„Zwar ist die Zahl der Studienanfänger von Mitte der 90er-Jahre bis 2003 deutlich gestiegen, entwickelt sich seitdem aber trotz anhaltender Zuwächse bei den Studierberechtigten wieder rückläufig; die Studierneigung sinkt - in Niedersachsen sogar besonders ausgeprägt. Das muss vor dem Hintergrund der Notwendigkeit der Ausbildung von mehr hoch qualifizierten Arbeitskräften als ausgesprochen problematisch angesehen werden. Zudem ist Niedersachsens traditionell vergleichsweise starke Ausrichtung auf ingenieurwissenschaftliche Studiengänge... fast verloren gegangen.“
Meine Damen und Herren, das sagt das NIWGutachten aus dem Jahre 2006, finanziert vom niedersächsischen Wirtschaftsminister, eine aktuelle Bestandsaufnahme der politischen und bildungspolitischen Situation in Niedersachsen. Eine wirklich bescheidene, peinliche Veranstaltung, für die Sie hier Verantwortung tragen.
Die ressortübergreifende Kooperation läuft ja „fantastisch“, Herr Stratmann: Mehr als 5 000 Studienplätze in den letzten vier Jahren vernichtet, 260 Millionen Euro Mittel bei den niedersächsischen Hochschulen eingekürzt. Darüber hinaus müssen sie die Tariferhöhung noch aus ihrem
Budget bestreiten. Die Zahl der Studienanfänger - ich schätze einmal - ist inzwischen um mindestens 20 % gesunken.
Das sind Signale, die auf die Gefahr hindeuten, dass wir morgen und übermorgen im internationalen Wettbewerb weiter zurückfallen. Das ist unser Vorwurf, den wir erheben, meine Damen und Herren.
„Engpässe bei hoch qualifiziertem Personal... schränken die Unternehmen in ihrem Innovationsverhalten ein“.
Genau darum geht es. Die Mobilitätswirtschaft juckt das übrigens vergleichsweise wenig. Die internationalen Konzerne haben keinerlei Probleme, Forschung und Entwicklung voranzutreiben. Sie haben das Budget, sie haben die Kraft, sie haben im Zweifel auch die Chancen, die Besten zu finanzieren. Spannend ist, dass Forschung und Entwicklung - auch das kann man in dem Gutachten lesen - seit Beginn der 90er-Jahre einen deutlichen Schub nach oben erfahren hat und in den letzten Jahren wieder drastisch fällt.
Im Übrigen, Herr Hirche: Sie haben erzählt, dass Sie umstandslos an die Zeit von Herrn Albrecht anknüpfen. Ich will Ihnen einmal sagen: Der Hauptgeschäftsführer der Unternehmerverbände erzählte mir Anfang der 90er-Jahre das kleine, aber überzeugende Beispiel: Ich bin zwar ganz schwarz, ich werfe auch im Keller noch Schatten, aber eines muss ich einräumen: Die Lieblingsveranstaltung von Ernst Albrecht war die Ausstellung „Huhn und Schwein“ auf der Messe. Schröder kümmert sich aber um CeBIT und die Industriemesse. - Das ist der kleine Unterschied.
- Ja, bei „Huhn und Schwein“ sind wir weiter. Wir sind jetzt bei der EuroTier. Ich weiß das, meine Damen und Herren. Auch in der Branche entwickelt sich alles dramatisch; das ist keine Frage.
Entscheidend ist: Bei den großen Unternehmen ist es kein Problem, Herr Hirche. Aber die Aufgabe des Landes besteht darin, bei den handwerklichen Betrieben, vor allem bei den mittelständischen Unternehmen, die sich inzwischen im internationalen Wettbewerb befinden, dazu beizutragen, dass dort wissenschaftliche Ergebnisse ankommen und dass qualifiziertes Personal auch für die zur Verfügung steht. Die Großen kaufen das im Zweifel vorher weg. Deshalb geht es genau um diese Schaltstellen und um diese Scharniere, also darum: Wie gelingt es, Forschungsergebnisse zu übertragen? Wie gelingt es, Personal auch in diesen Unternehmen einzusetzen? - Denn wir wissen doch: Hinter jedem Akademiker, der dort eingestellt wird, gibt es mehrere Facharbeiter, für die zusätzliche Arbeitsplätze geschaffen werden. Das ist die Schubkraft, um die es geht. Hier sehe ich bei Ihnen nichts, sehe ich wenig: weder die Bedeutung der Fachhochschulen für die regionalen Arbeitsmärkte noch eine Stärkung von Transferstrategien, noch Personalunterstützungsmodelle, um in diesen Bereich hereinzukommen, meine Damen und Herren. Es gäbe für die Landespolitik in Niedersachsen so verdammt viel zu tun. Sie lassen das aber laufen und kümmern sich um die drei zentralen Innovationsprojekte, die Herr Hirche eben vorgestellt hat.
Zu denen möchte ich abschließend etwas sagen. Das erste Projekt dieses exekutiven Überraschungscoups, meine Damen und Herren, ist der Innovationsfonds, den sich Herr Hirche immer gewünscht hat und den die Staatskanzlei ihm jetzt geschenkt hat. Ich will einmal daran erinnern, dass die CDU am 23. November 2002 in einem wuchtigen Beschluss festgelegt hat, was sie in dieser Wahlperiode hier realisieren will. Zu diesem Thema - Herr Althusmann, Sie erinnern sich! - hat der CDU-Landesparteitag beschlossen: Innovationsfonds - 500 Millionen Euro. - Respektabel, wie ich finde. Mit 500 Millionen Euro kann man etwas machen. Sie wollten auch noch das VW-Vorab und die Salzgitter AG hereinpacken. Daraus hätte man schon etwas machen können. Was ist übriggeblieben? - Lächerliche 20 Millionen Euro als Kapitalstock. Herr Hirche, ein Kapitalstock von 20 Millionen Euro heißt, dass Sie im Jahr über knapp 1 Million Euro verfügen, mit der Sie jetzt das Flächenland Niedersachsen innovationspolitisch auf Trab bringen. Es muss aber ein heißer Gaul sein, der das voranbringt; das sage ich Ihnen.
Ihre Wirtschaftsministerkollegen in Baden-Württemberg und Bayern haben das Geld, über das wir hier gerade reden, wohl in der Portokasse. Das sage ich, damit die Größenordnungen an dieser Stelle klar sind.
Das zweite Strahlprojekt der Staatskanzlei ist die sogenannte IdeenExpo. Hier hat die Staatskanzlei dem MWK ein Geschenk gemacht, das das MWK übrigens gar nicht haben wollte. Herr Stratmann, ich ahne auch, warum. Ihnen und Ihren Leuten war klar: Das kann nach der Veranstaltung, die das private Unternehmen im letzten Jahr mit dem zehnfachen Budget dort durchgeführt hat, nur ein Flop werden. Bei der Gelegenheit ist interessant: Auch hier wird der Versuch unternommen, private Gelder einzuverlangen. Aber wenn ich das richtig sehe, macht das Riesenschwierigkeiten. Die Gesellschaft, die dort gerade in der Gründung ist oder gerade gegründet worden ist, ist ja eine ganz ungewöhnliche Konstruktion, wobei deutlich wird, dass die Wirtschaft im Kern kein Interesse hat, weil sie bisher keinen einzigen Cent zur Verfügung gestellt hat. Mein Eindruck ist übrigens, dass die Gründung dieser GmbH nur ein zentrales Ziel hat, nämlich die Umgehung der Vergaberichtlinien der Europäischen Union. Wir werden der Sache noch einmal nachgehen. Ziehen Sie sich an der Stelle warm an!
Dann kommen wir zum dritten Strahlprojekt der Staatskanzlei: die Kampagne mit dem am besten fotografierten Pferdeapfel aller Zeiten, meine Damen und Herren. Über Geschmack kann man streiten.
- Über Geruch kann man wahrscheinlich auch noch streiten, meine Damen und Herren. Deshalb ist dies auch nicht mein Problem. Hier stellt sich die Frage, ob die Wirtschaft den Eindruck hat, Werbung für das Land zu machen oder an der Wahlkampfstrategie der CDU beteiligt werden zu sollen. Über diese Frage wird man irgendwann einmal reden müssen; denn die Art und Weise, wie dort Briefe mit genau festgelegten Erwartungssummen ausgehändigt werden, hat schon einen
Hautgout. Aber die inhaltliche Frage, die sich dem Landtag an dieser Stelle aufdrängt, betrifft den Zusammenhang zwischen der Produktqualität und dem Marketing. Wenn ein Produkt von hoher Qualität ist, dann ist es relativ leicht, es zu bewerben, weil dann der Erfolg nahe liegt. Das Problem bei Ihnen, Herr Hirche, ist, dass Sie für das Produkt in den letzten vier Jahren verdammt wenig getan haben und, weil Sie dies selber wissen, das Ganze jetzt mit einer Marketingstrategie zu überhöhen versuchen. Diesen Vorwurf erheben wir an dieser Stelle.
Wer eine Innovationsstrategie auf Dauer durchsetzen will, darf nicht in Marketing, sondern muss in Bildung und Ausbildung investieren. Das jedenfalls ist unsere Einschätzung.
weil man das Land schlechtreden muss. Ich sage Ihnen: Wenn man Opposition macht, dann muss man nicht das Land schlechtreden; denn dieses Land hat es nicht verdient, schlechtgeredet zu werden.
Dieses Land hat verdammt viele Stärken. Es hat nur eine Schwäche: Es wird falsch regiert. Das werden wir im nächsten Jahr ändern.
(Starker, nicht enden wollender Beifall bei der SPD - Beifall bei den GRÜ- NEN - Lachen bei der CDU und bei der FDP)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es gibt in der Medizin das Krankheitsbild der Amnesie. Dieses Wort kommt aus dem Griechischen und bedeutet Mangel an Erinnerungsvermögen.
Daraus abgeleitet gibt es das Bild der politischen Amnesie. Bei Ihnen, Herr Jüttner, gibt es dafür leider sehr ernste Anzeichen.
Es ist für mich erschreckend, wie frech Sie heute die Innovationspolitik der Landesregierung kritisieren
und dabei völlig ausblenden, dass Sie persönlich bis zum Frühjahr 2003 als Mitglied der SPDKabinette politische Verantwortung für das Nomadendasein des früheren, im Jahre 2001 beerdigten, Innovationsfonds und die katastrophale Behandlung der Zukunftsthemen Niedersachsens durch die alten Landesregierungen hatten.
Herr Jüttner, wer hat denn 1999 für 199 537 Euro, also knapp unter der Ausschreibungsgrenze, einen Auftrag an Roland Berger vergeben? Wissen Sie noch, wie das damals hieß? „Konzeptionsberatung Innovationsfonds“. Das waren zwar nur 60 Seiten; aber mit 200 000 Euro war es durchaus teuer genug. Herr Jüttner, mit welchem Recht kritisieren und bemäkeln Sie heute eigentlich die Landesregierung? Sie müssten eigentlich ganz genau wissen, dass in den Jahren 1999 und 2000 aus dem Innovationsfonds allein für eine Auftaktveranstaltung und für Gutachten über 530 000 DM bezahlt wurden.