Protokoll der Sitzung vom 20.11.2003

Für die Landesregierung erteile ich nun Frau Ministerin Heister-Neumann das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Bachmann, es tut mir Leid, dass Sie jetzt nicht den „wilden Uwe“ erleben können. Aber ich freue mich, Herrn Schünemann vertreten zu können, auch wegen des Inhalts der Stellungnahme der Landesregierung zu diesem Thema.

(Zurufe von der SPD)

Meine Damen und Herren, dieser Entschließungsantrag ist in den Ausschüssen beraten worden. Die Beratung in den Ausschüssen hat auch gezeigt, dass die niedersächsischen Grünen mit diesem Entschließungsantrag in der aktuellen Diskussion um ein Zuwanderungsgesetz isoliert sind.

(Klaus-Peter Bachmann [SPD]: Ihr mit eurem Integrationsgesetz!)

Die Forderungen der Grünen lauten: Wer illegal nach Deutschland gekommen ist, ein erfolgloses Asylverfahren betrieben hat, danach eventuell noch Folgeanträge stellte oder vorübergehende Abschiebungshindernisse geltend machte, soll endgültig in Deutschland bleiben dürfen, wenn er eine Aufenthaltszeit von fünf Jahren erreicht hat. Für Familien mit Kindern soll dies bereits nach drei Jahren möglich sein. Damit fordern die Abgeordneten von Bündnis 90/Die Grünen im Niedersächsischen Landtag, jede ungesteuert stattgefundene unerlaubte Zuwanderung nach einigen Jahren nachträglich zu legitimieren.

(Zustimmung von Ina Korter [GRÜ- NE])

Meine Damen und Herren, es wird deshalb niemanden überraschen, wenn ich heute für die Landesregierung erkläre, dass sie sicherlich keine derartige Bundesratsinitiative ergreifen wird. Die Landesregierung ist der Auffassung, dass die Zuwanderung gesteuert und auch reduziert werden muss.

(Zustimmung von Hans-Christian Biallas [CDU])

Wer illegal einreist und nicht als Flüchtling anerkannt werden kann, muss umgehend wieder ausreisen. Es wäre ein völlig falsches Signal und würde die Zuwanderung erheblich verstärken, wenn jemand nach illegaler Einreise und mehreren erfolglosen Asylverfahren ein Daueraufenthaltsrecht erhielte. Die Ausreise nach mehrjährigem Aufenthalt mag von den Betroffenen, insbesondere natürlich von den hier aufgewachsenen Kindern, als sehr hart empfunden werden. Dabei darf aber nicht unbeachtet bleiben, dass lange geduldete Aufenthaltszeiten häufig auf exzessive Ausschöpfung aussichtsloser Rechtsmittel und die Verweigerung der freiwilligen Ausreise zurückzuführen und damit auch der Entscheidungssphäre der betroffenen Ausländer selbst zuzurechnen sind.

(Dorothea Steiner [GRÜNE]: Wie sol- len wir das denn verstehen?)

Auch unter Gerechtigkeitsgesichtspunkten wäre eine solche allgemeine Bleiberechtsregelung doppelt verfehlt. Erstens würden die Ausländer, die unter Verstoß gegen die Einreisebestimmungen illegal einreisen, besser gestellt als diejenigen, die nach Ablehnung eines beantragten Visums im Herkunftsland bleiben. Zweitens würden die Ausländer, die nach Ablehnung mehrerer Anträge auf Asylgewährung und Aufenthaltsgenehmigung und damit trotz vollziehbarer Ausreiseverpflichtung nicht zurückkehren, besser gestellt als diejenigen, die nach Ablehnung ihres Asylantrages freiwillig der Ausreiseverpflichtung nachgekommen und ausgereist sind. In beiden Fällen würde somit nach der Forderung der Grünen derjenige, der sich gesetzestreu verhält, benachteiligt werden getreu dem Motto des Volksmunds: Der Ehrliche ist immer der Dumme.

(Zustimmung von Dr. Harald Noack [CDU])

Aus Gründen der Gerechtigkeit machen deshalb die Innenminister von Bund und Ländern nur unter ganz bestimmten Voraussetzungen von der gesetzlich bestehenden Möglichkeit zum Erlass von Bleiberechtsregelungen Gebrauch. Bei den letzten Regelungen ging es um berufstätige Flüchtlinge aus dem früheren Jugoslawien, die in den Betrieben weiter benötigt wurden.

(Unruhe - Glocke des Präsidenten)

Auch die allgemeinen Bleiberechtsregelungen aus den Jahren 1996 und 1999 begünstigen nur Personen, die nach langjährigem, nicht selbst hinausgezögertem Aufenthalt sozial und wirtschaftlich integriert waren. Hierbei wurde der Vorrang inländischer Arbeitskräfte aufrechterhalten, d. h. es durfte nur der bleiben, der einen Arbeitsplatz gefunden hatte, für den kein deutscher EU-Bürger oder dauerhaft bleibeberechtigter Ausländer zur Verfügung stand. Wenn dies schon bei der damaligen Arbeitsmarktsituation als richtig angesehen wurde, kann auf dieses Kriterium bei der heute dramatisch verschlechterten Lage auf dem Arbeitsmarkt sicherlich nicht verzichtet werden.

Angesichts der in den letzten Jahren von den Innenministern vereinbarten Bleiberechtsregelungen, durch die allein in Niedersachsen über 5 000 Personen ein Aufenthaltsrecht erhielten, wird die Lan

desregierung keine Initiative für eine weitergehende neue Regelung ergreifen.

Mit dem Entschließungsantrag sind die Grünen in Niedersachsen damit auf einem falschen Weg. Ob das auch für die Grünen bundesweit gilt, wird sich bei den Beratungen zum Zuwanderungsgesetz im Vermittlungsausschuss ergeben. Offensichtlich ist aber bei den Grünen schon erkannt worden, dass auch das von ihnen im Bundestag mit beschlossene Zuwanderungsgesetz nicht allen illegal eingereisten ausländischen Staatsangehörigen nach einigen Jahren ein Aufenthaltsrecht einräumt. Also wird vorsorglich schon jetzt neben dem neuen Zuwanderungsgesetz eine allgemeine Bleiberechtsregelung gefordert. Meine Damen und Herren von Bündnis 90/Die Grünen, damit wird aber meines Erachtens der eigenen Bundestagsfraktion ein denkbar schlechtes Zeugnis in Bezug auf das Zuwanderungsgesetz ausgestellt.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Meine Damen und Herren, die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nach § 71 Abs. 2 unserer Geschäftsordnung um zusätzliche Redezeit gebeten. Frau Langhans, ich gebe Ihnen bis zu zwei Minuten Redezeit. Sie haben das Wort.

Herr Präsident! Vielen Dank für die zusätzliche Redezeit. - Meine Damen und Herren! Herr Biallas, dieses Jonglieren mit Zahlen gehört einfach nicht in diese Debatte.

(Hans-Christian Biallas [CDU]: Jon- glieren kann ich gar nicht! Ich kann nur vorlesen!)

In der Tat leben 25 000 Menschen als geduldete Flüchtlinge bei uns. Aber um die geht es gar nicht. Es geht ausschließlich um die 17 000 Menschen, die tatsächlich länger als fünf Jahre hier leben. Aber auch das ist nicht der entscheidende Punkt. Eines ist hier deutlich geworden - in fast allen Redebeiträgen, auch Frau Ministerin Heister-Neumann hat das noch einmal deutlich gemacht; das möchte ich noch einmal allen ins Gedächtnis rufen -: Es wird impliziert, dass ein Großteil der hier langjährig geduldeten Flüchtlinge eigentlich kriminell ist. Das ist etwas, was ich mit mir nicht machen lasse. Schauen Sie bitte auch da noch einmal auf die Zahlen; denn ein Großteil der hier le

benden Flüchtlinge sind Bürgerkriegsflüchtlinge, die nicht kriminell sind.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Die Tatsache, dass faktisch ein Arbeitsverbot besteht, dass also hier lebende Flüchtlinge keine Arbeit annehmen können, dass Ausbildungsplätze nicht besetzt werden können, weil Flüchtlinge aufgrund der kurzfristigen Duldung keine solchen Plätze bekommen, können sie wirklich nicht den Flüchtlingen anlasten.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Auch die CDU-Fraktion hat zusätzliche Redezeit nach § 71 Abs. 2 unserer Geschäftsordnung beantragt. Herr Biallas, ich gebe Ihnen bis zu drei Minuten Redezeit.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Langhans, wir haben soeben die Ausführungen der Ministerin gehört. Die Ministerin hat nicht gesagt, dass fast alle kriminell sind.

(Heidrun Merk [SPD]: Aber Sie haben das gesagt!)

Sie hat aber gesagt, dass diese Menschen - das habe ich vorhin auch gesagt; das haben Sie wahrscheinlich nicht mitbekommen, weil ich so bescheiden leise geredet habe - rechtskräftig zur Ausreise verpflichtet sind. Das ist der Tatbestand. Die haben im Grunde genommen nur deshalb ein vorübergehendes weiteres Recht zu bleiben, weil es bestimmte Gründe gibt.

(Heidrun Merk [SPD]: Das wissen doch alle!)

Frau Kollegin Langhans, wenn Sie das aber schon ansprechen: Es gibt in diesen Personengruppen auch Kriminelle. Die Haltung der CDU-Fraktion ist ganz klar: Wer hier das Gastrecht missbraucht, weil er meint, er könnte kriminell werden, der wird auf der Stelle abgeschoben.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP - Heidrun Merk [SPD]: Es steht so im Gesetz! Vielleicht gucken Sie mal nach!)

Damit das klar ist. Der wird auf der Stelle abgeschoben. Da wird über überhaupt nichts mehr geredet.

(Heidrun Merk [SPD]: Das steht schon im Gesetz, Herr Kollege Biallas!)

Ich gebe Ihnen noch ein aktuelles Beispiel. Das ist eine Petition. Ich sage auch keine Namen. In einem Fall, in dem einer den anderen umbringt, wegen Totschlags zu einer Haftstrafe verurteilt und nach Verbüßung der Haftstrafe in seine Heimat abgeschoben wird, gleichzeitig aber einen Antrag in Deutschland stellt, dass bei einem Gericht zu entscheiden ist, ob er nicht doch wieder nach Deutschland zurückkehren darf, hat die zuständige Behörde in Niedersachsen gesagt: Nun ist Schluss. Du bleibst da, wo du bist. Dann hat er geklagt - in unserem Rechtsstaat in Ordnung -, und das Gericht hat gesagt: Okay, du kannst für drei Tage zu deiner Gerichtsverhandlung kommen, aber dann gehst du wieder dahin, woher du kommst. - Er ist auch gekommen, für die drei Tage der Gerichtsverhandlung. Dann war er aber weg. Meine Damen und Herren, diesen Missbrauch gibt es auch, und diesem Missbrauch werden wir uns mit allen zu Gebote stehenden Mitteln widersetzen.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Meine Damen und Herren, auch die SPD-Fraktion hat um zusätzliche Redezeit gebeten. Herr Bachmann, auch Sie bekommen insgesamt bis zu drei Minuten Redezeit.

(David McAllister [CDU]: Mach‘ es doch nicht noch schlimmer!)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich brauche die drei Minuten nicht. Ich möchte nur zwei Sätze dem Kollegen Biallas sagen.

Herr Biallas, das Problem ist, dass Sie in der Art und Weise, wie Sie hier Einzelfälle schildern, suggerieren, das sei der Regelfall.

(Beifall bei der SPD - Unruhe bei der CDU)

Herr Biallas, das ist in Ihren Reden durchgängig so: Sie bringen den Einzelfall von hohem Sozialhilfebezug, Sie bringen den Einzelfall eines Kriminellen. - Nehmen Sie zur Kenntnis, dass die Frak

tion Bündnis 90/Die Grünen - ich bin davon überzeugt: genau wie wir - eindeutig der Auffassung ist, dass diejenigen, die in diesem Lande ihren Status für kriminelles Handeln missbrauchen und keinen dauernden Status haben, ihr Aufenthaltsrecht verwirken. Bloß die Art und Weise der Umsetzung muss, weil es Familienangehörige und Kinder gibt, im Einzelfall humanitär geregelt werden. Das geht nicht mit Pauschalforderungen.

(Zustimmung bei der SPD)

Lieber Herr Kollege Biallas, wenn jemand aus einer Familie kriminell ist, ist nicht die ganze Familie in Sippenhaft zu nehmen, wie Sie es hier suggerieren.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Deswegen habe ich eine Bitte: Mäßigen Sie sich in der Darstellung Ihrer Beispiele, und suggerieren Sie nicht, in allen diesen Fällen sei kriminelle Energie die Grundlage des Handelns.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)