Protokoll der Sitzung vom 11.07.2007

Jetzt meine konkrete Frage: Wenn ein ähnlicher Störfall dieser Kategorie bei niedersächsischen Atomkraftwerken vorkommen würde und wenn die Betreiber eine solche schlechte Politik der scheibchenweisen Information in Niedersachsen betreiben würden, zöge dann die Landesregierung in Erwägung, die Betriebserlaubnis zu entziehen, oder würde sie einfach zur Tagespolitik übergehen?

Für die Landesregierung hat Herr Minister Sander das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Kollege Briese, das ist natürlich eine hypothetische Frage. Ich hatte schon in meiner Antwort klar und deutlich darauf hingewiesen, dass allein vom Reaktortyp Siedewasserreaktoren und Druckwasserreaktoren nicht miteinander vergleichbar sind und deshalb eine ganz andere Systematik bezüglich der Sicherheitstechnik vorhanden ist.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU - Ralf Briese [GRÜNE]: Die Frage ist nicht beantwortet! Staatsgerichtshof!)

Eine Zusatzfrage stellt der Abgeordnete Dürr.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zunächst einmal freut es mich zu hören, dass der Kollege Briese offensichtlich den Neubau der Laufzeitverlängerung vorzieht. Ich nehme das an dieser Stelle gerne zur Kenntnis.

Der Herr Minister hat ausgeführt, dass das Niedersächsische Umweltministerium, also die Atomaufsicht hier im Lande, sehr schnell, sofort am Tage nach dem Brand, in Schleswig-Holstein nachgefragt hat. Vor diesem Hintergrund frage ich die Landesregierung, wie es derzeit um den Informationsfluss zwischen Niedersachsen und SchleswigHolstein bestellt ist und ob die Kontakte weiterhin so reibungslos laufen.

(Silva Seeler [SPD]: Von wem haben Sie das aufgeschrieben bekommen?)

Für die Landesregierung hat Herr Minister Sander das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wie schnell die niedersächsische atomrechtliche Aufsichtsbehörde gehandelt hat, können Sie schon daraus ersehen, dass man nach dem Ereignis am 28. Juni von Niedersachsen zur atomrechtlichen Aufsichtsbehörde in Schleswig-Holstein Kontakt aufgenommen hat. Auf Fachebene bestehen sehr enge Kontakte. Man hat immer wieder nachgefragt. Man ist nicht informiert worden, sondern wir haben in Schleswig-Holstein nachgefragt, um feststellen zu können, ob wir unsere Anlagen darauf sofort überprüfen müssten. Dieser Kontakt hat bis letzten Freitag, also bis zum 6. Juli, bestanden. Dann wurde unseren Mitarbeitern mitgeteilt, dass die Hausleitung in Schleswig-Holstein entschieden habe, Informationen nur noch auf Staatssekretärsebene weiterzugeben,

(Zuruf von der CDU: Das kann doch nicht wahr sein!)

sodass unsere fachlich sehr gut ausgebildeten Mitarbeiter lediglich auf die Informationen zurückgreifen können, über die auch jeder Zeitungsleser verfügt. Das ist schon ein sehr bemerkenswerter Vorgang.

(Lachen bei der SPD - Dr. Philipp Rösler [FDP]: Das ist ein Skandal! Da wird wohl eine Umweltministerin fal- len! - Weitere Zurufe - Unruhe - Glo- cke des Präsidenten)

Zu Wort gemeldet hat sich der Abgeordnete Wenzel. Er hat das Wort und niemand anders.

Herr Minister Sander, am 5. Juli haben Sie schon gewusst, dass nichts von dem, was in SchleswigHolstein passiert ist, auf Niedersachsen übertragbar ist, obwohl wir hinterher feststellen mussten, dass die Betreiber uns nach Strich und Faden belogen haben. Aber Sie haben schon wieder vorher alles gewusst.

Sie haben kein Wort zu der Frage der Zuverlässigkeit von Leuten, die die Öffentlichkeit in dieser Weise hinters Licht führen, verloren. Aber darauf bezieht sich meine Frage nicht.

Ich habe eine Frage an unseren Innenminister, der ja auch für den Katastrophenschutz zuständig ist. Jenseits der Zuständigkeit nach dem Atomrecht muss ich davon ausgehen, dass unsere Krisenstäbe, die für den Katastrophenschutz zuständig sind, in solchen Fällen unmittelbar, vollständig und klar informiert werden. Vor dem Hintergrund der Tatsache, dass beispielsweise der Landrat von Lüneburg an dem betreffenden Tag um 15.15 Uhr zunächst von Journalisten und dann von der Polizei, die wiederum vom Betreiber falsch unterrichtet worden war, bzw. von anderen staatlichen Stellen informiert worden ist, frage ich den Innenminister: Wann und wie sind die für den Katastrophenschutz in Niedersachsen zuständigen Behörden, Stellen bzw. Personen informiert worden, und welche Informationen sind ihnen jeweils zugänglich gemacht worden?

Herr Minister Sander antwortet für die Landesregierung.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Unfälle in den Kernkraftwerken Krümmel, Brokdorf und Brunsbüttel erfordern Maßnahmen bezüglich Katastrophenvoralarm oder Katastrophenalarm. In Schleswig-Holstein tritt dafür als Erstes der interministerielle Krisenstab der Landesregierung in Kiel zusammen. Dieser Krisenstab wird unterstützt durch die Stabsgruppen Radiologie und Anlagentechnik des über die kerntechnischen Anlagen Aufsicht führenden Ministeriums; das ist das Ministerium für Soziales, Gesundheit, Familie, Jugend und Senioren. Der Krisenstab ordnet für die nachgeordneten Katastrophenschutzbehörden in Schleswig-Holstein die gegebenenfalls erforderlichen Maßnahmen zum Schutz der Bevölkerung an.

Niedersächsische Behörden werden über das Lagezentrum beim Innenministerium alarmiert, welches dann die weitere Alarmierung veranlasst. Nach dieser Alarmierung treten die Stäbe bei den Nachbarlandkreisen zusammen, die dann direkt in die entsprechenden Meldungswege der schleswigholsteinischen Katastrophenschutzorganisationen

eingebunden sind. Sie ordnen unter Beachtung der Empfehlungen auf der anderen Elbseite die Maßnahmen zum Schutz der Bevölkerung in eigener Zuständigkeit an. Die von den Landkreisen erhobenen Messdaten des Strahlenspürtrupps werden direkt in die Messzentrale des Landes SchleswigHolstein übermittelt und dort zu einem einheitlichen Lagebild zusammengefasst.

Die letzte Katastrophenschutzübung für die Umgebung des Kernkraftwerkes Krümmel fand im Jahr 2004 unter Beteiligung der Landkreise Harburg und Lüneburg statt. Es ist vorgesehen, auf Landesebene einen Verbindungsbeamten in den Krisenstab nach Kiel zu entsenden.

(Zustimmung bei der FDP und bei der CDU - Stefan Wenzel [GRÜNE]: Fra- ge nicht beantwortet! - Gegenruf von Bernd Althusmann [CDU]: Natürlich wurde die Frage beantwortet!)

Auf der Rednerliste steht jetzt Herr Bode und kein anderer.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Kollege Briese hat ja völlig recht, wenn er sagt, dass das Betreiben von Kernenergieanlagen, aber auch das Betreiben jeder anderen Großanlage - egal, ob es Kohlekraftwerke oder Chemieanlagen sind - immer mit Risiken behaftet ist, die wir versuchen müssen, bestmöglich auszuschalten und in den Griff zu bekommen. Deshalb ist es gerade auch für das Vertrauen der Bevölkerung in die Politik wichtig, dass man bei solchen Störfällen oder Problemen transparent und offen informiert. Deswegen finde ich es schon bemerkenswert, dass es einen Maulkorberlass der Ministerin Trauernicht in Schleswig-Holstein hinsichtlich der Information der in der absoluten Nachbarschaft wohnenden niedersächsischen Bevölkerung gibt. Diese Tatsache führt auch zu Problemen bei den Katastrophenschutzbehörden in den Landkreisen.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU - Dr. Philipp Rösler [FDP]: Unver- schämt!)

Von daher frage ich die Landesregierung sowie den Umwelt- und auch den Innenminister, wann die Landesregierung von der schleswig-holsteinischen Seite welche Informationen bekommen hat

und inwieweit die Einbindung der Katastrophenschutzbehörden auf niedersächsischer Seite erfolgen konnte.

(Dr. Philipp Rösler [FDP]: Gute Fra- ge!)

Für die Landesregierung Herr Minister Sander!

(Stefan Wenzel [GRÜNE]: Aber jetzt nicht wieder einen Textbaustein!)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Doch, Herr Kollege Wenzel, in diesem Fall wäre es vielleicht ganz gut, wenn ich Ihnen das genauestens chronologisch vorlesen würde; ich könnte Ihnen dazu zehn Seiten vorlesen. Dabei würde aber - wie ich in meiner Antwort ja bereits gesagt habe - wieder nur Folgendes herauskommen: Die Mitarbeiter aus dem Niedersächsischen Umweltministerium haben den Kontakt mit Schleswig-Holstein aufgenommen. Es war nicht so, dass wir informiert worden sind; vielmehr haben wir ab dem 29. Juni all das nachgefragt, was wir auch durch die Medien erfahren haben. Wenn wir neue Meldungen bekommen hatten - weil die Betreiberfirma nicht richtig oder nicht umfassend genug informiert hat -, haben wir ebenfalls nachgefragt. Dass diese Nachfragen der schleswig-holsteinischen Landesregierung bzw. dem Sozialministerium möglicherweise lästig gewesen sind, sodass man deshalb am Freitag, dem 6. Juli, gesagt hat: „Nein, auf Fachebene geben wir keine weiteren Auskünfte; das machen wir nur noch auf Staatssekretärsebene“, ist ein ganz neuer Vorgang. Selbst aus Schweden ist uns so etwas nicht bekannt geworden. Wenn ich einem Unternehmen vorwerfe, es handele nicht transparent genug und gebe Informationen nicht weiter, über die es verfüge, dann kann ich es erst recht nicht verstehen, dass die Politik diese Erkenntnisse, die sie haben kann, noch nicht einmal den Nachbarländern zur Verfügung stellt.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Eine Zusatzfrage stellt der Abgeordnete Meihsies.

Herr Präsident! Herr Minister Sander, Sie mögen sich ja in den Augen von denjenigen Leuten hinter Formalien verstecken können, die weiterhin an die Atomkraft glauben. Bei uns aber werden Sie damit nicht durchkommen.

(Hans-Werner Schwarz [FDP]: Was hat das denn mit Formalien zu tun?)

Ich will Ihnen einmal ein Zitat eines Kollegen vorlesen, der nicht im Verdacht steht, zu den Befürwortern oder den Gegnern der Atomkraft zu gehören. Es ist nämlich der Bürgermeister aus Hohnstorf, Ihr Kollege Jens Kaidas. Er hat am Tag danach gesagt: Eine einzige Informationskatastrophe hat stattgefunden. Die Samtgemeinden sind nicht informiert worden. Das Ganze ist eine große Sauerei, wenn man Nachrichten unter Verschluss hält, die nicht gerade vertrauensbildend sind.

Herr Minister Sander, E.ON ist der Eigentümer; E.ON ist bei Vattenfall und auch bei Krümmel und Brunsbüttel involviert. Glauben Sie, dass dieser Eigentümer Vertrauen genießt und in Zukunft eine Informationspolitik macht, von der Sie meinen, dass sie richtig ist? Glauben Sie, dass dieser Eigentümer die AKWs weiterhin so betreiben darf, wie er sie zurzeit betreibt? Die zweite Frage ist: Wie wollen Sie eigentlich den Informationsmangel im Landkreis Lüneburg ausgleichen? Denn die informellen Wege sind nicht geeignet, in der Bevölkerung vertrauensbildend zu wirken. - Danke sehr.

(Beifall bei den GRÜNEN - Unruhe - Glocke des Präsidenten)

Für die Landesregierung hat Herr Minister Sander das Wort.

Kollege Meihsies, Ihren einführenden Worten kann ich nur zustimmen: Das ist schlimm, wenn staatliche Behörden ihr Nachbarland in atomrechtlichen Fragen nicht umfassend informieren. Das ist schlimm; das ist ein Skandal!

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Da Sie ja schon immer über gute Kontakte nach Schleswig-Holstein verfügt haben, hätten Sie dieses Problem Ihren Kolleginnen und Kollegen in

Schleswig-Holstein auch schon einmal etwas näherbringen und uns damit vielleicht helfen können.

(Zustimmung bei der CDU)

Zu der zweiten Frage, der Frage nach der Beteiligung von E.ON an Vattenfall. Es handelt sich um eine Beteiligung von 33 %. Aber auch Sie wissen wahrscheinlich, dass, auch wenn es sich um eine Beteiligung handelt, es trotzdem einen einzigen Verantwortlichen gibt, der der Betreiber eines Kraftwerks ist. Das ist Vattenfall. Von daher ist Vattenfall gegenüber den Aufsichtsbehörden für diesen Vorfall atomrechtlich alleine verantwortlich. E.ON hat in diesem Fall mit dem atomrechtlichen Verfahren nichts zu tun. Von daher haben Sie die Antwort auf Ihre Frage eigentlich schon gegeben: Wer nicht zuständig ist, kann auch weiterhin zuverlässig sein.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Eine Zusatzfrage stellt der Abgeordnete Harden.

Herr Minister, Ihren Ausführungen darüber, wann ein Katastrophenschutzstab zusammentritt und wie er informiert, habe ich entnommen: Das dauert Stunden, und in der Zeit kann die ganze betreffende Gegend schon verseucht sein. Diese Ausführungen können also nicht zur Beruhigung beitragen.

Ich habe folgende Frage: Wenn die Bedienungsmannschaft eines Atomkraftwerks bei einem länger andauernden Störfall darüber entscheidet, ob und wann sie dies den Behörden mitteilt, ist die Sicherheit der Bevölkerung in das Belieben der Kraftwerksbetreiber gestellt.