Protokoll der Sitzung vom 26.04.2007

Ich rufe nun auf den

Tagesordnungspunkt 23: Zweite Beratung: a) Zusätzliche Studienplätze schaffen, Bildungsfonds auflegen - Mehr Studienplätze mit Qualität! - Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen - Drs. 15/3193 - b) Mehr Studierende für Niedersachsens Hochschulen als Chance begreifen und handeln - Sofortprogramm für 10 000 Studienplätze Antrag der Fraktion der SPD - Drs. 15/3203 Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wissenschaft und Kultur - Drs. 15/3728

Die Beschlussempfehlung lautet in beiden Fällen auf Ablehnung.

Eine Berichterstattung ist nicht vorgesehen.

Zu Wort gemeldet hat sich Frau Dr. Andretta von der SPD-Fraktion. Ich erteile ihr das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Als wir im Oktober letzten Jahres unseren Antrag einbrachten, hatten die Bund-Länder-Verhandlungen zum Hochschulpakt gerade begonnen. Allen war klar geworden, dass der bevorstehende Ansturm auf die Hochschulen schnelles und gemeinsames Handeln erforderte. Die SPD begrüßt den Hochschulpakt.

(Unruhe - Glocke der Präsidentin)

Zusammen mit Professorin Wintermantel, der Präsidentin der Hochschulrektorenkonferenz, wissen wir aber auch, dass der Hochschulpakt nur ein Tropfen auf den heißen Stein sein kann. Er gibt weder eine Antwort auf die chronische Unterfinanzierung der Hochschulen, noch gibt er eine Antwort auf die Mehrbelastungen der Hochschulen durch die Umstellung auf die internationalen Bachelorund Masterstudiengänge. Diese Umstellung kostet die Hochschulen nicht nur Kraft; sie kostet auch zusätzliche Kapazität. Da sich das Land weigert, für die Mehrkosten aufzukommen, sind die Hochschulen gezwungen, Studienplätze abzubauen und Studierwillige durch harte NCs auszusperren. Die Folgen kennen Sie: Die Zahl der Studienanfänger ist in Niedersachsen dramatisch gesunken, von 2005 auf 2006 um mehr als 1 100.

Genau dies kann sich jetzt als Bumerang erweisen; denn Geld vom Bund gibt es nur für zusätzliche Studienanfänger, gemessen an der Zahl im Jahr 2005. Niedersachsen steht also vor dem Problem, zunächst Studienplätze wieder aufbauen zu müssen, bevor der erste Euro aus dem Hochschulpakt ins Land fließen kann. Wie löst der Minister dieses Problem? - Er setzt die Lehrverpflichtung für den wissenschaftlichen Mittelbau hoch; dies bringt 1 300 Studienplätze. Dann senkt er den curricularen Normwert für die Fachhochschulbachelors; dies bringt noch einmal 800 Studienplätze. Zum Schluss erhöht er noch schnell den sogenannten Schwundfaktor, und fertig ist die wundersame Studienplatzvermehrung des Ministers. 2 100 Studienplätze zusätzlich, und das Beste: Herr Stratmann hat keinen Pfennig dazubezahlt.

(Beifall bei der SPD)

Die Zeche, meine Damen und Herren - das wird Sie nicht wundern -, dürfen auch diesmal wieder die Studierenden zahlen: vollere Seminare, schlechtere Betreuung. Ich zitiere hier den doch unverdächtigen Präsidenten der Landeshochschulkonferenz, Professor von Figura:

„Diese Maßnahmen verschlechtern real die Studienbedingungen und die Lehrqualität und stehen im Widerspruch zu den Versprechen, die den Studierenden im Zuge der Einführung von Studienbeiträgen gemacht wurden.“

Weniger akademisch könnte man auch sagen: Die Landesregierung kassiert die Studenten unter Vortäuschung falscher Tatsachen ab.

(Beifall bei der SPD)

Doch damit nicht genug der Tricksereien. Staunend konnten wir vor zwei Wochen in der taz lesen, dass der Minister einräumen musste, dass die versprochenen 11 200 neuen Studienplätze in Wirklichkeit nur 9 500 echte neue Studienplätze seien. Die restlichen sind bereits vorhandene Studienplätze, vor allem in den Natur- und Ingenieurwissenschaften, die bloß aufgefüllt werden sollten. Dafür gibt es dann eine Auffüllprämie in Höhe von 800 Euro, einzusetzen für Anzeigenkampagnen oder Schnupperkurse. Die Begründung des Ministers lautet, man müsse etwas gegen den Nachwuchsmangel in den Natur- und Ingenieurwissenschaften tun. Richtig, Herr Minister. Das mangelnde Interesse an den Natur- und Ingenieurwissenschaften ist ein großes Problem für die Innovationskraft unseres Landes. Hier müssen wir etwas tun.

(Beifall bei der SPD)

Doch, Herr Minister, sogar Sie können nicht glauben, dass bunte Anzeigen und Schnupperkurse plötzlich das Interesse an einem Physikstudium wecken. Die Grundlagen für die spätere Studienwahl werden in den Schulen gelegt. Dort findet aber die Auseinandersetzung mit Technik kaum statt. Die Begeisterung für Mathematik oder Physik wird den Kindern spätestens auf den Gymnasien ausgetrieben. Da können Sie noch so schöne Prämien zahlen oder Ideen-Expos organisieren ändert sich in den Schulen und in der Lehrerbildung nichts, dann wird es auch in Zukunft nicht mehr Ingenieure und vor allem nicht mehr Ingenieurinnen geben.

(Beifall bei der SPD)

Vielleicht sollten Sie auch einmal darüber nachdenken, Herr Minister, wie hilfreich Ihre Studiengebühren in diesem Zusammenhang sind. Aus den Sozialerhebungen des Deutschen Studentenwerks wissen wir, dass es gerade die Kinder aus bildungsfernen Familien sind, die sich für ein Studium der Ingenieurwissenschaften entscheiden. Gerade diese Kinder sind es aber, die von Studiengebühren abgeschreckt werden. Statt Werbeprämien zu zahlen, schaffen Sie die Studiengebühren ab, Herr Minister!

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, der Hochschulpakt muss eine Erfolgsgeschichte für Niedersachsen werden. Damit dies gelingt, brauchen die Hochschulen endlich Planungssicherheit über die ihnen tatsächlich zur Verfügung stehenden Mittel - ohne Rechentricks mit Schwundfaktoren usw. Nur wenn sie wissen, wohin die Reise geht, können sie Profile und neue Studienangebote entwickeln.

Die Hochschulen brauchen auch eine Antwort auf die Frage, wie es 2010 weitergehen soll, Stichwort doppelter Abiturjahrgang. Sie brauchen außerdem eine Antwort auf die Frage, wie die Umstellung auf die neuen Studiengänge mit der Schaffung zusätzlicher Studienplätze in Einklang gebracht werden kann, ohne dass die Qualität des Studiums leidet. Auf alle diese Fragen ist der Minister bisher die Antworten schuldig geblieben. Stattdessen ziehen Sie, Herr Minister, neuerdings durch die Lande und verteilen eifrig Wahlgeschenke. 30 000 Euro für einen Wissenschaftspreis, 25 Millionen Euro für die NTH, 1,3 Millionen Euro für die Geisteswissenschaften, eine Erfolgsprämie in Göttingen usw. usf.

(Fritz Güntzler [CDU]: Ist das falsch?)

- Nein, Herr Güntzler, überhaupt nicht. Wir freuen uns für die Hochschulen, und besonders freue ich mich für Göttingen, weil die Erfolgsprämie ein wichtiges Signal ist.

(Fritz Güntzler [CDU]: Sie können ja sogar loben!)

Doch angesichts des Flurschadens, den Sie, Herr Minister, mit Ihrer Kürzungspolitik an den niedersächsischen Hochschulen angerichtet haben, können diese Wahlgeschenke fürwahr nur ein kleines Trostpflästerchen sein.

(Beifall bei der SPD)

Die Hochschulen können das Geld gut gebrauchen. Besser als schöne Wahlgeschenke wäre es allerdings, wenn Sie endlich Ihren Blindflug in der Hochschulpolitik beenden würden. Herr Minister, es reicht nämlich nicht aus, zu verkünden: Seht her! Ich, Minister Stratmann, war der Erste, der Studiengebühren einführte. Ich war der Erste, der den Hochschulpakt umsetzte. - Herr Minister, versuchen Sie doch auch einmal, der Beste zu sein!

(Beifall bei der SPD)

Angesichts des bundesweiten Ministerrankings, auf dem Sie den vorletzten Platz belegen, sehen wir da durchaus noch Potenzial für Sie.

(Heiterkeit und Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, im Sommer werden wir an dieser Stelle die Ergebnisse der EnqueteKommission beraten. Spätestens dann wird unmissverständlich klar sein, dass wir jetzt die letzte Gelegenheit haben werden, massiv in die Bildung unserer jungen Generation zu investieren. Wir sollten diese Chance nutzen. Stimmen Sie unserem Antrag zu!

(Lebhafter Beifall bei der SPD)

Nächste Rednerin ist Frau Dr. Heinen-Kljajić von Bündnis 90/Die Grünen.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die beiden hier zu behandelnden Anträge von SPD und Grünen hängen nun seit September letzten Jahres in der Warteschleife, weil uns von CDU und FDP ein eigener Antrag angekündigt wurde.

(Dr. Gabriele Andretta [SPD]: Weg- weisend sollte er sein!)

Statt einer eigenen Initiative wird uns nun aber der Hochschulpakt als Lösung des Problems präsentiert, und der Minister feiert sich als erster Wissenschaftsminister - Frau Dr. Andretta hat es gerade erwähnt -, der einen Plan zur Umsetzung dieses Hochschulpaktes vorgelegt hat.

(David McAllister [CDU]: Das ist doch gut!)

- Aber Schnelligkeit allein reicht nicht, lieber Herr McAllister. Das lehren viele andere Beispiele aus der niedersächsischen Hochschulpolitik.

Die Hochschulpräsidenten haben die Pläne des MWK mit einem umfangreichen Katalog an Kritikpunkten beantwortet. Von einer einvernehmlichen Lösung, wie in Ihrer Pressemitteilung zu lesen war, kann also wahrlich nicht die Rede sein.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, der Abgesang auf das Ziel, tatsächlich in großem Stil Studienplätze auszubauen, begann in dem Moment, in dem sich Bund und Länder darauf verständigt haben, nicht mehr von Studienplätzen, sondern von Studienanfängern zu reden. Damit war der Weg frei, einfach mehr Studierende mit geringstem Mittelaufwand durch das System zu schleusen. Genau zu diesem Instrument haben Sie gegriffen. An den Universitäten wird die Lehrverpflichtung für wissenschaftliche Mitarbeiter heraufgesetzt, und an den Fachhochschulen wird die Betreuungsrelation zwischen Lehrenden und Studierenden abgesenkt.

(Ursula Helmhold [GRÜNE]: Dafür zahlen die Studenten noch Geld!)

Beide Maßnahmen - so auch die einhellige Kritik der Hochschulen auf Landes- wie auf Bundesebene - bedeuten eine weitere Verschärfung der bereits existierenden Überlast an den Hochschulen zulasten der Ausbildungsqualität. Da Sie, Herr Minister, immer wieder beteuern, dass im Zuge des Bologna-Prozesses verbesserte Betreuungsrelationen die Abbrecherquote absenkten, muss nach Ihrer eigenen Logik der Hochschulpakt dazu führen, dass die Abbrecherquote mit der Anfängerquote um wenige Semester versetzt ansteigen wird. Damit haben Sie dann rechnerisch zwar das Ziel erreicht, mehr Studienanfänger in das Studium zu holen. Hochschulpolitisch aber wird der Hochschulpakt so zum Rohrkrepierer. Dabei ist noch nicht einmal sicher, ob Sie das rechnerische Ziel überhaupt erreichen werden; denn der Taschenspielertricks nicht genug, ist ein Teil dessen, was Sie als Kapazitätsaufbau verkaufen, kein echter Aufbau, sondern lediglich das hypothetisch angenommene Auffüllen bisher unbesetzter Studienplätze in den Bereichen Ingenieur- und Naturwissenschaften. Dafür stellen Sie Auffüllprämien zur Verfügung. Aber niemand, wirklich niemand hat bisher schlüssig erklären können, wie man damit Studierende dazu bringen kann, Physik oder Elektrotechnik zu studieren. Wenn das Experiment schiefgeht, werden die Hochschulen das Risiko tragen; denn wenn die vereinbarten Kapazitäten nicht erreicht werden, verlangt der Bund eine Rückzahlung der Mittel. Ausbaden müssen das die Hochschulen.

Ein weiteres Problem ist die Tatsache, dass die Berechnungsgrundlage für den Kapazitätsausbau die Studienplatzkapazität in 2005 ist. Nach Berechnungen Ihres Hauses, Herr Minister Stratmann, ist seitdem die Zahl der Studienanfänger um

1 582 zurückgegangen. Das aber bedeutet, dass die von Ihnen für 2007 geplanten 1 610 Studienanfänger gerade einmal den Abbau seit 2005 auffangen. Nach der Lesart des Hochschulpaktes werden Sie also Ende 2007 in der Bilanz nur 28 zusätzlich finanzierte Studienplätze geschaffen haben.

(Enno Hagenah [GRÜNE]: Großartig! - Ursula Helmhold [GRÜNE]: Eine wahre Herkulesaufgabe!)

Meine Damen und Herren, das ist wahrlich kein Grund, die Umsetzung des Hochschulpakts in Niedersachsen als Erfolg abzufeiern.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Hinzu kommt, dass die in den Zielvereinbarungen festzuschreibenden Studienplätze mit dem Geld, das Bund und Land den Hochschulen zur Verfügung stellen, beileibe nicht ausfinanziert sind. Herr Minister, Sie rühmen sich immer wieder in Verlautbarungen, erstmals in der Geschichte Niedersachsens gebe es dank des Zukunftsvertrages eine verlässliche Planungssicherheit für die Hochschulen. In Wahrheit verteilen Sie ungedeckte Schecks. Für die Hochschulen wird der Hochschulpakt zur Kostenfalle. Für die Studierenden bedeutet er - allemal an den Fachhochschulen - eine Verschlechterung der Studienbedingungen. Damit sind die Versprechungen, die Sie im Zusammenhang mit dem Zukunftsvertrag und der Einführung der Studiengebühren gegeben haben, schon gebrochen, bevor die Mehrzahl der Studierenden überhaupt das erste bezahlte Semester hat beginnen können.

Wir fordern in unserem Antrag nicht nur mehr, sondern auch bessere Studienplätze. Wir haben in einem ersten Schritt für 2007 die Schaffung von 3 000 tatsächlich neuen Studienanfängerplätzen vorgeschlagen, die wir mit den echten Kosten, nämlich 9 000 Euro pro Jahr und Studierendem, veranschlagen. Die Mittel hierfür dürfen ausdrücklich nicht zulasten von Lehre und Forschung erwirtschaftet werden.