Protokoll der Sitzung vom 09.11.2006

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Die Weiterentwicklung in allen Formen - Förderschulen, Tagesbildungsstätten, sonderpädagogische Grundversorgung, mobile Dienste, Kooperationsklassen, Integrationsklassen - erfolgt vor allem im Rahmen regionaler Konzepte, die von Schulträgern mit den Schulen und Eltern bezogen auf die regionalen Gegebenheiten erarbeitet werden. Es wird also ganz bewusst auf die regionale Ausgestaltung des Systems der sonderpädagogischen

Förderung abgestellt. Das heißt, die Beteiligten vor Ort entwickeln verantwortliche, verlässliche Strukturen, die den festgestellten Bedürfnissen und vor allem den regionalen Bedingungen gerecht werden. Das sind dann flexible, maßgeschneiderte Lösungen, die sich ausschließlich am Wohl und individuellen Bedarf der Kinder und Jugendlichen orientieren.

Einheitskonzepte und von oben übergestülpte Einheitsmodelle, meine liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen und der SPD, wären in den unterschiedlichen Regionen dieses Landes zum Scheitern verurteilt. Damit gingen sie zulasten der individuellen Bedürfnisse der betroffenen Kinder. Die sonderpädagogische Förderung kann auch nicht so statisch angelegt sein. Sie entwickelt sich und ist dynamisch, weil es ständig Veränderungen in der Schülerschaft und in der Erziehungswirklichkeit, im demografischen Wandel und beim medizinischen Fortschritt gibt.

Meine Damen und Herren, wir entwickeln weiterhin die bestmöglichen Konzepte, um behutsam einen vor Ort maßgeschneiderten gemeinsamen Unterricht in den Regionen zu verwirklichen. Sie aber versuchen, kompromisslos und mit dem Hammer von oben die sonderpädagogische Förderung radikal umzukrempeln, die Förderschulen abzuschaffen und damit die bewährten differenzierten Strukturen zu zerschlagen. Haben Sie eigentlich eine Vorstellung davon, wie die Förderschulen, die Tagesbildungsstätten, die Grundschulen und die Schulträger Ihre Forderung bewerten? Haben Sie einmal mit dem Landeselternrat Ihre Position besprochen oder gar abgestimmt? Haben Sie einmal mit Schulträgern über Ihre Forderung geredet? Die werden Ihnen zu Ihrer pauschalen Abschaffungsformel schön etwas erzählen!

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Frau Korter und die Grünen beziehen sich in ihrem Antrag u. a. auf die Empfehlungen des Deutschen Bildungsrates aus dem Jahr 1973.

(Karl-Heinz Klare [CDU]: Genau das ist es!)

Meine Damen und Herren, das ist über 30 Jahre her! Die Welt hat sich seitdem verändert, die sonderpädagogische Förderung ohnehin. Wo sind Sie eigentlich stehen geblieben? Was Sie da machen, ist doch zurück in die Zukunft, meine Damen und Herren!

(Beifall bei der CDU)

Sich mit dem Antrag der Grünen abgeben zu müssen, ist ohnehin eine Höchststrafe, liebe Frau Korter. Er strotzt nur so vor parlamentarischer Inkompetenz: Der Landtag soll feststellen, was ohnehin im Gesetz steht, und Feststellungen vornehmen, für die es gar keine Grundlage gibt.

Die Tagesbildungsstätten, verehrte Kollegin Korter, in denen hervorragende Arbeit geleistet wird, finden in Ihrem Antrag nicht einmal Erwähnung, obwohl ein Drittel aller Kinder mit Förderschwerpunkt „geistige Entwicklung“ dort beschult wird. Nicht mit einem Wort gehen Sie auf die Tagesbildungsstätten ein. Der ganze Antrag ist ein Sammelsurium von nicht zu Ende gedachten Forderungen und Formulierungen. Ich sagte schon: Sich damit beschäftigen zu müssen, ist wirklich die Höchststrafe.

Meine Damen und Herren, wir haben gerade in dem von Ihnen vernachlässigten Bereich der Hilfe zur emotionalen und sozialen Entwicklung - hier geht es um hochauffällige Kinder in der Erziehungshilfe - mit ambulanter und stationärer Betreuung durch die mobilen Dienste Akzente gesetzt, um die Stigmatisierung dieser benachteiligten Kinder aufzufangen. Es gibt eine große, positive Resonanz bei den Trägern der Jugendhilfe, der Sozialhilfe. Schule und Jugendhilfe knüpfen gemeinsam Auffangnetze für diese Kinder und für ihre Familien. Es ist ganz wichtig, das zu erwähnen, weil das auch ein Stück Familienpolitik ist. Das ist Hilfe vor Ort, gerade für diese stigmatisierten Kinder. Das ist vor allen Dingen eine Entlastung für die Schulträger im Hinblick auf Schülerbeförderungskosten - denn diese Kinder müssten in Schulen für Erziehungshilfe gekarrt werden - oder darauf, dass Schulträger nicht mehr gezwungen sind, Schulen für Erziehungshilfe zu gründen. Kommen Sie zu mir nach Hameln! Gehen Sie einmal dorthin, wo die mobilen Dienste gegründet worden sind! Kommen Sie einmal und erkundigen Sie sich! Wenn Sie dann mit Ihrer Forderung kommen, werden die Sie gleich wieder nach Hause schicken. Das kann ich Ihnen sagen.

(Beifall bei der CDU)

Meine Damen und Herren, wir treten im Interesse der Kinder entschieden für die Vielfalt der vorhandenen Förderorte ein. Gleichzeitig wollen wir wie bisher so viel Hilfe und Unterstützung wie möglich und regional erforderlich in der allgemeinen Schule vorhalten. Wir werden jeden Angriff auf unser gut

funktionierendes System der sonderpädagogischen Förderung abwehren. Wir wissen uns mit den Eltern, den Schulträgern, den Förderschulen, den Grundschulen und den Tagesbildungsstätten einig.

In den drei Jahren unserer Regierungszeit ist sehr viel erreicht worden. Wir werden uns nicht zurücklehnen; das wäre selbstgefällig. Wir werden alles noch besser machen; denn es gibt nichts Gutes, was man nicht auch noch besser machen könnte. Wir arbeiten weiter mit Augenmaß und mit Behutsamkeit an Verbesserungen für die uns anvertrauten Kinder und Jugendlichen. Meine Damen und Herren, besinnen Sie sich bitte noch einmal! Wenn Sie wirklich einmal strukturiert durchüberlegen, was Sie da beantragen, kann können Sie eine solche Forderung nicht aufrechterhalten.

(Lebhafter Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Frau Körtner, das war wirklich eine Hochleistung. Sie haben die Redezeit genau eingehalten.

(Ursula Körtner [CDU]: Das war eine Punktlandung!)

Jetzt ist erst einmal Frau Korter zu einer Kurzintervention an der Reihe.

(Karl-Heinz Klare [CDU]: Frau Korter, zu 1973 müssen Sie etwas sagen! Diese Forderung haben Sie schon 20- mal erhoben!)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Frau Körtner! Sie haben soeben den neuen Erlass zur sonderpädagogischen Förderung zitiert. Wissen Sie, was darin steht? - Der Vorrang der Beschulung von Kindern mit den Förderschwerpunkten „Lernhilfe“, „emotionale und soziale Entwicklung“ und „sprachliche Entwicklung“ in der Schule vor Ort soll die Regel sein. Wenn Sie Ihren eigenen Erlass ernst nähmen, dann müssten Sie unseren Antrag ganz anders sehen und unterstützen.

Sie haben darauf rekurriert, dass ich alte Modelle des Bildungsrates zitiere. Frau Körtner, wenn Sie zugehört hätten, dann hätten Sie gemerkt, dass es um einen chronologischen Abriss ging, wie man

früher die Sonderschulen bewertet hat und wie man heute integrative Beschulung bewertet.

Zum Schluss möchte ich Ihnen einmal ein Zitat aus der Frankfurter Rundschau aus dem Sommer vorlesen. Da wurde der Lernbehindertenpädagoge Hans Wocken gefragt, ob denn eigentlich in der Förderschule ein vernünftiger Lernzuwachs erfolge. Er bestreitet das zum Teil. Ich zitiere:

„Das liegt weniger an den Leistungen der Pädagogen als vielmehr am niedrigen Anregungsniveau. Kinder und Jugendliche brauchen die Möglichkeit, sich an besseren Schülern zu orientieren. Auch wenn sie das emotional unter Druck setzt. Es macht keinen Sinn, sie in Watte zu packen wie an den Förderschulen. Der Schonraum dort bringt eine kognitive Friedhofsruhe mit sich.“

Das wollen wir nicht. Wir wollen Förderung für jedes Kind und nicht Abschiebung in eine nette Schule irgendwo auf der grünen Wiese. Diese Kinder gehören dazu.

(Beifall bei den GRÜNEN - Zuruf von der CDU: Sagen Sie das einmal den Förderschulen, dass sie Abschiebung betreiben! Die werden Ihnen ganz schön was erzählen!)

Möchten Sie darauf antworten, Frau Körtner?

Eigentlich lohnt es sich nicht.

Also nicht. - Dann ist jetzt Herr Schwarz von der FDP-Fraktion an der Reihe.

(Zuruf von der CDU: Friedhofsruhe! Ich glaube es ja nicht!)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Gerade bei der letzten Kurzintervention von Frau Korter hätte ich mir gewünscht, dass Lehrkräfte aus dem Förderschulbereich hier anwesend gewesen wären.

(Ursula Körtner [CDU]: Die sind hier!)

Das war eine Katastrophe. Das ist so wirklichkeitsfremd, Frau Korter.

Frau Korter hat eine Zwischenfrage. Lassen Sie die zu?

Nein. Ich fange doch gerade erst an. Das kann doch nicht angehen.

Ich schließe mich denjenigen an, die diese Anträge mit Kopfschütteln behandeln mussten.

Zunächst einmal zu Ihnen, meine sehr verehrten Damen und Herren von der SPD-Fraktion. Ihr Antrag, der der vorige Punkt der Tagesordnung war, enthält die Formulierung:

„Der Landtag fordert die Landesregierung auf, im Primarbereich der Förderschulen in Halbtagsform insbesondere in den Förderschulen mit den Schwerpunkten Lernen, Sprache, emotionale und soziale Entwicklung ein täglich fünf Zeitstunden umfassendes Schulangebot für alle Kinder sicherzustellen...“

Jetzt fordern Sie,

„die regionalen Konzepte zur sonderpädagogischen Förderung auszuweiten und dadurch die Primarstufen der Förderschulen mit dem Schwerpunkt Lernen... entbehrlich zu machen...“

Für eines sollten Sie sich entscheiden.

Frau Korter, ich versetze mich schlicht und einfach einmal in die Praxis. Wie sieht das eigentlich aus, wenn wir ein schwerstbehindertes Kind in eine Lerngruppe mit einem lernbehinderten Kind und vielleicht auch noch ein paar verhaltensgestörten Kindern aufnehmen sollen? Woher kriegen Sie eigentlich die Lehrkräfte, die eine solche Gruppe unterrichten können? - Das, was Sie hier fordern, ist völlig praxisfern.

(Zustimmung von Dr. Philipp Rösler [FDP] und Karl-Heinz Klare [CDU])

Ich komme konkret zu Ihrem Antrag. Der erste Spiegelstrich ist komplett überflüssig. § 4 des Schulgesetzes ist bekannt. Man könnte auch sagen: Der Landtag stellt fest, dass in China ein Sack Reis umfällt. So ungefähr sieht das da aus.

Unter dem zweiten Spiegelstrich wird gefordert, etwas festzustellen, was sachlich falsch ist. Niemand kann bestreiten - auch Sie nicht, Frau Korter -, dass homogene Lerngruppen, die frühzeitig zusammengestellt wurden, zu exzellenten Leistungen fähig und damit leistungsgemischten Gruppen überlegen sein können.

(Beifall bei der FDP)

Wenn dem so ist, muss man diesem Absatz zwangsläufig seine Zustimmung versagen - was wir auch tun werden.

(Zustimmung von Dr. Philipp Rösler [FDP])