Protokoll der Sitzung vom 29.10.2003

Sie haben das Wort. Bitte schön!

Herr Minister, Sie haben heute ein nachhaltiges Studienplatzvernichtungsprogramm vorgestellt.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Ich befürchte, es wird an unseren Hochschulen keinen Platz für die studierwilligen jungen Menschen geben. Schon jetzt fehlen in Niedersachsen Studienplätze. Schon jetzt greifen uns die anderen Bundesländer unter die Arme und bilden für Niedersachsen aus. Allein Bremen und Hamburg haben uns im letzten Wintersemester 2 700 Studienanfänger abgenommen. Mit einer Exportquote von 10 % gehören wir zu den Spitzenreitern unter den westdeutschen Ländern. Angesichts dieser Zahlen ist es ein Witz, dass Sie, Herr Minister, Buxtehude und Nienburg mit dem Hinweis schließen, nicht für Hamburg oder Bremen ausbilden zu wollen.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Haben Sie sich einmal überlegt, was passieren würde, wenn Ihre Kollegen aus den anderen Bundesländern auch nur vor dem Horizont ihrer jeweiligen Provinz handeln würden?

(Beifall bei der SPD)

Herr Stratmann, Ihre Kollegen müssen in Zukunft noch mehr Studierwillige aus Niedersachsen aufnehmen, wenn unter dem Banner der Optimierung tausende von Studienplätzen vernichtet werden.

Meine Damen und Herren, vor allem die Fachhochschulen werden aufgrund ihrer praxisnahen Ausbildung von den Studierenden nachgefragt. Das ist übrigens ganz im Sinne des Wissenschaftsrates, der empfohlen hat, die Quote der Fachhochschulausbildung deutlich zu erhöhen, und zwar auf 40 %. Wir haben in den letzten Jahren mit enormen Anstrengungen gerade eine Quote von 26 % erreicht. Trotz des massiven Ausbaus der Fachhochschulen in den letzten Jahren reichen die vorhandenen Studienplätze nicht aus. Jeder zweite Bewerber auf einen Studienplatz an einer Fachhochschule in Niedersachsen muss abgewiesen werden. Wie löst diese Landesregierung das Problem? - Sie macht Buxtehude und Nienburg dicht. Weit mehr als 1 000 Studienplätze werden an zwei so traditionsreichen und bundesweit anerkannten Standorten vernichtet. Aber es geht hier nicht nur um Studienplätze, die wegfallen ganze Regionen werden abgehängt.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

In vielen Resolutionen und Briefen an uns haben die Buxtehuder, Stader und Nienburger uns eindrucksvoll vor Augen geführt, wie eng die Verflechtungen der Fachhochschulen mit der heimischen Wirtschaft sind. Mehr als 50 % der Absolventen der Buxtehuder Fachhochschule z. B. bleiben in der Region. Sie sind der dringend benötigte Nachwuchs für die kleine und mittelständische Bauindustrie und das Handwerk, das diese Landesregierung doch angeblich fördern will.

Nun sagen Sie, Herr Minister, Sie seien nicht zuständig für Strukturpolitik, dies sei Ihr Kollege Hirche.

(Sigmar Gabriel [SPD]: Ich dachte, das ganze Kabinett!)

Dann, Herr Minister, lassen Sie sich von Ihrem Kollegen Hirche einmal erklären, wie Wissens- und

Technologietransfer in der Praxis funktioniert: über die Köpfe der jungen Leute, die als Bauingenieure oder als Architekten praxisorientiert ausgebildet werden und dieses Wissen in die Unternehmen hineintragen.

(Beifall bei der SPD)

Fachhochschulen werden dringend als Kooperationspartner gebraucht: für die Stadt, für den Landkreis, für die Kammern, für die außerbetriebliche Weiterbildung und - ganz wichtig - als anwendungsorientierte Forschungsstätte für die kleinen Unternehmen in der Region, die sich selbst keine eigene Forschung leisten können.

(Beifall bei der SPD)

Alles dieses verkaufen Sie, Herr Minister, für ein Linsengericht mit abenteuerlichen Argumenten, die längst wiederlegt worden sind.

Besonders schäbig, Herr Minister, finde ich den Stil, mit dem Sie in Buxtehude und Nienburg bei der Schließung vorgegangen sind. Da fährt Ihr Staatssekretär nach Buxtehude und verkündet: Macht euch keine Sorgen, Buxtehude ist sicher! Drei Tage später heißt es dann: Schließung! Wieder ein paar Tage später heißt es: Jetzt prüft der Ministerpräsident höchstpersönlich und will sich für einen fairen Qualitätsvergleich einsetzen. In Nienburg wird die Entscheidung inzwischen sogar wieder auf Eis gelegt. Auch dort wurde ein fairer Vergleich versprochen. Heute wissen wir: alles leere Versprechungen!

(Lebhafter Beifall bei der SPD)

Die Schließungen werden durchgezogen - koste es, was es wolle.

Warum haben Sie, Herr Minister, verschwiegen, dass der Wissenschaftsrat zwar größere Standorte empfiehlt, aber eben auch empfiehlt, das wachstumsintensive Umland großer Metropolen durch Fachhochschulen zu stärken, dass die Wirtschaft in Buxtehude sogar bereit ist, sich an notwendigen Investitionen zu beteiligen, und dass das Argument der angeblichen Überkapazität auf dem Arbeitsmarkt von Prognosen der Bauindustrie längst wiederlegt ist?

Der Kollege Behr hat Recht

(Monika Wörmer-Zimmermann [SPD]: Wo ist der eigentlich? - Rebecca Harms [GRÜNE]: Der redet gerade an der Hochschule! - Wolfgang Jüttner [SPD]: Der kämpft vor Ort! - Lachen bei der SPD und bei den GRÜNEN)

- ja, der kämpft wahrscheinlich noch -, wenn er feststellt: Wir haben den Eindruck, dass das Ministerium überhaupt keine Sachentscheidung will.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Er sagt weiter: Diesen Politikstil können wir nicht billigen. - Wir auch nicht, Herr Kollege Behr!

(Lebhafter Beifall bei der SPD)

Deshalb freuen wir uns auf die Unterstützung durch diesen Kollegen und auch auf die Unterstützung durch die FDP, Herr Rösler. Ich zitiere führende Funktionäre der FDP aus der Region, Herrn Fischer und Herrn Peters - Ihnen bekannt

(Dr. Philipp Rösler [FDP]: Frau Pe- ters!)

- Frau Peters -:

„Zwingen Sie uns nicht, darauf zu setzen, dass eine neue Mehrheit im Landtag die unsinnige Entscheidung der Landesregierung korrigieren muss.“

Die SPD-Fraktion ist bereit dazu.

(Lebhafter Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, unsere Hochschulen haben mehr Fairness verdient - nicht nur Buxtehude, auch Nienburg. Sie schließen einen Standort mit 150-jähriger Tradition,

(Dieter Möhrmann [SPD]: Und das von einer konservativen Regierung, nicht zu fassen! ohne sich mit Qualität und Kosten der Ausbildung ernsthaft befasst zu haben. Laut CHE-Ranking, das Sie soeben so gelobt haben, liegt Nienburg in der Qualität der Ausbildung von Architekten und Bauingenieuren niedersachsenweit auf Platz 1. (Beifall bei der SPD - Axel Plaue [SPD]: Hört, hört!)

Nur in Nienburg wird die Studienrichtung Bauen und Planen im Bestand angeboten, nirgendwo sonst in Niedersachsen. Den neuen Master

Studiengang Baurecht und Bauökonomie gibt es in der ganzen Bundesrepublik nur ein einziges Mal: in Nienburg.

(Beifall bei der SPD - Sigmar Gabriel [SPD]: Hört, hört!)

Dort wird nicht nur schneller als anderswo, sondern auch weitaus kostengünstiger studiert als in Hildesheim oder Holzminden. Man könnte den Eindruck gewinnen, dass Nienburg nur eine einzige Schwäche hat: Es wohnt dort kein Minister.

(Starker Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, die Herausforderungen einer modernen Hochschulpolitik liegen auf der Hand: erstens die Förderung von Profilbildung und Forschungsexzellenz, um im Wettbewerb bestehen zu können, und zweitens die gute berufliche Ausbildung, die das Fundament für den wirtschaftlichen Erfolg eines Landes bildet. - Die Vorgängerregierung hatte ein klares Konzept, diesen Herausforderungen gerecht zu werden: Stärkung der Innovations- und Wettbewerbsfähigkeit unserer Hochschulen durch größere Eigenverantwortung und Autonomie, Rückzug aus der Detailsteuerung und Planungssicherheit durch den Innovationspakt.

Herr Stratmann, auch in der Hochschulautonomie drehen Sie das Rad der Geschichte, anders als Sie es uns hier darstellen, zurück. Niedersachsen hat ein Hochschulgesetz, das von der deutschen Wirtschaft als best law ausgezeichnet worden ist. Nirgendwo wird den Hochschulen so viel Autonomie gewährt wie in Niedersachsen. Was Sie, Herr Stratmann, unter Autonomie verstehen, haben wir inzwischen gelernt: Sie fordern die Hochschulleitungen auf, 1 100 Stellen beim Finanzminister abzuliefern, und wenn die Hochschulen nicht willig sind, lassen Sie sich eine Ermächtigung dafür geben, ohne Beteiligung der Hochschulen und des Parlaments Studiengänge schließen zu können. Diese Ermächtigung im Haushaltsbegleitgesetz ist nichts anderes als die Brechstange, mit der Sie die Hochschulautonomie aushebeln.

(Beifall bei der SPD)

Sie, meine Damen und Herren von der CDUFraktion und von der FDP-Fraktion, haben die Bitte einiger Hochschulen, zu diesem Ermächtigungsgesetz zumindest gehört zu werden, mit Füßen getreten. Unseren Antrag auf Anhörung im Wis

senschaftsausschuss haben Sie schlicht niedergestimmt.

(Axel Plaue [SPD]: Unglaublich!)

Herr Minister, Freiheit statt Geld, das hatten Sie den Hochschulen noch im Juli versprochen. Nun gibt es nichts von beidem - weder Freiheit noch Geld -,

(Beifall bei der SPD)

stattdessen Gängelung und widersinnige Struktureingriffe von oben.