Protokoll der Sitzung vom 19.09.2003

Erbracht werden soll die neue Leistung durch die Job-Center. Hier arbeiten Mitarbeiterinnen der Bundesanstalt für Arbeit und der örtlichen Träger der Sozialhilfe und Beschäftigung zusammen. Wir wissen, dass die kommunalen Beschäftigungsgesellschaften über einen reichen Erfahrungsschatz in der Vermittlung von Langzeitarbeitslosen und über eine teilweise ausgezeichnete Infrastruktur verfügen. Deshalb wollen wir vertraglich sicherstellen, dass die Kooperation in den Job-Centern dauerhaft, vertraglich abgesichert und gleichberechtigt, sozusagen auf gleicher Augenhöhe erfolgt. Dies kann z. B. in Form von gemeinnützigen GmbHs unter Einschluss Dritter geschehen. Hierüber würden insbesondere auch die erforderliche und wünschenswerte Einbindung der langjährig gewachsenen örtlichen Trägerstrukturen zur lokalen Beschäftigungsförderung in das neue Gesetz gewährleistet und die Vernetzung für Arbeitslose vor Ort mit den Hilfesystemen der Kommunen, der Wohlfahrtsverbände und anderer gesichert.

Meine Damen und Herren, über die Art und Form der Zusammenarbeit von Arbeitsverwaltung und kommunaler Beschäftigungsszenerie ist im Gesetzentwurf bewusst einiges offen gelassen worden. Dies ist auch sinnvoll, denn hier wird es die Möglichkeit zu vielfältigen Verhandlungen und Kompromissen zwischen Bundesrat und Bundestag geben. Lassen Sie uns alle konstruktiv daran mitwirken.

Was wir allerdings nicht mitmachen werden, ist die von Herrn Koch geforderte Einführung eines neuen Kombilohns, der nach Einschätzung des IfoInstituts mindestens 3 Milliarden Euro kosten wird. Das ist nicht nur durchsichtige Bauernfängerei, das ist Abzocke des Bundes, und das machen wir nicht mit.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, wenn Ihnen die Kommunen auf Ihrem niedersächsischen Irrweg nicht folgen wollen, dann sollten Sie davon absehen, ihn weiter zu beschreiten. Halten Sie das von Ihnen doch immer so hoch gehaltene Konsultationsprinzip ein, sprechen Sie mit dem Niedersächsischen Städte- und Gemeindebund, beenden Sie dann den niedersächsischen Weg, und folgen Sie uns auf unserem vernünftigen Weg. - Ich danke Ihnen.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Herr Dr. Matthiesen für die CDU-Fraktion!

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Grünen-Antrag weist den Arbeitsämtern die Zuständigkeit für die Auszahlung des geplanten Arbeitslosengeldes II und die Vermittlung arbeitsloser Sozialhilfebezieher zu. Damit setzt er auf das falsche Pferd. Die Arbeitsämter sind in der Vergangenheit bereits formal für alle Arbeitslosen zuständig gewesen, aber zumindest für Sozialhilfebezieher sind sie weitgehend untätig geblieben. Deswegen sind die Kommunen in die Bresche gesprungen und haben eine eigene kommunale Arbeits- und Beschäftigungsförderung in großem Stil aufgebaut. Die Gründe für die künftige gesetzliche Absicherung der kommunalen Zuständigkeit habe ich bereits im Juni-Plenum eingehend dargelegt.

Dagegen ist der Entwurf des so genannten HartzIV-Gesetzes mit der Zuständigkeit der Arbeitsämter ein Rohrkrepierer. Die kommunalen Spitzenverbände, liebe Frau Helmhold, haben massive Kritik an der vorgesehenen Finanzierung des neuen Leistungsrechts geübt. Die Kommunen werden durch Hartz IV nur scheinbar entlastet, nämlich durch den Wegfall der Sozialhilfe für Erwerbsfähige. Der Bund holt sich das Geld zurück. So kommt die realistische Berechnung des Deutschen Städtetages für 2005 zu folgendem Ergebnis: Die Entlastung für die Kommunen durch den Wegfall der Sozialhilfe für Erwerbsfähige beträgt 10,6 Milliarden Euro, aber die Belastung durch die kommunale Mitfinanzierung des neuen Rechts beläuft sich auf 12 Milliarden Euro. Das heißt, es ergibt sich sogar eine Mehrbelastung der Kommunen von 1,4 Milliarden Euro.

(Zustimmung von Dr. Harald Noack [CDU])

Hier liegen sogar noch weitere Unsicherheitsfaktoren, die zu noch deutlicheren Belastungen der Kommunen führen können. Ich greife nur die Frage der Erwerbsfähigkeit als Voraussetzung für den Bezug des bundesfinanzierten Arbeitslosengeldes II heraus. Es ist damit zu rechnen, dass mehrere hunderttausend bislang als erwerbsfähig geltende Arbeitslose nicht das Attest Erwerbsfähigkeit erhalten und damit auch kein Arbeitslosengeld II bekommen. Sie werden dann in die kommunalfinanzierte Sozialhilfe fallen.

(Zustimmung bei der CDU)

Ob jemand erwerbsfähig ist, entscheidet die Bundesagentur für Arbeit bzw. der Bundeswirtschaftsminister im Einvernehmen mit dem Finanzminister ohne Zustimmung des Bundesrates. Auch mit Blick auf die schlechten Erfahrungen in der Vergangenheit mit der Vermittlung Langzeitarbeitsloser durch die Arbeitsämter wird diese Definitionsmacht der Bundesanstalt für Arbeit und des Finanzministers vor allem dazu führen, dass unnötigerweise erwerbsfähige Arbeitslose als erwerbsunfähig abgestempelt werden.

(Ursula Helmhold [GRÜNE]: Das stimmt ja gar nicht!)

Nach ein bis zwei Jahren Arbeitslosigkeit könnten Arbeitslose in die Nichterwerbsfähigkeit ausgesteuert werden. Das hätte für die rot-grüne Bundesregierung auch den Vorteil, auf diese Weise die Arbeitslosenstatistik stillschweigend massiv nach unten zu drücken.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Die geplante Stellschraube zur Prüfung der Erwerbsfähigkeit wird also gerade zu einer Zweiklassengesellschaft führen: einerseits die arbeitsmarktnahen Arbeitslosen und andererseits die arbeitsmarktfernen ohne Anspruch auf Betreuung durch die geplanten Job-Center und damit zur Dauerarbeitslosigkeit verurteilt.

Demgegenüber ist richtig, was CDU und FDP in ihrem Entschließungsantrag vom Juni hier im Landtag schon gefordert haben:

Erstens. Die Kommunen sind zuständig für die Auszahlung des Arbeitslosengeldes II an Arbeitslose und erwerbsfähige bisherige Sozialhilfebezieher und auch für deren Vermittlung, Qualifizierung und Betreuung.

Zweitens. Sie arbeiten im organisatorischen Verbund mit den Arbeitsämtern, die für den Leistungsbereich des Arbeitslosengeldes I zuständig bleiben.

Drittens. Die belastungsbezogene kommunale Finanzausstattung wird ohne Wenn und Aber verfassungsrechtlich abgesichert nach dem Prinzip: Das Geld folgt der Aufgabe.

Die noch offenen Fragen bei kommunaler Trägerschaft sind lösbar. Zunächst gewähren die Kom

munen am besten das im Grünen-Antrag genannte Prinzip der Leistungen und Vermittlungen aus einer Hand, weil gerade bei den Kommunen die unterschiedlichen Kompetenzen gebündelt sind. Die Schnittstelle zur Arbeitsverwaltung lässt sich mit den im niedersächsischen Weg vorgeschlagenen Job-Centern schließen, in denen Kommunen und Arbeitsämter zusammenarbeiten. So kann die Kommune jeweils auch die überregionale Vermittlungskompetenz der Arbeitsverwaltung nutzen, was übrigens jetzt auch schon geschieht.

(Zuruf von Dr. Gitta Trauernicht- Jordan [SPD])

Dagegen ist es ein Irrweg, bei der Zuständigkeit der Arbeitsämter davon auszugehen, die Kommunen würden ihr Know-how vertraglich zur Verfügung stellen. Die Kommunen hätten daran mangels Zuständigkeit kein Interesse, zumal sie der Arbeitsverwaltung organisatorisch nachgeordnet und untergeordnet wären. Ich denke nur an die vorgesehenen Leistungs- und Prüfungsvereinbarungen, die die Arbeitsämter in die Vorhand bringen.

Die verfassungsrechtlich abgesicherte kommunale Finanzierung muss auch dem regionalen Ausgleich, insbesondere für Gebiete mit hoher Arbeitslosigkeit, gerecht werden. Die horizontale Finanzverteilung könnte nach dem Anteil der Arbeitslosenhilfeempfänger oder sogar durch Fallpauschalen geschehen, wie es die Niedersächsische Landesregierung bereits vorgeschlagen hat. Zu begrüßen ist in dem Zusammenhang, dass der hessische Vorschlag für einen neuen Artikel 106 b des Grundgesetzes nun eine Weiterleitungspflicht an die zuständigen kommunalen Träger vorsieht.

Die Anreizwirkung für die kommunale Vermittlung wird schließlich erzeugt, wenn die Kommunen im Erfolgsfall das Geld behalten und für andere kommunale Aufgaben wie Investitionen verwenden können. Dies hat beispielsweise der seinerzeitige Sozialhilfevertrag des Landkreises Hannover mit seinen kreisangehörigen Gemeinden unter Beweis gestellt.

Der Grünen-Antrag verlangt die Pauschalierung des Arbeitslosengeldes II. Das ist zwar richtig; falsch ist es aber dann, das Bedarfsdeckungsprinzip beizubehalten. Bei einer Pauschalierung muss es zwingend abgeschafft werden, sonst sind die Kosten nicht begrenzbar.

Völlig verfehlt wäre es, im Zuge der Pauschalierung die Unterhaltspflicht von Eltern und Kindern

füreinander wegfallen zu lassen, was die Grünen fordern. Das wäre der Abschied von der Familiensolidarität und dem Subsidiaritätsprinzip. Die Familie ist die wichtigste Keimzelle der Gesellschaft.

(Beifall bei der CDU)

Dazu gehört es, füreinander einzustehen. Davon verabschieden sich die Grünen. Sie müssten dann konsequenterweise auch das Erbrecht abschaffen.

Mit dem neuen rot-grünen Grundsicherungsgesetz ist dieser Weg für die Grundsicherungsberechtigten, in dem es bis zu einem sehr hohen Geldbetrag keine Unterhaltspflicht mehr gibt, schon eingeschlagen. Nicht zuletzt deshalb ist das Grundsicherungsgesetz so schnell wie möglich wieder aufzuheben.

Genauso entschieden abzulehnen ist der Vorschlag, das Arbeitslosengeld II auch an Ausländer mit nachrangigem Arbeitsmarktzugang zu zahlen. Damit eröffnen die Grünen die Schlachten von gestern neu. Selbstverständlich muss es bei den abgesenkten Leitungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz bzw. Sozialhilferecht bleiben. Das gilt beispielsweise für die abgesenkten Grundleistungen in den ersten drei Jahren des Aufenthalts in Deutschland, und dies vorrangig als Sachleistungen. Es bleibt dabei: Wir müssen finanzielle Anreize für Ausländer vermeiden, damit sie nicht aus wirtschaftlichen Gründen nach Deutschland kommen. Schon jetzt sind beispielsweise in der Region Hannover rund 40 % der Bezieher von Sozialhilfe und Asylbewerberleistungen Ausländer.

Die Vorschläge der Grünen zeigen die alte Denke: Steuerzahler und Sozialstaat werden bedenkenlos immer stärker belastet, bis der Sozialstaat eben aus allen Fugen bricht. Das wollen wir nicht.

(Beifall bei der CDU)

Wir lehnen den Entschließungsantrag von Bündnis 90/Die Grünen ab. Es wäre im Kern verfehlt, die bundeszentralistische Bundesanstalt für Arbeit ohne ausreichenden Basisbezug mit der Aufgabe der Vermittlung von Sozialhilfebeziehern zu betrauen.

(Glocke des Präsidenten)

- Ich bin sofort fertig. - Das können die Kommunen aufgrund ihrer Verwurzelung in der örtlichen Gemeinschaft, ihrer Nähe zur Wirtschaft, ihrer Verzahnung mit allen Beteiligten und ihres Zu

griffs auf die soziale Infrastruktur am besten. Arbeitslose und Bürgerschaft - zur politischen Verantwortung - nehmen ihre Bürgermeister und ihre Räte bei der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit so oder so in die Pflicht. Das würde sich bei einer eigenen Zuständigkeit der Bundesanstalt für Arbeit nicht ändern. Dann müssen die Kommunen nach der Zusammenführung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe auch gesetzlich zuständig bleiben.

CDU und FDP hier im Landtag bitten die Landesregierung, diese Position im Bundesrat zu vertreten. - Danke.

(Lebhafter Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Als nächster Redner hat sich Herr Bode von der FDP-Fraktion gemeldet. Herr Bode, Sie haben das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Unser Sozialsystem steckt in einer existenziellen Krise und bedroht die Freiheit der Menschen.

(Lachen bei der SPD - Heinrich Aller [SPD]: Ich habe doch gewusst, dass Sie der Befreier sind!)

- Ja, Herr Aller, Sie haben das auch schon erkannt. Das freut mich. - Ein Moloch von Vorschriften, Ausnahmeregelungen und unterschiedlichen Behörden sorgt - dank Rot-Grün - dafür, dass es trotz eines immensen Geldeinsatzes oft nicht die Bedürftigen schützt, sondern vielmehr die Findigen und die Betrüger. Ich möchte die Geschichte von Florida-Rolf und seinen Kumpanen hier nicht wiederholen. Es ist aber unbedingt erforderlich, dass wir zu einer liberalen Sozialpolitik kommen. Das heißt, wir müssen die Bedürftigen fördern und die Findigen fordern. Dann werden wir wieder Beitragssätze haben, die den Menschen nicht die Freiheit nehmen. Darauf läuft es jetzt nämlich hinaus.

Daher hat die FDP als erste Partei bereits vor einem Jahrzehnt die Zusammenlegung von allen Sozialleistungen in ein einheitliches und vor allem verständliches System gefordert.

(Dr. Gitta Trauernicht-Jordan [SPD]: Ein Bedürftigengesetz!)

Unsere Vision, Frau Dr. Trauernicht, ist das Bürgergeld,

(Zuruf von Dr. Gitta Trauernicht- Jordan [SPD]!)

das im Sinne einer negativen Einkommensteuer mit dem Steuersystem verknüpft werden soll.