Protokoll der Sitzung vom 14.11.2007

vorbeugenden Telefonüberwachung, ohne dass bereits ein konkreter Tatverdacht besteht. Bezogen auf diese Norm, hatte das Bundesverfassungsgericht im Juni 2005 auf die Verfassungsbeschwerde eines niedersächsischen Richters hin den § 33 a des Gesetzes teilweise für nichtig erklärt. In dieser Entscheidung hat es seine Rechtsprechung zum großen Lauschangriff aus dem Jahr 2004 weiterentwickelt. Beide Urteile stellen Grundsätze auf, die Korrekturen erfordern.

Mit unserem Gesetzentwurf, der im März 2006 erstmals beraten wurde, hatten wir Konsequenzen aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts für das Polizeigesetz gezogen. Über ein Jahr später, nämlich am 29. Mai dieses Jahres, hat die Landesregierung endlich den Entwurf eines

Polizeigesetzes in das parlamentarische Verfahren eingebracht, über den wir heute abstimmen werden.

Wir stellen fest, dass die Landesregierung und die sie tragenden Fraktionen aus den Urteilen des Bundesverfassungsgerichts offensichtlich nicht

umfassend lernen wollen.

(Beifall bei den GRÜNEN - Zuruf von der FDP: Was?)

Beispielsweise sollen in Zukunft nach dem Willen der Landesregierung polizeiliche Überwachungsmaßnahmen in Niedersachsen nicht nur dann zulässig sein, wenn es um die Verhinderung von Straftaten von erheblicher Bedeutung geht, sondern auch bei Bagatelldelikten.

Der Gesetzgebungs- und Beratungsdienst hatte dazu ausgeführt - Zitat -:

„Bei einem Teil dieser Maßnahmen bestehen Zweifel, ob die Rechtsprechung sämtliche aufgeführten Straftaten für ausreichend gewichtig halten wird, um den damit verbundenen Eingriff in die Privatsphäre zu rechtfertigen.“

Im Bereich der vorbeugenden Telefonüberwa

chung nach § 33 a soll das Abhören nur dann untersagt sein, wenn sich das abzuhörende Gespräch ausschließlich um private Lebenssachverhalte der Gesprächspartner drehe.

In seiner Entscheidung von 2004 hatte das Verfassungsgericht verlangt, dass Abhörmaßnahmen

dann abzubrechen seien, wenn auch der Kernbereich privater Lebensgestaltung Gegenstand des abgehörten Gesprächs sei.

Mit der jetzt gefundenen einschränkenden Formulierung „ausschließlich“ gehen die Landesregierung und die Fraktionen von CDU und FDP das Risiko einer nicht den Anforderungen des Bundesverfassungsgerichts entsprechenden Regelung

ein.

Dies ist umso bemerkenswerter, als die FDP-Fraktion nach der Entscheidung des Verfassungsgerichts vom Juli 2005 bedauert hatte, dass sie das Polizeigesetz in der Form mitbeschlossen habe, und gleichzeitig Besserung für die Zukunft gelobte.

(Zuruf von Dr. Philipp Rösler [FDP])

- Das waren Aussagen von Ihnen, Herr Dr. Rösler.

Angesichts ihres erneuten Kotaus vor den Hardlinern der CDU sollte jedenfalls die niedersächsische FDP in Zukunft darauf verzichten, sich als Bürgerrechtspartei oder als Rechtsstaatspartei zu bezeichnen. Das nimmt Ihnen, meine Damen und Herren, niemand mehr ab.

(Beifall bei den GRÜNEN - Dr. Philipp Rösler [FDP]: Wer entscheidet das?)

Eine Reihe weiterer Bedenken will ich nur kurz nennen. In § 32 Abs. 3 wird die Befugnis der Polizei zur Videoüberwachung durch den Einsatz

technischer Mittel auf Objekte ausgedehnt, bei denen Anhaltspunkte dafür bestehen könnten,

dass dort terroristische Straftaten begangen werden sollen.

Abgesehen davon, ob das Land für diese Erweiterung überhaupt eine Gesetzgebungskompetenz

hat - auch das wurde vom GBD infrage gestellt -, ist insbesondere fraglich, ob diese zitierte Bestimmung dem Gebot der Normenklarheit genügt.

Umstritten bleibt die zwangsweise Testung von Personen, die möglicherweise HIV-positiv sind.

Schließlich ein Punkt, den CDU und FDP in letzter Sekunde vorlegten: die Änderung der Zuständigkeiten nach § 90 Abs. 2 des Gesetzes. Damit soll die Angliederung der Polizeiinspektionen in Cloppenburg und in Vechta nach Oldenburg und

- umgekehrt - der Polizeiinspektion in Wittmund nach Osnabrück zum 1. April des nächsten Jahres vollzogen werden.

(Glocke des Präsidenten)

Diese Neuregelung mag im konkreten Fall sinnvoll sein, offensichtlich dient sie aber angesichts des Tempos, mit dem sie jetzt durchgezogen wird, nur dazu, vor der Landtagswahl die vor Ort bestehende Unruhe und Verärgerung zu kanalisieren.

Sicherlich wäre es klüger, Herr Minister Schünemann, wenn man beispielsweise im nächsten Jahr, nach der Landtagswahl, eine Gesamtbilanz über die Zuständigkeitsregelungen, die im Rahmen der Polizeireform geschaffen worden sind, ziehen und dann eine Lösung aus einem Guss ansteuern würde.

(Zustimmung von Ina Korter [GRÜ- NE])

Letzte Bemerkung: Ich erinnere an die Entscheidung des Bundestages aus der letzten Woche, mit der die Vorratsdatenspeicherung mit der Mehrheit von SPD und CDU/CSU beschlossen wurde. Genauso wie wir diese Vorratsdatenspeicherung kategorisch ablehnen und für einen Quantensprung in Richtung eines Überwachungsstaates ansehen, lehnen wir ein niedersächsisches Polizeigesetz ab, das immer noch nicht den Maßstäben des Verfassungsgerichts genügt, sondern teilweise versucht, sie zu unterlaufen. - Schönen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Für die CDU-Fraktion hat der Herr Abgeordnete Biallas das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Aufgrund des Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom 27. Juli 2005 zur vorbeugenden Telefonüberwachung bestand die Notwendigkeit, das Niedersächsische Gesetz über die öffentliche Sicherheit und Ordnung zu überarbeiten. Diese Notwendigkeit, die sich aus dem Urteil ergeben hat, haben die Regierungsfraktionen und auch die Landesregierung genutzt, um das Gesetz zusätzlich an veränderte Herausforderungen im Bereich der Gefahrenabwehr anzupassen.

Das hatte auch den Hintergrund, dass das Polizeigesetz so, wie wir es in unserer Regierungszeit vorgefunden hatten, eindeutig darunter litt, dass im Laufe der Jahre immer wieder Regelungen aus anderen Bundesländern übernommen worden sind und sozusagen eine stringente Systematik in dem Polizeigesetz bisher gefehlt hat. Auch das haben wir in diesem Zusammenhang „repariert“.

Meine Damen und Herren, nach dem, was wir hier gehört haben, und auch nach dem, was so im Ausschuss geredet worden ist, ist die Angelegenheit deshalb interessant, weil im Beratungsverfahren das Verhalten der Opposition nicht so stringent und klar war, wie sich das jetzt hier anhört.

Erstens. Zunächst haben sie nämlich beide, SPD und Bündnis 90/Die Grünen, eigene Gesetzentwürfe eingereicht, weil sie immer gesagt hatten: Die Überarbeitung des Polizeigesetzes geht uns nicht schnell genug, und wir wollen die Sache jetzt einmal selber nach vorn bringen.

Wir haben uns vernünftigerweise nicht treiben lassen, da für uns der Grundsatz gilt: Gründlichkeit vor allem.

Zweitens. Nachdem wir die Anhörung ausgewertet hatten sowie in die abschließenden Beratungen eingestiegen waren, kam plötzlich die Kehrtwende bei SPD und Grünen. Sie haben gesagt: Jetzt geht das aber alles zu schnell.

Sie haben uns aufgefordert, das Gesetz auf Halde zu legen, haben gesagt, das könne man bis zur Landtagswahl gar nicht mehr beraten.

Nun kommt das Dritte - und das verstehe, wer will -: Schließlich haben SPD und Grüne ihre eigenen Anträge zurückgezogen. Warum das so ist, darüber kann man nur spekulieren. Sachdienlich für eine angemessene Beratung war das nicht.

Meine Damen und Herren, insbesondere Herr Bartling, ich will Ihnen nicht unterstellen, dass es Ihnen etwa um einen Wettstreit darüber geht, wer den am meisten verfassungsgemäßen Gesetzentwurf vorgelegt hat. Denn ich unterstelle eigentlich allen hier im Haus, dass wir gemeinsam die Absicht verfolgen, Gesetze zu verabschieden, die verfassungsgemäß sind.

Ich kann nur spekulieren, Herr Bartling, warum Sie den Gesetzentwurf zurückgezogen haben. Ich erinnere an Ihren Vorschlag zur Videoüberwachung. Diesen haben Sie damals aus Schleswig-Holstein übernommen, obwohl der bereits dort in den Beratungen als verfassungsrechtlich höchst bedenklich und vom Datenschutzbeauftragten des Landes Schleswig-Holstein als eindeutig verfassungswidrig eingestuft worden war. Nicht nur Ihr Antrag ist in der Versenkung verschwunden, sondern - ich habe mir das noch einmal angeguckt - auch der Antrag der Freunde aus Schleswig-Holstein ist in der Versenkung verschwunden wie im Übrigen bald genauso der Innenminister selber. Da ist also alles weg.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, mit dem nun zu verabschiedenden Polizeigesetz wollten die Landesregierung und wir von Anfang an alles nur Erdenkliche tun, um die Verfassungsgemäßheit sicherzustellen. Aus diesem Grund hat die Landesregierung den renommierten Professor für Öffentliches Recht, Professor Starck, in die Erarbeitung eines Gesetzentwurfs einbezogen. In einer öffentlichen Anhörung hat Professor Starck neben einigen anderen Angehörten dem Innenausschuss Rede und Antwort gestanden.

In den zentralen Punkten hat der Rechtsgelehrte die Überzeugung geäußert, dass die erarbeiteten Regelungen verfassungskonform sind.

Dabei ist uns selbstverständlich klar: Jedes Gesetz und jedes Handeln des Staates kann gerichtlich überprüft werden, und - das will ich auch sehr deutlich sagen - ein zu 100 % gerichtsfestes Gesetz wird es nie geben, und hat es auch nie gegeben.

Ich erinnere an das, was der rot-grünen Bundesregierung und der Regierungskoalition mit dem Luftsicherheitsgesetz passiert ist. Das hat genau das gleiche Schicksal wie manch andere gesetzliche Regelung erfahren: Es ist vom Bundesverfas

sungsgericht kassiert worden.

Wir sollten uns also nicht darauf einlassen, Dinge gegenseitig aufzurechnen. Wir sollten bestrebt