Protokoll der Sitzung vom 20.11.2003

Ein solches dauerhaftes Bleiberecht gibt es sogar schon - das wurde vorhin auch schon angesprochen, und darüber haben wir immer wieder diskutiert -, allerdings unter ganz bestimmten engen Voraussetzungen. Eine der Hauptvoraussetzungen ist, dass diese Familien in der Lage sind, ihren Lebensunterhalt aus eigener Erwerbsarbeit zu bestreiten.

(Georgia Langhans [GRÜNE]: Sie verbieten ihnen doch zu arbeiten!)

Ich sage das - das habe ich in der ersten Beratung auch schon getan -, aus folgendem Grund: Wenn Sie diesen 25 675 Menschen

(Georgia Langhans [GRÜNE]: Darum geht es gar nicht!)

ein dauerhaftes Aufenthaltsrecht zugestehen, dann wandern - ich will es nicht übertreiben - weit über 90 % von ihnen dauerhaft in unsere Sozialsysteme. Sie werden dauerhaft auf Sozialhilfe angewiesen sein, weil sie keine Arbeit haben.

(Zuruf von Georgia Langhans [GRÜ- NE])

Sie alle wissen doch - Sie lamentieren doch sonst immer so rum, wenn es um die sozialen Sicherungssysteme geht -: Deutschland kann es sich nicht leisten, die sozialen Sicherungssysteme in dieser Weise zu strapazieren.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP - Zurufe von Heidrun Merk [SPD] und Monika Wörmer-Zimmermann [SPD])

Zum Schluss. Wir bekommen immer wieder auch Petitionen in dieser Sache, und es ist ja auch völlig in Ordnung, dass jeder, der betroffen ist, eine Petition an den Landtag richten kann. Aber manchmal steigt in mir wirklich der Zorn hoch, wenn ich sehe, für welche Menschen Petitionen an den Landtag gerichtet werden. Ich nenne jetzt keinen Namen, aber es ist noch nicht lange her, da hatte ich eine Petition zu bearbeiten, in der es genau um den Personenkreis ging, den Sie meinen. Das war sicherlich eine Ausnahme; so hoffe ich jedenfalls. Es ging um eine Familie, die zunächst einmal nicht wusste, welcher Staatsangehörigkeit sie ist, und die dann unter Vorspiegelung einer falschen Staatsangehörigkeit eine Duldung bekommen hat, die immer wieder verlängert worden ist. Und am Ende hieß es, der Familienvater sei in Haft genommen worden, weil man ihm Sozialbetrug in Höhe von über 1,5 Millionen Mark nachgewiesen habe. Meine Damen und Herren, für solche Leute gibt es hier kein dauerhaftes Aufenthaltsrecht. Danke schön.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP - Zurufe von der SPD - Gegenrufe von der CDU)

Für die SPD-Fraktion hat sich nun der Abgeordnete Bachmann gemeldet. Herr Bachmann, ich erteile Ihnen das Wort.

(Unruhe - Glocke des Präsidenten)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Biallas, wir haben von Ihnen auch nichts anderes als wieder eine solche Rede erwartet. Wenn Sie - auch mit Ihrem beruflichen Hintergrund - bei dieser hoch sensiblen Frage über humanitäre Gesichtspunkte und konstruktive Ansätzen sprächen, anstatt mit Unwahrheiten, Geschichtsklitterung oder Darstellungen, bei denen Sie Einzelfälle zum Regelfall erklären, zu operieren, dann würden wir wahrscheinlich sachlicher darüber reden können.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Herr Kollege Biallas, Sie haben in der vorletzten Plenarsitzung gesagt, Sie bereiteten sich zu diesem Thema überhaupt nicht mehr vor, Sie hielten seit zehn Jahren die gleiche Rede.

(Zuruf von Hans-Christian Biallas [CDU])

Ich greife das auf: Erstens. Man merkt, dass Sie sich nicht mehr vorbereiten. Zweitens. Es spricht nicht unbedingt für Sie, dass Sie seit zehn Jahren die gleiche Rede halten; es zeigt nur, wie ignorant Sie sind, was die Aufnahme gesellschaftlicher Entwicklungen und Notwendigkeiten angeht.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, es gibt zwei sachliche Gründe, warum wir dem Antrag der Fraktion der Grünen in der vorliegenden Form nicht zustimmen können.

(Unruhe - Glocke des Präsidenten)

Ich habe bereits in der Ausländerkommission einen Kompromissvorschlag gemacht - er ist dem von uns vor zwei Monaten im Plenum eingebrachten Antrag ähnlich -, um auch in der Frage der Altfallregelungen bei dem notwendigen Kompromiss zur Gesamtregelung im Zuwanderungsgesetz auf Bundesebene eine Lösung zu erreichen. Ich ap

pelliere an alle in diesem Hause vertretenen Parteien, aber auch an alle Beteiligten im Bund, das konstruktiv anzugehen. Dann wäre dieser Antrag der Sache nach erledigt. Aber wir haben bereits vor zwei Monaten durch den Mehrheitsbeschluss der Koalitionsfraktionen einen solchen Appell in Richtung Bundesrat und Bundestag nicht beschließen können. Ich bedaure das außerordentlich.

Nun zu den zwei sachlichen Gründen: Zum einen hat der Antrag der Fraktion der Grünen einen Webfehler, weil er auf der einen Seite zu einer Bundesratsinitiative auffordert, auf der anderen Seite aber hinter den Spiegelstrichen ausschließlich von niedersächsischen Regelungen handelt. In Niedersachsen soll demnach nach fünf, drei oder zwei Jahren das Bleiberecht Regelfall werden. Das ist ein Widerspruch in sich. Wir sind uns doch einig, Frau Kollegin Langhans: Es kann keine länderspezifischen Altfallregelungen geben. Entweder kriegen wir das im Rahmen des Zuwanderungsgesetzes hin - was ich hoffe -, oder wir werden auch in Zukunft darauf bauen müssen, dass Altfallregelungen einvernehmlich in der Innenministerkonferenz vereinbart werden.

Zum anderen ist es aus unserer Sicht auch kein humanitärer Vorgang, das Aufenthaltsrecht ausschließlich an der Dauer des Aufenthalts festzumachen. Im Einzelfall kann eine Regelung schneller notwendig werden als erst nach fünf Jahren. Es darf nicht einfach durch Ersitzen zu einem solchen Rechtsanspruch kommen, sondern dafür muss es sachlich-fachliche Kriterien geben.

Ich bedaure, dass unser Innenminister - er wird heute durch Frau Heister-Neumann vertreten nicht da sein kann; er ist in der Innenministerkonferenz. Ich verbinde das mit der Hoffnung, dass er dort die Chance wahrnimmt, konstruktiv für solche Regelungen zu kämpfen und einzutreten. Er könnte sich an der Stelle einmal im positiven Sinne bundesweit einen Namen machen, indem er humanitäre Aspekte in den Mittelpunkt stellt. Aber ich vermute, er wird auch dort eher wieder die Position des Rechts-Überholens von Herrn Beckstein umsetzen, was wir in den letzten Wochen durch seine Erklärungen zur Kenntnis bekommen haben.

Frau Langhans hat eben einige Beispiele für Aktivitäten von Herrn Schünemann genannt. Ich brauche sie nicht zu wiederholen. Er lässt leider all zu oft den wilden Uwe raus, um das deutlich zu sagen, und reagiert ausschließlich mit Repressalien,

(Zurufe von der CDU)

Verschärfungen oder wie jetzt mit Abschiebungsvollzug ohne Vorankündigung. Glauben Sie etwa, dass Sie den handelnden Polizeibeamten - von den Familien einmal abgesehen - damit einen Gefallen tun? Was meinen Sie, welches Entsetzen das im Umfeld von Familien und Nachbarn auslösen wird, wenn das in Niedersachsen wirklich Praxis würde?

(Beifall bei der SPD)

Ich richte einen dringenden Appell an unsere Landesregierung, in diesem Sinne konstruktiv an humanitären Regelungen mitzuarbeiten und die Frage der Altfallregelung in die konstruktive Bearbeitung des Zuwanderungsgesetzes mit einzubringen, wie wir das vor zwei Monaten hier als Antrag vorgelegt haben. Frau Langhans, insofern bedarf es im Augenblick nicht einer weiteren Bundesratsinitiative, weil alles im Vermittlungsausschuss von Bundestag und Bundesrat vorliegt. Es liegt jetzt daran, dass sich alle Seiten bewegen und auch diese Fragen konstruktiv zum Abschluss bringen. Ich meine, wir sind aus humanitären Gründen den Menschen gegenüber verpflichtet, das zu tun.

Ich erinnere daran, dass für Herrn Schünemann - selbst wenn es nicht gelänge, die Altfallregelung vernünftig beim Zuwanderungsrecht zu berücksichtigen - in der Innenministerkonferenz jederzeit die Möglichkeit besteht, durch einvernehmliche Beschlüsse so zu handeln. Herr Schünemann hätte die Chance, dem guten Beispiel seiner Vorgänger Glogowski und Bartling zu folgen,

(Zuruf von der CDU: Auch das noch!)

die in den letzten Jahren an solchen Altfallregelungen konstruktiv mitgearbeitet und damit den Menschen, für die es einer solchen Regelung bedurfte, in diesem Lande wirklich geholfen haben. Frau Langhans hat die Zahlen erwähnt. Das ist in Zeiten sozialdemokratischer Landesregierung möglich gewesen. Ich fürchte, bei Ihnen wird das wohl ausbleiben.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, die Fraktionen sind übereingekommen, vor der Mittagspause auch noch den Tagesordnungspunkt 12 „Novellierung

der Handwerksordnung: Durch sinnvolle Reformen die Zukunft des deutschen Handwerks sichern“ und „Chancen durch Liberalisierung der Handwerksordnung für Niedersachsen“ zu behandeln. Ich sage das, damit sich die Redner darauf vorbereiten können.

Nun zurück zu dem Tagesordnungspunkt „Bleiberecht für langjährig geduldete Flüchtlinge“: Für die FDP-Fraktion hat der Abgeordnete Bode das Wort. Ich erteile es ihm.

(Bernd Althusmann [CDU]: Wir wollen den Flüchtlingen ihre Freiheit wieder- geben!)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Deutschland braucht dringend ein Zuwanderungssteuerungs- und -begrenzungsgesetz.

(Zurufe von der SPD)

Das hat der Kollege Bachmann auch richtig gesagt. Wegen dieses Bedarfs hat die FDP als erste Partei in Deutschland ein solches Gesetz nicht nur gefordert, sondern auch einen entsprechenden Gesetzentwurf in die Beratung eingebracht.

(Beifall bei der FDP)

Herr Bachmann, ich kann Sie beruhigen: Niedersachsen wird in dieser Frage nicht blockieren, sondern im Gegenteil den Kompromiss vorantreiben.

(Unruhe - Glocke des Präsidenten)

Auch für die Frage der Duldung von Flüchtlingen wäre es das Beste, wenn sich alle anderen Parteien dem Kompromissentwurf der FDP anschlössen. Ein Teilaspekt unseres Gesamtkonzeptes ist auch die Regelung für Menschen, die sich bereits über viele Jahre mit Duldung in Deutschland aufhalten; denn viele dieser Menschen sind bereits in ihrem persönlichen Lebensumfeld integriert, es fehlt allerdings der rechtliche Status. Sie haben ganz richtig geschildert, dass es in der Vergangenheit viele Altfallregelungen gegeben hat: Die erste 1990 von der Niedersächsischen Landesregierung, 1991, 1993, 1996, 1999 auf Bundesebene. Mit der letzten Altfallregelung haben in Niedersachsen über 4 100 Menschen ein Aufenthaltsrecht erhalten. Die Zahl der geduldeten Menschen hat sich in Niedersachsen bereits mit der letzten Altfallregelung deutlich reduziert.

Der Vorschlag allerdings, den die Fraktion der Grünen eingebracht hat, ein Aufenthaltsrecht bereits nach drei Jahren auszusprechen, könnte zu falschen Anreizen führen und geht zu weit. Es kann nicht sein, dass diejenigen, die versuchen, ihre Abschiebung hinauszuzögern, so auch noch belohnt werden.

(Zustimmung bei der FDP)

Es geht ebenfalls nicht, eine Erlaubnis auszusprechen, ohne sicherzustellen, dass diejenigen Menschen ihren Lebensunterhalt selbst bestreiten können. Sonst müssen die Kommunen über Sozialhilfeansprüche dauerhaft die Zeche zahlen. Der Gesetzentwurf der FDP zur Zuwanderungssteuerung und -begrenzung setzt wesentliche Voraussetzungen für die Altfallregelung. Ich nenne drei grundlegende Voraussetzungen: Erstens. Die betreffenden Menschen müssen mindestens sechs Jahre lang straffrei im Bundesgebiet leben. Zweitens. Sie müssen Ihren Lebensunterhalt selbst bestreiten oder nachweisen, dass sie ihn selbst bestreiten können. Drittens. Sie dürfen ihre bisherige Nichtabschiebung nicht selbst zu verantworten haben. Das sind die wesentlichen drei Voraussetzungen, die wir machen. Eine Einigung in diesem Sinne würde die Problematik auf einen Schlag lösen. Leider waren die anderen Fraktionen im Bundestag nicht dazu bereit.

Die Grünen scheinen sich aber auch hier nicht viele Gedanken gemacht zu haben, sondern sie haben ihren Forderungskatalog einfach von einem Papier von Pro Asyl abgeschrieben, das dort am 28. November 2002 verfasst worden ist. Ich meine, Sie sollten sich intensiver mit diesem Thema beschäftigen und nicht einfach eine Klientelpolitik betreiben. Da machen wir nicht mit. - Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP)

Für die Landesregierung erteile ich nun Frau Ministerin Heister-Neumann das Wort.