Protokoll der Sitzung vom 30.10.2003

Herr Lennartz, entschuldigen Sie. Der Berichterstatter will noch seinen Bericht abgeben. Er hat Vorrang. - Herr Schrader, Sie haben das Wort!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bin aufgrund der Tagesordnung davon ausgegangen, dass ich automatisch aufgerufen werde. Vielleicht war das mein Fehler. - Ich möchte mich dafür entschuldigen.

(Unruhe - Glocke des Präsidenten)

Mit der Beschlussempfehlung in der Drucksache 453 empfiehlt Ihnen der Ausschuss für Inneres und Sport mit den Stimmen der Vertreterinnen und Vertreter der Fraktion der CDU gegen die Stimmen der Vertreterinnen und Vertreter der Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen, den Antrag in einer geänderten Fassung anzunehmen. Der Vertreter der Fraktion der FDP war bei der Abstimmung nicht anwesend. Die mitberatenden Ausschüsse - bitte hören Sie genau zu, meine Damen und Herren - für Rechts- und Verfassungsfragen, Haushalt und Finanzen sowie für den ländlichen Raum, Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz haben sich diesem Votum ebenfalls mit den Stimmen der Ausschussmitglieder der Mehrheitsfraktionen angeschlossen.

Ich möchte die Sitzung nicht verlängern. Da wir ausführlich darüber diskutieren werden, verzichte ich auf die Fortsetzung des Berichtes und gebe ihn zu Protokoll. - Schönen Dank.

(Zu Protokoll:)

Der Vertreter der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vertrat demgegenüber die Auffassung, man werde das Regions- bzw. Regionalisierungskonzept weiter vertreten, weil man im Ergebnis davon ausgehe, dass in Niedersachsen eine Gebietsreform erforderlich sei. Nur ein Teil der Landkreise sei in der Lage, die Aufgaben, die im Zuge der Abschaffung der Bezirksregierungen verlagert werden sollten, auch zu übernehmen.

Eine Vertreterin der Fraktion der SPD führte aus, dass sie dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen deshalb nicht zustimmen könne, weil sie von der politischen Zielsetzung her eine Mittelinstanz in Niedersachsen für unverzichtbar halte. Dies bedeute jedoch nicht, dass an dem Status quo festgehalten werde, sondern vielmehr sei darauf hinzuweisen, dass bereits in der vergangenen Legislaturperiode eine Aufgabenkritik für die Bezirksregierungen durchgeführt worden sei und es auch für sinnvoll erachtet werde, diese Aufgabenkritik fortzuführen. Im Ergebnis könne es deshalb auch nicht verwundern, dass sie dem Änderungsantrag der Koalitionsfraktionen ebenfalls nicht zustimmen könne.

(Beifall bei der CDU)

Meine Damen und Herren, nun erteile ich dem Abgeordneten Dr. Lennartz das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ziel der Landesregierung - so haben Sie das als Koalitionsfraktionen in der Vereinbarung niedergelegt ist die Abschaffung der Bezirksregierungen in Niedersachsen.

In meiner Einbringungsrede zu unserem Antrag im Juni dieses Jahres habe ich gesagt: Im Vergleich zu anderen großen Flächenländern der Bundesrepublik Deutschland ist dieser niedersächsische Weg ein ungewöhnlicher Weg, weil die anderen großen Flächenländer an den Bezirksregierungen festhalten, aber er ist kein unmöglicher Weg. Wenn man nun unseren ursprünglichen Antrag und den Änderungsantrag der Fraktionen der CDU und der FDP vergleicht, dann sind es einige wenige, aber zentrale wesentliche Änderungen, die festzustellen sind. In unseren ursprünglichen Antrag hatten wir geschrieben, dass es im Prinzip - vom Ziel her machbar erscheint, die Bezirksregierungen aufzulösen, dass es aber einer prozesshaften Auflösung bedarf. Es gibt nämlich Aufgaben, die bislang auf der staatlichen Ebene in diesen Bezirksregierungen wahrgenommen werden und die erst dann auf der kommunalen Ebene wahrgenommen werden können, wenn die entsprechende Aufnahmefähigkeit der kommunalen Landschaft in Niedersachsen gewährleistet ist. Angesichts der Heterogenität der Leistungsfähigkeit der niedersächsischen Landkreise ist das bislang nach unserem Erachten nicht gegeben. Deshalb die Schlussfolgerung in einem etwas längerfristigen Prozess, bestimmte zentrale, bündelungsnotwendige, regionale Aufgaben in den Bezirksregierungen noch bearbeiten zu lassen, und, wenn sich die kommunale Landschaft - Stichwort: im Wege einer Kreis- und Funktionalreform - verändert, gegebenenfalls in größere Einheiten entwickelt hat, dann alle diese Aufgaben auf die regionale Ebene zu transportieren.

Der Geschäftsführer des Niedersächsischen Städte- und Gemeindebunds hat dieses Problem interessanterweise ebenfalls so gesehen. Herr Haack schreibt nämlich mit der Überschrift „Auf dem Weg in die Landräterepublik?“: Natürlich erkennen auch die Reformer der Landesregierung, dass die meisten der 38 Landkreise zu klein und zu arm und ohne erhebliche Nachrüstungen auch nicht in der Lage sind, Aufgaben zu übernehmen, die bislang von den Bezirksregierungen erledigt worden sind.

Sie haben diese Passage aus unserem ursprünglichen Antrag herausgenommen. Ich finde das falsch. Ich meine, dass Sie auf der Grundlage des jetzigen Änderungsantrages zwei zentrale Probleme haben.

Erstens. Mit einer rigorosen sofortigen Kommunalisierung erreichen Sie die gewünschten Einsparziele nicht. Denn wenn Sie Konnexität garantieren, werden Sie auf dieser Schiene der Übertragung unter Zurverfügungstellung entsprechender Geldmittel keine relevanten Einsparquoten erreichen.

Zweitens. Sie können nicht alle Aufgaben sofort kommunalisieren. Sie brauchen also eine staatliche „Andockinstitution“, in der Sie jetzt noch staatlich wahrzunehmende Aufgaben - ich habe sie damals in der Einbringungsrede genannt; ich kann sie aus Zeitgründen nicht wiederholen - erledigen lassen. Sie verbauen sich mit der Formulierung Ihres Antrags - unter Nr. 1 - selbst den Weg dahin. Sie sagen nämlich: Vorrang für die Kommunalisierung auch vor dezentralen Kompetenzcentern. In unserem Antrag hieß es: vor zentralen Kompetenzcentern, also - auf Deutsch gesagt - vor Landesämtern. Diesen Fehler bzw. dieses Versehen müssen Sie noch korrigieren, oder Sie würden sich für die weitere Entwicklung der von Ihnen betriebenen Verwaltungsreformen Schwierigkeiten einhandeln. - Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Für die SPD-Fraktion erteile ich nun das Wort der Abgeordneten Leuschner.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Professor Lennartz, ich hatte Sie in der Plenarsitzung im Juni gefragt, in welche Richtung Sie gehen, weil ich Ihren Antrag in der Zielsetzung nicht verstanden habe. Wir haben Ihrem Antrag nicht zustimmen können, weil Sie die Voraussetzung, dass die Bezirksregierungen abgeschafft werden müssen, weiter stützen. Wir vertreten eine andere Position. Wir kritisieren die Entscheidung der Landesregierung, weil sie ohne eine sorgfältige Überprüfung möglicher Handlungsalternativen vorgenommen wurde. Darin liegt aus unserer Sicht der Fehler. Die von der neuen Landesregierung beschlossene Abschaffung der Bezirksregierungen

ist also nicht das Ergebnis eines sorgfältigen ergebnisoffenen Abwägungsprozesses, sondern es ist eine politische Entscheidung, die populistisch publiziert wurde. Das lehnen wir ab.

Wir, als Innenpolitikerinnen und Innenpolitiker unseres Arbeitskreises, haben im Gegensatz zu Ihnen, meine Damen und Herren von den Regierungsfraktionen, mit den Personalräten der vier Bezirksregierungen sowie mit den Behördenleitungen gesprochen. Wir haben dort interessante Ergebnisse erfahren. In allen vier Bezirksregierungen wurde unsere Befürchtung bestätigt, dass die Landesregierung drauf und dran ist, notwendige, funktionierende Strukturen in der Fläche zu zerschlagen, ohne zu wissen - das ist wichtig -, wer zukünftig die Aufgaben der staatlichen Mittelinstanz wahrnehmen soll.

Dass diese Aufgaben auch weiterhin erledigt werden müssen, wird nicht einmal von denen bestritten, die jetzt von der Landesregierung beauftragt worden sind, die Zerschlagung - man kann es nur so nennen - zu organisieren.

Meine Damen und Herren von den Regierungsfraktionen, jede Landesregierung, die Verwaltungsreform macht, weiß, dass die wichtigste Voraussetzung für deren Gelingen - -

Frau Leuschner, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

- nein! - die Akzeptanz und die Einbindung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in diesen Prozess sind. Uns ist auf unseren Bereisungen mitgeteilt worden, dass die Beschäftigten resigniert haben. Sie haben sich vom Reformprozess abgemeldet. Aussagen wie z. B. „Wir können erzählen, was wir wollen; Sie nehmen uns ja doch nicht ernst.“ - mit „Sie“ sind im Grunde genommen die Vertreterinnen und Vertreter der Stabsstelle für Verwaltungsmodernisierung gemeint - sind aus unserer Sicht die harmlosesten, die wir gehört haben. Herr Minister Schünemann, dies sollte Ihnen nun wirklich einmal zu denken geben. Ich meine, dass Ihr viel gepriesenes Reformprojekt als Bilderbuchminister an diesem Punkt leichte Eselsohren aufzeigt.

Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Bezirksregierungen sind es gewohnt, die politischen Entscheidungen der Landesregierung, gleich welcher

Couleur, umzusetzen. Das ist ihnen aufgrund ihrer Aufgabenübertragung auch klar. Aber die Bereitschaft, sich an dem Reformprozess aktiv zu beteiligen, hat in den letzten Monaten dramatisch abgenommen, da die Verwaltungsreform der Landesregierung erkennbar nicht an Vernunftüberlegungen orientiert ist.

(Beifall bei der SPD)

Sachliche Argumente werden nicht gehört, weil die politische Grundentscheidung nicht infrage gestellt werden darf. Ich meine, das ist ein Skandal.

Ihr Allheilmittel, meine Damen und Herren von den Regierungsfraktionen - Herr Prof. Lennartz hat es schon gesagt -, nämlich die Kommunalisierung von Aufgaben, also die Aussage, dass eine Übertragung zu 80 oder 90 % auf die Kommunen ganz einfach sei, ist aus unserer Sicht eine pure Illusion. Auch die Aussagen einzelner Landräte großer Kreise, sie könnten alles übernehmen, ist aus unserer Sicht völlig unrealistisch.

Der Niedersächsische Gemeindebund und auch der Niedersächsische Städtetag gehen mit dem geplanten Aufgabenzuwachs sehr viel zurückhaltender um. Das hat auch Gründe. Sie haben teilweise die Erkenntnis, dass sie gutes, qualifiziertes Personal haben, also nicht automatisch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Bezirksregierungen übernehmen können, und dass die Finanzierungsfrage - das ist das Wichtigste - überhaupt noch nicht geklärt ist. Diese Verbände wissen, dass die Aufgabenzuwächse nicht ohne erhebliche finanzielle Zusatzlasten zu bewältigen sind. Aus Sicht der SPD-Landtagsfraktion ist die Verlagerung von bislang bei den Bezirksregierungen wahrgenommenen Aufgaben auf Kommunen, Kammern oder sogar auf Private nur dann sinnvoll, wenn diese Aufgaben dort sachgerechter, wirtschaftlicher und bürgernäher als in einer staatlichen Mittelinstanz wahrgenommen werden können. Dies sehen wir ganz und gar nicht als gegeben an.

Nehmen wir nur einmal ein praktisches Beispiel, nämlich die Kreisgrenzen überschreitenden Genehmigungsverfahren in den für Bürger und Wirtschaft gleichermaßen relevanten Bereichen, wie Fernstraßenbau und Schienenbau. Nach Zerschlagung der Bezirksregierungen werden dort aufgrund der unterschiedlichen Interessen erhebliche Schwierigkeiten entstehen, die nicht so einfach zu beheben sind. Wenn man das alles ins Ministerium bzw. ins Kabinett hochziehen will, dann,

denke ich, werden Sie mit solchen Verfahren viel Freude haben.

Die Landesregierung hat offenbar unbedachte Folgen ihrer voreilig getroffenen Abschaffungsentscheidung mittlerweile selbst erkannt. Sie steht jetzt vor der Entscheidung, ob sie aus vier staatlichen Mittelinstanzen vier bis zehn Genehmigungsbehörden machen will. Ob dies wirtschaftlich überhaupt sinnvoll ist, ist noch nicht geprüft worden.

Meine Damen und Herren, ich habe Ihnen schon im Juni gesagt, dass wir der Überzeugung sind, dass in einem Flächenland wie Niedersachsen ein Bindeglied zwischen den regionalen und kommunalen Kompetenzträgern und der Landesebene, auch als Vermittler regionalpolitischer Ziele der Landesregierung in die Region einerseits und in die Fläche andererseits, erforderlich ist. Diese Aufgabe ist bislang von den Bezirksregierungen wahrgenommen worden. Ich meine, dass die Wahrnehmung dieser Aufgabe durch die Abschaffung einfach nicht mehr gewährleistet ist. Da sehen wir die größten Schwierigkeiten.

Wir haben Ihnen einen Änderungsantrag vorgelegt. Wir werden der von den Fraktionen der CDU und der FDP getragenen Beschlussempfehlung und dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Grüne nicht zustimmen können.

(Zuruf von Hans-Christian Biallas [CDU])

Das finde ich auch sinnvoll. In unserem Antrag, Herr Biallas, sind klare Kriterien dargelegt worden, die zeigen, wie wir an den gesamten Prozess herangehen wollen. Wir wollen nicht, das alles beim Alten bleibt; vielmehr wollen wir, dass der Reformprozess, den wir in der vergangenen Legislaturperiode begonnen haben und in den die Bezirksregierungen mit einbezogen waren, auch im Interesse der Beschäftigten sinnvoll fortgesetzt wird. So, wie Sie es machen wollen, geht es nicht.

(Beifall bei der SPD)

Für die CDU-Fraktion hat sich die Abgeordnete Ross-Luttmann gemeldet. Ich erteile ihr das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Verwaltungsmodernisierung ist - da sind wir uns si

cherlich noch alle einig - ein unverzichtbares Gestaltungselement, um das Land Niedersachsen wieder zukunftsfähig und auch wettbewerbsfähig zu machen.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Daher hat die alte Landesregierung in vielen Landtagsdebatten seit Jahren über eine Verwaltungsreform geredet. Über viele Jahre und Jahrzehnte haben sich bei den Bezirksregierungen - vom Gesetzgeber, also von uns, veranlasst - Zuständigkeiten angesammelt. Diese Zuständigkeiten wurden und werden noch fürsorglich gehegt und gepflegt, aber selten daran gemessen, ob sie überhaupt noch notwendig sind. Ob es um Naturschutz oder um Heimaufsicht geht, vieles wird in Niedersachsen doppelt und dreifach erledigt. Es gibt die Landkreise, darüber die Bezirksregierungen und die Ministerien und häufig daneben auch noch Landesämter. Hier zu einer Vereinfachung zu kommen, mehr Bürgernähe zu schaffen, haben die Bemühungen der alten Landesregierung leider vermissen lassen. Daher waren die Ergebnisse auch enttäuschend. Es ist nämlich bisher bei zaghaften Ansätzen geblieben.

(Sigmar Gabriel [SPD]: 12 500 Stel- len, Frau Kollegin!)

Diese waren allerdings Ausdruck des Reformwillens der Beschäftigten selbst. Wie viele sind davon tatsächlich abgeschafft, und wie viele müssen wir noch ersetzen?

(Sigmar Gabriel [SPD]: 11 000! Fra- gen Sie einmal Herrn Meyerding!)

Anders die neue Landesregierung. Diese beabsichtigt, zügig und zeitnah eine umfassende Verwaltungsreform durchzuführen, die in die Auflösung der vier Bezirksregierungen in Oldenburg, Braunschweig, Hannover und Lüneburg einmünden wird. Die Umsetzung dieser Verwaltungsreform erfordert den Mut, sich diesen Herausforderungen zu stellen, und den Mut, zu handeln. Wir haben diesen Mut. Wir werden nämlich die Rahmenbedingungen schaffen, die die Verwaltung zu einem anerkannten Partner für die Bürger und Bürgerinnen macht.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Dabei geht es uns darum, das, was fachlich zusammengehört, auch zusammenzubringen, Doppelarbeit zu vermeiden und die Aufbaustrukturen

insgesamt übersichtlicher und auch wirtschaftlicher zu gestalten.