Protokoll der Sitzung vom 31.10.2003

Die erste Ursache - das ist unumstritten - ist natürlich Wachstum. Nur eine wachsende Wirtschaft schafft neue Arbeits- und Ausbildungsplätze. Leider sind die Handlungsmöglichkeiten des Landes hier sehr begrenzt. Solange der Bund nicht seine Hausaufgaben macht, gibt es nicht viel Hoffnung auf Besserung.

Als Zweites gilt es, das vorhandene Potenzial an Lehrstellen optimal auszuschöpfen. Hierzu haben Wirtschaft und Regierung viel getan. Nur wenige potenzielle Lehrstellen sind unentdeckt geblieben.

Zusätzlich wurde ein bisher kaum beachteter Bereich der Wirtschaft aktiviert, nämlich die Unternehmen mit Migrantenhintergrund - übrigens sehr interessant. Die Leser des Hürriyet werden wissen, wovon ich spreche. Wir haben Vertreter der türkischen Wirtschaft und Mitarbeiter des Arbeitsamtes zusammengebracht. Nun akquirieren Türken im Auftrag eines deutschen Arbeitsamtes Ausbildungsplätze bei Unternehmen mit Inhabern türkischer oder anderer nichtdeutscher Herkunft. Der Erfolg ist beachtlich: In nur vier, fünf Wochen sind dadurch allein in der Region Hannover 50 Ausbildungsplätze entstanden.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Viele dieser Unternehmen haben bisher - sei es aus Unkenntnis des deutschen Ausbildungssystems, sei es aus Angst vor der deutschen Bürokratie - gezögert, Auszubildende aufzunehmen. Als Folge beträgt die Ausbildungsquote dieser Unternehmen nur 10 % der deutschen Unternehmen.

Einem Landsmann, der hier um Ausbildungsplätze wirbt, öffnen sich plötzlich die Türen, Herr Hagenah, die - das wissen Sie - einem deutschen Vermittler verschlossen blieben. Dieses erfolgreiche Modell, das bisher nur auf den Bezirk des Arbeitsamtes Hannover beschränkt ist, muss fortgeführt werden. Es muss auf das gesamte Land ausgeweitet werden und darf sich nicht nur auf den Arbeitsamtsbezirk Hannover beschränken. Ich bitte um Unterstützung aus dem ganzen Haus.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Als Drittes gilt es, die Qualifikation der Bewerber zu verbessern. Trotz des Lehrstellenmangels gibt es immer noch Unternehmen, die Probleme haben, geeignete Bewerber zu finden. Besonders aus dem Handwerk hört man oft die Klage: Der kann ja vielleicht noch nicht einmal richtig lesen und schreiben. - Das von uns aufgelegte Hauptschulprofilierungsprogramm ist eine wichtige Grundlage, um den Absolventen eine realistische Chance auf dem Ausbildungsmarkt zu geben.

Doch ein Problem bleibt bei aller Verbesserung der Schulbildung. Die Anforderungen sind viel größer geworden. Die Computertechnik ist auf dem Ausbildungsmarkt in großem Umfang eingezogen. Heute - das können Sie mir abnehmen - geht ohne Laptop überhaupt nichts mehr. Wir haben uns mit dieser Frage beschäftigt. Dadurch fehlen mittlerweile Berufe, bei denen der theoretische Anteil nicht so groß ist. Wir brauchen jetzt Berufe, bei denen der Schwerpunkt im praktischen Bereich liegt. Wir brauchen neue Ausbildungsgänge, die verstärkt manuelle Fähigkeiten fordern und fördern.

(Glocke der Präsidentin)

- Ich bin gleich fertig, Frau Präsidentin. - In unserer modernen Dienstleistungsgesellschaft gibt es übrigens auch einen großen Bedarf für diese Tätigkeiten, den es zu befriedigen gilt. Durch eine Verschlankung des Theorieanteils können Berufe wie z. B. Autowerker, Pizzabäcker, Dönermacher, Holzbearbeiter und Metallbearbeiter entstehen.

Hierfür gibt es in anderen Ländern übrigens schon Berufsbereiche. Wir fordern die zuständigen Bundesministerien auf, zusammen mit den Sozialpartnern entsprechende Eckwerte für diese Berufe zu erarbeiten.

(Beifall bei der FDP)

Nun müssen Sie aber zum Schluss kommen, Herr Hermann.

Verehrte Damen, meine Herren, helfen Sie also mit, den Jugendlichen eine Perspektive zu geben, und unterstützen Sie unseren Antrag. - Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Der nächste Redner ist Herr Bley von der CDUFraktion.

Verehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich möchte einige Ausführungen zu dem wichtigen Antrag machen, den Herr Hermann eingebracht hat.

Erziehung und Bildung prägen das Selbstbewusstsein von Menschen in der Gesellschaft wie kaum etwas anderes. Erziehung und Ausbildung sind vorrangig Elternrecht und Elternpflicht. Aber auch die Lehrpersonen sind im Leben eines Kindes und Jugendlichen Bezugspersonen. Deswegen ist eine Erziehungspartnerschaft sehr wichtig, um den Kindern Werte, Normen und Pflichten, aber auch Rechte zu vermitteln. Unsere Schulen und Ausbildungsbetriebe müssen den Ansprüchen und Herausforderungen gerecht werden können. Dazu brauchen sie unsere Unterstützung.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Wichtig ist, Talente und Leistungsbereitschaft gezielt zu fördern, Orientierung zu vermitteln und Grundlagen für das spätere Leben zu schaffen.

In der Regel erfüllen Elternhaus und Bildungssystem über Kindergarten und Schule diese Aufgaben sehr gut. Aber in unserer heutigen Leistungsgesellschaft kommt es immer häufiger vor, dass

Elternhaus und Schule - aus welchen Gründen auch immer - ihren Anforderungen nicht gerecht werden können. 10 % aller Schulabgänger erreichen keinen Schulabschluss. Kinder haben ihre Fähigkeiten mit in die Wiege bekommen, und die sind nun einmal sehr unterschiedlich.

(Zuruf von der SPD: Oh nein!)

Viele Menschen sind nicht für Theorie und Praxis gleichermaßen geeignet, sondern sie haben ihre Stärken nur in einem, oft im praktischen Bereich. Die Folge ist häufig, dass Jugendliche damit nur einen schwachen oder keinen Schulabschluss erhalten und somit nicht für einen Vollberuf ausbildungsfähig sind.

Wir sind gefordert, für die betroffenen Jugendlichen eine Ausbildungsperspektive zu schaffen. Es kann nicht angehen, dass Jugendliche mit schlechteren Chancen aufgrund der Ausbildungssituation und der hohen Jugendarbeitslosigkeit nach der Schule in die Sozialhilfe abdriften.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Da hilft es auch nicht weiter, wenn wir hören oder lesen, dass 35 000 Jugendlichen in Deutschland, die zu Beginn des Ausbildungsjahres eine Lehrstelle suchten, 15 000 vorhandene Ausbildungsplätze gegenüberstehen. Die Handwerkskammern in Niedersachsen haben einen Rückgang der Zahl der Lehrverträge um 1,3 % zu verzeichnen. Aber diese Statistiken sind nur ein Teil der Wirklichkeit. Außerdem hätte die Bilanz sicherlich günstiger ausfallen können, wenn es in die leidige Diskussion um den Erhalt des Meisterbriefs nicht gegeben hätte.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Meine Damen und Herren, die Lösung kann nicht lauten „Ausbildungsplatzabgabe“ oder „Verzicht auf den Meisterbrief“, wie ihn die SPD bei der Novellierung der Handwerksordnung vorsieht. Auch das Kleinhandwerkergesetz und die Ich-AGs sind keine Lösung.

(Beifall bei der CDU und beider FDP)

Die SPD-Fraktion hat in dieser Woche einen Antrag „Mehr Ausbildungsplätze durch die Abschaffung von Prüfungsgebühren“ eingebracht, den wir an die Ausschüsse überwiesen haben. Hierbei handelt es sich nicht um die große Lösung; das kann nur ein kleiner Baustein sein.

Mein Wahlkreis erstreckt sich über Teile zweier Landkreise, nämlich über Cloppenburg und Oldenburg. Der Landkreis Oldenburg übernimmt die Prüfungsgebühren für zusätzlich geschaffene Ausbildungsplätze. Das sind 250 Euro. Zufällig ist der Landkreis Oldenburg SPD-geführt. Der Landkreis Cloppenburg zahlt pro zusätzlichem Ausbildungsplatz pro Jahr 1 500 Euro. Das sind nicht 250, sondern 5 000 EUR für die gesamte Lehrzeit. Zufällig wird dieser Landkreis von der CDU regiert.

(Beifall bei der CDU bei der FDP - Ernst-August Hoppenbrock [CDU]: Das ist kein Zufall!)

Meine Damen und Herren, meiner Ansicht nach müssen Berufe entwickelt werden, die zu einer anspruchsvollen beruflichen Tätigkeit befähigen und sich deutlich von reinen Anlerntätigkeiten unterscheiden. Dazu ist die Einführung neuer Ausbildungsgänge notwendig. Sie müssen sich erstens durch weit weniger theoretische Anteile und zweitens durch eine kürzere Ausbildungsdauer deutlich von den herkömmlichen Ausbildungen unterscheiden, wie z. B. in dem Antrag der Fraktionen von CDU und FDP gegründet. Im Kfz-Beruf, in dem ich zu Hause bin, wird der Kfz-Mechatroniker in dreieinhalb Jahren Ausbildungszeit als Vollberuf ausgebildet.

Um Jugendlichen mit praktischen Fähigkeiten einen Berufseinstieg mittels qualifizierter Ausbildung zu ermöglichen, soll es eine verkürzte Ausbildung von zwei Jahren mit verschlanktem Theorieanteil geben. Der oder die Ausgebildete ist dann ein gelernter Autofachwerker mit Zertifikat. Das wäre in anderen Berufen zu kopieren.

Hat ein Jugendlicher erfolgreich abgeschlossen, muss er danach die Möglichkeit für eine weitere Ausbildung für den entsprechenden Vollberuf bekommen, wobei auch Teile der ersten Ausbildung anerkannt werden müssen.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP - Zuruf von der CDU: Guter Plan!)

Die Einführung dieser neuen Ausbildungsberufe ist einerseits für die so genannten benachteiligten Jugendlichen die beste Vorbeugung gegen Jugendarbeitslosigkeit und schafft andererseits auf dem Ausbildungsmarkt den Unternehmen, die bisher nicht ausgebildet haben, neue Möglichkeiten, Ausbildungsangebote zu unterbreiten.

Ich bitte Sie daher, diesen Antrag bei der Beratung im Ausschuss zu unterstützen. - Vielen Dank.

(Starker, anhaltender Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Nächster Redner ist Herr Lenz von der SPDFraktion.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Hermann, wenn ich gewusst hätte, dass Sie die Gelegenheit nutzen, quasi eine Generaldebatte über das Thema Jugendarbeitslosigkeit und deren Bekämpfung zu führen, dann hätte ich mich dafür ausgesprochen, dass wir heute zu einem früheren Zeitpunkt über dieses wichtige Thema sprechen.

Ich möchte trotzdem auf den Antrag, der uns vorliegt, eingehen. Zu Beginn möchte ich mit einer Mär aufräumen. Wenn die Bundesregierung mit diesem Antrag aufgefordert werden soll, endlich etwas in Richtung zweijähriger, verkürzter Ausbildungsgänge zu entwickeln, möchte ich an dieser Stelle darauf hinweisen, dass das bereits seit vielen, vielen Jahren gängige Praxis ist und dass gerade vor wenigen Wochen vom Bundeswirtschaftsministerium in Absprache mit den entsprechenden Gremien im Rahmen der Neuordnung von Berufsbildern auch neue zweijährige Ausbildungsberufe auf den Weg gebracht worden sind. Dabei handelt es sich ganz konkret um den Beruf des Maschinenführers und um den Beruf des Fahrradmonteurs.

(Ernst-August Hoppenbrock [CDU]: Das ist doch nicht schlimm!)

- Das ist nicht schlimm. Das sagt an dieser Stelle auch niemand. - Ich möchte damit nur deutlich machen, dass wir endlich mit der Mär aufhören sollten, hier müsse endlich etwas in Gang gebracht werden. Es ist schon längst etwas auf den Weg gebracht worden, meine Damen und Herren von den Regierungsfraktionen.

(Beifall bei der SPD - Ernst-August Hoppenbrock [CDU]: Etwas! - Dr. Phi- lipp Rösler [FDP]: Damit geben Sie sich zufrieden?)

Ich möchte auch davor warnen, den Blick zu verengen und zu glauben, dass man damit die Pro

bleme der - das gebe ich zu - viel zu vielen Jugendlichen, die mit erheblichen Schwierigkeiten kämpfen, die mit schlechten schulischen Leistungen oder sogar ohne jeden Abschluss die Schulen verlassen, lösen könnte. Hier besteht in der Tat Handlungsbedarf. Das sehen auch wir von der SPD-Fraktion.

Das aber sozusagen auf diesen Weg zu verkürzen, wäre falsch. Zu fragen ist nach wie vor: Wieso sind die schulischen Leistungen so schlecht?

(Ursula Körtner [CDU]: Warum wohl? - Zuruf von der CDU: 13 Jahre!)