Protokoll der Sitzung vom 30.10.2003

(Zustimmung bei den GRÜNEN)

Ich begrüße ausdrücklich die Einführung von Förderplänen für jeden einzelnen Schüler und jede einzelne Schülerin. Ich finde es richtig, dass Sie verbindlich die sozialpädagogische Arbeit an den Hauptschulen einführen und absichern wollen. Ich finde es auch richtig, dass Sie die Zusammenarbeit zwischen Schulen und Betrieben intensivieren wollen. Diese Zusammenarbeit gibt es bereits, aber Sie wollen sie noch intensivieren. Deshalb werden wir Ihren Antrag nicht ablehnen, sondern uns der Stimme enthalten.

(Zuruf)

Es ist nur die Frage - ich habe auch meine Bedenken noch nicht geäußert; die werde ich Ihnen jetzt vorstellen -, wann das alles durch wen geleistet werden soll; denn mit einer Unterrichtsversorgung von 97,5 % an den Hauptschulen sind Sie ja offenbar zufrieden. Förderpläne sind nämlich nur sinnvoll, wenn die Schulen auch die Mittel erhalten, um diese Förderangebote auch konkret mit Lehrerstunden durchzuführen und wenn Sie die Sozialpädagogenstellen in der mittelfristigen Finanzplanung auch ausweisen.

Ein weiteres Problem - das hat der Kollege Meinhold eben schon angesprochen - sind die 50 000 Praktikumsstellen für den wöchentlichen Praxistag. Die müssen erst einmal mit viel Aufwand gefunden werden. Ich sage Ihnen: Sie werden Schwierigkeiten bekommen, alleine die Schülerbeförderung für diesen wöchentlichen Praxistag durchzuführen. Wahrscheinlich wollen Sie die Kosten dann wieder den Kommunen aufdrücken.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, all die längst fälligen inhaltlichen Verbesserungen der Arbeit an den Hauptschulen können nicht über die Fehlentscheidung hinwegtäuschen, dass Sie bereits nach Klasse 4 die gemeinsame Beschulung der Schülerinnen und Schüler abschaffen und nur in der Hauptschule berufsbezogen unterrichten, in anderen Schulformen aber nicht. Auch an den Realschulen und den Gymnasien gehen immer mehr Absolventinnen und Absolventen direkt ins Berufsleben.

Warum brauchen die vorher kein Berufspraktikum? Warum ist das nicht vorgesehen? Das ist weder sinnvoll noch dient es der Durchlässigkeit nach oben für Hauptschülerinnen und Hauptschüler. Sie wissen doch genau, dass kein Land eine so niedrige Aufsteigerquote hat wie Niedersachsen.

(Zustimmung von Rebecca Harms [GRÜNE])

Bei uns steigen nur 1,1 % der Schülerinnen und Schüler in ein höher qualifizierendes Schulsystem auf. Sie hängen die Hauptschülerinnen und -schüler weiter ab. Da helfen Ihnen der schönste Erlass und die tollste Durchlässigkeitsverordnung nicht. Aus meiner Sicht ist dies deshalb besonders problematisch, weil Sie in Zukunft schon ab Klasse 4 wissen wollen, wer einmal Maurer und wer Notar wird.

(Zustimmung von Rebecca Harms [GRÜNE])

Bitte kommen Sie zum Schluss.

Ich komme zum Schluss. - Meine Damen und Herren von den Regierungsfraktionen, wenn Sie die Hauptschule tatsächlich aufwerten und modernisieren wollen, wie Sie immer behaupten, dann isolieren Sie diese Schulform nicht weiter von den anderen, sondern schaffen Sie Durchlässigkeit durch verbundene Systeme - nicht nur auf dem Papier, sondern in der Praxis! - Danke schön.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Das Wort hat Herr Professor Roland Zielke von der FDP-Fraktion.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Im letzten Jahrzehnt ist eine Schulform systematisch vernachlässigt worden, und zwar mit dem Ziel, sie ganz von der Bildfläche verschwinden zu lassen. Die Hauptschule ist damit zwangsläufig in den Ruf einer Restschule geraten.

In unserem Land gehen 90 000 Schülerinnen und Schüler in die Hauptschule. Die sind nicht alle blöde. Nein, sie haben ganz offensichtliche Stärken. Deshalb ist die FDP vor der Wahl mit der Aussage an die Öffentlichkeit getreten, dass sie die Hauptschule nicht nur retten, sondern stärken will. Das Hauptschulprofilierungsprogramm ist ein weiterer wichtiger und konkreter Schritt auf dem Weg zur Stärkung der Hauptschule. Wir wissen, dass wir dafür Unterstützung brauchen. Aber auch Ihnen, meine Damen und Herren von der Opposition, dürfte nicht entgangen sein, dass wir gerade aus dem Bereich der Handwerksbetriebe und der Unternehmen ausgesprochen positive Signale und erheblichen Rückenwind bekommen.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Die FDP-Fraktion hat sich von Anfang an ganz konsequent für die Weiterführung der sozialpädagogischen Maßnahmen an Hauptschule und Sonderschule ausgesprochen. Ich bin Ihnen, Herr Minister, ausgesprochen dankbar, dass Sie genau diese Position übernommen haben. Denn es wäre völlig unglaubwürdig, wenn wir einerseits die Hauptschule stärken wollten, aber andererseits auf die nötige Flankierung verzichten würden. Wie wir gestern der Zeitung entnehmen konnten, haben Sie sich sogar für die flächendeckende Versorgung bis 2008 ausgesprochen. - Ja, das ist der richtige Weg.

Wir haben die Unterrichtsversorgung in einem wahren Kraftakt entscheidend verbessert. Wer aber in der Öffentlichkeit behauptet, wir würden uns jetzt zufrieden zurücklehnen und die Hände in den Schoß legen,

(Zuruf von der SPD: Wer hat das ge- sagt?)

der hat nichts, aber auch gar nichts begriffen; der versucht, Missgunst zu schüren. Das interessiert heute niemanden.

(Zustimmung bei der FDP)

Da wirft uns die SPD-Fraktion vor, es sei nicht in Ordnung, wenn wir im Sozialbereich kürzen und das Geld für die Einstellung neuer Lehrer verwenden. Das ist geradezu abenteuerlich. Für Sie spielt ganz offensichtlich die Versorgung unserer Kinder mit Bildung und Wissen eine völlig untergeordnete Rolle.

(Unruhe bei der SPD)

Wir sagen: Die beste Sozialpolitik ist eine gute Bildungspolitik.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Denn nur sie gewährleistet den jungen Menschen eine Chance auf Lebensqualität. Wir werden diesen Weg konsequent weitergehen. Ich sage es noch einmal: Wir befinden uns erst am Anfang. Wir werden in aller Ruhe, aber mit der notwendigen Konsequenz das Ziel der eigenverantwortlichen Schule weiter verfolgen und Ihnen, Herr Minister, auch in dieser Frage als liberale Ideengeber zur Verfügung stehen. - Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Herr Minister Busemann, Sie haben das Wort.

(David McAllister [CDU]: Jetzt brau- chen wir einmal ein paar klare Bot- schaften!)

Verehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Dieses Hauptschulprofilierungsprogramm, aber auch das, was sich insgesamt damit verbindet, ist in den letzten Tagen reichlich gelobt worden. Das macht einen politisch beinahe verlegen.

(David McAllister [CDU]: Wir sind halt gut! - Zuruf von der SPD)

Wenn man die Debatte verfolgt, stellt man aber fest: Da findet sich doch wirklich noch einer, der das wieder schlecht reden will. - Warum tun Sie sich das denn an?

(Heiterkeit und Beifall bei der CDU und bei der FDP - Zuruf von Wolfgang Jüttner [SPD])

Nachdem Sie ausgesprochen engagiert - gerade in den letzten Monaten - in der Frage der Sozialarbeiter gekämpft haben, hätten wir doch heute gemeinsam sagen können: Wir haben es geschafft.

(Walter Meinhold [SPD]: Natürlich hätten wir das sagen können!)

Herr Kollege Meinhold, warum ziehen Sie denn alles so in Zweifel? - Was ausprobierte Modelle im Lande anbelangt, will ich gerne auch meine Amtsvorgängerin, Frau Jürgens-Pieper, mit einbezie

hen. Es hat sich seit 1998 im Lande einiges getan. Es ist einiges zwischen Hauptschulen, Berufsschulen und anderen Schulformen ausprobiert worden, was auch an Praxis möglich ist,

(Zustimmung von Walter Meinhold [SPD])

und zwar mit positiven Ergebnissen. Da können Sie nicht sagen, manches sei nicht ausprobiert worden und man hätte größte Zweifel, ob es funktioniert. Es sind Vorarbeiten geleistet worden, worauf wir aufbauen können.

Wenn heute der Landtag das Programm zur Profilierung der Hauptschule beschließt, dann geht es, so meine ich, nicht um eine Einzelmaßnahme, sondern um eine umfassende Reform, die von der neuen Landesregierung bereits zu großen Teilen auf den Weg gebracht worden ist und nun durch dieses Programm konsequent umgesetzt wird.

In unserem ganzheitlichen Bildungskonzept bauen alle Bereiche, von der Kindertagesstätte über die Grundschulen, die weiterführenden Schulen bis hin zu den verschiedenen Angeboten der beruflichen Bildung, aufeinander auf. Wir schaffen ein wohnortnahes, begabungsgerechtes, durchlässiges gegliedertes Schulwesen. An den jeweiligen Nahtstellen werden die verschiedenen Bildungsangebote eng miteinander verzahnt, meine Damen und Herren.

Der Hauptschule kommt dabei ein besonderer Stellenwert zu. Einige Redner haben es hier bereits angesprochen: Was ist daraus gemacht worden? Wie wurde sie vernachlässigt? Sie sei eine Rumpfschule, Restschule, Versagerschule. „Das geht nicht mehr. Das wollen wir nicht mehr. Das will keiner mehr haben.“ - Letztlich haben Sie ein Schulmodell ohne Hauptschule kreiert, wollten daraus eine Sekundarschule machen, und am Ende wäre von der Hauptschule nichts übrig geblieben. Wir haben uns nach einem langen reiflichen Überlegungsprozess anders entschieden: Die Hauptschule muss wieder hauptsächliche Schule werden und muss die Schülerinnen und Schüler in Richtung Berufsausbildung führen. Wir wollen die Hauptschule in unserem inhaltlich und organisatorisch abgestimmten Schulsystem wieder zu einer tragenden Säule des Schulwesens werden lassen. Richtig! Dann muss man dafür aber auch Entscheidendes tun! Nur so ein bisschen zu gucken, ob daraus etwas wird, reicht nicht. Wer das gegliederte Schulwesen befürwortet, muss insbesondere

an der Stelle der Hauptschule etwas tun. Wir sind reichlich dabei.

Diese Schulform ist nach wie vor von größter Bedeutung für die Wirtschaft und insbesondere für das Handwerk. Auch heute kommt mehr als die Hälfte der jungen Leute, die eine Berufsausbildung im gewerblich-technischen Bereich absolvieren, aus der Hauptschule. Sie lösen also in der Hauptschule die Eintrittskarte für eine berufliche Karriere, die ihnen Möglichkeiten bis hin zum Hochschulstudium - z. B. über den Meisterbrief - in Niedersachsen oder als künftige Unternehmer eröffnet. So gesehen ist sie für Schülerinnen und Schüler, ihre Erziehungsberechtigten sowie für die Ausbildungsbetriebe des Handwerks und der Industrie gleichermaßen attraktiv.

Im neuen Schulgesetz hat die Hauptschule ein unverwechselbares Profil erhalten. Sie ist diejenige Schulform, in der die Schülerinnen und Schüler gezielt auf einen erfolgreichen Übergang in die Berufswelt vorbereitet werden. Die Vermittlung von allgemeinem und elementarem Grundwissen gehört ebenso dazu wie die Vermittlung von Fertigkeiten und Kenntnissen für die Berufsausbildung.

Schülerinnen und Schüler der Hauptschule können jetzt in einem mindestens fünfjährigen Bildungsgang - das ist ja der Vorteil der Abschaffung der OStufe - optimal gefördert werden. Durch die Anbindung der Schuljahrgänge 5 und 6 an diese Schulform wird eine langfristige, durchgängige und dadurch auch erfolgreiche Förderung erst möglich. Die Lehrerinnen und Lehrer der Hauptschule werden es als spürbare Erleichterung ihrer Arbeit empfinden, dass allein durch die stabilen Klassenverbände in diesen beiden wichtigen Schuljahrgängen entscheidende Grundlagen für die Entwicklung der Lernmotivation ihrer Schülerinnen und Schüler gelegt werden können.

Vieles, was in dieser Zeit an Arbeits- und Sozialverhalten problemlos stabilisiert und eingeübt werden kann, kommt den Schülerinnen und Schülern für die Folgezeit zugute. Denn in den Betrieben - das weiß man - sind neben den Bildungsstandards auch die so genannten Sekundärtugenden gefragt: Teamfähigkeit, Leistungsbereitschaft, Zuverlässigkeit, die Fähigkeit, auch mit Kritik umgehen zu können, und Verständnis für die Sache. Das sind in den Produktionsbetrieben unerlässliche Voraussetzungen.

Mit der Bereitstellung - das ist dankenswerterweise bereits angesprochen worden - von 2 500 zusätzlichen Lehrerstellen haben wir eine Verbesserung der Unterrichtsversorgung insgesamt hinbekommen. 3 % Zuwachs bei den Hauptschulen war - gewolltermaßen - der größte Schub in diesem Bereich. Frau Kollegin, 97,5 % ist mir immer noch nicht genug. Helfen Sie mit, damit wir das miteinander in Richtung 99 bzw. 100 % führen. Diese günstigen Rahmenbedingungen können dank der Unterstützung durch die Regierungsfraktionen von CDU und FDP noch weiter verbessert werden. Im Rahmen der Haushaltsberatungen wurde sichergestellt, dass die zurzeit in rund 190 Hauptschulen beschäftigten Sozialpädagoginnen und Sozialpädagogen ihre Aufgaben auch im Jahr 2004 fortsetzen können.

Das hier zur Abstimmung stehende, mit 5 Millionen Euro ausgestattete Hauptschulprofilierungsprogramm sichert das ab. Es gestattet uns, über das bisherige, auslaufende Programm hinauszugehen und neue inhaltliche Schwerpunkte zu setzen. In Zukunft wird die Arbeit der Sozialpädagogen zu einem integralen Bestandteil des Unterrichtsangebotes in dieser Schulform weiterentwickelt.