Protokoll der Sitzung vom 13.09.2007

Ich frage mich, Herr Rösler: Wodurch haben Sie sich Ihre Zustimmung eigentlich erkaufen lassen?

Es ist schon bemerkenswert, dass Sie, Herr Wulff, ausgerechnet einen Fahndungserfolg der deutschen Sicherheitsbehörden zum Anlass nehmen, um den Innenminister eine Regierungserklärung abgeben zu lassen, die vom Versagen der Niedersächsischen Landesregierung - damit sind wir bei der heutigen Tagesordnung - beim JadeWeserPort und beim Transrapid ablenken soll.

(Beifall bei der SPD - Bernd Althus- mann [CDU]: Können Sie uns einmal die Zusammenhänge erklären?)

Meine Damen und Herren, ich wundere mich allerdings ernsthaft über die Vehemenz, mit der der

amtierende Innenminister in Sachen Onlinedurchsuchung einen Keil zwischen Regierung und Opposition treiben will.

In Wahrheit tut sich beim Streit um die Onlinedurchsuchung doch ein tiefer Graben zwischen CDU und FDP auf, der zeigt, dass diese Regierung in sicherheitspolitischen Fragen mittlerweile handlungsunfähig ist. Ich zitiere eine dpa-Meldung von vor ein paar Tagen:

„Die FDP bleibt bei ihrem Nein zu Onlinedurchsuchungen. Das heimliche Ausspähen von Computern sei der falsche Weg, sagte Parteichef Guido Westerwelle nach einer Klausurtagung der FDP-Bundestagsfraktion in Wiesbaden. ‚Tausend Gesetze helfen nicht, wenn es an Polizisten fehlt‘.“

Meine Damen und Herren, wo Herr Westerwelle recht hat, da hat er recht!

Mit Blick auf die spezifische niedersächsische Situation könnte man allerdings noch einiges ergänzen: Die materielle Ausstattung von Polizei und Verfassungsschutz ist so schlecht, dass Polizei und Verfassungsschutz heute nicht einmal das machen können, was sie machen dürfen. Vor diesem Hintergrund brauchen wir eigentlich gar nicht darüber zu diskutieren, dass sie auch noch machen sollen, was sie noch nicht dürfen, solange die Ausstattung mit Sachmitteln und technischem Gerät so schlecht ist, wie sie ist.

(Beifall bei der SPD - Joachim Alb- recht [CDU]: Das sieht heute besser aus als vor fünf Jahren!)

- Fragen einmal genauer nach! Ich möchte Ihnen einmal empfehlen, mit Polizeibeamten zu sprechen. Die könnten Ihnen dazu eine ganze Menge sagen. Auch die sind es langsam leid, auf ihre Forderungen nach zusätzlicher Ausstattung hin immer wieder nur gesagt zu bekommen, wo Eingriffsbefugnisse verstärkt sollen.

Wie ernst diese Landesregierung die Terrorismusbekämpfung nimmt - das wiederhole ich gern -, kann man aus einem Fernschreiben ersehen, das ich Ihnen gern vorlese:

„Aus haushaltstechnischen Gründen kann die Arbeitstagung ‚Islamistischer Terrorismus‘ am 12.09.2006“

- das war heute vor einem Jahr

„leider nicht stattfinden und muss von daher abgesagt werden. Vorbehaltlich der Haushaltslage im Jahre 2007 ist vorgesehen, im nächsten Jahr wieder zwei derartige Veranstaltungen durchzuführen.“

Ich stelle fest: In Niedersachsen findet Terrorismusbekämpfung nur nach Kassenlage statt. So aber kann man mit diesem Thema nicht umgehen, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD)

Dieses Thema ist viel zu wichtig - darin stimme ich Herrn Schünemann wieder zu -, als dass man darüber in ein parteipolitisches Geplänkel verfallen sollte.

(Zurufe von der CDU)

- Wer mit dem Geplänkel angefangen hat? - Da müssen Sie einmal die fragen, die heute Morgen diese Regierungserklärung inszeniert haben.

(Beifall bei der SPD - Joachim Alb- recht [CDU]: Das stimmt nicht!)

Meine Damen und Herren, wir müssen in einer sorgfältigen und sachlichen Diskussion erstens abklären, ob unsere Sicherheitsbehörden personell und sächlich so ausgestattet sind, dass sie die aktuellen Herausforderungen bewältigen können, und zweitens sicherstellen, dass diese Behörden - und ich sehe da tatsächlich genau diese Reihenfolge - die gesetzlichen Befugnisse an die Hand bekommen, die sie benötigen, um effektiv arbeiten zu können, ohne dabei jedoch - auch das ist mir wichtig - die Grenzen des Rechtsstaats zu verlassen.

Ich bin vor diesem Hintergrund sehr für eine Versachlichung der Diskussion um die sogenannte Onlinedurchsuchung. Wir haben hierzu bereits in einem Entschließungsantrag unsere Position deutlich gemacht. Ich möchte das jetzt noch einmal präzisieren, weil es beim letzten Mal in der sehr aufgeregten Diskussion vielleicht untergegangen ist. Für uns ist der Onlinezugriff auf Festplatteninhalte tabu; denn der private Computer ist ein derart sensibler Teil der privaten Lebensführung, dass es sich in meinen Augen verbietet, hier mit irgendwelchen Bundestrojanern Tür und Tor zu öffnen. Wer glaubt, durch die Onlineausforschung von Festplatteninhalten an Erkenntnisse zu kommen, die sich nicht ebenso durch eine herkömmliche Be

schlagnahme erzielen lassen, der zeigt, dass er die Möglichkeiten der Internetkommunikation nicht begriffen hat. Ich brauche nur einen USB-Stick und ein Internetcafé, um jede Onlinedurchsuchung ad absurdum zu führen, meine Damen und Herren.

Etwas anderes ist jedoch das, was auch Herrn Schily schon bewegt hat und was meines Erachtens allzu leichtfertig mit der Onlinedurchsuchung vermischt wird: Wer mit der Hilfe von Computertechnik eine verschlüsselte Kommunikation zu Dritten aufbaut - sei es über Voice-Over-IP, sei es über verschlüsselte Internet-Kommunikation oder sei es in verschlüsselten Internet-Foren -, der muss damit rechnen, dass unsere Sicherheitsbehörden diese externe Kommunikation überwachen dürfen. Der Richtervorbehalt ist dabei natürlich eine Selbstverständlichkeit. Mit anderen Worten: Die heimliche Onlinedurchsuchung privater Festplatten ist mit uns nicht zu machen. Die bereits heute zulässige Telekommunikationsüberwachung muss jedoch auch mit den Mitteln der neuen Medien möglich sein. Aber auch hier gilt, was das Bundesverfassungsgericht zum Großen Lauschangriff und zur präventiven Telefonüberwachung ausgeführt hat: Der Bedarf für die vom höchsten deutschen Gericht für nichtig erklärte präventive Telefonüberwachung besteht gerade im Bereich des Terrorismus mit seiner weit ins Vorfeld verlagerten Strafbarkeit nicht, weil schon im Falle des Verdachts auf Bildung einer terroristischen Vereinigung das komplette strafprozessuale Abhörinstrumentarium zum Zuge kommen kann.

Wie sich im aktuellen Fall gezeigt hat, stellt die Ausbildung zur Verübung von terroristischen Angriffen in ausländischen Trainingscamps eine ernsthafte Bedrohung für die Sicherheit in unserem Lande dar. Vor diesem Hintergrund begrüße ich, dass die Bundesregierung strafrechtliche Konsequenzen für diejenigen prüft, die sich in solchen Terrorcamps zu Terroristen ausbilden lassen.

Auch an anderer Stelle sehe ich Handlungsbedarf. Es ist in Deutschland offenbar nach wie vor einfach, an große Mengen von gefährlichen Chemikalien zu kommen. Es ist nicht einzusehen, dass Fluggäste nicht einmal eine Flasche Mineralwasser mit an Bord nehmen dürfen, während potenzielle Terroristen hier in Niedersachsen ungehindert fässerweise Chemikalien kaufen können. Hier sollte über eine Registrierungspflicht für diejenigen nachgedacht werden, die solche chemischen Stoffe in größeren Mengen ankaufen.

Meine Damen und Herren, ich hoffe, aus meinen Ausführungen ist deutlich geworden, dass ich für einen sachlichen und unaufgeregten Umgang mit dem Thema Terrorismusgefahr plädiere. Wir dürfen hier beileibe nichts vernachlässigen. Wir müssen uns aber auch vor nicht reparierbaren Kollateralschäden in Acht nehmen, die wir beim sozialen Frieden unserer Gesellschaft und durch die schleichende Demontage des Rechtsstaats anrichten würden.

Meine Damen und Herren, wer mit seinen Gesetzesforderungen überzieht und diese vielleicht sogar realisiert, der hilft den Terroristen, das zu erreichen, was sie wollen, dass nämlich unser freiheitlicher Rechtsstaat seinen Charakter verliert. Dann aber haben diese Verbrecher eines ihrer wesentlichen Ziele erreicht. - Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Starker, nicht enden wollender Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, jetzt hat sich der Ministerpräsident zu Wort gemeldet. Bevor ich Ihnen das Wort erteile, möchte ich noch etwas zu den Redezeiten sagen. Da die Regierungserklärung des Innenministers nicht 20, sondern 30 Minuten gedauert hat, werden die Redezeiten für die Fraktionen entsprechend verlängert. Die großen Fraktionen bekommen also jeweils 30 Minuten und die kleinen Fraktionen jeweils 15 Minuten Redezeit. Diese Redezeiten müssen nicht ausgeschöpft werden. Das wollte ich zur Klarstellung gesagt haben. - Herr Ministerpräsident, Sie haben das Wort.

Sehr verehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich bin dankbar dafür, dass die Regierung nach unserer Verfassung jederzeit das Wort ergreifen kann. Wenn ich es richtig sehe, vermissen Sie das manchmal. Wir machen davon nämlich selten, eher zu selten Gebrauch.

Ich möchte an dieser Stelle etwas zu der Frage sagen - -

(Zurufe von der SPD)

- Im Gegensatz zu Ihnen habe ich die heutige Presse gelesen. Dort wird verschiedentlich bedau

ert, dass wir nicht häufiger das Wort ergreifen. Sie sollten sich die Berichterstattung in der Presse also einmal anschauen; insbesondere die über den gestrigen Tag.

Im Hinblick auf den weiteren Verlauf der Debatte bin ich tatsächlich erschüttert wie selten zuvor in diesem Parlament.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir haben am Dienstag im Kabinett zusammengesessen und über die Lage in Deutschland und in Niedersachsen diskutiert. Bei dieser Diskussion haben wir übereinstimmend festgestellt, dass es angesichts der Bedrohungslage und der Bezüge zu Niedersachsen eine Selbstverständlichkeit ist, dass die Regierung hier im Parlament einen Bericht über aktuelle Ereignisse abgibt, wie es die Verfassung vorgibt, und dass darüber im Parlament eine Debatte stattfinden kann. Denn der wichtigste Ort zur Meinungsbildung ist in der Demokratie das Parlament, und die Regierung hat dem Parlament gegenüber Auskunft über Vorgänge zu geben, die von erheblicher Bedeutung sind.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Ich kann Ihnen nur sagen: In unserem Land Niedersachsen, für das Sie und wir alle Verantwortung tragen, sind über Monate Chemikalienmengen für die Herstellung von Sprengstoff gekauft und zusammengestellt worden, die ein größeres Volumen hatten als die Sprengstoffe, die bei den Anschlägen in Madrid und London zusammen verbraucht worden sind. Wir konnten die Verübung dieser Anschläge in Deutschland möglicherweise in diesem Monat gerade noch durch Zusammenwirken der Sicherheitsbehörden vereiteln, wenn auch bei unsicherem rechtlichen Terrain. Ohne die notwendige Unterstützung lassen sich in Zukunft solche Anschläge mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht ausschließen. Die Frage des Zusammenlebens von Menschen unterschiedlicher Tradition, Herkunft, Religion und Einstellung in Hinblick auf Fanatismus in Niedersachsen ist die Frage des 21. Jahrhunderts. Wenn solche Sprengstoffmengen in Niedersachsen gekauft wurden und hier Wohnungsdurchsuchungen stattgefunden haben, dann ist es einfach eine Selbstverständlichkeit, dass nicht nur in den Medien - in der Presse, im Fernsehen - alle zu allem Stellung nehmen, sondern auch hier im Parlament darüber gespro

chen und debattiert werden kann, um eine angemessene Antwort zu finden.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Herr Bartling, ich kann Sie wirklich nicht mehr verstehen. Am Montag war ich mehrere Stunden lang im Landeskriminalamt und habe mich umfassend informiert. Man wundert sich über Sie, weil man weiß, dass Sie Innenminister gewesen sind. Sie, Herr Bartling, waren doch 2001 bei uns im Fraktionsvorstand und haben gesagt, zwar seien Sie immer gegen die Rasterfahndung gewesen, aber nach den Anschlägen am 11. September in New York müsse diese Rasterfahndung nun schnell - unter Ausschaltung der ersten Lesung - ins Gesetz geschrieben werden, wie es von der CDU immer gefordert worden ist, um dem Handlungsbedarf gerecht zu werden, den die Polizei in Niedersachsen hatte.

(Hört, hört! bei der CDU)

Wer diese Erfahrung gemacht hat, kann heute doch nicht so selbstgerecht behaupten, wir hätten diese Regierungserklärung nur beantragt, um uns zu profilieren oder um von anderen Themen abzulenken, die alle noch abgehandelt werden. Wir sprechen über dieses Thema, weil es eines der Themen ist, die uns tatsächlich bedrücken.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Eine letzte Bemerkung: Wir haben dringenden Handlungsbedarf. Es ist schlicht nicht unbillig, dass wir von Ihnen verlangen, sich dem Gedanken zu öffnen, dass wir das, was Otto Schily zu rot-grünen Regierungszeiten in Berlin ohne Rechtsgrundlage gemacht hat, bitte schön in Zukunft mit Rechtsgrundlage machen wollen. Es ist doch wirklich nicht unbillig, so etwas von Ihnen zu erwarten.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Ich habe mich informiert. Zwar kann ich hier nicht alles berichten, weil ich die Arbeit der Sicherheitsbehörden nicht erschweren will; aber Folgendes kann ich Ihnen allgemein sagen: Es verschwinden in Niedersachsen Mitglieder von islamischen Gemeinden ohne Angabe des Aufenthaltsortes, es gibt Einzelne, die in Terrorcamps in Pakistan ausgebildet wurden oder sich dort ausbilden lassen, es finden bei Einzelnen Wesensveränderungen statt, und es liegen bei ihnen Schriften zur Gewaltverherrlichung gegen alles Zivilisatorische herum. Wir haben Jahrhunderte lang darum gekämpft, zu

dieser zivilisierten Gesellschaft zu kommen. Auch in Europa ist über Jahrhunderte manches geschehen, das aus heutiger Sicht als geradezu unverständlich erscheint. Aber das, was diese völlig verdrehten Geister jetzt in unser Land, in die zivilisierte Welt bringen, ob in Madrid, London, New York oder irgendwo auf der Welt, das hat auch uns hier im Parlament zu beschäftigen. Wir sind für jeden Vorschlag, für jede Anregung, für jeden Diskussionsbeitrag dankbar. Aber vor dem Hintergrund dieser Bedrohung anderen zu sagen, sie wollten nur von einem anderen Thema ablenken, das ist derart billig, dass ich mich dazu zu Wort melden musste.