Protokoll der Sitzung vom 05.03.2003

Erstens. Wie soll z. B. ein Kompetenzzentrum Schule in Oldenburg eigentlich das ganze Land zeitnah betreuen? Wo bleiben die Kenntnisse der Ortsnähe? Das Gleiche gilt auch für andere, dann zentral im Land wahrzunehmende Aufgaben. Wer hier im Hause glaubt eigentlich, dass Entscheidungen dadurch, dass man sie von einem Ort im ganzen Land aus betreut, schneller, effizienter und transparenter werden, meine Damen und Herren?

Nur damit Sie es wissen - vielleicht merken das die neuen Abgeordneten durch die tägliche Anreise hierher -: Wir sind das zweitgrößte Flächenland der Bundesrepublik. Wir haben 8 Millionen Einwohnerinnen und Einwohner. Das ist mehr als Österreich - was nicht gegen Österreich spricht. Aber ich muss schon darauf hinweisen, dass das etwas anderes ist als ein Stadtstaat oder ein kleines Land.

Dieses Land braucht regionale Vertretungen. Ansonsten wollen Sie - das müssen Sie dann aber auch sagen - ein völlig anderes Modell der öffentlichen Verwaltung in diesem Land als bisher.

Zweitens. Wer soll eigentlich diejenigen Aufgaben der Bezirksregierungen übernehmen, die zwar nicht in regionale Kompetenzzentren übergehen, die aber trotzdem sinnvoll bleiben, z. B. Verfahren nach dem Bundesimmissionsschutzrecht? Sie wollen das doch nicht - das vermute ich jedenfalls - an einzelne Landkreise geben; denn dann gäbe es Landkreise, die vielleicht nur zweimal im Jahr einen solchen Fall hätten und dafür dann Personal vorhalten müssten. Im Übrigen: Wenn die Landkreise solche Fälle nur ganz selten bearbeiten, wird gerade bei diesem für Industriebetriebe sensiblen Teil die Qualität der Arbeit nicht besser. Das ist der Grund, warum die niedersächsische Wirtschaft gerade in diesem Fall für die Beibehaltung der Bezirksregierungen plädiert hat. Die wollten das, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD)

Wenn Sie das in die Landkreise verlagern, dann müssen Sie auch sagen, wer das Personal bezahlt. Bitte erklären Sie mir einmal, wo darin die Einsparung liegt; denn bei Ihnen soll doch das Konnexi

tätsprinzip gelten, d. h. das Geld müssen Sie mitgeben. Also, was passiert da, meine Damen und Herren?

Das ist alles relativ unausgegoren. Aber ich habe den Verdacht, dass an einer Stelle der, der Ihnen das aufgeschrieben hat, wirklich weiß, was er tut. Die regionale Bündelung von Aufgaben, die regionale Konfliktlösung wird in Ihrem Modell durch ein zentralistisches Modell der Verwaltungssteuerung direkt aus Hannover ersetzt. Denn wenn Sie in den Regionen Kompetenzzentren haben - z. B. das Kompetenzzentrum Schule in Oldenburg -, dann sind das keine regionalen Bündelungsbehörden mehr, die die regionale Interessenvertretung wahrnehmen, die Konflikte lösen, die die Bedürfnisse der Region aufnehmen, sondern dann hängen sie im direkten Durchgriffsstrang am Ministerium in Hannover. - Ich nehme nicht an, dass das alle bei Ihnen wissen, und deswegen wird es bestimmt noch viele Debatten darüber geben; gerne mit uns, aber sicherlich auch bei Ihnen.

Derjenige, der Ihnen das aufgeschrieben hat, hat Ihnen noch nicht verraten, dass dahinter das Modell einer zentralistischen Organisation der Landesverwaltung steht. Und so ganz nebenbei liquidieren Sie damit auch noch das alte Land Oldenburg und das alte Land Braunschweig. Viel Spaß in den Regionen dabei! Das wird ganz interessant.

(Beifall bei der SPD)

Was Sie als Landesregierung in Niedersachsen vorhaben, ist die Zerschlagung der regionalen Verantwortung zugunsten eines zentralistischen Machtanspruchs der Ministerien hier in Hannover. Die dabei entstehenden Konflikte - z. B. zwischen dem Umweltschutz und der Wirtschaft - müssen Sie dann alle in Hannover zwischen den Ministerien klären; denn eine regionale Bündelung gibt es ja nicht mehr. - Ich wünsche Ihnen für Ihre Kabinettssitzungen gute Besserung, meine Damen und Herren. Das werden spannende Veranstaltungen.

(Beifall bei der SPD)

Ich will es noch einmal klar sagen: Wir wollen da mitmachen, aber wir wollen dann auch die Konsequenzen daraus ziehen. Wir wollen erstens regionale Managementbehörden, die ihre Bündelungsfunktion behalten, die aber von der Vielzahl der Regelungskompetenzen, die sie heute haben, entfrachtet werden. Da machen wir mit, auch bei dem notwendigen Personalabbau.

Aber wir wollen zweitens auch die Konsequenzen durchdeklinieren, bis in die Kommunen hinein. Wir wollen uns nicht vor der Erkenntnis des Landesrechnungshofs drücken, dass eine Samtgemeinde mit 10 000 Einwohnern offensichtlich 250 000 Euro mehr kostet als eine Einheitsgemeinde mit 10 000 Einwohnern. Wir sind bereit, darüber zu diskutieren und zu entscheiden.

Sie wissen doch ganz genau: Wer an das Thema Mittelbehörden herangeht, der ist unmittelbar bei der Funktionalreform und dann noch knapp einen Millimeter vor dem Thema Gebietsreform. Wir haben den Mut dazu gehabt, das offen zu sagen. Sie wollen doch entscheiden, Sie sagen doch, Sie hätten Mut zur Entscheidung. Na denn, lassen Sie uns das machen, aber nicht halbherzig und nicht mit so unausgegorenen Vorschlägen, wie sie von Ihnen kommen.

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, man kann die Regierungserklärung bzw. die Koalitionsvereinbarung noch an vielen anderen Stellen ähnlich behandeln. Das Thema Energiemix und das Thema Atomenergie überlasse ich meiner Kollegin Frau Harms. Von mir nur soviel: An einer Stelle fand ich diesen Begriff „Mut zur Entscheidung“ gestern unheimlich gut. Ich weiß nicht, Herr Wulff, ob Sie es gemerkt haben. Sie haben gesagt - ich zitiere jetzt wörtlich -, beim Schacht Konrad wären Sie „Partner bei der Abwartung der Gerichtsentscheidung“. - Das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen: Partner bei der Abwartung der Entscheidungen der Gerichte - wir finden, Sie sollten auch Partner bei der Abwartung des Moratoriums in Gorleben werden und nicht versuchen, das alles wieder rückgängig zu machen; denn damit würden Sie Niedersachsen wirklich gefährden. Ich bin ganz sicher, dass das eine Politik zurück in die 60er- und 70er-Jahre ist, vor allen Dingen übrigens deshalb, weil die Genehmigung solcher Endlager natürlich verbunden ist mit einer Politik - das meinen Sie doch mit „Energiemix“ - des weiteren Ausbaus der Kernenergie. Das aber werden wir nicht mitmachen, das werden wir energisch bekämpfen. Wir sind hier nicht das Atomklo der Republik!

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, in der Koalitionsvereinbarung von CDU und FDP wird schon fast da

mit gedroht, vor allen politischen Entscheidungen die Dramatik der Kassenlage in einer umfassenden Bilanz der alten Landesregierung darzustellen. Mein Eindruck ist: Das hat mehr mit Vergangenheitsbewältigung und Suche nach Ausreden zu tun als mit der Zukunft des Landes.

(Beifall bei der SPD)

Die Menschen in Niedersachsen, Herr Wulff, meine Damen und Herren, haben Sie gewählt, damit Sie das Land weiter voranbringen. Entscheiden und regieren Sie! Dass das in diesen Zeiten nicht bequem ist, haben Sie, nehme ich an, vorher gewusst. Wir wussten es jedenfalls. Dafür, dass es bequem ist, wird man nicht gewählt. Die Menschen erwarten, dass Sie das übertragene Mandat ausüben und sich nicht nur in Vergangenheitsbewältigung mühen. Aber dafür brauchen Sie mehr als einen Bauchladen von Einzelvorschlägen. Sie haben hier gestern so etwas wie ein Puzzle zusammengestellt, aber kein Bild von dem Niedersachsen gemalt, das Sie in fünf Jahren schaffen wollen. Und vor allen Dingen haben Sie dem Bild keinen Rahmen gegeben.

Ich habe gestern ein Interview von Ihnen erst richtig verstanden, in dem Sie gefragt wurden, welchen Luxus Sie sich leisten, obwohl Sie es eigentlich gar nicht dürften. Ihre Antwort lautete: gegenstandslose Kunst des 20. Jahrhunderts. - Den Luxus hätten Sie sich hier gestern auch nicht leisten sollen. Vielen Dank.

(Starker Beifall bei der SPD und Bei- fall bei den GRÜNEN)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, das Wort hat nun der Vorsitzende der CDU-Fraktion, Herr McAllister.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Gestern war ein schöner Tag. Niedersachsen hat endlich wieder eine bürgerliche Landesregierung.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Im Namen der CDU-Landtagsfraktion gratuliere ich Ihnen, Herr Ministerpräsident, zum ausgezeichneten Wahlergebnis, ebenso allen neuen Mit

gliedern des Kabinetts. Wir wünschen viel Erfolg und viel Kraft für die bevorstehenden Aufgaben.

Im Namen der CDU-Landtagsfraktion möchte ich auch Ihnen, Herr Gabriel, und den Mitgliedern Ihrer alten Landesregierung für die geleistete Arbeit danken.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Auch wenn wir häufig anderer Meinung waren und wir Sie heftig hier im Hause kritisiert haben, möchte ich dennoch Respekt und Anerkennung für Ihren Dienst und für Ihr Bemühen um unser Land aussprechen.

Und dann sage ich, an die Mitte des Hauses gerichtet: Herzlich willkommen, FDP! Es ist gut, dass wir nach neun Jahren wieder eine FDPFraktion in diesem Hause haben.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Meine Damen und Herren von der SPD und von den Grünen, wir haben die FDP in den letzten Wochen bereits kennen lernen können. Ich möchte mich an dieser Stelle auch im Namen der CDUFraktion für die freundschaftliche, faire, offene und stets auf fruchtbare Zusammenarbeit angelegte Verhandlungsführung im Rahmen der Koalitionsgespräche bedanken.

(Dieter Möhrmann [SPD]: War das jetzt ironisch gemeint, oder wie?)

Stellvertretend für alle sei dieser Dank an Philipp Rösler gerichtet.

(Beifall bei der CDU)

Meine Damen und Herren, wir haben gestern eine exzellente Regierungserklärung von Christian Wulff gehört.

(Lebhafter Beifall bei der CDU und bei der FDP - Lachen bei der SPD - Zuruf von Axel Plaue [SPD])

- Herr Plaue, ich habe hier als junger Abgeordneter allein drei Ministerpräsidenten von der SPD erleben müssen. Im Gegensatz zu allen drei Regierungserklärungen war das zum ersten Mal eine Regierungserklärung, die eine Linie enthalten hat, die man nachvollziehen konnte und die auch eine

konkrete Vision hatte. Das unterscheidet uns von Ihnen.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Es war eine Rede mit einer schonungslosen Darstellung der Lage im Land, wie Sie sie hinterlassen haben, mit Visionen für Niedersachsen und Deutschland und eine Rede, die den Menschen in der Tat Mut zu grundlegenden Veränderungen machen kann. Zusammen mit dem Koalitionsvertrag bildet diese Regierungserklärung eine Grundlage für eine neue, für eine bessere Politik in Niedersachsen.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Meine Damen und Herren, wir von der CDULandtagsfraktion haben in den kommenden fünf Jahren eine wichtige Aufgabe. Herr Ministerpräsident, ich versichere Ihnen und den Mitgliedern des Kabinetts stets eine Unterstützung in allen wesentlichen Sachfragen der Fraktion, und das in kritischer Loyalität. Wir werden als CDU gemeinsam mit der Regierung Tempo in den entscheidenden Politikfeldern

(Zuruf von der SPD: In welchen?)

Wirtschaft, Finanzen, Arbeit, Bildung und innere Sicherheit machen. Meine Damen und Herren, an alle in diesem Hause gerichtet: Wir als CDULandtagsfraktion werden die Rechte dieses Parlaments achten und wahren.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Wir sind der Auffassung, dass alle wesentlichen politischen Entscheidungen in diesem Land in dieses Plenum gehören. Wir sind der höchste Souverän. Deshalb wird der Landtag der zentrale Ort der politischen Auseinandersetzung werden. Wir werden künftig weniger Kommissionen, weniger Gutachten und weniger runde Tische haben, als es zu Ihrer Zeit der Fall war, Herr Gabriel.