Protokoll der Sitzung vom 31.10.2003

(Karl-Heinz Klare [CDU]: Du bist ja richtig witzig heute!)

wenn schon der Weg zur Schule mit finanziellen Hindernissen gepflastert ist? Was soll das Gerede

vom Wettbewerb der Schulen, wenn künftig der Geldbeutel der Eltern Ort und Art der Lehranstalt bestimmt? - So Peter Mlodoch im Weserkurier vom 23. September.

Bildung ist die Kernaufgabe staatlichen Handelns, Bildung kostet Geld; wir müssen in die Köpfe junger Menschen investieren. - Das haben Sie neun Jahre lang gesagt, Sie haben es auch versprochen, aber es beginnt schon zu bröckeln.

Herr Voigtländer, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Albrecht?

Herrn Albrecht? - Gerne, Herr Albrecht.

Danke schön. - Lieber Herr Kollege, wäre es Ihnen lieber, die Kinder würden weiterhin kostenfrei in die Schulen gefahren werden, aber dafür wären keine Lehrer in den Schulen?

(Zuruf von der CDU: Wie bisher!)

Herr Albrecht, ich gehe davon aus, dass Sie wissen, wer die Kosten der Schülerbeförderung trägt. Wenn das ein Antrag sein sollte, in Zukunft den Bereich der Lehrer zu kommunalisieren, wäre das ganz spannend. Das müssten Sie aber lieber dem Kollegen zuordnen, der hier immer für mehr Freiheitsvergabe plädiert.

Meine Damen und Herren, welche Signale senden Sie eigentlich aus angesichts von Arbeitslosigkeit, eines nicht zu finanzierenden Sozialversicherungssystems und aufgrund einer bekannten demografischen Entwicklung? Wenn Sie so weitermachen mit den Familien in Niedersachsen, wer soll dann eigentlich noch - bei den Kosten, die damit verbunden sind - Kinder in die Welt setzen?

Nun wurde - aber darauf bin ich schon am Anfang eingegangen - eine interministerielle Arbeitsgruppe gegründet, und, Herr Innenminister, in drei Monaten - so war damals die Rede - wollen Sie fertig sein. Da Sie ein Mann sind, der weiß, was er sagt und das vermutlich manchmal auch tut

(Beifall bei der CDU)

- nun beruhigt euch einmal, das ist doch nicht so schlimm, das weiß er doch -, werden Sie vermutlich kurz vor Weihnachten den Eltern in Niedersachsen dieses Präsent offerieren, und wir werden trefflich darüber streiten.

Ich möchte Ihnen ein paar Dinge mit auf den Weg geben, die mir an dieser Stelle wichtig sind.

(Heinz Rolfes [CDU]: Ins Mikrofon sprechen, damit wir auch etwas hö- ren!)

- Ich freue mich, dass Sie mich gern hören wollen, aber Sie können ja den Text noch einmal nachlesen.

(Reinhold Coenen [CDU]: Das ist eine Unverschämtheit!)

Erstens. Sie sollten aufpassen, dass Sie nach der Lernmittelfreiheit nicht über eine Salamitaktik auch die kostenlose Schülerbeförderung noch abschaffen. Wir werden sehr darauf achten und das auch deutlich machen.

Zweitens. Ich hoffe, Ihnen ist auch persönlich bekannt, wie viel Kosten diese drei Bereiche, die ich genannt habe, in Zukunft für Familien ausmachen können, nämlich unter Umständen einen dreistelligen Eurobetrag.

Drittens. Wenn es zu einer sozialen Ausgewogenheit kommen soll - ich kann mir vorstellen, dass Sie den Landkreisen zwar zusätzlich Freiheiten einräumen wollen, aber auch die Möglichkeiten der Landkreise, sich an dieser Stelle kostenmäßig günstiger zu stellen, verbessern wollen -, dann befürchte ich, dass es einen erheblichen bürokratischen Mehraufwand allein dadurch geben wird, dass man nun pro Antragsteller austüfteln muss, wie berechtigt oder weniger berechtigt er ist.

Schließlich vermeiden Sie, dass Bildung auf diesem Weg zu einer Ware wird. Es ist zu befürchten, dass sich in Zukunft über diesen Weg unter Umständen nur besser Gestellte das leisten können. Ja, es ist nun einmal so! Schauen Sie sich an, wo die Gymnasien sind! Sie sind nicht unbedingt dort, wo man sie vor Ort braucht.

(Ursula Körtner [CDU]: Ja, aber 13 Jahre habt ihr auch Politik ge- macht!)

Was bleibt? - Was Ihnen in der bürgerlichen Koalition im Übrigen der Landeselternrat - das vielleicht

am Schluss - mit auf den Weg gegeben hat, ist auch nicht ohne. Der Landeselternrat sagt: „Wir halten nichts davon, wenn an dieser Stelle geändert wird.“ Und: „Die Bildungsfreundlichkeit eines Landes zeigt sich u. a. daran, wie man Schulen überhaupt erreichen kann.“

(Vizepräsident Ulrich Biel über- nimmt den Vorsitz)

Höhere Kosten - -

(Zuruf von Ernst-August Hoppenbrock [CDU])

- Sie sind lange nicht in der Schule gewesen. Das zeigt dieser Zwischenruf.

Höhere Kosten würden die soziale Selektion - ein fürchterlicher Begriff an dieser Stelle - an den Schulen nur noch verstärken. - Ich befürchte, meine Damen und Herren, dass Sie, wenn Sie diesen Weg gehen wollen, nämlich Abschaffung der kostenlosen Schülerbeförderung, die soziale Selektion - neben der Einführung der Dreigliedrigkeit - nur noch verstärken. - Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD)

Für die Landesregierung hat nun Herr Minister Busemann das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren, aber insbesondere Herr Kollege Voigtländer! Das Thema Schülerbeförderung ist ernst, es ist vielleicht auch manchmal kompliziert. Aber es ist jetzt nicht die Stunde, derart in Polemik zu verfallen oder schon Menetekel mit Rechenbeispielen, wer die Kosten tragen kann, anzustellen. So weit sind wir Gott sei Dank nicht.

Meine Damen und Herren, im Flächenland Niedersachsen war und ist die Frage der Schülerbeförderung natürlich von zentraler Bedeutung für die Bildungspolitik. In einem Flächenland können nämlich Bildungschancen nur gleich sein, wenn die Schülerinnen und Schüler tatsächlich die Möglichkeit erhalten, insbesondere weiterführende Schulen zu besuchen. Die Belastung der Eltern darf dabei nicht zu hoch sein, und sie darf sich auch nicht über Gebühr unterscheiden. Zu gleichen Bildungschancen der Schülerinnen und Schüler gehört

natürlich auch Gerechtigkeit bei der Kostenbelastung. Die Geschichte der Schülerbeförderung macht das deutlich.

Bereits in den frühen 60er-Jahren führte die beständig größer werdende Bildungsbeteiligung, vor allem in den eher ländlich strukturierten Gebieten, zu Schülerbeförderungsregelungen. Dabei war die Schülerbeförderung zunächst für die Schuljahrgänge 1 bis 6, seit 1978 auch für die Schuljahrgänge bis 10, die Schuljahrgänge 11 und 12 der Schule für geistig Behinderte, das schulische Berufsgrundbildungsjahr, das Berufsvorbereitungsjahr sowie die Klasse 1 einiger Berufsfachschulen für die Eltern unentgeltlich. Mein Vorgänger Werner Remmers war es schließlich, der im Jahr 1980 dafür sorgte, dass die Möglichkeit, die Eltern an den Schülerbeförderungskosten zu beteiligen, gänzlich abgeschafft wurde.

Der Titel des neuen Schulgesetzes „Gesetz zur Verbesserung von Bildungsqualität und zur Sicherung von Schulstandorten“ ist Programm und Auftrag zugleich. Diese Landesregierung wird Niedersachsen aus der Stellung eines bildungspolitischen Entwicklungslandes zum Wohle unserer Kinder herausführen.

(Jacques Voigtländer [SPD]: Die Po- lemik können Sie sich sparen!)

Dazu ist die Qualitätsverbesserung der schulischen Arbeit genauso erforderlich wie die Gestaltung der notwendigen schulorganisatorischen Infrastruktur. Dabei ist es ein wesentliches Ziel der Landesregierung, Schulstandorte zu sichern und das Bildungsangebot in der Fläche auszuweiten. Wir haben gestern über unsere Verordnung reichlich diskutiert, wie die Schulstandorte im Land in Zukunft aussehen werden. Dazu gehören auch vernünftige Verkehrsanbindungen. Das ist doch völlig klar.

Dieses Ziel korrespondiert mit dem Willen der gesamten Landesregierung, den ländlichen Raum zu stärken. Als wesentlicher Beitrag hierzu findet gegenwärtig die umfassendste Schulstrukturreform in der Geschichte des Landes seit fast 50 Jahren statt.

Alle Überlegungen, die zur Schulpolitik ebenso wie die zu einer Haushaltskonsolidierung, müssen sich nach meiner festen Überzeugung allerdings einem Ziel unterordnen: Es darf, was auch immer passiert, im Ergebnis nie dazu kommen, dass in Niedersachsen die Einkommensverhältnisse der El

tern über die Bildungschancen der Kinder entscheiden. Das ist doch ein Grundsatz, auf den man sich erst einmal verständigen kann.

(Jacques Voigtländer [SPD]: Ihr seid dabei!)

Ich komme selber vom Land, und viele Abgeordnete und Kabinettskollegen ebenfalls. Ich weiß, wie wichtig die Gestaltung der gesamten schulorganisatorischen Infrastruktur für den Ausbau der Bildungsbeteiligung ist, und ich weiß daher auch um die Bedeutung der Schülerbeförderung.

Nun kommen wir, Herr Kollege Voigtländer, meine Damen und Herren, allerdings in schwieriger Zeit mit pauschalen und glühenden Bekenntnissen zu Schule, Schulstandorten, Schülertransport und Schülerbeförderung nicht unbedingt weiter. Wir wissen, dass die öffentliche Hand auf allen Ebenen pleite ist. Insbesondere die Kommunen wissen nicht ein noch aus. Das heißt, dass auf allen Ebenen natürlich darüber nachgedacht wird, wo eventuell Kosten eingespart werden können.

Es liegt auf der Hand, dass sich insbesondere die kommunalen Gebietskörperschaften angesichts der Pflichtenlage, aber auch angesichts ihrer Finanzprobleme u. a. überlegen, ob vielleicht auch beim Schülertransport irgendwo etwas eingespart werden kann. Dann kommen auch Hinweise auf Missbrauchstatbestände - das will ich hier nicht vertiefen -, oder es kommen Beispiele, bei denen gefragt wird, ob es sein musste, dass der Schüler X irgendwo mit dem Taxi zur Schule gebracht wurde, und anderes mehr.

Nun könnte man sagen, die Kommunen hätten mit dem Zumutbarkeitskriterium - das gibt § 114 des Schulgesetzes vor - Möglichkeiten, es anders zu gestalten oder auszureizen. Ich will offen lassen, ob das noch geht; möglicherweise werden die Kommunen sich auch damit nicht bescheiden.

Es gibt einen anderen Aspekt - das ist schon fast ressortübergreifend, ist ein landespolitisches Thema -, den wir beleuchten müssen. Wenn es z. B. in der gesamten Systematik des Personenbeförderungsgesetzes, was die Bezuschussung, die Anschaffungen von Bussen usw. anbelangt, zu Veränderungen kommt oder wenn über das Allgemeine Eisenbahngesetz, das letztlich auch Kostenregelungen trägt

(Zuruf von Thomas Oppermann [SPD])

- ja, überall kann sich etwas ändern -, wenn sich also dort auch massiv die wirtschaftliche Lage der Busunternehmer, des ÖPNV verändert, dann wird, ohne dass wir es wollen, das Kostenthema natürlich auch in den ländlichen Raum, in den ÖPNV und letztlich auch in die Schülertransportkosten hineingetragen. Denn der Busunternehmer vor Ort sagt: Wenn ich meinen Bus nicht mehr bezuschusst bekomme, ihr aber wollt, dass ich für den ÖPNV, für Schülertransport fahre - das korrespondiert ja miteinander -, dann müssen andere Kostenregelungen erdacht werden.

Also würde ich trotz unseres gemeinsamen Bekenntnisses zur Schule anraten, dass man sich hier nicht verschließen sollte, weil sich hier eine Thematik aufbaut, die irgendwann gelöst sein will. Vor diesem Hintergrund schlage ich vor, zunächst einmal die Entwicklungen abzuwarten, aber auch die Vorstellungen insbesondere der kommunalen Ebene einzuholen und dann zu gewichten. Deswegen muss nicht der Teufel an die Wand gemalt werden. Man darf auch nicht so tun, als müssten die Eltern ab morgen früh gewaltige Beträge für den Schülertransport und andere Dinge mehr tragen. Ich weiß, dass insbesondere die Kommunen mit diesem Thema, das sie ja gern auf die Tagesordnung setzen möchten, gerade im ländlichen Raum ausgesprochen verantwortungsbewusst umgehen. Das sind nicht die Kostentreiber, die den Eltern ans Portmonee gehen wollen.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)