Protokoll der Sitzung vom 19.02.2004

- Sie haben es immer noch nicht verstanden; ich sage es Ihnen gerne noch einmal -, weil sie auf zu frühe Sortierung setzt und das gesamte Schulleben ausschließlich auf Unterricht reduziert.

Wenn Sie aber schon nicht zu stoppen sind in Ihrer restaurativen Reformwut, Herr Minister,

(Zurufe von der CDU: Hey!)

und unbedingt das gesamte Schulsystem rückwärts in Richtung 50er-Jahre umkrempeln wollen, dann tun Sie das wenigstens in einem Tempo, dem die Schulen folgen können und bei dem die Kinder nicht unter die Räder geraten.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Wir wollen eine Entschleunigung in der Schulpolitik. Herr Busemann ist auf dem besten Wege, von Ehrgeiz getrieben, genauso zum hektischen Aktionisten zu werden wie vor ihm Sigmar Gabriel.

(Bernd Althusmann [CDU]: Sie wollen also bremsen?)

Sie sehen, Herr Busemann, wohin das führen kann.

(Unruhe - Glocke der Präsidentin)

- Wenn Sie etwas leiser wären, könnte ich weiter sprechen.

Von dem Grundsatz „Gründlichkeit vor Schnelligkeit“, den der Ministerpräsident und auch Herr Busemann zu Beginn ihrer Regierungszeit immer betont haben, sind Sie längst abgewichen. Nichts ist mehr davon übrig. Aber mit Ihrer quantitativen Mehrheit setzen Sie hier ein ums andere Mal unausgegorene Konzepte durch.

(Bernd Althusmann [CDU]: Wir setzen qualitative Maßstäbe!)

Sie ziehen überstürzt die Einführung des Abiturs nach Klasse 12 durch, ohne Erprobungsphase wie in anderen Bundesländern, ohne Auswertung der zum Teil ausgesprochen schlechten Erfahrungen dort und ohne auf die fundierte Kritik von vier Philologenverbänden aus Hessen, Rheinland-Pfalz, Baden-Württemberg und Bayern zu hören, die alle eine Aussetzung der Regelung „Abitur nach Klasse 12“ fordern.

(Bernd Althusmann [CDU]: Wie viele Jahre wollen Sie denn noch warten?)

Heute können Sie in der Hannoverschen Allgemeinen lesen, dass sich der neue Vorsitzende des Niedersächsischen Philologenverbandes genauso geäußert hat.

Nein, Sie brauchen keinen Sachverstand. Sie brauchen auch keine Verbände. Sie wissen alleine alles besser. Ich frage mich: Auf wen hören Sie fachlich überhaupt, Herr Busemann?

(Beifall bei den GRÜNEN - Bernd Althusmann [CDU]: Auf Sie nicht!)

Noch gespannter bin ich auf den Flop mit Ihrem Schulbuch-Mietmodell. Wenn man einmal richtig hinhört, dann stellt man fest, dass das ein Schulbuch-Mietmodell wird, bei dem die Eltern viel zahlen müssen, aber nichts wiederkriegen. Legen Sie dieses Modell endlich vor, und halten Sie es nicht im stillen Kämmerlein versteckt.

(Karl-Heinz Klare [CDU]: Jetzt soll er schnell machen! Eben haben Sie noch gesagt, er soll langsamer ma- chen!)

- Das ist aber etwas anderes. - Damit halten Sie wirklich hinter dem Berg. Sie haben in der Debatte, als es um die Abschaffung der Lehrmittelfreiheit ging, einmal erklärt, wir würden das gemeinsam ausarbeiten. Dann aber machen Sie alles im stillen Kämmerlein, ohne dass jemand etwas mitkriegen soll. Nach dem, was man hört, kommt nichts Gutes dabei heraus.

Aber das mit dem Mietmodell ist nicht das Einzige. Sie bringen auch noch ein schlecht vorbereitetes Kopftuch-Gesetz ein, welches ohnehin vom Verfassungsgericht kassiert werden wird. Sie überstimmen mit Ihrer quantitativen Mehrheit im Ausschuss die fundamentale Kritik des Datenschutzbeauftragten. Das, was er dazu geäußert hat, geht Sie alles überhaupt nichts an. - So weit zu Ihrem Rechts- und Demokratieverständnis.

Wir als Grüne fordern in der Schulpolitik eine andere Schwerpunktsetzung. Statt die knappen Ressourcen für eine rückwärts gewandte Struktur zu verpulvern, wollen wir mehr Anstrengungen für Ganztagsschulen. Es reicht einfach nicht, die Mittel aus dem Programm der Bundesregierung „Zukunft, Bildung und Betreuung“ zu kassieren, dies als eigene Zuwendung groß im Lande darzustellen, aber keinen einzigen Euro dazuzugeben.

An den Schulen hat man längst begriffen, worum es geht. Deshalb sind zahlreiche Kollegien bereit, sich dieser neuen Herausforderung zu stellen. Dies zeigen mehr als 150 Anträge bzw. Voranträge. Die Lehrkräfte wissen, dass zur Verbesserung der Bildungsqualität mehr und anderer Unterricht, auch in anderen Tagesrhythmen, erforderlich ist und dass

das in Ganztagsschulen passieren muss. Sie wissen, dass gerade vor dem Hintergrund der Gewaltdebatte, die wir gestern geführt haben, Schule viel mehr sein muss als eine anonyme Lehranstalt.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Gerade Ganztagsschulen können und müssen ein positives Klima mit eigenem Profil entwickeln. Dann bieten sie Schülerinnen und Schülern, Eltern und Lehrkräften eine echte Alternative.

Wer wollte, konnte sich davon Anfang Januar bei der Präsentation der Ganztagsschulen im Raschplatz-Pavillon in Hannover überzeugen. Aber wir haben so wenige CDU- und FDP-Politiker im Landtag, dass keiner Zeit hatte, dort hinzugehen.

Ganztagsschulen sind eine der Antworten auf PISA. Es müssen aber richtige Ganztagsschulen sein. Wir brauchen Ganztagsschulen mit pädagogischem Konzept und keine Verwahranstalten mit Suppenküchen!

(Beifall bei der CDU)

Die von Ihnen ausgedünnten Nachmittagsangebote auf freiwilliger Basis reichen uns nicht. Wir fordern die Landesregierung auf, zusätzlich zu den Mitteln der Bundesregierung eigene Mittel bereitzustellen, damit alle Anträge auf Einrichtung einer Ganztagsschule bewilligt und in diesen Schulen anspruchsvolle pädagogische Konzepte umgesetzt werden können. Stundenkontingente - jetzt hören Sie genau zu - dafür wären durch die Abschaffung des Sitzenbleibens, durch die Aussetzung der Regelung „Abitur nach Klasse 12“ zu erzielen. Der bestmögliche und größtmögliche Gewinn an Stunden aber wäre der Verzicht auf Ihre teure Schulstrukturreform.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Für die CDU-Fraktion hat die Kollegin Frau Körtner das Wort. – Bitte schön!

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich spreche zu den beiden ersten der vier Anträge, die wir zusammen beraten, und zu den damit im Zusammenhang stehenden Petitionen.

Zu dem Antrag der SPD-Fraktion mit der markigen Überschrift „Gebrochene Versprechen in der

Schulpolitik“ ist an sich nichts mehr zu sagen. Er war schon durch das Handeln der Landesregierung zum größten Teil erledigt, bevor er überhaupt gestellt wurde.

(Beifall bei der CDU)

Nach den Beratungen im Kultusausschuss ist nun überhaupt nichts mehr übrig geblieben. Es ging um Durchlässigkeit. Das ist durch die Durchlässigkeitsverordnung erledigt. Es ging um den Übergang von Realschülern zum Gymnasium. Auch das ist erledigt. Das ist im Übrigen so, wie es immer war.

Als ich die Forderung der SPD-Fraktion gelesen habe, zusammengefasste Haupt- und Realschulen auch mit einzügigen Schulzweigen entstehen zu lassen – das ist im Übrigen durch die Verordnung zur Schulentwicklungsplanung bereits erledigt -, habe ich gedacht: Ich kann es nicht fassen. - Obwohl ich auch so schon manches Mal nicht aus dem Staunen herauskomme, habe ich den Mund nicht mehr zubekommen. Noch vor genau einem Jahr, in der Zeit Ihrer Regierungsverantwortung, wollten Sie für die Kooperative Haupt- und Realschule nur die Vierzügigkeit zulassen. Sie wollten Ihr merkwürdiges Monstrum „Förderstufe“ nur an vierzügige Systeme angliedern. Alle kleineren Schulstandorte mit selbständigen Schulformen in Niedersachsen wären gestorben; eine Katastrophe für ein Flächenland wie Niedersachsen.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Diesen größten pädagogischen Unsinn, den es in Niedersachsen jemals gegeben hätte, haben glücklicherweise die Wählerinnen und Wähler verhindert.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Mehr ist zu diesem Antrag nicht zu sagen.

Der Antrag der Fraktion der Grünen hat wenigstens noch etwas Substanz, über die es sich zu diskutieren lohnt. Frau Korter, im Vorfeld nur eine Bemerkung zu Infratest dimap: Immerhin haben wir 45 % Zustimmung zu unserer Schulpolitik. Die SPD befindet sich bei 25 %. Das nur einmal ganz nebenbei.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Meine Damen und Herren, aus Reformen resultieren immer auch zahlreiche Aufgaben. Es gibt eine Fülle von Maßnahmen. Mit einem Jahrhundertwerk wie der Schulreform ist immer auch Verunsiche

rung verbunden, die sich in Protesten und Petitionen ausdrückt. Wer könnte das nicht verstehen?

Allerdings gibt es, verehrte Frau Korter, auch die andere Seite, die sich nicht durch Petitionen darstellt. Von vielen, vielen Schulen, und zwar aller Schulformen, und von vielen Verbänden werden die Klarheit, die Konsequenz, die Transparenz und die Verlässlichkeit der Richtungsentscheidungen der Landesregierung außerordentlich begrüßt und anerkannt. Früher gab es, so die Aussagen, Chaos und Verunsicherung. Jede Woche wurde eine andere Vorgabe gemacht. Alles war der Beliebigkeit und den ideologischen Vorstellungen der SPDFraktion sowie der Sprunghaftigkeit des früheren Ministerpräsidenten Gabriel ausgesetzt, der mit seinen spontanen Ideen hinreichend zu dieser chaotischen Schulpolitik beigetragen hat.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Ruhe und Verlässlichkeit gab es nicht. Deswegen waren Verunsicherung und Demotivation an der Tagesordnung. Dies, meine Damen und Herren, haben wir beendet.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Die mit Schule befassten Verbände sind in der Mehrzahl mit den Grundsatzerlassen zu den einzelnen Schulformen einverstanden. An dem Erlass zur Klassenbildung und zur Lehrerstundenzuweisung gibt es Kritik. Aber, verehrte Frau Korter, das ist doch auch klar. Wir gehen da an etwas heran, was langjährig lieb gewonnen ist. Dass es dagegen Proteste gibt, ist doch klar. Wir haben, wie vom Landesrechnungshof gefordert, wie vom Landtag in der vergangenen Legislaturperiode gefordert, wie in anderen Bundesländern bereits umgesetzt, ein einfaches, transparentes Verfahren entwickelt. Niemand, mit Ausnahme vielleicht der ausgefuchsten Fachleute im Ministerium, konnte definieren, was eine 100-prozentige Unterrichtsversorgung ist.