Protokoll der Sitzung vom 24.01.2007

Kinder, meine Damen und Herren, sind auf die professionelle Aufmerksamkeit und die Verantwortung von Fachkräften angewiesen, die mit Kindern und in ihren Familien arbeiten und Problemsituationen frühzeitig erkennen können. Zum Schutz des Kindeswohls müssen deshalb verschiedene Akteure an einen Tisch gebracht werden: von Kommunen über Länder, Geburtshilfe, Hebammen, Kinderärzte, Kinderpsychiater bis zur Jugendhilfe, unsere Jugendämter und auch die Kindertagesstätten. Deshalb habe ich in den vergangenen Monaten darauf gedrängt, diese Akteure so miteinander zu vernetzen, dass es in der Verantwortung keine Lücke mehr gibt. Aus der Sicht des Kindes müssen alle Beteiligten abgestimmt zusammenarbeiten. Hierzu diente die von mir im Dezember 2006 einberufene Kinderschutzkonferenz mit allen relevanten Expertenverbänden, u. a. auch dem Kinderschutzbund Niedersachsen und den Kinderschutzzentren in Hannover und Oldenburg. Die zweite Niedersächsische Kinderschutzkonferenz wird im Frühjahr 2007 folgen. Auch den Aufbau von vier Koordinierungszentren Kinderschutz in Niedersachsen nenne ich. Damit, meine Damen und Herren, können wir besser vernetzt helfen.

Unabhängig von dieser Schwerpunktsetzung im praktischen Bereich haben wir uns im Ministerium intensiv mit der Frage auseinandergesetzt, ob die Aufnahme von Kinderrechten in die Landesverfassung ansteht. Wir sind uns sicherlich einig, dass Kinder Rechte haben, dass Kinderrechte in der

Verfassung verankert sind und dass ihnen nach unserer Verfassung das Recht auf Menschenwürde ebenso wie das Recht auf freie Entfaltung ihrer Persönlichkeit garantiert ist.

Die Eltern, meine Damen und Herren, sind doch bemüht, ihre Kinder zu eigenverantwortlichen Persönlichkeiten zu erziehen. Den allermeisten gelingt es. Aber es gibt immer wieder Fälle, dass Eltern ihrem Erziehungsauftrag leider nicht gewachsen sind. Nach Schätzungen von Professor Klaus Hurrelmann sind 15 % der Elternhäuser mit ihren Erziehungsaufgaben überfordert.

Meine Damen und Herren, Elternrechte und Elternpflichten werden in Artikel 6 unseres Grundgesetzes besonders geregelt. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft. Dieses in Artikel 6 Abs. 2 enthaltene staatliche Wächteramt hat das Bundesverfassungsgericht auch damit begründet, dass das Kind als Grundrechtsträger selbst Anspruch auf den Schutz des Staates hat und das Wohl des Kindes die Richtschnur für den Auftrag des Staates nach dieser Vorschrift bildet.

Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage nach dem Handlungsbedarf, was eine Aufnahme von Kinderrechten in die Verfassung angeht, vor allem unter dem Aspekt, ob den Elternrechten gleichstarke Kinderrechte gegenüberstehen.

(Vizepräsidentin Silva Seeler über- nimmt den Vorsitz)

Nach einer aktuellen UNICEF-Studie sterben in Deutschland im Schnitt jede Woche zwei Kinder an den Folgen von Misshandlung und Vernachlässigung. Das darf uns doch nicht gleichgültig sein - es sind zwei Kinder zu viel. Dies zeigt, dass die Zeit für eine gesamtgesellschaftliche Diskussion über diese Frage reif ist.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Ich habe mit Blick auf den Diskussionsprozess in der letzten Woche Herrn Professor Dr. Christian Starck aus Göttingen, einen namhaften Verfassungsrechtler, um eine kurze Expertise gebeten, wohl wissend, dass wir im Diskurs über diese Frage erst am Anfang stehen. Sollte aber noch Raum für eine Aufnahme expliziter Kinderrechte in die Verfassung sein, sollten wir gemeinsam an dieser Aufnahme arbeiten;

(Zustimmung von David McAllister [CDU])

denn wir sind im Interesse aller betroffenen Kinder verpflichtet, alle sinnvollen Möglichkeiten eines effektiven Kindesschutzes zu nutzen. - Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP - Zustimmung bei den GRÜNEN)

Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor.

Ich schließe die Beratung.

Wir kommen zur Ausschussüberweisung.

Federführend soll sich mit diesem Antrag der Ausschuss für Rechts- und Verfassungsfragen befassen. Mitberatend sollen der Ausschuss für Soziales, Frauen, Familie und Gesundheit sowie der Ausschuss für Haushalt und Finanzen beteiligt werden. Wer so beschließen möchte, den bitte ich um eine Handzeichen. - Das ist so beschlossen.

Wir kommen jetzt zu den nächsten beiden Tagesordnungspunkten. Vereinbarungsgemäß rufe ich gemeinsam auf

Tagesordnungspunkt 7: Einzige (abschließende) Beratung: Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Niedersächsischen Maßregelvollzugsgesetzes und des Ausführungsgesetzes zum Gerichtsverfassungsgesetz - Gesetzentwurf der Landesregierung - Drs. 15/3290 - Beschlussempfehlung des Ausschusses für Soziales, Frauen, Familie und Gesundheit Drs. 15/3454

und

Tagesordnungspunkt 8: Einzige (abschließende) Beratung: Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Niedersächsischen Gesetzes über Hilfen und Schutzmaßnahmen für psychisch Kranke - Gesetzentwurf der Landesregierung - Drs. 15/3291 - Beschlussempfehlung des Ausschusses für Soziales, Frauen, Familie und Gesundheit - Drs. 15/3455

Die Beschlussempfehlungen zu beiden Punkten lauten auf Annahme mit Änderungen.

Berichterstatter ist Herr Böhlke von der CDUFraktion. Ich erteile ihm das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zunächst einmal möchte ich darauf hinweisen, dass ich es wegen der bestehenden Sachzusammenhänge für sinnvoll halte, die beiden Gesetzentwürfe in einem mündlichen Bericht abzuhandeln.

In den Drucksachen 3454 und 3455 empfiehlt Ihnen der federführende Ausschuss für Soziales, Frauen, Familie und Gesundheit mit den Stimmen der Fraktionen der CDU und der FDP und gegen die Stimmen der Fraktionen der SPD und Bündnis 90/Die Grünen, die Gesetzentwürfe mit den aus den Beschlussempfehlungen ersichtlichen Änderungen anzunehmen. Dem entspricht auch das Votum des mitberatenden Ausschusses für Rechts- und Verfassungsfragen.

Wie Sie wissen, hat die Landesregierung beschlossen, die niedersächsischen Landeskrankenhäuser zum Teil in eine private Trägerschaft zu überführen.

(Unruhe - Glocke der Präsidentin)

Die Ihnen vorliegenden Gesetzentwürfe sollen dazu dienen, den für diesen Wechsel erforderlichen rechtlichen Rahmen für den Vollzug strafgerichtlich angeordneter Maßregeln der Besserung und Sicherung und für den Vollzug der Unterbringung nach dem Gesetz über Hilfen und Schutzmaßnahmen für psychisch Kranke zu schaffen.

Ausgehend von diesem Gesetzeszweck, waren die von den Regierungsfraktionen dargelegten Gründe für den beabsichtigten Trägerschaftswechsel ein maßgeblicher Diskussionspunkt in den Aus

schussberatungen. Die Oppositionsfraktionen haben dabei den beabsichtigten Trägerschaftswechsel und dementsprechend auch die durch die Gesetzentwürfe vorgeschlagenen Änderungen des Niedersächsischen Maßregelvollzugsgesetzes und des PsychKG abgelehnt, wobei sich die SPDFraktion wegen erheblicher verfassungsrechtlicher Bedenken inhaltlich an den Beratungen im federführenden Ausschuss nicht beteiligt hat.

Darüber hinaus hat sich der Ausschuss mit zahlreichen Einzelpunkten des Änderungsgesetzentwurfs zum Maßregelvollzugsgesetz beschäftigt, von denen ich hier nur zwei - aus meiner Sicht wichtige Änderungsempfehlungen ansprechen möchte:

Zum einen hat sich der Ausschuss aus verfassungsrechtlichen Erwägungen mehrheitlich dazu entschlossen, den im Gesetzentwurf enthaltenen Katalog derjenigen Maßnahmen, die nicht Gegenstand einer Beleihung sein dürfen, um einige weitere Maßnahmen zu ergänzen. Die Anordnung dieser Maßnahmen soll im Hinblick auf den beamtenrechtlichen Funktionsvorbehalt des Artikels 33 Abs. 4 des Grundgesetzes der Vollzugsleitung der Einrichtung bzw. deren Stellvertretung vorbehalten bleiben.

Zum anderen soll die im Gesetzentwurf vorgesehene Möglichkeit des privaten Trägers entfallen, einige der in diesem Katalog enthaltenen Maßnahmen in einer Situation, in der Gefahr im Verzuge vorliegt, wahrzunehmen. Der Ausschuss ist der Auffassung, dass auch eine solche Situation die Wahrnehmung von Aufgaben durch einen privaten Träger nicht rechtfertigen kann, wenn die Übertragung dieser Aufgaben im Hinblick auf den schon erwähnten Artikel 33 Abs. 4 des Grundgesetzes bereits grundsätzlich ausgeschlossen ist.

Nun abschließend noch einige kurze Anmerkungen zum PsychKG. Im Mittelpunkt der Diskussion über die vorgesehene Änderung des PsychKG standen ebenfalls verfassungsrechtliche Gesichtspunkte. Im Gegensatz zum Maßregelvollzugsgesetz enthält das PsychKG keinen Katalog mit Aufgaben, die von einer Beleihung ausgenommen sind, und es ist auch nicht vorgesehen, eine weisungsbefugte staatliche Vollzugsleitung vorzuschreiben. Der Auffassung, dass sich hieraus im Vergleich zum Maßregelvollzugsgesetz noch deutlich höhere verfassungsrechtliche Risiken ergeben, hat sich die Ausschussmehrheit nicht angeschlossen. Sie hat zur Begründung u. a. auf die besonde

ren Verfahrensvorschriften für Unterbringungen nach dem PsychKG und auf die deutlich geringere Verweildauer der nach diesem Gesetz untergebrachten Personen hingewiesen. Außerdem sah es der Ausschuss als problematisch an, private Einrichtungen, die bereits seit längerer Zeit Unterbringungen nach dem PsychKG vollziehen, nun mit neuen und strengeren Anforderungen zu konfrontieren.

Mit diesem Abriss möchte ich meinen Bericht über die Ausschussberatungen beenden. Ich meine, das Thema ist wichtig, und zwar nicht zuletzt deshalb, weil wir im Landtag noch weitere Entscheidungen hinsichtlich der Trägerschaften zu treffen haben.

Weitere Erläuterungen zu den Beschlussempfehlungen und den darin vorgeschlagenen Änderungen können Sie dem schriftlichen Bericht entnehmen, den ich vorlege.

Ich bitte namens des federführenden Ausschusses, den Beschlussempfehlungen in den Drucksachen 3454 und 3455 zuzustimmen. - Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP - Christa Elsner-Solar [SPD]: Gerade der schriftliche Bericht wäre interes- sant gewesen!)

Danke, Herr Böhlke. - Der erste Redner zu diesen beiden Tagesordnungspunkten ist Herr Dr. Matthiesen. Ich erteile ihm das Wort.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Der Trägerwechsel der niedersächsischen Landeskrankenhäuser bedingt die Änderung des Niedersächsischen Maßregelvollzugsgesetzes. Das Gleiche gilt für das Niedersächsische Gesetz über Hilfen und Schutzmaßnahmen für psychisch kranke Menschen. Inzwischen hat der Kabinettsbeschluss vom 16. Januar den Trägerwechsel zu bestimmten Bewerbern in Aussicht genommen. Danach werden Erwerber in der ganzen Bandbreite aus kommunalem Bereich, freier Wohlfahrtspflege und Privatwirtschaft zum Zuge kommen. Es ist nicht nur das größte Transaktionsverfahren, das es bisher im deutschen Gesundheitswesen gegeben hat, sondern es ist auch das rechtsstaatlich sorgfältigste im Ländervergleich.

(Zustimmung bei der CDU)

Die stationäre psychiatrische Versorgung in Niedersachsen unterscheidet sich im Maßregelvollzug von der in anderen Bundesländern durch den besonderen niedersächsischen Weg. Er beinhaltet die organisatorische und inhaltliche Verzahnung von Allgemeinpsychiatrie und forensischer Psychiatrie und den regionalisierten und dezentralen Maßregelvollzug. Dieser Weg hat sich für Patienten und Mitarbeiterschaft in vielen Jahren bewährt. Bei Trägerwechseln aus dem staatlichen in den kommunalen, privaten oder frei-gemeinnützigen Bereich wird der künftige Maßregelvollzug auf eine verfassungsrechtlich einwandfreie Grundlage gestellt. Die Erwerber der einzelnen Landeskrankenhäuser übernehmen neben den verschiedenen psychiatrischen Aufgaben auch den Maßregelvollzug, und zwar im Wege der Beleihung. Damit können wir den niedersächsischen Weg fortsetzen.

(Christa Elsner-Solar [SPD]: Ich bin mir nicht so sicher!)

Dabei wird aber im Kernbereich des Maßregelvollzuges mit besonders intensiven Grundrechtseingriffen die Übertragung von Aufgaben auf privatrechtlich organisierte Träger ausgeschlossen. Das trägt dem Demokratieprinzip gemäß Artikel 20 Abs. 1 des Grundgesetzes Rechnung. Dies regelt der Vorbehaltskatalog, angefangen bei Entscheidungen über die Anwendung unmittelbaren Zwanges bis hin zu Entscheidungen über den Abbruch von Besuchen. Dem entspricht es, dass der Vollzug der Maßregeln der Besserung und Sicherung von einer staatlichen Vollzugsleitung einschließlich ihrer Stellvertretungen übernommen wird. Sie ist auch gegenüber dem Personal eines beliehenen Trägers weisungsbefugt.

(Christa Elsner-Solar [SPD]: Ob das ausreicht?)

Die Regierungsfraktionen haben sich vom Gesetzgebungs- und Beratungsdienst überzeugen lassen, selbst bei Gefahr im Verzug keine gesetzlichen Ausnahmen vom Vorbehaltskatalog im Maßregelvollzug zugunsten des Personals beliehener Krankenhausträger zuzulassen. Dies haben wir mit Rücksicht auf den Funktionsvorbehalt des Artikels 33 Abs. 4 des Grundgesetzes getan. Danach darf bekanntlich die ständige Ausübung hoheitsrechtlicher Befugnisse in der Regel nur Beamten übertragen werden. An dieser Stelle danke ich dem Gesetzgebungs- und Beratungsdienst na

mens meiner Fraktion sehr herzlich für die gründliche und gekonnte Beratung und Hilfestellung. Die Fälle von Gefahr im Verzug werden nun mittels antizipierter allgemeiner Weisungen der Vollzugsleitung gelöst. In deren Rahmen dürfen Beschäftigte des beliehenen Trägers im Bereich des Vorbehaltskataloges zur Gefahrenabwehr etwa durch Entscheidungen über die Anwendung unmittelbares Zwanges tätig werden. Sie müssen die Vollzugsleitung von einer derartigen Vollziehung der allgemeinen Weisungen unverzüglich und umfassend unterrichten, und die Vollzugsleitung überprüft dann die Maßnahmen und entscheidet über die Aufrechterhaltung.

Bei zwangsweisen Unterbringungen nach dem Niedersächsischen Gesetz über Hilfen und Schutzmaßnahmen für psychisch Kranke verbleibt es dagegen bei der bisherigen Rechtslage. Das Personal der mit der zwangsweisen Unterbringung betrauten beliehenen Krankenhausträger darf im Rahmen der Unterbringung die erforderlichen Grundrechtseingriffe vornehmen, ohne an einen Vorbehaltskatalog zugunsten einer staatlichen Vollzugsleitung gebunden zu sein. Dies ist vor allem mit Blick auf die im Unterschied zum Maßregelvollzug stets gegebene zeitliche Befristung der Unterbringung vertretbar. Hinzukommt demzufolge die durchschnittliche Verweildauer untergebrachter Patienten von durchschnittlich nur zwanzig Tagen gegenüber mehr als sechs Jahren im Maßregelvollzug.

Die gefundene Lösung ist vor allem auch deshalb mit Blick auf das Demokratieprinzip und den Funktionsvorbehalt gemäß Artikel 33 des Grundgesetzes verfassungsrechtlich abgesichert, weil es überzeugende sachliche Gründe für einen Trägerwechsel der Landeskrankenhäuser in den nicht staatlichen Bereich und damit auch für das Tätigwerden des Personals beliehener Krankenhausträger im Maßregelvollzug und bei der Unterbringung gibt. Ich nenne hier nur fünf Gründe:

Erstens. Der Trägerwechsel ist ein Beitrag zur nachhaltigen Sicherung der qualitativ hochwertigen und ortsnahen stationären psychiatrischen Versorgung. Das Sozialministerium geht nach dem Stand der Beratungen im Sozialausschuss am 10. Januar davon aus, dass trotz der Aufstockung der Platzzahl um 100 im Maßregelvollzug in den letzten Jahren noch immer rund 200 Plätze gebraucht werden und das sogenannte Fließgleichgewicht dann im Jahre 2010 erreicht sein wird. Angesichts des nach wie vor hoch defizitären Landeshaus