Protokoll der Sitzung vom 09.11.2006

(Zustimmung von Dr. Philipp Rösler [FDP])

Zum dritten Spiegelstrich: Da wir uns in Niedersachsen für eine Vielfalt der Organisationsformen des Förderunterrichts entschieden haben - das ist hier mehrfach angesprochen worden -, ist es nur normal, dass sich die Zahl derer, die integrativ beschult werden, nicht signifikant verändert hat. Förderung wird bekanntlich in allgemeinbildenden Schulen, in Integrationsklassen, in Kooperationsklassen, durch mobile Dienste usw. durchgeführt.

Im Übrigen halten wir fest: Kinder mit unterschiedlichen Ausgangsvoraussetzungen bedürfen auch unterschiedlicher Förderung. Dabei ist Gleichbehandlung eben nicht immer das Nonplusultra.

(Ina Korter [GRÜNE]: Integration ist doch nicht Gleichbehandlung!)

Gleichbehandlung in Ihrem Sinne garantiert keine individuelle Förderung. Es kann sein, dass bei gemeinsamer Unterrichtung die optimale Förderung erreicht wird. Das muss aber nicht so sein. Dem unterschiedlichen Förderbedarf kann man auch dadurch am besten Rechnung tragen, dass man in getrennten Klassen oder in getrennten Schulen unterrichtet. Auch das ist eben möglich. Die Förderschulen sind dann der geeignete Ort, wenn andere Fördermöglichkeiten ausgeschöpft sind.

(Ina Korter [GRÜNE]: Das merken wir aber nicht!)

Wenn tagtäglich Kindern die Defizite vor Augen geführt werden und die erforderliche Hilfestellung

nicht von allen Beteiligten geleistet wird, dann hilft das den betroffenen Kindern außergewöhnlich wenig oder überhaupt nicht weiter. Insofern sollten aus unserer Sicht diese Kinder zunächst gezielt Unterstützung bekommen, ihrem Bedarf entsprechend Kompetenzen vermittelt bekommen, z. B. durch die Verminderung des Lerntempos oder Ähnliches. So können sie gut vorbereitet auf einen integrativen Unterricht zugehen.

Gemeinsamer Unterricht bedeutet aber auch immer, einen personellen, sächlichen und räumlichen Rahmen herzustellen, der natürlich auch Investitionen nach sich zieht.

Fazit: Ziel muss und soll bleiben, die Schüler auf einen Übergang zu allgemeinbildenden Schulen vorzubereiten. Alle Organisationsformen der Förderung müssen angeboten werden. Ganz entscheidend ist - auch Frau Körtner hat das vorhin gesagt -: Individuelle Förderung muss sich an den Bedürfnissen der Kinder und nicht an der Einrichtung orientieren.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Danke, Herr Schwarz. - Der nächste Redner ist Herr Minister Busemann.

Verehrte Frau Präsidentin! Manchmal weiß man vorher nicht, wie sich eine Landtagsdebatte entwickelt, ob es heftig wird, ob sie inhaltsgetragen ist. Ich muss ehrlich sagen, nach dem Verlauf der Debatte und auch nach den inhaltlichen Aussagen, die wir eben vernommen haben, ringe ich ein bisschen um Fassung.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP - Karl-Heinz Klare [CDU]: Wir alle!)

Das hätte ich so nicht für möglich gehalten.

(Vizepräsident Ulrich Biel über- nimmt den Vorsitz)

Es scheint ein Virus im Lande umzugehen, der da „gemeinsame Schule“ heißt.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Die gemeinsame Schule scheint das Endziel zu sein. Vor zwei Tagen sprach der Oppositionsführer, der die bisherigen Ausführungen besser auch

gehört hätte, davon, man müsse überlegen, ob 400 oder 500 Schulen noch bestehen bleiben könnten. Jetzt geht es um die Förderschule mit unterschiedlichen Akzentuierungen. Frau Eckel, Ihre Ausführungen in Ehren - das mit der Ehrlichkeit ist insoweit in Ordnung.

Herr Minister, ich darf Sie einmal kurz unterbrechen. Herr Professor, setzen Sie sich dort auf Ihren Stuhl, wo Sie hingehören. Wir sind hier nicht in einer Kneipe oder sonst wo, wo man die Stühle rücken kann. Wir sind hier im Plenarsaal. - Bitte schön, Herr Minister.

Verehrte Frau Eckel, Ehrlichkeit will ich gerne goutieren. Nachdem ich vor Tagen noch einen gewissen Verdacht in Richtung SPD hatte, muss ich, wenn Sie behaupten, das sei der erste Schritt zur Auflösung von Förderschulen und weitere Schritte würden folgen, hier nun sagen: Donnerwetter! Das hat schon eine Dimension, mit der wir uns auseinandersetzen müssen. Es ist auch wichtig, dass alle Eltern, die Kinder in der Förderschule haben, dass die Schülerinnen und Schüler, die Lehrkräfte und die pädagogischen Mitarbeiter genau wissen, wie hier diskutiert wird und wer sich wie positioniert. Das gehört zu der großen Auseinandersetzung in der Tat dazu. Wir wollen das hier auch entsprechend festhalten.

Ich will einige grundsätzliche Überlegungen anstellen. Herr Wulf, denken Sie ruhig einmal darüber nach, was Sie da alles anrichten. Die Landesregierung jedenfalls richtet seit ihrem Amtsantritt natürlich ein besonderes Augenmerk auf die Situation der Kinder und Jugendlichen mit einem sonderpädagogischen Förderbedarf. Die quantitative und qualitative Weiterentwicklung des Systems der sonderpädagogischen Förderung ist geradezu ein Schwerpunkt unserer bildungspolitischen Arbeit. Dabei ist unser Leitbild: Alle Kinder und Jugendlichen haben einen Anspruch auf angemessene Förderung.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Dafür treten - das sage ich trotz der neuen Linien, die erkennbar werden - eigentlich doch alle hier im Landtag vertretenen Parteien ein. Wir sollten uns in dieser Hinsicht eigentlich einig sein.

Zugleich gibt es in unseren Auffassungen aber natürlich deutliche Unterschiede. Vor ein paar Minuten sind diese nun sehr deutlich geworden.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP - Karl-Heinz Klare [CDU]: Das ist schlimm!)

Ihre Vorschläge und Forderungen gehen noch immer eher von organisatorischen Vorstellungen aus. Wir haben aber bereits den Übergang von der institutionellen zur personellen Orientierung im Sinne eines Perspektivenwechsels vollzogen. Seither heißt es bei uns konsequent: Ein Schüler hat einen sonderpädagogischen Förderbedarf.

(Zustimmung bei der CDU)

Es heißt nicht mehr wie anno Tobak: Ein Schüler ist sonderschulbedürftig lernbehindert. Das ist ein gewaltiger Unterschied. Verinnerlichen Sie das einmal. Schlafen Sie einmal eine Nacht darüber, und denken Sie darüber noch einmal nach.

Als Ausgangspunkt nehmen wir die konkrete Situation eines Kindes oder Jugendlichen mit seinen jeweils individuellen Voraussetzungen und Bedingungen. Das ist ein ganz wichtiger Punkt. Nachdem geklärt ist, welcher individuelle Förderbedarf besteht, ist erst im zweiten Schritt der geeignete Förderort festzulegen. Diese Förderung kann sowohl in der allgemeinen Schule als auch in der Förderschule erfolgen. Erst die Pluralität der Orte und der Organisationsformen ermöglicht eine Auswahl der bestmöglichen individuellen Förderbedingungen. Deshalb haben wir - erinnern Sie sich daran - nach der Regierungsübernahme bei dem notwendigen Veränderungsprozess auf dem Bewährten aufgebaut und dabei darauf geachtet, dass sonderpädagogische Förderung für alle Kinder und Jugendlichen in allen Förderschulen und Tagesbildungsstätten sowie in allen Organisationsformen sonderpädagogischer Förderung in den allgemeinen Schulen weiterentwickelt wird.

Wir haben dabei konsequent alle Organisationsformen sonderpädagogischer Förderung erhalten und zum Teil auch erstmals durch Erlass abgesichert. Letzteres war vorher nicht der Fall. Zudem haben wir im Bereich der Unterrichtsversorgung - das habe ich eben dargelegt; ich will das nicht wiederholen - einiges getan. Bei Ihnen betrug die Quote 92 %. Wir sind in Richtung 100 % unterwegs.

Die Regierung und die Koalitionsfraktionen treten für eine sonderpädagogische Förderung ein

(Glocke des Präsidenten)

- keine Zwischenfrage -, die auf die Bedarfe der Kinder und Jugendlichen ausgerichtet ist und sich nicht an ideologischen Zielsetzungen orientiert. Das ist gerade in diesem Bereich der einzig vernünftige Weg.

Wenn man sich den Antrag der Grünen ansieht, muss man sich doch erhebliche Sorgen machen. Ich sage das noch einmal. Warum blenden Sie die breite Akzeptanz für die Förderschule und ihre offensichtliche Notwendigkeit jetzt aus? Leisten denn die Förderschulen keinen Beitrag mehr zur Integration? Bedeutet der Antrag nicht - von der SPD wurde das auch expressis verbis so gesagt - einen Angriff auf die Förderschulen und vielleicht sogar eine Vorbereitung ihrer Zerschlagung? Auf gut Deutsch: Man will eine gemeinsame Schule. Dann hat die Schulform Förderschule eben keinen Platz mehr in dem neuen System für alle. Das müssen Sie einmal wirklich zu Ende denken. Ich mache mir jetzt ganz große Sorgen.

Ich sage Ihnen klipp und klar: Der Weg der faktischen Abschaffung der Förderschulen ist untauglich und mit mir nicht zu beschreiten, weil sonst ohne Not Angebote gefährdet werden und in hohem Maße sonderpädagogische Kompetenz im Lande sozusagen weggeschmissen wird und verloren geht. Das können wir nicht zulassen.

(Beifall bei der CDU)

Zündeln Sie - mit welchen Argumenten auch immer - nicht in diesem Bereich. Wenn von gemeinsamer Schule die Rede ist, möchte ich darauf verweisen, dass wir auch in diesen Tagen aufpassen müssen, da die Grundschulen sich Sorgen darüber machen, wo ihre Schülerinnen und Schüler herkommen. Man muss auch insofern aufpassen, als wir dem Interesse des Kinder gerecht werden sollten und nicht Spielchen mit Schülerzahlen betrieben werden sollten. Wir sollten insofern also aufpassen und nicht zündeln. Das ist ein ganz gefährliches Gebiet.

Eigentlich hatte ich sagen wollen - nach dem, was nun gesagt wurde, sage ich es aber nicht mehr -, dass der Antrag der SPD etwas eher fundiert ist als der Antrag der Grünen. Über Letzteren ist ja nun einiges gesagt worden. Ich glaube, wir sind gut beraten, an dem Standortsystem festzuhalten

und auf der Ebene der Ressourcen auszuloten, wo wir noch besser werden können.

(Unruhe - Glocke des Präsidenten)

Wir sind gut beraten, wenn wir flexible Lösungen vor Ort favorisieren und wenn wir mit den Betroffenen an den Standorten, mit den Eltern, den Lehrkräften und den Schulleitern besprechen, was vor Ort im Verbund oder wie auch immer machbar ist, um vor Ort das beste Angebot zu unterbreiten. Ich glaube, das ist eine Sache, die man auch im Kopf klären muss. Wenn man eine gemeinsame Schule will und diesbezüglich bestimmte Überlegungen anstellt, darf es nicht sein, dass wir in diesem Bereich sozusagen Beglückung von oben anempfehlen. Das kann nicht richtig sein. Vielmehr muss von unten nach oben überlegt werden, wie wir vor Ort die richtigen Angebote entsprechend organisieren können, wie die bestmögliche Hilfe für unsere Kinder in diesem Bereich entsprechend organisiert werden kann.

Denken Sie immer daran, nicht den zweiten Schritt vor dem ersten zu tun. Wir haben in den letzten Jahren etwas gut miteinander aufgebaut. Bei aller Kritik muss ich sagen, dass auch Sie gewisse Verdienste in diesem Bereich haben.

(Lachen bei der SPD)

- Lachen Sie doch nicht! - Das sollten Sie nicht leichtfertig opfern. Gerade in diesem Bereich kann ich nur davor warnen, zu zündeln oder herumzuspielen. Bitte denken Sie die Dinge zu Ende. Am besten wäre es, eine ganz solide Weiterentwicklung zu befördern. Jedenfalls sollten nicht aus ideologischen Gründen funktionierende Systeme eingerissen werden. - Danke schön.

(Lebhafter Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Frau Korter, Sie haben für eineinhalb Minuten das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Minister Busemann, ich habe langsam den Eindruck, Sie wollen gar nicht mehr Integration. Das finde ich wirklich bestürzend. Wer wirklich mehr Integration will, muss sich ernsthaft mit diesen beiden Anträgen auseinandersetzen. Er muss sich

ernsthaft damit befassen, dass die Schülerzahlen im Primarbereich so deutlich zurückgehen, dass wir jetzt, ohne mehr Geld zu investieren, tatsächlich die Chance hätten, endlich dem Wunsch vieler Eltern und Kinder Rechnung zu tragen, dass die Kinder auf die Regelschule gehen. Damit könnten wir nach unseren Konzepten und nach dem, was Frau Eckel vorgestellt hat, nach und nach, Schritt für Schritt, beginnend in den Klassen 1 und 2, anfangen. Ich bitte Sie, wenigstens ein bisschen Offenheit an den Tag zu legen. Lassen Sie uns eine Anhörung im Ausschuss zu diesen beiden Anträgen durchführen. Es gibt sinnvolle Konzepte. Die Landesregierung kann sich nicht allem verschließen. Es gibt den Gleichheitsauftrag nach dem Grundgesetz. Es gibt den Integrationsauftrag nach dem Schulgesetz. Diese Aufträge müssen Sie erfüllen. Sie können nicht sagen: Zehn Jahre lang ist nichts passiert - weiter so. Das lassen wir nicht mit uns machen.

(Beifall bei den GRÜNEN)