Protokoll der Sitzung vom 11.07.2007

Transformatorbrand mit anschließender Explosion in Block 2 des Atomkraftwerks Ringhals im November 2006.

Als besonders schwerwiegend ist es anzusehen, dass der Füllstand des Kühlmittels im Reaktor des Atomkraftwerks Krümmel infolge des Störfalls abgesunken ist. Das ist der erste Schritt auf dem Weg zur Kernschmelze. Zum Glück haben weitere Notsysteme funktioniert.

Brunsbüttel - seit 1976 am Netz - und Krümmel - seit 1983 am Netz - gehören zu den störfallanfälligsten Atomkraftwerken in Deutschland. Beide stehen in der Nähe der niedersächsischen Landesgrenze.

Bislang ist ungeklärt, ob ein Zusammenhang zwischen den beiden Störfällen besteht.

Wir fragen die Landesregierung:

1. Wie ist sichergestellt, dass die Landesregierung umfassend und zeitnah über die Störfälle in den Atomkraftwerken Brunsbüttel und Krümmel und die weiteren Erkenntnisse daraus informiert ist?

2. Welche Folgerungen aus den Störfällen ergeben sich für die niedersächsischen Atomkraftwerke Esenshamm, Grohnde und Lingen, wobei Grohnde und Esenshamm ebenfalls von E.ON betrieben werden?

3. Welche Erkenntnisse liegen der Landesregierung über einen Zusammenhang zwischen den beiden Störfällen und Auswirkungen auf das Verbundnetz auch in Niedersachsen vor? - Herzlichen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Die Anfrage beantwortet Herr Minister Sander für die Landesregierung.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Am 28. Juni 2007 wurden die in unserem Nachbarland Schleswig-Holstein liegenden Kernkraftwerke Brunsbüttel und Krümmel durch Reaktorschnellabschaltungen abgeschaltet. Bei beiden Vorgängen handelt es sich nach den atomrechtlichen Vorschriften um Ereignisse, die der zuständigen atomrechtlichen Aufsichtsbehörde zu melden sind. Für die in Schleswig-Holstein liegenden An

lagen ist das Ministerium für Soziales, Gesundheit, Familie, Jugend und Senioren des Landes Schleswig-Holstein die zuständige atomrechtliche Genehmigungs- und Aufsichtsbehörde. Dieses im Weiteren kurz als Sozialministerium bezeichnete Ministerium Schleswig-Holsteins untersucht die Vorgänge und nimmt alle damit im Zusammenhang stehenden Maßnahmen der staatlichen Aufsicht im Auftrage des Bundesumweltministeriums wahr. Das Bundesumweltministerium hat bei derartigen meldepflichtigen Ereignissen die Aufgabe, die von den zuständigen Aufsichtsbehörden der Länder weitergeleiteten Ereignismeldungen der Betreiber zentral auswerten zu lassen. Dem Bundesumweltministerium obliegt es dann, den atomrechtlichen Aufsichtsbehörden aller Länder die Ergebnisse dieser Auswertungen in den Fällen zu übermitteln, in denen sich sicherheitstechnisch bedeutsame und auf andere Anlagen in Deutschland übertragbare Aspekte ergeben. Zu den beiden aktuellen Fällen liegen noch keine derartigen Informationen des Bundesumweltministeriums vor.

Meine Damen und Herren, das Niedersächsische Umweltministerium hat am 29. Juni, also einen Tag nachdem diese Ereignisse stattgefunden haben, mit der atomrechtlichen Aufsichtsbehörde in Schleswig-Holstein Kontakt aufgenommen. Meine Mitarbeiter wollten sich aufgrund der spektakulären Inhalte der ersten Medienberichte bereits im Vorfeld ein fundiertes Bild von den Vorgängen machen. Es ging darum, eine erste Einschätzung zur Übertragbarkeit der Ereignisse auf die Kernkraftwerke in Niedersachsen vornehmen zu können. Der Sachverhalt stellt sich dem Niedersächsischen Umweltministerium nach den von der atomrechtlichen Aufsichtsbehörde Schleswig-Holsteins bislang als gesichert mitgeteilten Informationen wie folgt dar:

Bei beiden Kernkraftwerken waren der Reaktorschnellabschaltung Störungen in der Anbindung der Kraftwerke an das Verbundnetz vorausgegangen. In Brunsbüttel war es ein Kurzschluss in der Schaltanlage des Verbundnetzes, in die das Kraftwerk einspeist. In Krümmel war es ein Brand in einem Transformator, über den das Kraftwerk den erzeugten Strom an das Verbundnetz abführt. In beiden Fällen waren die Reaktorschnellabschaltungen erfolgreich. Das heißt, die Anlagen waren in einen definierten sicheren Zustand überführt worden.

Im Anschluss an eine Reaktorschnellabschaltung sind Detailauswertungen durchzuführen. Dabei

geht es insbesondere um die Vollständigkeit und Richtigkeit aller mit der Abschaltung verbundenen Einzelmaßnahmen. Hierbei hat es bei beiden Kraftwerken eine Reihe von Auffälligkeiten gegeben, die Gegenstand der Prüfung in dem atomrechtlichen Aufsichtsverfahren in SchleswigHolstein waren bzw. noch sind. Beim Kernkraftwerk Brunsbüttel sind diese Fragen zwischenzeitlich geklärt worden, sodass die Anlage mit Zustimmung der atomrechtlichen Genehmigungsund Aufsichtsbehörde Schleswig-Holsteins nach diesem Ereignis wieder angefahren worden ist. Beim Kernkraftwerk Krümmel dauern die Untersuchungen hingegen noch an.

In den Medien wurde am 6. Juli 2007 über weitere Auffälligkeiten zu dem Ereignis in Krümmel berichtet. Berichtet wird u. a. vom Eindringen von Rauchgasen des Transformatorbrandes in die Warte des Kraftwerks und von Problemen bei der Sicherung der Datenaufzeichnung der Prozessrechneranlage.

Die beiden Ereignisse wurden nach der Atomrechtlichen Sicherheitsbeauftragten- und Meldeverordnung als meldepflichtige Ereignisse der niedrigsten Kategorie N eingestuft. Ereignisse dieser Kategorie N müssen der Aufsichtsbehörde gemeldet werden, um eventuelle sicherheitstechnische Schwachstellen bereits im Vorfeld erkennen zu können. Dies sind in der Regel Ereignisse von geringer sicherheitstechnischer Bedeutung, die über die routinemäßigen betrieblichen Ereignisse hinausgehen.

Meine Damen und Herren, lassen Sie mich daher im Namen der Landesregierung ganz sachlich feststellen: Die von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vorgenommene Einstufung der Ereignisse als schwere Störfälle ist eine Interpretation, die jeder sachlichen Grundlage entbehrt. Das Niedersächsische Umweltministerium wird sich auch nicht an den Spekulationen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen über mögliche Weiterungen der Ereignisse beteiligen; denn z. B. die Formulierung „Das ist der erste Schritt auf dem Weg zur Kernschmelze“ wird den Anforderungen an eine sachliche Auseinandersetzung mit den Vorgängen in keiner Weise gerecht.

(Stefan Wenzel [GRÜNE]: Wenn der Reaktorfahrer mit Gasmaske in der Leitwarte sitzt, wie ist das zu bewer- ten?)

Zu den von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen behaupteten Zweifeln an der Zuverlässigkeit der Betreiber nur zwei Anmerkungen:

(Unruhe - Glocke des Präsidenten)

Erstens. Die Bewertung der Zuverlässigkeit der Betreiber beider Anlagen ist Sache der zuständigen Aufsichtsbehörden in Kiel und in Berlin. Die parlamentarische Kontrolle über deren Entscheidung kann nur in den Parlamenten in Kiel und in Berlin erfolgen. Wer im Niedersächsischen Landtag schwerwiegende Behauptungen aufstellt, die hier weder kompetent noch autorisiert behandelt werden können, muss sich fragen lassen, ob es ihm wirklich um die Sache geht.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU - Stefan Wenzel [GRÜNE]: Wissen Sie, wo die Elbmarsch liegt, Herr Minis- ter?)

Zweitens. Die atomrechtliche Verantwortung für die beiden Anlagen Brunsbüttel und Krümmel obliegt ausschließlich dem Unternehmen Vattenfall. Der Versuch der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, die Vorgänge in Brunsbüttel und Krümmel gleich zu Vorwürfen der Unzuverlässigkeit der Betreiber von Kernkraftwerken in Niedersachsen zu nutzen, entbehrt jeder Grundlage und wird daher zurückgewiesen.

Dies vorausgeschickt, beantworte ich die Dringliche Anfrage namens der Landesregierung wie folgt:

Zu 1: Meldepflichtige Ereignisse werden von der Industrie und den Behörden des Bundes und der Länder auf mehreren Ebenen ausgewertet, und zwar vom Betreiber der betroffenen Anlagen und von Betreibern anderer Anlagen, auf Landesebene von den atomrechtlichen Landesbehörden und ihren Sachverständigenorganisationen, auf Bundesebene durch das Bundesumweltministerium und in dessen Auftrag durch das Bundesamt für Strahlenschutz und die Gesellschaft für Anlagenund Reaktorsicherheit. Diese mehrfache unabhängige Analyse stellt sicher, dass jedes meldepflichtige Ereignis detailliert und zeitgerecht ausgewertet wird. Die atomrechtliche Sicherheitsbeauftragtenund Meldeverordnung bildet die rechtliche Grundlage dafür. Sie stellt zunächst sicher, dass die Betreiber von Kernkraftwerken Meldungen von Unfällen und Störfällen - kurz gesagt: von meldepflichtigen Ereignissen - an die zuständigen Aufsichtsbehörden der jeweiligen Bundesländer mel

den müssen. Diese Meldungen werden unterschiedlichen Kategorien zugeordnet. Von Bedeutung sind insbesondere die Sofortmeldung mit einer unverzüglichen Meldefrist, die Eilmeldung mit einer Meldefrist von 24 Stunden und die Normalmeldung mit einer Frist von fünf Tagen.

Der Betreiber eines Kernkraftwerk trägt die Verantwortung für die fristgerechte und vollständige Meldung eines meldepflichtigen Ereignisses. Die Aufsichtsbehörde ihrerseits meldet das Ereignis nach einer ersten Prüfung des Sachverhalts dem Bundesumweltministerium und parallel dazu den zentralen Erfassungs- und Auswertungsstellen des Bundes. Zu Ereignissen, die sich als sicherheitstechnisch bedeutsam und auf andere Anlagen übertragbar herausstellen, erarbeiten die zentralen Auswertungsstellen sogenannte Weiterleitungsnachrichten. Diese werden im Auftrag des Bundesumweltministeriums an die Aufsichtsbehörden der Länder, die Sachverständigenorganisationen, die Betreiber, die Hersteller und andere Institutionen übersandt.

Meine Damen und Herren, es entspricht der hohen Sicherheitskultur in Niedersachsen, dass die Betreiber unabhängig von ihren gesetzlichen Meldepflichten sowohl früher als vorgeschrieben über meldepflichtige Ereignisse als auch über Erkenntnisse unterhalb der Meldeschwelle unterrichten. Ebenso tauschen sich die Behörden bei Bedarf auch unabhängig von dem festgelegten behördlichen Informationssystem aus. So fanden die Kontakte zwischen den Behörden von SchleswigHolstein und Niedersachsen in den aktuellen Fällen von Brunsbüttel und Krümmel bereits statt, bevor die Frist für die Meldung der Betreiber abgelaufen war. In solchen Fällen müssen naturgemäß alle Beteiligten beachten, dass gewisse Bewertungen noch so lange einen vorläufigen Charakter haben, wie Untersuchungen noch andauern und sich neue Erkenntnisse ergeben können.

Zu 2: Das Niedersächsische Umweltministerium kommt auf der Grundlage des derzeitigen Informationsstandes über die Ereignisse in den Kernkraftwerken Brunsbüttel und Krümmel unter Berücksichtigung der Gegebenheiten bei den Kernkraftwerken in Niedersachsen zu folgender Einschätzung:

Auslöser der Störungen in den Anlagen Brunsbüttel und Krümmel waren Störungen im Bereich der Netzanbindungen. Entsprechende kraftwerksnahe Kurzschlüsse und Transformatorausfälle sind in

der sicherheitstechnischen Auslegung der Kernkraftwerke in Niedersachsen berücksichtigt. Für diese Bereiche der Netzanbindung ergibt sich aus den bisher vorliegenden Informationen und Erkenntnissen keine Notwendigkeit zur Veranlassung weitergehender Maßnahmen.

Zu den Auffälligkeiten bei den Abläufen nach den Reaktorschnellabschaltungen ist Folgendes festzuhalten: Bei den beiden Anlagen in SchleswigHolstein handelt es sich um Siedewasserreaktoren. Aus diesem Grund sind die verfahrenstechnischen Abläufe in den dortigen Anlagen auf die in Niedersachsen ausschließlich vorhandenen Druckwasserreaktoren prinzipiell nicht direkt übertragbar. Dies gilt insbesondere auch für die in der Anfrage angesprochenen Vorgänge im Reaktordruckbehälter in Krümmel.

Weitere berichtete Auffälligkeiten sind lediglich von untergeordneter Bedeutung bzw. anlagenspezifisch.

Von der atomrechtlichen Aufsichtsbehörde in Schleswig-Holstein liegen noch keine näheren und belastbaren Informationen zu den in den Medien berichteten Auffälligkeiten - Rauch in der Kraftwerkswarte und Verlust von Daten - vor.

Zu den vorliegenden Informationen ist Folgendes festzuhalten: Die Kernkraftwerke in Niedersachsen sind mit Einrichtungen ausgerüstet, mit denen die Kraftwerkswarte gegen das Eindringen und Verbleiben von Rauchgasen von Bränden im Umfeld der Anlagen geschützt werden kann. Außerdem wird für das Wartenpersonal entsprechende Schutzausrüstung vorgehalten.

(Stefan Wenzel [GRÜNE]: Wer soll das noch glauben? - Das haben wir immer gehört!)

Zu den Prozessrechneranlagen in den Kernkraftwerken in Niedersachsen liegen keine Hinweise auf Probleme mit der Datensicherung vor.

(Stefan Wenzel [GRÜNE]: Wie alt sind die Computer?)

Meine Damen und Herren, aus den genannten Gründen ergibt sich bei dem vorliegenden Informationsstand auch hinsichtlich dieser Auffälligkeiten derzeit kein Handlungsbedarf. Das Niedersächsische Umweltministerium wird nach dem Vorliegen weiterer Erkenntnisse ergänzende Überprüfungen vornehmen. Eine geeignete Grundlage

für vertiefte Analysen wäre eine Weiterleitungsnachricht der Gesellschaft für Anlagen- und Reaktorsicherheit. Es ist derzeit nicht bekannt, ob das Bundesumweltministerium eine Weiterleitungsnachricht veranlassen wird.

Zu 3: Der Landesregierung liegen keine eigenen Erkenntnisse über Auswirkungen der Ereignisse in den Kernkraftwerken Brunsbüttel und Krümmel auf das Verbundnetz in Niedersachsen vor.

Ein Teil der Betreiber der Kernkraftwerke in Niedersachsen hat sowohl die netzseitige Störung in der Schaltanlage beim Kernkraftwerk Brunsbüttel als auch das Trennen der Anlagen Brunsbüttel und Krümmel vom Netz im Verbundnetz in Niedersachsen messtechnisch erfassen können. Die Messwerte hätten unter Berücksichtigung der Erfahrungen mit Betriebsstörungen im Netz keine außergewöhnlichen Besonderheiten aufgewiesen.

Zu einem Zusammenhang zwischen den beiden Ereignissen in den Kernkraftwerken in SchleswigHolstein, also Brunsbüttel und Krümmel, liegen der Landesregierung keine weiteren Erkenntnisse vor.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Meine Damen und Herren, ich stelle die Beschlussfähigkeit fest.

Ferner gebe ich die Liste der Wortmeldungen bekannt. Zu Wort gemeldet haben sich: Herr Briese, Herr Dürr, Herr Wenzel, Herr Bode, Herr Meihsies, Herr Harden, Herr Hagenah, Herr Dr. Runkel, Frau Steiner und Frau Korter. - Herr Briese, Sie haben das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte zwei Vorbemerkungen machen. Jenseits der Frage, ob es sich um einen schwerwiegenden, einen mittelschweren oder einen leichten Vorfall gehandelt hat, zeigt uns der Störfall eindeutig, dass man ein Atomkraftwerk nicht völlig störfallfrei betreiben kann. Ein Restrisiko bleibt immer. Deshalb ist mir die Forderung des Niedersächsischen Ministerpräsidenten Wulff, Restlaufzeiten neuerer Atomkraftwerke auf ältere, schlechtere und störfallanfälligere Atomkraftwerke zu übertragen, völlig schleierhaft. Das ist politisches Harakiri.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Jetzt meine konkrete Frage: Wenn ein ähnlicher Störfall dieser Kategorie bei niedersächsischen Atomkraftwerken vorkommen würde und wenn die Betreiber eine solche schlechte Politik der scheibchenweisen Information in Niedersachsen betreiben würden, zöge dann die Landesregierung in Erwägung, die Betriebserlaubnis zu entziehen, oder würde sie einfach zur Tagespolitik übergehen?