Protokoll der Sitzung vom 21.11.2003

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Eine Zusatzfrage stellt die Abgeordnete Steiner. Frau Steiner, Sie haben das Wort.

Herr Minister, gerade vor diesem Hintergrund frage ich Sie: Hält die Landesregierung den in den Finanzämtern vorgesehenen Personalabbau von bisher 600 Stellen angesichts der Notwendigkeit, Prüfungen zu verstärken, um Umsatzsteuerbetrug einzudämmen, für richtig?

Herr Minister Möllring!

Frau Kollegin Steiner, es werden 600 Stellen in der Finanzverwaltung abgebaut, aber nicht in den Finanzämtern.

(Dorothea Steiner [GRÜNE]: Das ist keine Antwort! - Gegenruf von der CDU: Dann musst du mal zuhören! - Unruhe - Glocke des Präsidenten)

Meine Damen und Herren, das hat das Präsidium nicht zu beurteilen. - Eine nächste Zusatzfrage stellt der Abgeordnete Hagenah.

Herr Minister, teilt die Landesregierung die Auffassung des haushaltpolitischen Sprechers der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, die er gegenüber dem Handelsblatt geäußert hat? Er sagte: So lasse sich durch eine bessere Vernetzung der Finanzämter, eine bessere Informationstechnik und bessere Betriebsprüfung bereits eine Menge machen.

Herr Minister Möllring!

(Beifall bei der CDU)

Meine Damen und Herren, es liegen keine weiteren Wortmeldungen vor.

Wir kommen jetzt zur

Frage 2: Heimerziehung mit Freiheitsentzug

Die Frage stellt Frau Dr. Trauernicht.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Bericht des Kriseninterventionsteams wird von 38 Kindern berichtet, von denen zwei bereits in Heimen mit Freiheitsentziehung waren und sechs als „geeignet“ bezeichnet wurden.

Wir fragen die Landesregierung:

1. Welche Fallkonstellationen im Einzelnen liegen hier vor - Alter, Geschlecht, Biographie, Verhalten, Angebote der Jugendhilfe etc. -, und nach welchen mit dem Kinder- und Jugendhilfegesetz und mit dem Grundgesetz kompatiblen Verfahren wurde die so genannte Eignung festgestellt?

2. Welcher Bedarf an Heimplätzen mit Freiheitsentzug wird von den niedersächsischen Jugendämtern benannt - Platzzahl und Art der Örtlichkeit, also Region -, und welche Anzahl von Plätzen hat die Landesregierung mit welchen Trägern an welchen Orten in Planung?

3. Welche Art und Dauer der Finanzierung von Plätzen mit Freiheitsentzug sieht die Landesregierung vor, und wird sie ebenfalls Plätze für diejenigen der 38 Kinder finanziell fördern, die intensive sozialpädagogische Betreuung ohne Freiheitsentzug erhalten?

Die Anfrage beantwortet Herr Minister Busemann für die Landesregierung. Sie haben das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Kriseninterventionsteam - KIT wurde von der Vorgängerregierung mit Kabinettsbeschluss vom 25. September 2002 gegründet. Die Aufgaben des Kriseninterventionsteams waren insbesondere die

Beratung der örtlichen Träger der Jugendhilfe in schwierigen Einzelfällen und eine retrospektive Fallanalyse bei hochdelinquenten Kindern.

Der jetzt vorgelegte Bericht über die retrospektive Fallanalyse gibt einen wichtigen Einblick über Fallkonstellationen, die der Delinquenz von kindlichen Intensivtätern zugrunde liegen. Zusätzlich haben wir vieles erfahren über Kooperationsstrukturen auf der örtlichen Ebene. Die Frage der Bedarfseinschätzung für Plätze im Bereich der erzieherischen Hilfen mit der Möglichkeit der freiheitsentziehenden Unterbringung war ein Bestandteil des KIT-Auftrages.

Nach welchen Vorhaben und Kriterien ist diese Fallanalyse vorgenommen worden? Die Untersuchungsgruppe wurde zunächst im Zuständigkeitsbereich des Landesbeauftragten für Jugendsachen der Polizei gebildet und wertete die Polizeiliche Kriminalstatistik - PKS - aus.

Die erste Rasterung erfolgte nach den Kriterien: Kind, mindestens für fünf Straftaten oder mindestens zweier Gewalttaten tatverdächtig, Tatzeitraum 1. Januar 2001 bis 1. September 2002. Bei dieser einfachen Auswertung der PKS durch die Polizei wurde die Zahl von 556 Kindern in Niedersachsen ermittelt; wie ich finde, eine erschreckend hohe Zahl, auch wenn es sich bei den Vorfällen dieser Gruppe in vielen Fällen noch um Kleinkriminalität handelt.

Aus dieser Gruppe wurden im nächsten Schritt diejenigen Kinder herausgefiltert, für die die polizeilichen Kriterien für so genannte Intensivtäter zutrafen. Hierunter sind Tatverdächtige zu sehen, „bei denen es aufgrund der persönlichen Entwicklung und der Art und Anzahl der begangenen Straftaten geboten ist, umgehend zu reagieren.“

Danach führte das KIT weitere Überprüfungsschritte durch, die ich Ihnen hier nicht alle aufzählen möchte. Es verblieben letztlich 38 Kinder als Untersuchungsgruppe; 38 Kinder, die in Niedersachsen leben, die nach dem ersten Erkenntnisstand des KIT nicht in eine laufende Jugendhilfemaßnahme eingebunden waren und die nach dem Erlass des Innenministeriums zur Gruppe der Intensivtäter gehörten.

Meine Damen und Herren, ich betone ausdrücklich, dass all diese Schritte noch im Verantwortungsbereich der alten Landesregierung durchgeführt wurden.

Über diese Gruppe hat das KIT letztlich das Gespräch mit den zuständigen Jugendämtern geführt. Wie Sie wissen, ist die Kinder- und Jugendhilfe eine Angelegenheit des eigenen Wirkungskreises der Kommunen. Daraus folgt, dass Entscheidungen der örtlichen Jugendhilfeträger nicht der Fachaufsicht einer Landesbehörde unterliegen. Bei den Jugendämtern musste aus diesem Grund zusätzlich einiges an Überzeugungsarbeit geleistet werden, damit sie sich auf die Fallgespräche überhaupt eingelassen haben.

Die Fallgespräche mit den Jugendämtern fanden daher unter der Prämisse statt, dass keine Überprüfung und Bewertung des Hilfeprozesses des Jugendamtes durch das KIT stattfindet und die Auswertung so vorzunehmen ist, dass nicht mehr zurückverfolgt werden kann, welches Jugendamt für den beschriebenen Einzelfall zuständig war. Diese Herangehensweise hat Auswirkungen auf die Beantwortung der Frage 1. Darauf weise ich schon jetzt hin.

Die im KIT-Bericht ausgewiesenen insgesamt sechs bis acht Fälle, für die eine geschlossene Unterbringung als geeignet angesehen wurde, geben daher ausschließlich die fachlichen Einschätzungen der jeweils zuständigen Jugendämter wieder.

Die Fallgespräche wurden mit Hilfe eines Fragebogens geführt. Eine Frage darin lautete: „Halten Sie in diesem Fall die geschlossene Unterbringung für die geeignete und notwendige Maßnahme im Rahmen der Jugendhilfe?“ Das Ja oder das Nein auf diese Frage sollte lediglich kurz begründet werden. Eine nachträgliche Bewertung oder Interpretation der Antworten wurde nicht vorgenommen. Ich verweise dazu auf die Seiten 29 bis 34 im KIT-Bericht.

Dies vorausgeschickt, beantworte ich namens der Landesregierung die Fragen im Einzelnen wie folgt:

Zu Frage 1: Nachdem gegenüber den Jugendämtern zwecks Identifizierung zunächst eine namentliche Benennung der Kinder erfolgen musste, wurden in der Auswertung im KIT nur noch streng anonymisierte Unterlagen verwendet, aus denen die von den Fragestellern erbetenen Angaben nicht hervorgehen. Auf die mögliche Darstellung individueller Fallverläufe im KIT-Bericht wurde bewusst verzichtet, um die mit den Jugendämtern getroffenen Absprachen und die vertrauensvolle Zusam

menarbeit während der Fallanalyse als Basis für die weitere Kooperation in der Erarbeitung der Handlungsempfehlungen nicht zu gefährden.

Es wird nochmals darauf hingewiesen, dass die Jugendämter nur auf dieser Grundlage zugestimmt haben, die Interviews durchzuführen. Eine Auswertung, die eine Identifizierung eines einzelnen Kindes oder eines zuständigen Jugendamtes ermöglicht hätte, wäre von den Jugendämtern nicht mitgetragen worden. Belange des Datenschutzes hätten zudem die Erhebung weiter verzögert.

Zu Frage 2: Wie schon erwähnt, wurden in den Fallgesprächen die Jugendämter gefragt, ob nach ihrer Einschätzung für den jeweiligen Einzelfall die geschlossene Unterbringung als geeignete Form der Hilfe angesehen wird. Über den Einzelfall hinaus wurden die Jugendämter durch das KIT nicht nach einer Bedarfseinschätzung gefragt. Der Fokus richtete sich immer auf die kindlichen Intensivtäter. Eine Betrachtung anderer Problemgruppen erfolgte nicht. Aus den Kreisen der Jugendämter liegt eine Äußerung der Arbeitsgemeinschaft der Jugendämter der Länder Niedersachsen und Bremen - AGJÄ - vor, in dem die geschlossene Unterbringung zwar grundsätzlich infrage gestellt, jedoch für extreme Einzelfälle als geeignet angesehen wird.

Die Fallauswertung des KIT hat ergeben, dass von den 38 untersuchten Einzelfällen sich zwei Kinder zum Zeitpunkt der Befragung in einer geschlossenen Einrichtung befanden. Für sechs weitere Kinder hielten die zuständigen Jugendämter die geschlossene Unterbringung für eine geeignete Maßnahme. Die in diesen Einzelfällen gegebenen Begründungen der Jugendämter sind fallbezogen im KIT-Bericht veröffentlicht.

Aufgrund dieser Einschätzung hält die Landesregierung derzeit eine Zahl von sechs bis zehn Plätzen in geschlossenen Gruppen in Niedersachsen für ausreichend. Diese Beurteilung beruht auf den auf Seite 34 des KIT-Berichts dargestellten Erwägungen und auf der Einschätzung, dass die hier untersuchten Intensivtäter nur einen Teil der potenziellen Klientel für eine mit freiheitsentziehenden Maßnahmen verbundene Unterbringung im Rahmen der Jugendhilfe darstellen. Die Landesregierung hält aus diesem Grund an ihren Planungen von sechs bis zehn Plätzen für männliche Kinder und Jugendliche bis zu einem Aufnahmealter von 15 Jahren fest. Sollte sich nach etwa einem Jahr des Betriebs dieser Gruppe herausstellen, dass

der Bedarf höher ist, werden wir unsere Planungsgrundlagen entsprechend überarbeiten.

Die Landesregierung hat mit dem freien Jugendhilfeträger „Initiative für Intensivpädagogik“ aus Emden einen Träger gefunden, der bereit und aufgrund seiner bisherigen Erfahrungen und der bereits bestehenden intensivpädagogischen Angebote sowie seiner Kooperation mit der Kinder- und Jugendpsychiatrie in der Lage ist, diese Plätze einzurichten. Der genaue Standort der Einrichtung steht noch nicht fest.

Zu Frage 3: In Niedersachsen gibt es über 400 Einrichtungen der Erziehungshilfe mit einem außerordentlich differenzierten Leistungsspektrum, auch für die Erziehung besonders schwieriger Kinder und Jugendlicher. Keine dieser Einrichtungen verfügt allerdings über Plätze mit der Möglichkeit der freiheitsentziehenden Unterbringung. Die Landesregierung sieht die geschlossene Unterbringung als eine geeignete, jedoch zeitlich befristete Hilfsmöglichkeit für wenige Einzelfälle an und unterstützt die Einrichtung dieser bisher nicht vorgehaltenen Plätze.

Das Förderkonzept sieht eine einmalige Zuwendung für den Träger in Höhe von 50 bis 70 % der Mehraufwendungen für die bauliche Sicherung vor. Die örtlichen Träger der Jugendhilfe werden unterstützt, indem das Land einen Zuschuss zum Tagessatz gewährt, der sich an der Höhe des noch zu vereinbarenden Entgelts orientiert. Die Höhe des Zuschusses wird berücksichtigen, dass die geschlossene Unterbringung für den örtlich zuständigen öffentlichen Träger nicht kostengünstiger sein soll als ein normaler Heimplatz mit einem überdurchschnittlich hohen Kostensatz oder eine Hilfe in Form der intensiven sozialpädagogischen Einzelbetreuung. Für die letztgenannte Form existiert in Niedersachsen ein breites Angebot, sodass eine staatliche Förderung nicht notwendig ist. Sie würde auch bei der geltenden landesrechtlichen Ausgestaltung der Finanzierung der Jugendhilfe auf rechtliche Bedenken stoßen.

Die Dauer der Bezuschussung im Einzelfall richtet sich nach der jeweiligen richterlichen Genehmigung. Über die Gesamtdauer dieses Programms kann noch keine Aussage getroffen werden.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Eine Nachfrage hat die Abgeordnete Krämer.

Herr Minister, meine Frage lautet: Haben kommunale Träger bereits begonnen bzw. ihre Absicht geäußert, in ihren Einrichtungen geschlossene Plätze einzurichten, und - wenn das so ist - welche Kommunen sind das?

(Astrid Vockert [CDU]: Sie haben die Sachlage aber wirklich nicht verstan- den!)

Herr Minister Busemann!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es geht ja nicht um landeseigene Einrichtungen. Ansonsten können wir nicht einschätzen und nicht sagen, ob sich dafür schon Kommunen gemeldet haben.