Protokoll der Sitzung vom 10.12.2003

„Liberal ist, wer die Zeichen der Zeit erkennt und auch danach handelt.“

(Beifall bei der FDP)

Eines ist ganz offensichtlich: Die Zeichen der Zeit haben sich geändert. Nicht nur der viel zitierte 11. September hat eine neue Bedrohungsqualität gebracht, sondern auch die globalisierten Verbrechenssyndikate und weitere Strukturen der Organisierten Kriminalität stellen eine Bedrohung für die Freiheit jedes einzelnen Bürgers dar. Auch die Angst vor Verbrechen führt zu einer solche Einschränkung der Freiheit und ist seitens der Politik ernst zu nehmen. Dagegen stellt das Wegwerfen einer Zigarettenschachtel im Straßenraum eine doch eher geringere Bedrohung unseres Gemeinwesens dar. Ich werde mich daher auf die wesentlichen Bereiche konzentrieren.

(Beifall bei der FDP)

Der erstmals in das Polizeigesetz aufgenommene Schutz der Berufsgeheimnisträger stellt durch und durch liberale Handschrift dar. Natürlich müssen die besonders sensiblen Beziehungen zwischen Arzt und Patient, zwischen Pastor und Gläubigem, zwischen Anwalt und Recht Suchendem, zwischen Journalisten und Informanten unter besonderen Schutz vor staatlicher Einflussnahme gestellt werden. Das ist für uns Liberale ein unumstößliches Prinzip.

Der diesbezügliche Änderungsantrag der Grünen unter Nr. 6 wundert mich doch schon sehr. Denn sie haben dort eine wesentlich nachteiligere Regelung für Berufsgeheimnisträger vorgesehen, als wir als CDU- und FDP-Vorschlag ihn im Gesetzentwurf vorsehen. Wir wollen nämlich lediglich bei einer gegenwärtigen Gefahr für Leib und Leben der Polizei Handlungsbefugnisse gewähren, also z. B. bei Geiselnahmen. Der Antrag der Grünen stellt aber auf jede Eingriffsnorm und deren Voraussetzung ab. Eine erheblich größere Eingriffsmöglichkeit ist nicht besonders journalistenfreundlich, Herr Dr. Lennartz. Aber das müssen Sie selber wissen.

(Beifall bei der FDP)

Die wesentlichste Neuerung ist jedoch die präventive Telefonüberwachung. Ich will auch nicht verhehlen, dass dieses der FDP die größten Bauchschmerzen bereitet hat. Jedoch haben sich gerade in diesem Bereich die Zeichen der Zeit erheblich, um nicht zu sagen, fundamental geändert. Die in der Strafprozessordnung bereits enthaltenen Kontrollelemente wie Richtervorbehalt und extrem enge Anordnungsbefugnisse haben sich in der Praxis der Telefonüberwachung und des Lauschangriffs bewährt.

Mit der Erfahrung vergangener Jahre können wir heute auf objektiver Grundlage urteilen, dass der Lauschangriff ebenso wie die Telefonüberwachung ein scharfes, aber gleichwohl rechtsstaatliches Schwert ist, welches Strukturen der Schwerstkriminalität wirksam zu durchtrennen vermag. Nichts anderes wird auch die präventive Telefonüberwachung in Niedersachsen sein. Wir haben hier erstmalig - und das ist das Besondere - die Möglichkeit geschaffen, dass Polizei nicht nur Täter, sondern auch Opfer abhören kann, um die Opfer besser zu schützen. Das trifft z. B. bei Geiselnahmen zu, bei denen die Polizei Telefone abhört, Standorte feststellt sowie Gespräche unterbinden kann, um Gefahren von Menschen in Not abwenden zu können.

Wenn die SPD vor der Abstimmung Ihre Recherchen in Hessen abgeschlossen hat, dann empfehle ich, einmal in Rheinland-Pfalz anzurufen,

(Beifall bei der FDP)

wo eine SPD-FDP-Koalition unter dem Ministerpräsidenten Beck genau das Gleiche einführen wird wie wir. Ich gebe gerne zu, dass wir anfangs etwas von Rheinland-Pfalz mit abgeschrieben und übernommen haben. Inzwischen sind unsere Änderungen aber so gut, dass die Rheinland-Pfälzer bei uns angerufen und Regelungen von uns übernommen haben.

(Hans-Christian Biallas [CDU]: Weil das Gesetz überragend ist! Deshalb!)

Das ist ein sehr schönes Hin und Her, entsprechend vorbildlich auch für die SPD dort.

(Beifall bei der FDP)

Ein besonderes Glanzstück ist die Befristung der präventiven Telefonüberwachung. Nur wenn nach fünf Jahren klar ist, dass es ein erfolgreiches Instrument ist, wird es entsprechend bleiben. Sonst

wird sich keine neue Mehrheit finden, und es wird ersatzlos wegfallen. Die Evaluierung oder Überprüfung ist auch ein Highlight dieses Gesetzes. Das heißt, wir spielen mit offenen Karten, die Daten werden offen gelegt, eine Berichts- und Beratungspflicht hier im Landtag ist verankert worden. Eine wirksame Prüfung wird für alle möglich sein.

Somit mein Fazit: Es ist ein gutes Gesetz, es ist ein praktikables Gesetz, es ist vor allen Dingen ein liberales Gesetz. Insbesondere haben wir die Warnung des ehemaligen amerikanischen Staatsmannes Benjamin Franklin in diesem Gesetz vorbildlich berücksichtigt. Er warnte: They that give up essential liberty to obtain a little temporary safety deserve neither liberty nor safety.

(Unruhe bei der SPD)

- Ich sehe, die SPD-Fraktion ist überfordert.

(Sigmar Gabriel [SPD]: Sei vorsichtig!)

Sie hat ja unsere neue Schulstrukturreform noch nicht genießen können.

(Heiterkeit und Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Ich werde es Ihnen daher gerne übersetzen.

Sie müssen sich aber beeilen, Herr Kollege.

Ich will mich gerne beeilen, Herr Präsident. - Die, die grundlegende Freiheiten aufgeben, um kurzfristige Sicherheit zu bekommen, verdienen keines: weder Sicherheit noch Freiheit.

Wir haben keine grundlegenden Freiheiten geopfert, sondern wir haben in Niedersachsen mehr Sicherheit und damit auch mehr Freiheit geschaffen. - Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Vielen Dank. - Das Wort hat jetzt Herr Professor Lennartz. Bitte schön!

(David McAllister [CDU]: Nun freuen Sie sich doch mal über unser neues Gesetz! Geben Sie sich endlich ein- mal einen Ruck! - Rebecca Harms [GRÜNE]: Wie frei fühlst du dich jetzt?)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich fühle mich in diesem abgeschirmten Bereich vor allem sicher. Zunächst einmal habe ich eine Korrektur an dem anzubringen, was mein CDUKollege Biallas ganz zu Anfang gesagt hat. Von den bisherigen Rednern sind im Wesentlichen vier Punkte angerissen worden.

(Hans-Christian Biallas [CDU]: Des- halb habe ich das ja auch fairerweise angesprochen, damit Sie wissen, worüber Sie reden sollen!)

Das sind die umstrittenen Punkte; das sind die Kritikpunkte. Deshalb haben Sie fälschlicherweise gesagt, dass das bisherige Polizeirecht sehr mangelhaft gewesen sei. Dem ist aber überhaupt nicht so. Fakt ist, dass polizeiliches Handeln auf dieser Rechtsgrundlage bislang durchaus gut und effizient möglich war.

(Beifall bei den GRÜNEN - Hans- Christian Biallas [CDU]: Ihr Kollege Trittin hat aber immer gesagt, damit würden der Polizei die Zähne gezo- gen! Das stimmt doch alles gar nicht!)

In meinem Urteil, das ich anlässlich der Einbringung dieses Gesetzentwurfs im Sommer dieses Jahres formuliert habe, muss ich mich jetzt leider bestätigt fühlen. Ich habe damals gesagt und muss es jetzt wiederholen, dass dieses Polizeigesetz verbrannte Erde für die Bürgerrechte in Niedersachsen bringt.

(Beifall bei den GRÜNEN - David McAllister [CDU]: Das ist doch Non- sens! Jetzt klatscht nur noch Frau Harms!)

Neben einer ganzen Reihe von kleinen, kritisierungswürdigen Punkten möchte ich jetzt vor allem die drei aus meiner Sicht zentralen Punkte ansprechen, die schon von meinen Vorrednern - unterschiedlich bewertet - angesprochen worden sind.

Erstens die Wiedereinführung des Ordnungsbegriffs. Nach Ihrer Definition umfasst öffentliche Ordnung Wertvorstellungen von elementarer Bedeutung.

(David McAllister [CDU]: Richtig!)

Die Polizei ist nicht mehr nur für die Bekämpfung der Kriminalität zuständig, womit sie leider schon genug zu tun hat, sondern sie wird zu einer Art Sittenpolizei. In einer demokratischen Gesellschaft ist der Schutz von elementaren Wertvorstellungen nicht Sache der Polizei, sondern der Bürgerinnen und Bürger.

(David McAllister [CDU]: Warum funk- tioniert das denn in anderen Bundes- ländern? Das ist doch in allen Län- dern schon geregelt!)

Nachdem der Ordnungsbegriff im Jahr 1994 aus dem Polizeigesetz entfernt worden ist,

(Hans-Christian Biallas [CDU]: Weil die Ordnung nicht zum kulturellen Er- be der Grünen gehört! - David McAl- lister [CDU]: Das machen wir jetzt rückgängig!)

- ist bekannt - sind keine Fälle bekannt geworden, die es rechtfertigen würden, ihn jetzt wieder zu brauchen. Herr Schünemann hat gestern gegenüber dpa gesagt, er räume ein, dass die bisherigen Regelungen bereits vorhanden seien, dass es kommunale Satzungshoheit gebe, um diese Fragen zu klären.

(Zuruf von Hans-Christian Biallas [CDU])

Herr Bartling hat dafür ein Beispiel genannt. Was Sie hier machen, ist völlig überflüssig. Es ist eine fixe Idee, die Sie auf den Begriff gebracht haben: Ordnung muss sein. - Egal, ob man sie hinterfragt oder nicht.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD - Hans-Christian Biallas [CDU]: Das versteht wenigstens jeder!)

Zweitens Verlängerung des Unterbindungsgewahrsams auf zehn Tage. Sie haben mit dieser Regelung eine Lex CASTOR geschaffen, obwohl die Erfahrungen mit CASTOR-Transporten zeigen, dass ein viertägiger Unterbindungsgewahrsam für die Polizei mehr als ausreicht. Wenn Sie sich einmal vergegenwärtigen, dass der letzte CASTORTransport von der Polizei als „Hochgesang auf die demokratische Kultur des Widerstands im Wendland“ bewertet worden ist, dann ist das ein Beleg dafür, dass Ihre Verlängerungsabsicht völlig überflüssig ist.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Drittens die gravierendste Verschärfung, die vorbeugende Telefonüberwachung ohne jeden konkreten Tatverdacht. Ich gehe jetzt nicht auf all das ein, was bereits in der Debatte gesagt worden ist. Wie Herr Generalstaatsanwalt Range das kommentiert hat, ist es an Deutlichkeit nicht zu übertreffen. Ich wiederhole nicht, was der Chef der GdP in Niedersachsen, Herr Witthaut, gesagt hat. Er hat Recht.

Zusammengefasst komme ich zu dem Ergebnis: Sie setzen auf Gesetzesverschärfung. Sie missbrauchen das Instrument der Gesetzgebung; denn Sie können für diese Verschärfungen keine Erfahrungswerte bringen, aus denen heraus Sie die Erforderlichkeit der Veränderungen begründen können.