wenn der Ganztagsbetrieb geregelt und gesichert ist, stellt sich das Problem auch gar nicht mehr. Probleme in Bezug auf die Übertragbarkeit der Verlässlichkeit ergeben sich allerdings insbesondere im Hinblick auf die Förderschulen mit dem Schwerpunkt Lernen. Darin besteht Einigkeit. Die Herausforderungen der Förderschule mit dem Schwerpunkt Lernen hängen vor allem mit den Auswirkungen des demografischen Wandels der letzten Jahre und den dadurch sinkenden Schülerzahlen zusammen. Wir werden die Ergebnisse der neuesten Statistik in diesem Zusammenhang auswerten und die notwendigen Konsequenzen weiter sorgfältig und verantwortungsvoll betrachten. Wir werden darüber beraten und sehen, wie wir auf diesem Gebiet weiterkommen.
Den Kindern und Jugendlichen mit sonderpädagogischem Förderbedarf widmet diese Regierung ihre besondere Aufmerksamkeit. Da hier ja Konkretes erbeten worden ist, will ich Ihnen einige Zahlen nennen. Dann können Sie sich vielleicht auch ein bisschen genieren, wenn Sie die Zahlen mit dem vergleichen, was Sie in 13 Jahren in diesem Bereich zustande gebracht haben.
Meine Damen und Herren, ich sage es für das ganze Haus, weil nicht alle täglich mit Förderschulen zu tun haben: Die Zahl der Lehrerstellen
an den Förderschulen wurde seit 2002 um 220 auf nunmehr 4 075 gesteigert. Das ist eine Zunahme von 6 %.
Neu eingestellt wurden an den Förderschulen seit 2003 insgesamt 943 Lehrkräfte. Nach altersbedingtem Personalaustausch haben wir dort 25 % neue junge, tatkräftige Leute. Die Zahl der Stellen für pädagogische Mitarbeiter nahm um über 100 auf derzeit 737 zu. Das ist eine Steigerung um 17 % - und das in diesen Zeiten, Herr Poppe!
Auch die rechnerische Unterrichtsversorgung verbesserte sich von 2002 bis heute. Über dieses Thema haben wir - nun hören Sie gut zu; denn damals waren Sie noch nicht im Landtag - hier leidenschaftliche Debatten geführt, die ich eigentlich - das habe ich damals auch gesagt - von der Sozialdemokratie nicht erwartet hätte. Die Unterrichtsversorgung bei den Förderschulen lag Ende 2002 bei 92 %; jetzt sind wir kurz vor 99 %. Das kann man ruhig einmal sagen, und das sollte man vielleicht auch einmal anerkennen.
Für die sonderpädagogische Förderung in den allgemeinen Schulen werden 2006 insgesamt 600 Stunden mehr als 2003 zur Verfügung gestellt. Schließlich werden seit 2003 regionale Konzepte weiter ausgebaut und neue eingerichtet. Also wir sind nicht schlecht dran am Thema. Dass wir auch noch ein paar Wünsche und Vorstellungen haben, dass alles noch besser werden kann, ist schon in Ordnung. Aber ein bisschen Anerkennung in diesem Bereich tut manchmal auch nach außen hin ganz gut.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, ich möchte in diesem Zusammenhang abschließend hervorheben, dass wir zwar den Antrag in der vorliegenden pauschalierenden Form ablehnen, aber dennoch die Situation und die Entwicklung der Förderschulen im Blick haben, um dort nachzusteuern, wo es notwendig und möglich ist. Ich gehe davon aus, dass weiterhin über die Fraktionen hinweg und im Dialog mit den Fachleuten der Sonderpädagogik
flexible Lösungen für den Förderschwerpunkt Lernen entwickelt werden. Eine Benachteiligung der Schülerinnen und Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf will niemand. Es gibt sie mit uns auch nicht. Wir müssen aber immer wieder prüfen, was möglich ist, welche Konzepte auf die sonderpädagogische Förderung übertragbar sind und welche passenden Lösungen wir pro Standort und pro Region anbieten können. Da sind wir dran. Da sind wir auch nicht beratungsresistent. Da haben wir auch noch bestimmte ehrgeizige Ziele. Aber für einen großen Schlagabtausch eignet sich dieses Thema, glaube ich, nicht. - Ich bedanke mich.
Wer der Beschlussempfehlung des Ausschusses zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenstimmen? - Das Erste war die Mehrheit.
Wir kommen jetzt zu den Tagesordnungspunkten 23 und 24, die ich vereinbarungsgemäß zusammen aufrufe, also
Tagesordnungspunkt 23: Erste Beratung: Erstellung eines Konzeptes für die Integration von Schülern und Schülerinnen mit sonderpädagogischem Förderbedarf in die allgemeinen Schulen - Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen - Drs. 15/3259
Tagesordnungspunkt 24: Erste Beratung: Mehr Integration für Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf - Antrag der Fraktion der SPD - Drs. 15/3272
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Noch immer werden Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf viel zu oft ausgegrenzt und auf Extraschulen geschickt. Daran hat sich auch seit der Umbenennung der Sonderschulen in Förderschulen nichts geändert. Die Gründung von Sonderschulen war einmal ein unbestreitbarer Fortschritt, weil damit der Bildungsanspruch von behinderten Kindern anerkannt wurde. Aber bereits in den 70er-Jahren des vorigen Jahrhunderts hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass diesem Bildungsanspruch nicht mit gesonderten Einrichtungen entsprochen werden muss, sondern besser mit einem gemeinsamen Unterricht in der allgemeinen Schule.
Nur mit einem gemeinsamen Unterricht können Diskriminierung und gesellschaftliche Ausgrenzung vermieden werden. Es stimmt eben nicht, Herr Minister, dass es nur auf die Förderung an sich ankommt und nicht auch auf den Ort der Förderung. Mit Ihrer Presseinformation von der vergangenen Woche haben Sie nur bewiesen, dass Sie von der Diskussion über Integration, die bereits vor über 30 Jahren begonnen hat, reichlich wenig mitbekommen haben. Da brauchen Sie hier auch nicht mit Unterrichtsversorgung und Lehrereinstellungen abzulenken. Schon 1973 hat der Deutsche Bildungsrat Leitsätze zur integrativen Beschulung herausgegeben. Die Schulen sollen die Schülerinnen und Schüler in ihrer Unterschiedlichkeit anerkennen und fördern, damit Diskriminierung vermieden wird.
Seit 20 Jahren gibt es in Niedersachsen Integrationsklassen. Sehr schnell hat sich erwiesen, dass in diesen Klassen alle Kinder vom gemeinsamen Unterricht profitieren.
1993 ist § 4 in das Niedersächsische Schulgesetz aufgenommen worden, der verlangt, dass in der Regel Schülerinnen und Schüler, die einer sonderpädagogischen Förderung bedürfen, an allen Schulen gemeinsam mit anderen Schülern erzogen und unterrichtet werden sollen.