Protokoll der Sitzung vom 13.09.2007

Dritter und zentraler Punkt: Sie sagen, wir brauchen effektive Aufklärungsinstrumente, und das sind die Onlinedurchsuchung von Computern und die präventive Telekommunikationsüberwachung. Die schnelle Bereitstellung der rechtlichen Befugnisse ist alternativlos. - Bemerkenswert ist, dass das Stichwort „präventive Telefonüberwachung“ heute in Ihrer Rede anders als in ihrer schriftlichen Fassung nur einmal vorkam. Ich weiß nicht, was das zu bedeuten hat. Ich könnte dafür eine Erklärung anbieten, komme aber gleich noch einmal darauf zurück. Es gibt gar keinen Zweifel: Die Festnahme der Tatverdächtigen in der vergangenen Woche war ein Erfolg der Sicherheitsbehörden von Bund und Ländern. Er ist mutmaßlich ohne Onlinedurchsuchungen und wahrscheinlich auch ohne präventive Telefonüberwachungsmaßnahmen zustande gekommen. Herr Innenminister, es bleibt Ihr Geheimnis, warum Sie dann die Einführung dieser beiden technischen Instrumente als alternativlos bezeichnen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, es bleibt dabei: Wir als Grüne-Fraktion lehnen die Onlinedurchsuchung von Computern weiterhin ab.

(Joachim Albrecht [CDU]: Das ist aber keine Alternative!)

Eine heimliche Onlinedurchsuchung greift tief in die Privatsphäre ein. Wir haben die Debatte hierüber im Juni-Plenum relativ ausführlich geführt. Deswegen werde ich jetzt in die Einzelheiten nicht einsteigen. Man könnte, wie Sie und andere Befürworter dieses Instrumentes - auch Herr Biallas es tun, sagen, dass eine solche Maßnahme ohnehin nur in seltenen Fällen eingesetzt werde und

der technische Aufwand beachtlich sei, sodass sich von daher eine notwendige Selbstbeschränkung ergebe. Allerdings haben wir die Erfahrung gemacht, dass im Bereich der Sicherheitspolitik Instrumente dann, wenn sie einmal eingeführt worden waren, in der Folgezeit Stück für Stück auf andere, zusätzliche Zwecke ausgedehnt wurden. Dies ist der Kern des Risikos auch in der Debatte um die Einführung von Onlinedurchsuchungen.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Meine Damen und Herren, Herr Minister, ich finde, dass schon ein gewisses Maß an Kaltschnäuzigkeit dazugehört - damit komme ich noch einmal zum Stichwort „präventive Telefonüberwachung“, die Sie heute Morgen nur ganz kurz angerissen haben -, die präventive Telefonüberwachung als unabdingbar zu bezeichnen, nachdem die gerade mit Ihrer Mehrheit in diesem Haus beschlossene Bestimmung des § 33 a des niedersächsischen Polizeigesetzes vom Bundesverfassungsgericht für verfassungsrechtswidrig erklärt worden ist.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Weiterhin erklären Sie in Ihrer Textfassung, Sie könnten, wenn man sich darauf verständigen würde, sofort einen verfassungskonformen Vorschlag auf den Tisch legen. Wahrscheinlich meinen Sie die Formulierung, die Sie für die jetzt in der im parlamentarischen Verfahren befindlichen Novelle zum Polizeigesetz gefunden haben. Darin wählen Sie eine Formulierung, die nach meinem Verständnis und auch nach dem Verständnis des Landesbeauftragten für den Datenschutz ein Trick ist, mit dem Sie versuchen, nach außen hin der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts Rechnung zu tragen, für die Polizei und ihre Ermittlungsarbeit aber zu retten versuchen, was zu retten ist. Dieses Thema können wir hier wegen der Diffizilität der Interpretation nicht weiter vertiefen. Das wird sicherlich im Ausschuss geschehen und dann hier im Plenum abschließend behandelt werden.

Ihre Rede zielt erkennbar weniger auf uns als vielmehr auf die SPD. Das wird schon daran erkennbar, dass Sie die Bundesjustizministerin in Form einer Frage attackieren und den Eindruck insinuieren, dass diese durch ihre skeptische Position bezüglich Onlinedurchsuchungen ihren Amtseid in Gefahr bringe. Auch Herr Biallas hat das

Stichwort „Amtseid“ eben angesprochen. Aber diese skeptische Position von Frau Zypries ist keine Marotte, sondern in meinen Augen ein Stück weit rollenkonform. Es ist Tradition, dass es Konflikte zwischen Justizministerinnen und Innenministerinnen oder -ministern gibt. Der Innenminister dieses Landes wie die Innenminister anderer Länder oder der Innenminister im Bund agieren sozusagen aus ihrer rollenkonformen Verpflichtung heraus, und das ist so auch in Ordnung. Bei der Justizministerin aus Niedersachsen habe ich allerdings noch nicht wahrnehmen können, dass es solche Rollenkonflikte gegeben hätte.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Normalerweise hat die Justizministerin die Aufgabe, den Innenminister darauf hinzuweisen, wenn aus ihrer Sicht Dinge verfassungsrechtswidrig oder rechtlich problematisch sind. Das passiert hier in dieser Debatte. Ich will mit einem Zitat aus der Deutschen Richterzeitung vom August dieses Jahres belegen, dass Frau Zypries nicht alleine steht. Darin sagt Herr Professor Roßnagel, nachdem er die Debatte zu Onlinedurchsuchungen analysiert und bewertet hat, Folgendes:

„Die Begründungen zur Notwendigkeit der Onlinedurchsuchungen sind bisher diesen verfassungsrechtlichen Kriterien“

- also den Kriterien, die er vorher beschrieben hat

„nicht gerecht geworden. Die künftige Debatte wird weitere Informationen und Argumente bieten müssen, um dieses Überwachungsinstrument verfassungsrechtlich rechtfertigen zu können.“

Zu guter Letzt bedauere ich, dass Sie, Herr Minister Schünemann, die Gelegenheit dieser Regierungserklärung nicht dazu nutzen, uns die Position der Landesregierung zum Entwurf der Bundesregierung zur Reform des Bundeskriminalamtes darzustellen. Teilen Sie die hinter dem Gesetzentwurf stehende Philosophie, dass das Bundeskriminalamt von seiner bisher nur koordinierenden Funktion zur zentralen Polizeibehörde im Bereich der Terrorismusbekämpfung unter Verzicht auf die bisherigen Befugnisse der Länderpolizeien mutiert, d. h. dass das Bundeskriminalamt zu einer Art FBI gemacht wird? Teilen Sie auch die hinter dem Entwurf stehende Philosophie, dass in Zukunft das

Bundeskriminalamt nicht mehr nur als Ermittlungsbehörde, sondern auch im Bereich der Gefahrenabwehr tätig werden soll, mit der Folge, dass es nicht mehr nur als Hilfsbeamtin der Bundesanwaltschaft agiert, sondern selbst eigenständige Ermittlungsperson wird? - Wenn dieser Gesetzentwurf eine Mehrheit im Bundestag findet, dann wird die Sicherheitsarchitektur des föderal aufgestellten Deutschland komplett verändert. Von daher wäre es für meine Begriffe - wenn sie es heute nicht schon getan haben; dies wäre eine Gelegenheit gewesen - dringend erforderlich, dass sie die Klärung der Frage, wie sich die Landesregierung zu diesen Plänen positioniert, recht zügig nachholen.

(Präsident Jürgen Gansäuer über- nimmt den Vorsitz)

Herr Schünemann, in Ihrer Rede ist mir unklar geblieben, was Sie mit einem gesellschaftlichen Gegennetzwerk - so oder so ähnlich haben Sie es formuliert - gegen den Terrorismus meinen. Das ist ein Stück weit eine spannende Frage. Dies ist aber nicht präzise formuliert worden. Daher müssten Sie nachbessern. Denn dies könnte ja eine Antwort sein - und zwar dann, wenn man besser erkennen kann, was damit gemeint ist -, die sich mit den Ursachen des Terrorismus befasst.

Ansonsten haben Sie in Ihrer Rede nichts zu den Ursachen des Terrorismus gesagt. Zugegebenermaßen ist es ein bisschen schwierig, im Rahmen einer Rede, auch wenn sie 30 Minuten dauert, über die Ursachen des Terrorismus präzise Auskunft zu geben. Sie haben aber nur polizeiliche Strategien, nämlich wie man aus Ihrer Sicht mit diesem Problem umgehen muss, beantwortet.

Letzte Bemerkung: Die Aussagen, die Sie zur Integration gemacht haben, empfinde ich ein Stück weit als eine selbstkritische Korrektur einer Praxis, die Sie in Niedersachsen über einen längeren Zeitraum hinweg gepflegt haben, nämlich als Sie von der Polizei und von Polizeibeamten verdachtsunabhängige Personenkontrollen vor einer Vielzahl von Moscheen in Niedersachsen beim Freitagsgebet haben durchführen lassen. Sie betonen besonders, dass es darum geht, keinen Generalverdacht auszusprechen, sondern darum, die im Lande lebenden Muslime zu würdigen, soweit sie rechtsstaatlich leben, wie auch andere Deutsche das tun bzw. wie das auch von anderen, von Einheimischen, verlangt wird. Dazu sage ich: Das ist hoffentlich nicht nur eine verbale Kurskorrektur, sondern eine Korrektur, die auf Erkenntniszuwachs

beruht und die zugleich ausschließen müsste, dass solche verdachtsunabhängige Kontrollen in Zukunft weiterhin in dieser Breite, wie sie praktiziert worden sind, fortgesetzt werden. - Schönen Dank.

(Starker Beifall bei den GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Kollege. - Das Wort hat jetzt der Kollege Bode. Bitte schön!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Verhaftung der mutmaßlichen Terroristen in der letzten Woche war für uns alle eine gute Nachricht. Dennoch können wir nicht erleichtert sein; denn diese Verhaftung hat in aller Deutlichkeit erkennen lassen, dass wir in Deutschland und auch hier in Niedersachsen konkret eine terroristische Gefahr feststellen können und dass diese wahrscheinlich auch in der Zukunft fortbestehen wird.

Dass der Anschlag bzw. die Anschläge vereitelt werden konnten, hat uns gezeigt, dass wir mit unseren Sicherheitsbehörden gut aufgestellt sind und dass wir Terroristen nicht hilflos ausgeliefert sind. Wir können aber die Augen nicht mehr davor verschließen, dass es eine tatsächliche, also reale Bedrohung gibt.

Deutschland ist nicht erst seit heute, sondern spätestens seit dem 11. September 2001 genau wie die gesamte westliche Welt mit den Gefahren des Terrorismus konfrontiert. Wir haben nach dem 11. September der Polizei und den Geheimdiensten in Deutschland umfassende gesetzliche Eingriffsbefugnisse eingeräumt, und zwar in einem Maßstab, wie es noch nie zuvor in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland erfolgt ist. Insbesondere die Möglichkeiten, Telefonate abzuhören, sind massiv ausgeweitet worden.

Diese Sicherheitsgesetze sind jüngst evaluiert worden. Man kann genau nachlesen, was alle Instrumentarien bewirkt und auch nicht bewirkt haben. Wir können feststellen, dass nicht alle diese gegebenen Instrumente tatsächlich für den Kampf gegen den Terrorismus eingesetzt worden sind bzw. eingesetzt werden mussten. Insbesondere die Eingriffe in das Bankgeheimnis haben sich, wenn man die Evaluation genau nachliest, eher als ein Instrument für das Finanzamt als ein Arbeitsmittel für die Polizei herausgestellt. Dies ist ein Ergebnis, das nicht zu mehr Sicherheit für die Bür

ger führt, sondern das nur unzulässige Eingriffe in die Bürgerrechte darstellt.

(Zustimmung von Dr. Philipp Rösler [FDP] und Christian Dürr [FDP])

Aus unserer Sicht muss man daher bei einem Eingriff immer die Frage des Nutzens stellen und ihn deutlich belegen, bevor man ihm nähertritt.

Meine Damen und Herren, wenn wir uns der Frage des islamistischen Terrorismus stellen, dann müssen wir beides tun: Wir müssen einerseits die Symptome, also den Terrorismus und die Terroristen selbst, bekämpfen sowie andererseits an die Ursachen herangehen und die Ursachen des Terrorismus beseitigen.

Wenn wir sehen, dass junge Deutsche in unserer Gesellschaft unter besonders schwierigen Bedingungen, manchmal aber auch unter leichteren Bedingungen aufgewachsen sind und sich nun verändern und zu Terroristen werden, dann haben wir es mit mehr zu tun als mit einer Bedrohung, die von außen an uns herangetragen wird, und auch mit mehr als lediglich mit Integrationsschwierigkeiten.

Wie können wir vereiteln, dass unter dem Deckmantel der Religionsfreiheit in islamistischen Zentren terroristisches Gedankengut verbreitet wird? Welche Möglichkeiten haben wir dafür? Wie kommen wir weiter? - Wir dürfen bei dieser sehr heiklen Frage nicht vergessen, dass man nicht allein durch das Verbieten von Gedankengut vorwärtskommt; dies kann vielmehr kontraproduktiv sein.

Wir wollen den Kampf gegen den Terror und gegen die Ursachen aufnehmen. Dies bedeutet einerseits, dass die Täter verfolgt, die Terrorzellen überwacht und die entsprechenden Gelder, die fließen, sichergestellt werden. Doch andererseits müssen alle diese Maßnahmen dem Maßstab der Prinzipien unserer Verfassung, insbesondere dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit der Mittel, und den uns vom Bundesverfassungsgericht nach dem 11. September 2001 in wirklich vielfachen Entscheidungen entwickelten Rechtsprechungen zum Verhältnis von Freiheit und Sicherheit genügen.

Aktionismus - dies hat Innenminister Uwe Schünemann gesagt - nützt nichts. Ich sage Ihnen: Wir brauchen zunächst die Beseitigung von Vollzugsdefiziten. Wir brauchen die konsequente Anwendung des geltenden Rechts. Wir brauchen eine

bestmögliche personelle, technische und finanzielle Ausstattung aller Sicherheitsbehörden. Das sind die primären Maßnahmen, die wir angehen müssen.

(Zustimmung von Dr. Philipp Rösler [FDP] und Christian Dürr [FDP])

Meine Damen und Herren, wir haben in Niedersachsen einiges geleistet: Wir haben die Polizeistärke erhöht. Das sogenannte 1 000er-Programm zur Aufstockung der Anzahl der Polizeivollzugsbeamten ist leider immer, Herr Bartling, von der Opposition abgelehnt worden. Aber gerade die Präsenz von Polizei stellt einen wichtigen Baustein für die Leistungsfähigkeit im Kampf gegen Terrorismus dar.

Wir haben die Ausrüstung der Polizei weiter verbessert und in sie investiert. Wir haben die Einführung des Digitalfunks trotz der immensen Kosten immer mit oberster Priorität betrieben. Wir haben den Verfassungsschutz personell aufgestockt, insbesondere im Bereich der Terrorismusabwehr. Wir haben mit dem Gemeinsamen Informationsund Analysezentrum die dringend erforderliche Zusammenarbeit verbessert. Herr Dr. Lennartz, bei der Polizeireform ist durch strukturelle Änderungen eine Qualitätsverbesserung insbesondere bei der Bekämpfung der Organisierten Kriminalität und des Terrorismus eingetreten. Dies sind Maßnahmen, die von CDU und FDP in Niedersachsen vernünftig umgesetzt worden sind.

(Zustimmung von Dr. Philipp Rösler [FDP] und Christian Dürr [FDP])

Meine Damen und Herren, der Terrorismus muss mit allen rechtsstaatlichen Mitteln bekämpft werden. Doch nicht alles, was technisch eventuell möglich ist, ist rechtlich erlaubt. Natürlich freuen auch wir uns über die Festnahme der mutmaßlichen Terroristen. Doch auch jetzt in der Debatte müssen wir erkennen, dass der Zweck nicht jedes Mittel heiligt. Es wäre ein Sieg der Terroristen, wenn sich die offene Gesellschaft von der Freiheit verabschieden würde.

Herr Minister Schünemann, Sie haben in Ihrer Rede richtigerweise gesagt: Freiheit und Sicherheit bedingen einander, und wir sollen nicht das eine gegen das andere ausspielen; denn dann würden wir beides verlieren. - Herr Minister, damit haben Sie recht. Wir Liberale stimmen diesem gerne zu. Wir sagen ganz klar: Es darf keine Sicherheitsdis

kussion geben, die die komplette Aufgabe der Freiheit und der Bürgerrechte fordert.

(Beifall bei der FDP)

Bei jeder aktuellen Bedrohung wird in Deutschland gern schnell nach neuen Gesetzen gerufen. So ist es auch jetzt wieder. Wir haben allerdings die Aufgabe - und insofern bin ich den Vorrednern dankbar -, keine ideologische Debatte zu führen. Die FDP hat sich immer den Argumenten der Fachleute gestellt, und wir haben immer Wünsche, Anregungen und Hinweise gehört. Pauschale, ideologische oder andere Ablehnungen gehören nicht zu unserer Grundeinstellung. Unser Verständnis von Freiheit heißt, dass Freiheit nicht Beliebigkeit ist.

(Beifall bei der FDP)

In Nordrhein-Westfalen hat die FDP am Ende eines langen Abwägungsprozesses bei der Verabschiedung des Verfassungsschutzgesetz NRW der Onlinedurchsuchung zugestimmt. Dass dies für die FDP in Nordrhein-Westfalen eine schwere Entscheidung war, können Sie auch daran erkennen, dass es ebenfalls Liberale in Nordrhein-Westfalen sind, die hiergegen vor dem Verfassungsgericht klagen. Wir sollten nun - und der Bundestag wäre gut beraten, wenn auch er das täte - abwarten, was das Bundesverfassungsgericht zu der Frage sagt, ob oder eventuell unter welchen Voraussetzungen dieses Instrument verfassungsrechtlich möglich ist. Wir alle wären gut beraten, die klugen Worte aus Karlsruhe zu unserer Maxime zu machen.

(Beifall bei der FDP)