Protokoll der Sitzung vom 10.12.2003

Der viel gelobte Vorschriftenabbau, von dem wir hier im Haus schon sehr viel gehört haben, kommt in der Staatskanzlei und im Innenministerium auch nicht recht voran. Die Debatte dreht sich doch im Wesentlichen um die Verlagerung von Aufgaben. Das ist zurzeit Stand der Debatten. Der Innenminister polemisiert auf seinen Veranstaltungen mit Recht gegen Vorschriften, die das Ende einer Dienstfahrt bis ins Absurde regeln. Trotzdem leistet sich das Innenministerium selbst immer noch neun verschiedene Vorschriften zur Abrechnung von Dienstfahrten. Man muss sich die Zahl auf der Zunge zergehen lassen. Wenn man dann nachfragt, wie viele verschiedene Dienstreisevorschriften es bei der gesamten Landesregierung gibt, dann denkt man vielleicht: zehn Häuser, zehn Vorschriften. Weit gefehlt, meine Damen und Herren: Nachdem sie neun Monate im Amt ist, leistet sich diese Landesregierung immer noch 24 verschiedene Dienstreisevorschriften!

(Beifall bei den GRÜNEN - Bernd Althusmann [CDU]: Bloß ein bisschen Theatralik!)

Sehr geehrte Damen und Herren, auch die Bilanz des Wirtschaftsministers ist mehr als dürftig. Im Bereich der Wirtschaftsförderung verdichtet sich immer mehr der Eindruck, dass der ganze Laden überfordert ist. Wir halten es daher für sinnvoll und für angemessen - und können uns dabei auch auf Berichte des Landesrechnungshofs stützen -, dass die Wirtschaftsförderung weiter zurückgenommen wird. Der Tiefwasserhafen steht mit 13 Millionen Euro im Haushalt. Allerdings ist eine zusätzliche Verpflichtungsermächtigung vorgesehen, die 354 Millionen Euro umfasst und damit ein gewaltiges Projekt darstellt. Leider kann Minister Hirche bislang aber kein schlüssiges Finanzierungskonzept für das Gesamtprojekt vorlegen. Deshalb steht zu befürchten, dass dieses Public-PrivatePartnership-Projekt den Public-Bereich, sprich: den

Steuerzahler, sehr teuer zu stehen kommt. In unserem Änderungsantrag haben wir daher nicht die Streichung, sondern einen Sperrvermerk vorgesehen, der sicherstellt, dass erst das Finanzierungskonzept auf den Tisch kommt und dann über Weiteres nachgedacht wird.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDPFraktion, die ganze Geschichte erinnert uns fatal an eine frühere Meisterleistung von Minister Hirche. Beim Großflughafen Berlin-Brandenburg hatte er schon einmal einen dreistelligen Millionenbetrag in den märkischen Sand gesetzt.

(Dorothea Steiner [GRÜNE]: Oh ja!)

Ich hoffe, dass es sich hier hinterher nicht um den niedersächsischen Schlick handelt, in den das Geld versenkt wird. Von daher ist es für uns besonders wichtig, dass der Sperrvermerk in den Haushalt kommt.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, die Straßenverwaltung war bislang nur in Ansätzen Gegenstand öffentlicher Debatten. Während andernorts schon jeder Euro dreimal umgedreht wird, wird hier noch immer streng nach Vorschrift gebaut. Dabei kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass diese Vorschriften noch aus einem Land vor unserer Zeit stammen. Da gibt es Gemeinden, die wollen mit eigenem Geld einen Radweg an einer Landesstraße bauen. Wenn das Straßenbauamt dann seine rigiden Vorschriften durchgesetzt hat, ist der Radweg plötzlich doppelt so teuer wie geplant. Das ist dann wieder ein Fall für die Vorschriftenkommission der Staatskanzlei, die hier offensichtlich auch noch nicht tätig war.

Meine Damen und Herren, es gibt einige Punkte, die unter dem Deckmäntelchen der Haushaltskonsolidierung daherkommen, die aber in Wahrheit ganz andere Zwecke verfolgen. Ich spreche von einer vollständigen Streichung der Mittel für den niedersächsischen Flüchtlingsrat. Das ist eine Einrichtung, die konkrete Hilfe für Menschen in Not leistet, eine Einrichtung, die sich sehr stark auf ehrenamtliches Engagement stützt. Unverständlich ist die Kürzung bei Betreuungseinrichtungen und Schutzwohnungen für von Frauenhandel Betroffene - ebenso wie bei Frauenselbsthilfegruppen. Das sind allesamt Initiativen, die sich ehrenamtlich für soziale und humanitäre Fragen engagieren. Ich

frage mich: Wer hat sich an dieser Stelle durchgesetzt, Herr Rösler? Weshalb soll eine ganze Einrichtung wie der Flüchtlingsrat auf Null gesetzt werden? Warum gab es keine Begründung für diese Maßnahme, Herr Althusmann? Hinter diesen Kürzungen steht nicht der Wunsch nach Haushaltssanierung - hier verbirgt sich auch ein anderes Weltbild. War der Flüchtlingsrat zu unbequem? Hat er den Finger zu oft in die Wunde gelegt? Oder, Herr Rösler, hat die FDP Angst vor dem Engagement freier Bürger?

(Beifall bei den GRÜNEN)

„Was du dem Geringsten unter uns getan hast, das hast du mir getan.“ Dieses Zitat kennt Herr Biallas als ehemaliger Pastor sicherlich sehr gut.

(Bernd Althusmann [CDU]: Ich auch!)

Er kennt auch den Verfasser sehr gut. Aber eines ist sicher: Dieses Weltbild stand jedenfalls nicht hinter diesen Maßnahmen. Diese Punkte lösen bei mir ein Stück Verbitterung aus und lassen mich fragen, warum Sie nicht die Größe haben, die konkrete Arbeit dieser Selbsthilfeeinrichtungen zu würdigen, einen Konsolidierungsbeitrag einzufordern, aber den Einrichtungen trotzdem eine Chance zur Weiterarbeit zu lassen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Sehr geehrte Damen und Herren von der FDPund von der CDU-Fraktion, an einem Punkt sind Sie im Zuge der Haushaltsberatungen zurückgerudert. Herr McAllister sprach das schon an. Es hat wiederum mit der FDP und mit ehrenamtlichem Engagement zu tun. Dreist war der Versuch, die Gelder der Bingo-Umweltlotterie in eine kleine, hausinterne Schatulle von Herrn Sander umzuwandeln.

(Beifall bei den GRÜNEN - Dieter Möhrmann [SPD]: Das ist wohl wahr!)

In einer der letzten Sitzungen des Haushaltsausschusses sollte die Bingo-Umweltlotterie, die seit Jahren beispielhaft ehrenamtliches Engagement im Natur- und Umweltschutz und in der Entwicklungszusammenarbeit unterstützt, platt gemacht werden. Verdächtig war schon, dass die FDP die politischen Ziele dieser Aktion überhaupt nicht begründen konnte und die CDU diese nicht begründen wollte. Ich bin froh, dass diese Nacht- und Nebel-Aktion vorerst gestoppt wurde.

Sehr geehrte Damen und Herren, wir als GrüneLandtagsfraktion in Niedersachsen stellen uns der prekären Haushaltslage. Wir legen eine Alternative zum Haushalt der Landesregierung auf den Tisch. Wenn wir am Freitag endgültig über den Landeshaushalt für 2004 abstimmen, dann stimmen wir auch über eine Richtungsentscheidung ab. Im Kern geht es um eine Weichenstellung, die deutlich macht, welches Gewicht die Bildungspolitik in diesem Land hat, und zwar in all ihren Facetten. Es geht um die Frage, welche Qualität und welche Zukunftschancen unsere Schulen und Hochschulen künftig haben. Zugleich steht aber die Frage auf der Tagesordnung, welche Zukunftschancen Kinder und Jugendliche in Niedersachsen haben und welche Zukunftschancen unser Gemeinwesen als Ganzes hat. Die Bildungspolitik wird aber auch - und das ist die Konsequenz vieler Untersuchungen der letzten Jahre - über die wirtschaftliche Entwicklung unseres Landes entscheiden. Der wichtigste Produktionsfaktor des 21. Jahrhunderts sind nicht mehr Grund und Boden, Arbeit oder Kapital, sondern Bildung, Ausbildung, Wissen und Forschung. Diesen Übergang in die Wissensgesellschaft gilt es zu gestalten.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Ihr Konzept zur Deformierung der niedersächsischen Hochschulen, Herr Rösler, Herr McAllister, entfaltet eine fatale Wirkung. Kürzungen in dieser Größenordnung und in diesem Zeitraum sind bei den sehr personalintensiven Hochschulen nur zu erbringen, wenn jede Stelle, die frei wird - ich betone: jede - rigoros weggestrichen wird. Nicht Planung und Optimierung stehen hinter dem Konzept von Herrn Stratmann, sondern Aktionismus und Zerstörung.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Die Starken wollten Sie stärken, aber offensichtlich weiß der Minister noch nicht einmal so genau, wo die Stärken eigentlich liegen. Oder wie sollen wir es sonst interpretieren, wenn selbst hier im Landtag mit falschen Zahlen agiert wird, die hinterher mehrfach korrigiert werden müssen?

Höhepunkt der Debatte war die pauschale Diffamierung der Universität Göttingen in der Deutschen Hochschulzeitung.

(Beifall bei den GRÜNEN - Rebecca Harms [GRÜNE]: Unverschämtheit!)

Wie soll Niedersachsen denn den Anschluss an die Spitzenuniversitäten in Deutschland und Europa halten? Sie haben sehr richtig gesagt, die erste niedersächsische Hochschule ist auf Platz 15. Aber Sie haben kein Wort darüber verloren, wie wir von diesen Plätzen wegkommen und wieder an die Spitze aufrücken können.

(David McAllister [CDU]: Hochschul- optimierung!)

Ihr so genanntes HOK wird garantiert nicht dafür sorgen, dass wir dort hinkommen. Mit zweitklassigen Berufungen und einer angeknacksten Reputation? Ich kann nur feststellen: Minister Stratmann hat im Kabinett keinen Rückhalt gefunden.

Ich muss auch feststellen, dass die Schulen nicht gestärkt werden. Ein Großteil der Lehrer, die neu eingestellt wurden, ist für eine Schulreform verplant, die hoffentlich nicht von langer Dauer sein wird. Die Herstellung der Dreigliedrigkeit in den Klassen 5 und 6 wird mehr als 1 000 Lehrerstellen langfristig binden. Der Weg in die alte Zeit, den die OECD in ihrer neuesten Stellungnahme beschreibt, wird nicht nur unsere Kinder teuer zu stehen kommen. Auch im Landeshaushalt hinterlässt diese Politik der Schwarzen eine tiefrote Bremsspur. Die gestrichene Hausaufgabenhilfe und die Lehrereinstellung zum Schuljahresbeginn reißen weitere Löcher. Insgesamt haben Sie etwa 56 Millionen Euro bei den Schulen eingespart. Vor dem Hintergrund Ihrer Wahlkampfversprechen ist das eine erstaunliche Summe.

Sehr geehrte Damen und Herren, wir legen Ihnen einen Änderungsantrag zum Haushaltsplanentwurf 2004 vor, der im Gegensatz zur Koalition von CDU und FDP den Verzicht auf die geplanten Kürzungen in Höhe von 40,6 Millionen Euro bei den Hochschulen vorsieht und der zugleich - im Gegensatz zur SPD - die Notwendigkeit zur Einstellung von 2 500 neuen Lehrern anerkennt.

Gleichzeitig enthält unser Änderungsantrag eine Vielzahl von weitergehenden Positionen, die zur Gegenfinanzierung herangezogen werden. Aber wir wollen nicht nur bei anderen kürzen, sondern wir wollen auch bei Positionen kürzen, die die Abgeordneten und die Minister direkt betreffen. Wir haben Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen, daher einen Entschließungsantrag vorgelegt, der deutliche Abstriche bei der Altersversorgung und beim Renteneintrittsalter von Abgeordneten und Ministern vorsieht. Zusätzlich soll das Sterbegeld

gestrichen werden. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bitte Sie, sich die Drucksache 606 noch einmal ganz genau anzugucken. Ich wäre sehr erfreut, in der heutigen Debatte von den Kollegen der anderen Fraktionen eine Stellungnahme zu diesem Antrag der Grünen-Fraktion zu hören. Ich würde gerade in der Haushaltsdebatte gern erfahren, wie sich die anderen Fraktionen zu genau diesem Punkt stellen, bei dem es einmal an das eigene Portmonee geht.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Weitere Einsparmaßnahmen haben wir beispielsweise bei der Öffentlichkeitsarbeit der Landesregierung, bei den Landwirtschaftskammern, bei der Beamtenbeihilfe für ärztliche Leistungen, bei der Flurbereinigung, bei der Prozesskostenhilfe und beim Betreuungsrecht vorgesehen, um nur einige Positionen zu nennen, die wir jeweils konkret mit Vorschlägen untermauern.

Liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU und der FDP, Sie sind von der Härte der Proteste an den Hochschulen überrascht worden.

(Zuruf von David McAllister [CDU])

- An den Schulen, Herr McAllister, steht Ihnen Ähnliches ins Haus, wenn die ganze Tragweite Ihres Unterrichtserlasses, der die Folgen der Schulreform für jede einzelne Schule aufzeigt, erst richtig deutlich geworden ist. Ich lade Sie gern einmal nach Göttingen ein und zeige Ihnen die konkreten Auswirkungen an einigen Schulen, an denen plötzlich 12 bis 15 % der Lehrer-Soll-Stunden fehlen. Das ist nicht das, was Sie versprochen haben, Frau Körtner.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Sie haben eine Entwicklung unterschätzt, die ganz entscheidend durch die Diskussion der letzten Jahre geprägt ist. Die Menschen wissen und spüren, dass in einer globalen Welt, in einer Wissens- und Informationsgesellschaft immer mehr davon abhängt, welche Bildungschancen ein Kind hat.

(Ursula Körtner [CDU]: Genau das!)

Mit unserem Antrag liegt eine Alternative auf dem Tisch. Der Verzicht auf die Kürzungen bei den Hochschulen - ganz im Gegensatz zu dem, was Sie hier behaupten, Herr McAllister - ist möglich und machbar.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Lassen Sie mich eine abschließende Bemerkung machen. Alle beklagen, dass wir in der Schuldenfalle sitzen. Sie auch. Aber Sie sind nicht die Maus. CDU und FDP haben die Falle selbst mit aufgestellt. Ich erinnere da nur an 16 Jahre Kohl und viele Reformen, die man vielleicht schon damals hätte anpacken müssen. Das Schlimmste ist: Es ist noch nicht einmal Speck in Sicht. Dann wäre ja noch Hoffnung.

(Zuruf von der CDU: Schon gar kein Ökospeck!)

Den Speck gibt es höchstens im Sitzfleisch der CDU-Vertreter im Vermittlungsausschuss, die immer noch glauben, durch Blockade des Subventionsabbaus die Probleme in Deutschland aussitzen zu können. - Vielen Dank fürs Zuhören.

(Lebhafter Beifall bei den GRÜNEN)

Herr Kollege Rösler, Sie haben das Wort. Bitte schön!

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Bereits bei der Einbringung des Haushaltsplanentwurfs 2004 habe ich gesagt, dass wir nun eine gute Gelegenheit haben, mit drei Gerüchten in diesem Hause aufzuräumen. Ich möchte die drei Gerüchte noch einmal kurz in Erinnerung rufen.

Das erste Gerücht war, dass alle Politiker und alle politischen Parteien gleich seien oder sich zumindest in ihren politischen Aussagen ähneln.